Arbeitsrecht

Tariflicher Entgeltausgleich bei Leistungsminderung

Aktenzeichen  6 Sa 35/17

Datum:
11.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 127031
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) § 17

 

Leitsatz

Ein Anspruch auf Entgeltausgleich nach § 17 MTV der Bay. Metall- und Elektroindustrie endet mit Wegfall einer der Voraussetzungen und nicht allein mit der Verrentung oder einem Anspruch auf Rente. (Rn. 43 – 44)

Verfahrensgang

5 Ca 3900/16 2016-12-01 Urt ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 01.12.2016, Az.: 5 Ca 3900/16, wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig, sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 6 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist in der Sache nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen. Die Kammer folgt dem Arbeitsgericht auch in der Begründung seiner Entscheidung, so dass von einer erneuten, nur wiederholenden Darstellung abgesehen werden kann, § 69 Abs. 2 ArbGG. Im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren ist noch Folgendes anzufügen:
Es kann grundsätzlich dahinstehen, ob die Klägerin die streitgegenständlichen Forderungen zumindest teilweise nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, denn die Forderungen bestehen schon dem Grunde nach nicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht für diese ein Anspruch auf tariflichen Entgeltausgleich bei Leistungsminderung für den gesamten geltend gemachten Zeitraum nicht.
Entgegen der Ansicht der Klägerin endet die Zahlung des Entgeltausgleichs nicht nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 17 C Abs. 1 Satz 2 MTV vorliegen. Ein solcher Anspruch endet auch, wenn eine gesundheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit nicht mehr vorliegt oder durch die gesundheitliche Minderung der Leistungsfähigkeit eine Verdienstminderung nicht eintritt. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Der maßgebliche Sinn der Erklärung ist zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzugezogen werden. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt.
§ 17 A MTV macht deutlich, dass die in drei Spiegelstrichen genannten Voraussetzungen nebeneinander und zugleich erfüllt sein müssen, indem diese drei Voraussetzungen jeweils mit dem Wort „und“ verbunden werden. Nur wenn alle drei Voraussetzungen gegeben sind, besteht auf schriftlichen Antrag und bei Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Attestes ein Anspruch auf einen Entgeltausgleich bei Leistungsminderung. Fehlt nach dem Wortlaut der Tarifvorschrift eine der genannten Voraussetzungen, so besteht demnach kein tariflicher Anspruch. Der Wortlaut der Tarifvorschrift gibt jedenfalls keine Regelung vor, dass der einmal zu gewährende Entgeltausgleich der Arbeitnehmerin jedenfalls bis zur Verrentung verbleiben solle. § 17 C MTV schließt einen solchen Anspruch in Absatz 1 aus, wenn die Leistungsminderung selbst verschuldet ist oder die betroffene Arbeitnehmerin Altersruhegeld beziehen könnte, auch wenn sie tatsächlich ein solches nicht bezieht. Zudem regelt Absatz 2, dass bei einer tatsächlichen entsprechenden Rentenzahlung der Anspruch auf Zahlung des Entgeltausgleichs endet. Dem Wortlaut des § 17 C MTV ist nur zu entnehmen, dass auch dann, wenn die Voraussetzungen des § 17 A MTV noch vorliegen, mit der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung oder Altersruhegeld der Anspruch dennoch endet. Umgekehrt ist demnach dem Wortlaut nicht zu entnehmen, dass nur in diesen Fällen der Anspruch auf Entgeltausgleich enden solle.
Sinn und Zweck der Regelung ist es, ältere Arbeitnehmer so zu stellen, als wären sie nicht leistungsgemindert und somit diesen den Verdienst zu sichern, den sie im Vergleich mit nicht leistungsgeminderten Arbeitnehmern erzielen würden. Dies setzt, wie § 17 A MTV deutlich macht, voraus, dass durch eine Leistungsminderung in einem bestimmten Alter auch eine Verdiensteinbuße eintritt. Eine darüber hinausgehende Besserstellung – Entgeltausgleich bei nicht mehr bestehender Leistungsminderung oder Leistungsminderung, ohne dass dadurch eine Verdienstminderung eintritt – würde über das Ziel dieser Sicherung hinausgehen. So hat das Bundesarbeitsgericht in verschiedenen Fällen zur altersbedingten Verdienstsicherung entschieden, dass arbeitsrechtlich zulässige allgemeine Lohnkürzungen, die nicht vom Alter oder der Leistungsfähigkeit abhängen, ein verdienstgesicherter Arbeitnehmer hinnehmen muss (vgl. z.B. BAG vom 08.11.2006, Az. 4 AZR 608/05). So hat das Bundesarbeitsgericht auch zutreffend entschieden, dass eine tarifliche Alterssicherung Arbeitnehmer regelmäßig nur davor schützt, dass sie durch altersbedingte Leistungsabnahme Verdiensteinbußen erleiden. Dagegen nehme sie ältere Arbeitnehmer nicht von allgemeinen Lohneinbußen aus, die von Alter und Leistungsunfähigkeit unabhängig sind (vgl. BAG vom 13.03.2007 – 1 AZR 232/06). Solche Arbeitnehmer sind nur zu schützen bei Vorliegen einer altersbedingten Leistungsminderung, die auch zu einer Verdienstminderung und damit zu einer Schlechterstellung gegenüber nicht leistungsgeminderten Arbeitnehmern führen würde. Demgemäß zeigt § 17 C MTV nur auf, wann trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 A MTV ein Anspruch auf Entgeltsicherung jedenfalls endet. Voraussetzung ist aber, dass bis dahin die Voraussetzungen des § 17 A MTV vollumfänglich noch vorliegen.
Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dies würde bedeuten, dass jährlich gegebenenfalls das langwierige Verfahren des § 17 A Ziff. 2 MTV durchlaufen werden müsste. Bis zu einer Änderung des Gesundheitszustandes – grundsätzlich einer Verbesserung des Gesundheitszustandes – oder Änderung des Arbeitsplatzes wird regelmäßig keine Veranlassung bestehen, den einmal gewährten Anspruch auf Entgeltausgleich in Frage zu stellen. Dafür müsste der Arbeitgeber jedenfalls konkrete Anhaltspunkte vorbringen, z.B. was die Verbesserung des Gesundheitszustandes anbelangen würde.
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie seit Januar 2012 Entgeltausgleich erhalten hat, denn das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen, hinsichtlich Alter und Betriebszugehörigkeit. Diese liegen aber erst seit Januar 2015 vor. Soweit die Beklagte seit 2012 auf Antrag der Klägerin Entgeltausgleich leistete, war die Beklagte offensichtlich der Meinung, hierzu verpflichtet zu sein, wie das durchgeführte Verfahren und die Abrechnungen zeigen. Einen Vertrauenstatbestand zur Zahlung des Entgeltausgleichs ohne Vorliegen der Voraussetzungen hat die Beklagte damit nicht gesetzt. Von der Möglichkeit nach § 17 A Ziff. 4 MTV, Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz zur Verdienstsicherung, ist im Jahr 2012 ersichtlich kein Gebrauch gemacht worden.
Der Anspruch auf Entgeltausgleich besteht nur nach obigen Ausführungen so lange, als die geschützte Arbeitnehmerin an ihrem konkreten Arbeitsplatz infolge Leistungsminderung einen Verdienstausfall erleidet. Nur dies ist Sinn und Zweck der Regelung. Dies ist sicher der Fall an einem Arbeitsplatz, an dem tatsächlich Akkord geleistet und nach Akkord gezahlt wird und damit die Leistungsminderung unmittelbar auch zu einem geringeren Verdienst führt. Für diesen Fall wird gemäß § 17 B MTV der Durchschnittsverdienst vor der Leistungsminderung für den Entgeltausgleich zugrunde gelegt.
Die Klägerin gehört nach dem Vorbringen der Parteien der Gruppe von Mitarbeitern an, die Teile entgraten. Nach dem unstreitigen Vorbringen der Beklagten arbeitet in dieser Gruppe von Arbeitnehmern niemand mehr tatsächlich im Akkord, spätestens seit Mai 2015. Eine Verdienstminderung infolge einer Leistungsminderung im Vergleich zu Mitarbeitern, die mit den gleichen Tätigkeiten beschäftigt werden, tritt damit seit dieser Zeit nicht mehr ein, ein Entgeltausgleich ist nicht mehr gerechtfertigt. Dabei kann sich die Klägerin nur mit Mitarbeitern mit gleicher Tätigkeit vergleichen, das ist vorliegend die Gruppe der Entgrater. Ein Vergleich der Klägerin mit Mitarbeitern, die sowohl Entgraten als auch Polieren und somit auch als Springer tätig sind, scheidet aus. Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt die Tätigkeit des Polierens ausgeübt. Soweit in der Gruppe von Mitarbeitern, die sowohl das Polieren als auch das Entgraten übernehmen oder nur Polieren, tatsächlich noch Akkord gearbeitet wird, betrifft dies nicht die Klägerin, die ausschließlich Tätigkeiten des Entgratens verrichtet. Von der Tätigkeit vergleichbar ist die Klägerin nur mit der Gruppe der Entgrater. Dort arbeitet aber unstreitig niemand mehr im Akkord, so dass eine Leistungsminderung der Klägerin im Vergleich zu diesem Personenkreis nicht auch zu einer Verdienstminderung führt. Dabei kommt es entscheidungserheblich nicht darauf an, ob der Arbeitsplatz der Klägerin nur noch formal als Akkordarbeitsplatz bezeichnet ist oder eine Stückzeit bezogen auf jeden Arbeitnehmer der Gruppe vermerkt wird, da davon der tatsächliche Verdienst nicht abhängig ist.
Einen Anspruch auf Entgeltausgleich aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes konnte die Klägerin nicht darlegen. Die bloße Behauptung, dass irgendwelche Mitarbeiter der Beklagten Entgeltausgleich erhielten, obwohl sie nicht mehr Akkord arbeiten würden, reicht hierfür keinesfalls aus. Dies ermöglicht dem Gericht nicht die notwendigen tatsächlichen Feststellungen hierzu.
Auch wenn seit 2012 bis Mai 2015 die Tätigkeit der Klägerin grundsätzlich im Akkord zu erbringen war, besteht ein Anspruch der Klägerin auf Verdienstausgleich nach § 17 MTV demnach ab dem 01.09.2015 nicht. Auf die vorgelegten Atteste vom 17.09.2015 und 14.07.2016 kommt es entscheidungserheblich nicht mehr an, wie auch auf die Frage, ob ein Teil der geltend gemachten Forderungen verfallen ist, was vom Arbeitsgericht zu Recht festgestellt worden ist.
Nach alldem hat das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen, die Berufung ist zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 72 Abs. 2 ArbGG).


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