Arbeitsrecht

Unangemessene Benachteiligung durch Vereinbarung, die bereits entstandene Treueboni bei Kündigung durch einen Arbeitnehmer wegfallen lässt

Aktenzeichen  3 Sa 426/15

Datum:
1.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DB – 2016, 2671
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 307 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Eine Vereinbarung, wonach der Arbeitnehmer ihm für Vorjahre angerechnete und kumulierte Treueboni verliert, wenn er vor einem bestimmten Stichtag das Arbeitsverhältnis kündigt, benachteiligt ihn unangemessen und ist unwirksam, weil sie zu einer übermäßig langen, die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers in unzulässiger Weise beeinträchtigenden Bindungsdauer führt. Die Vereinbarung ist daneben unwirksam, weil sie nicht danach differenziert, aus wessen Sphäre der Grund für die Eigenkündigung des Arbeitnehmers stammt (entgegen BAG vom 18.01.2012 – 10 AZR 667/10 und BAG vom 22.07.2014 – 9 AZR 981/12). (Orientierungssatz des Gerichts)

Verfahrensgang

3 Ca 190/15 2015-07-29 Urt ARBGBAMBERG ArbG Bamberg

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bamberg – Kammer Coburg vom 29.07.2015, Az. 3 Ca 190/15 wird zurückgewiesen.
2. Von den Kosten der Berufung haben der Kläger 37% und die Beklagte 63% zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte ist, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, zur Zahlung des Treuebonus in Höhe von 10.000,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2015 verpflichtet.
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe b) ArbGG, und vom Beklagtenvertreter form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Sätze 1, 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
II. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der diesbezüglichen Klage zu Recht stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung des Treuebonus in Höhe von 10.000,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2015 verurteilt. Dabei wird zur Begründung vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in seinem Urteil vom 29.07.2015 verwiesen. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Parteien sind noch folgende Ausführungen veranlasst:
1. Der Anspruch des Klägers folgt aus § 611 BGB i. V. m. § 4.4 der Änderungsvereinbarung vom 12.02.2009, §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, 2 Ziffer 1, Abs. 4, 247 BGB.
a) Aus dieser Vereinbarung hat der Kläger ab 2009 jährlich einen Treuebonus von 1.500,00 € angerechnet erhalten, wobei dieser auf 6 Jahre kumuliert wurde. Nach Ablauf der 6 Jahre, d. h. 2014 erfolgte eine Aufstockung auf 10.000,00 € und die Beklagte war verpflichtet, den Treuebonus mit dem Dezembergehalt 2014 auszuzahlen. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Arbeitsverhältnis der Parteien noch.
Dabei ist die Vereinbarung vom 12.02.2009 in § 4.4 gemäß §§ 133, 157 BGB bereits nach ihrem Wortlaut entgegen der Auffassung der Beklagten dahingehend auszulegen, dass der Arbeitnehmer einen jährlichen Treuebonus in Höhe von 1.500,00 € angerechnet, d. h. gutgeschrieben erhält. Dies ist so zu verstehen, dass der Arbeitnehmer für jedes Jahr seiner Betriebszugehörigkeit und damit erwiesenen Treue einen Bonus von 1.500,00 € erhalten soll. Dieser wird aber nicht, wie zuvor die Einmalzahlung, jährlich ausgezahlt. Vielmehr erfolgt eine Anrechnung und Kumulierung, d. h. Anhäufung (vgl. Duden, Band 5 Fremdwörterbuch, 6. Aufl. 1997, Stichwort „Kumulation“) für 6 Jahre. Nach Ablauf dieser Anhäufungszeit erfolgt eine Aufstockung um weitere 1.000,00 €. Die Auszahlung erfolgt mit dem Dezembergehalt 2014, d. h. zu diesem Zeitpunkt ist der Treuebonus zur Zahlung fällig i. S. d. § 271 Abs.1 BGB.
Dieses Verständnis der Vereinbarung folgt auch aus ihrem Zusammenhang mit der Regelung zur Auszahlung eines anteiligen Treuebonus im Falle einer vorherigen Arbeitgeberkündigung. Dies bestätigt das Verständnis der Parteien von einer anteiligen, sich anhäufenden Zahlungspflicht der Beklagten.
Hingegen kann der Beklagten nicht darin gefolgt werden, dass es sich um einen einmaligen, erst nach Ablauf von 6 Jahren entstehenden Anspruch in Höhe von 10.000,00 € handelt. Denn dann hätte es weder der Regelung zur Kumulation der jährlichen Treueboni in Höhe von jeweils 1.500,00 €, noch der Aufstockung nach 6 Jahren um weitere 1.000,00 € bedurft. Die Beklagte hat auch keine sonstigen Umstände dargetan, die auf einen abweichenden Willen der Parteien bei Abschluss der Vereinbarung vom 12.02.2009 schließen lassen.
Zum gleichen Ergebnis gelangte man im Wege einer objektiven, d. h. an einem verständigen und redlichen Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise orientierten Auslegung, die in erster Linie am Vertragswortlaut anzusetzen hat, wenn die Sätze 1 und 2 von § 4.4 des Änderungsvertrages vom 12.02.2009 dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, §§ 305 ff. BGB unterfielen, was hier dahinstehen kann (vgl. zur Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen BAG vom 19.05.2010 – 4 AZR 796/08 Rn. 15, juris).
b) Dem Anspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass er mit Schreiben vom 24.06.2014, der Beklagten am 07.07.2014 zugegangen, sein Arbeitsverhältnis gekündigt hat.
Zwar bestimmt Satz 3 von § 4.4 der Vereinbarung vom 12.02.2009, dass die Treuevergütung entfällt, wenn der Mitarbeiter vorher, d. h. vor der Auszahlung des Dezembergehaltes 2014 kündigt.
Dabei ist entgegen der Annahme des Klägers auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, nicht auf den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses abzustellen. Hierauf hat das Arbeitsgericht auf Seite 7 des Urteils vom 29.07.2015 zutreffend hingewiesen, worauf Bezug genommen wird.
Die Bestimmung benachteiligt den Kläger unangemessen und ist unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
aa) Der Satz „Kündigt der Mitarbeiter vorher, entfällt die Treuevergütung.“ ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung i. S. d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Denn diese Klausel hat die Beklagte dem Kläger bei Abschluss der Vereinbarung vom 12.02.2009 gestellt i. S. d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Davon ist jedenfalls aufgrund der gesetzlichen Vermutung des § 310 Abs. 3 Ziffer 1 BGB auszugehen. Danach gelten Allgemeine Geschäftsbedingungen als vom Unternehmer, d. h. Arbeitgeber gestellt, es sei denn, dass sie durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden. Der Kläger ist als Arbeitnehmer Verbraucher i. S. d. §§ 310 Abs. 3, 13 BGB (vgl. BAG vom 18.03.2008 – 9 AZR 186/07 Rn. 17; vom 25.05.2005 – 5 AZR 572/04 unter V. 1., beide juris). Dass der Kläger die Klausel in die Vereinbarung vom 12.02.2009 eingeführt hat, hat die Beklagte selbst nicht behauptet.
Ob die Beklagte die Klausel nur im Falle des Klägers verwendet hat oder für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert hat, kann dahinstehen. Denn bei Verbraucherverträgen – ein solcher ist die Vereinbarung vom 12.02.2009 – finden die §§ 307 – 309 BGB auf vorformulierte Vertragsbedingungen auch dann Anwendung, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher, d. h. hier der Kläger aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte, § 310 Abs. 3 Ziffer 2 BGB. Dies war hier der Fall. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte die Vereinbarung vom 12.02.2009 vorformuliert und der Kläger keine Möglichkeit hatte, Änderungen vorzunehmen. Jedenfalls hat die Beklagte das entsprechende Vorbringen des Klägers nicht qualifiziert bestritten, indem sie konkret dargelegt hat, wie sie die Klausel zur Disposition gestellt hat und aus welchen Umständen darauf geschlossen werden kann, der Kläger habe die Klausel freiwillig akzeptiert (vgl. zur insoweit abgestuften Darlegungslast BAG vom 11.12.2013 – 10 AZR 286/13 Rn. 13, juris m. w. N.). Soweit die Beklagte darauf hingewiesen hat, dass die Vereinbarung vom 12.02.2009 einvernehmlich zwischen den Parteien zustande gekommen ist, steht dies der Anwendung der §§ 307 – 309 BGB nicht entgegen. Eine Einflussnahme des Arbeitnehmers auf den Inhalt der Klausel i. S. d. § 310 Abs. 3 Ziffer 2 BGB bzw. ein Aushandeln i. S. d. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB liegt nur vor, wenn der Arbeitgeber seine Klausel deutlich und ernsthaft zur Disposition des Arbeitnehmers stellt und diesem die Möglichkeit einräumt, den Inhalt der fraglichen Klausel zu beeinflussen (vgl. BAG vom 11.12.2013 – 10 AZR 286/13 Rn. 13, juris m. w. N.). Dies war hier nicht der Fall. Im Übrigen würde die Ansicht der Beklagten dazu führen, dass keine Vertragsklausel mehr der Inhaltskontrolle nach §§ 307 – 309 BGB zu unterziehen wäre. Denn Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist immanent, dass sie einvernehmlich bei Vertragsabschluss oder anlässlich einer Vertragsänderung Teil des Vertrages werden.
bb) Die Klausel „Kündigt der Mitarbeiter vorher, entfällt die Treuevergütung.“ ist einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 Abs. 1, 2, 308, 309 BGB und nicht einer bloßen Transparenzkontrolle nach §§ 307 Abs. 1 Satz 2 zu unterziehen. Denn durch diese Klausel wird entgegen der Ansicht der Beklagten von Rechtsvorschriften abgewichen.
Bei dem nach § 4.4 zu zahlenden Treuebonus handelt es sich bereits nach dem Wortlaut um eine Sonderzahlung der Beklagten für erwiesene Betriebstreue. Dieser Zweck der Klausel wird auch von keiner Partei in Abrede gestellt. Die hier zu prüfende Klausel stellt eine Stichtagsregelung dar, wonach der Anspruch entfällt, wenn der Mitarbeiter „vorher“, d. h. vor der Auszahlung des Dezembergehaltes 2014 das Arbeitsverhältnis kündigt.
Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB sind nicht nur die Gesetzesbestimmungen selbst, sondern die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze, d. h. auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechts oder die aufgrund ergänzender Auslegung nach den §§ 157, 242 BGB und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten (vgl. BAG vom 24.10.2007 – 10 AZR 825/06 Rn. 24; vom 11.10.2006 – 5 AZR 721/05 m. w. N., beide juris). In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, dass mit Sonderzahlungen verbundene einzelvertragliche Stichtags- oder Rückzahlungsklauseln einen Arbeitnehmer nicht in unzulässiger Weise in seiner durch Art. 12 GG garantierten Berufsfreiheit behindern dürfen und insoweit einer Inhaltskontrolle durch die Arbeitsgerichte gemäß § 307 BGB unterliegen (vgl. BAG vom 24.10.2007 – 10 AZR 825/06 Rn. 24; vom 28.03.2007 – 10 AZR 261/06; vom 25.04.2007 – 10 AZR 634/06, alle juris).
cc) Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, ob die gesetzliche Regelung nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt. Die Frage, ob eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Klauselverwenders vorliegt, ist auf der Grundlage einer Abwägung der berechtigten Interessen der Beteiligten zu beantworten. Hierbei ist das Interesse des Verwenders an der Aufrechterhaltung der Klausel mit dem Interesse des Vertragspartners an der Ersetzung der Klausel durch das Gesetz abzuwägen. Bei dieser wechselseitigen Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner, bei dem auch grundrechtlich geschützte Rechtspositionen zu beachten sind (vgl. zur Inhaltskontrolle BAG vom 17.03.2016 – 8 AZR 665/14 Rn. 22; vom 24.10.2007 – 10 AZR 825/06 Rn. 23; vom 21.04.2005 – 8 AZR 425/04; vom 04.03.2004 – 8 AZR 196/03; vom 24.10.2002 – 6 AZR 632/00, alle juris), ist ein genereller, typisierender Maßstab anzulegen (vgl. BAG vom 17.03.2016 – 8 AZR 665/14 Rn. 22, vom 25.04.2007 – 5 AZR 627/06 m. w. N., beide juris).
(1) Nach den vom BAG für Rückzahlungsklauseln entwickelten Grundsätzen hängt die Dauer der zulässigen Bindung von der Höhe der Sonderzahlung ab (vgl. BAG vom 28.03.2007 – 10 AZR 261/06; vom 28.04.2004 – 10 AZR 356/03; vom 21.05.2003 – 10 AZR 390/02, alle juris). Es müssen Grenzwerte eingehalten werden. Werden diese überschritten, ist anzunehmen, dass der Arbeitnehmer durch die vereinbarte Rückzahlung in unzulässiger Weise in seiner durch Art. 12 GG garantierten Berufsfreiheit behindert wird (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG vom 21.05.2003 – 10 AZR 390/02 m. w. N., juris). In einem solchen Fall liegt eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers i. S. d. § 307 Abs. 1 BGB vor, die zur Unwirksamkeit der Rückzahlungsklausel führt. Eine am Jahresende gezahlte Zuwendung, die über 100 Euro, aber unter einem Monatsbezug liegt, kann den Arbeitnehmer bis zum 31. 3. des Folgejahres binden. Nur wenn die Zuwendung einen Monatsbezug erreicht, ist eine Bindung des Arbeitnehmers über diesen Termin hinaus zulässig (vgl. BAG vom 21.05.2003 – 10 AZR 390/02 m. w. N., juris). Erhält ein Arbeitnehmer eine Gratifikation, die ein zweifaches Monatsgehalt nicht erreicht, so kann er durch eine Rückzahlungsklausel jedenfalls dann nicht über den 30. 6. des folgenden Jahres gebunden werden, wenn er bis dahin mehrere Kündigungsmöglichkeiten hatte (vgl. BAG vom 27.10.1978 – 5 AZR 754/77, juris). Diese Wertungen sind bei Stichtagsklauseln entsprechend anzuwenden (vgl. BAG vom 24.10.2007 – 10 AZR 825/06; vom 18.01.2012 – 10 AZR 667/10 Rn. 13, beide juris; Preis in: ErfK, 16. Aufl. 2016, § 611 BGB Rn. 547).
Vorliegend ist die Vereinbarung des Treuebonus dahingehend auszulegen, dass jeweils jährlich ein Anspruch des Klägers entsteht und diesem angerechnet, d. h. gutgeschrieben wird. Es erfolgt eine Anhäufung über 6 Jahre, eine Aufstockung um weitere 1.000,00 € und eine Auszahlung mit dem Dezembergehalt 2014 (vgl. zur Auslegung oben unter 1. a)). Mit diesem Inhalt bewirkt die am Maßstab des § 307 Abs. 1, 2 BGB zu prüfende Stichtagsregelung in Satz 3 von § 4.4 der Vereinbarung vom 12.02.2009, dass der Arbeitnehmer, um bspw. den Treuebonus für das Jahr 2009 zu erhalten, weitere 5 Jahre an dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten festhalten muss. Dies geht weit über die vom Bundesarbeitsgericht für zulässig erachteten und mit der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers nach Art. 12 GG in Einklang zu bringenden Bindungsfristen hinaus und benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen. Diese lange Bindungsfrist ist nicht durch anerkennenswerte Interessen der Beklagten gerechtfertigt. Zwar kann das Interesse der Beklagte, einen Arbeitnehmer durch die Zahlung einer Treueprämie an den Betrieb zu binden, um sich so dessen Wissen und Know-How zu sichern, im Rahmen einer Stichtagsregelung berücksichtigt werden. Die vorliegend von der Beklagten verwendete Klausel geht aber weit über das hierfür notwendige Maß hinaus. Mit ihr versucht die Beklagte, einseitig ihre Interessen auf Kosten der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers durchzusetzen.
(2) Selbst wenn man die für Rückzahlungsklauseln entwickelten zulässigen Bindungsfristen und mit ihnen verbundenen Wertungen nicht auf Stichtagsklauseln übertragen würde, wäre die vorliegend zu überprüfende Klausel nach § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
Grundsätzlich ist das Interesse des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer für längere Zeit oder dauerhaft an den Betrieb zu binden, vor dem Hintergrund der Überlegung, dass er sich so die Arbeitskraft und das Wissen – vor allem bei Leistungsträgern oder Arbeitnehmern in Schlüsselpositionen – sichern möchte, anzuerkennen. Eine Treueprämie ist dabei in Geld ausgedrückt der Wert, den der Arbeitgeber dem Verbleib des Arbeitnehmers im Betrieb beimisst. Jedoch sind bei der im Rahmen des § 307 Abs. 1, 2 BGB anzustellenden Abwägung ebenso die Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Dieser ist in der Verwertung seiner Arbeitskraft frei, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Die vom Arbeitgeber mit einer Stichtagsklausel bezweckte Bindung des Arbeitnehmers darf daher dessen Berufsfreiheit nicht unangemessen beeinträchtigen. Dies tut jedoch die vorliegende Klausel, indem sie bspw. vom Arbeitnehmer verlangt, für weitere 5 Jahre seine Arbeitskraft ausschließlich der Beklagten zur Verfügung zu stellen, um die ihm für 2009 gutgeschriebene Treueprämie zu erhalten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich im konkreten Fall das im Übermaßanteil der Klausel in zu beanstandender Weise geregelte Risiko realisiert hat. Die gesetzlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB missbilligen bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Allgemeiner Geschäftsbedingungen, nicht erst deren unangemessenen Gebrauch im konkreten Einzelfall (vgl. BAG vom 17.03.2016 – 8 AZR 665/14 Rn. 26; vom 26.09.2013 – 8 AZR 1013/12 Rn. 23; vom 28.05.2013 – 3 AZR 103/12 Rn. 21; vom 22.07.2010 – 6 AZR 847/07 Rn. 18, alle juris).
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass mit der vorliegenden Klausel die Beklagte das wirtschaftliche Risiko ihrer unternehmerischen Betätigung im Hinblick auf den Treuebonus vollständig auf den Arbeitnehmer abwälzt, ohne dass diesem ein angemessener Ausgleich in Form bspw. einer Absicherung für den Insolvenzfall oder einer Verzinsung gewährt wird. Hat sich der Arbeitnehmer über den Zeitraum von sechs Jahren betriebstreu verhalten, kann er seinen Anspruch im Insolvenzfall dennoch nur zur Tabelle anmelden und ist auf die Quote beschränkt.
Insgesamt versucht die Beklagte mit der vorliegenden Klausel, ihr Interesse an einer möglichst langen Bindung des Arbeitnehmers einseitig auf dessen Kosten und unter übermäßiger, nicht mehr zu rechtfertigender Beeinträchtigung seiner Berufsfreiheit, Art. 12 GG, durchzusetzen, ohne dass dies durch entsprechende Vorteile angemessen ausgeglichen wird. Damit ist die Klausel mit wesentlichen Grundgedanken der verfassungsrechtlichen Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren und unwirksam.
dd) Die Unwirksamkeit der vorliegenden Stichtagsregelung folgt daneben aus dem Umstand, dass sie nicht danach differenziert, aus wessen Sphäre der Grund für die Vertragsbeendigung bei Eigenkündigung des Arbeitnehmers stammt und auch Fälle erfasst, in denen der Arbeitnehmer aufgrund einer Pflichtverletzung der Beklagten berechtigterweise das Arbeitsverhältnis selbst löst.
Satz 3 von § 4.4 der Vereinbarung vom 12.02.2009 knüpft die Zahlung des Treuebonus daran an, dass der Mitarbeiter das Arbeitsverhältnis nicht vorher, d. h. vor dem Auszahlungsstichtag (Zahlung des Dezembergehaltes 2014) kündigt. Bei einer typisierenden Betrachtungsweise erscheint es jedoch nicht interessengerecht, dem Arbeitnehmer den Treuebonus im Falle eines nicht in seinen Verantwortungsbereich fallenden Kündigungsgrundes vorzuenthalten, obwohl er sich in den Jahren, für die ihm der Treuebonus angerechnet worden ist, betriebstreu verhalten hat.
Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 18.01.2012 – 10 AZR 667/10 für eine Sonderzuwendung, die nicht der Vergütung erbrachter Arbeitsleistungen, sondern der Honorierung künftiger oder erwiesener Betriebstreue dient, entschieden, dass eine Klausel, die allein an das Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses knüpft, auch zulässig sein kann, wenn der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in der Sphäre des Arbeitnehmers liegt, sondern auf einer betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers beruht (vgl. BAG vom 18.01.2012 – 10 AZR 667/10 Rn. 14 m. w. N., juris; dem folgend BAG vom 22.07.2014 – 9 AZR 981/12 Rn. 28 f., juris).
Dieser Auffassung folgt die Kammer für die vorliegende Klausel nicht. Dabei ist bereits zweifelhaft, ob die vorgenannte Rechtsprechung auf die vorliegende Konstellation anzuwenden ist. Denn vorliegend erfasst die zu prüfende Klausel nicht betriebsbedingte Kündigungen der Beklagten. Diese sind vielmehr in einem eigenen Satz 4 in § 4.4 der Vereinbarung vom 12.02.2009 geregelt, der eine anteilige Zahlung der jährlich kumulierten Treueboni vorsieht. Von Satz 3 des § 4.4 der Vereinbarung vom 12.02.2009 sind hingegen Arbeitnehmerkündigungen erfasst, allerdings auch solche, deren Grund in der Sphäre des Arbeitgebers liegt, bspw. eine ordentliche/außerordentliche Kündigung wegen Verletzung der Entgeltzahlungspflicht der Arbeitgeberin.
Jedenfalls aber erscheint es der Kammer bei der vorliegenden Klausel interessenwidrig, dass der Arbeitnehmer bspw. den ihm für 2009 angerechneten Treuebonus verlieren soll, wenn er vor Auszahlung des Dezembergehaltes 2014 aus Gründen kündigt, die der Arbeitgeber zu verantworten hat, obwohl er 2009 und weitere nahezu 5 Jahre betriebstreu war. Mit den Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts, die es bei Rückzahlungsklauseln von Fortbildungskosten angestellt hat (vgl. hierzu u. a. BAG vom 28.05.2013 – 3 AZR 103/12 Rn. 17 f., juris), ist die Bindung der Zahlung des Treuebonus an einen Stichtag, der im Extremfall 5 Jahre nach Entstehen des Bonusanspruchs liegt, unangemessen benachteiligend, wenn nicht danach unterschieden wird, aus wessen Sphäre der Kündigungsgrund stammt. Die Stichtagsklausel greift zwar nicht in das Synallagma von erbrachter Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt ein. Dennoch sieht sich der Arbeitnehmer vor einer fehlgeschlagenen „Investition“, wenn er sich bis zur Entstehung des Anspruchs auf den Treuebonus und noch darüber hinaus betriebstreu verhalten hat, diesen Anspruch sodann aber wieder verliert, obwohl er aus Gründen kündigt, die nicht in seiner Sphäre liegen. So kommt dem bspw. in dem Fall, dass der Arbeitnehmer im Jahr 2014 kündigt, weil der Arbeitgeber über mehrere Monate seiner Entgeltzahlungspflicht nicht nachkommt, der Arbeitnehmer aber auf die Verwertung seiner Arbeitskraft zur Erzielung seines Lebensunterhaltes angewiesen ist, ein unangemessen benachteiligender Charakter zu, weil der Arbeitnehmer nicht nur quasi gezwungenermaßen seinen Arbeitsplatz aufgibt, sondern auch noch die für die Vorjahre angerechneten Treueboni verlieren soll. Dies ist mit der gesetzlichen Konzeption des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.
c) Die Unwirksamkeit von Satz 3 von § 4.4 der Vereinbarung vom 12.02.2009 führt gemäß § 306 Abs. 1 BGB zum ersatzlosen Fortfall der Klausel unter Aufrechterhaltung der Vereinbarung im Übrigen. Satz 3 von § 4.4 der Vereinbarung vom 12.02.2009 kann nicht ohne Weiteres mit dem Inhalt aufrechterhalten werden, der eine gerade noch zulässige Bindungsdauer oder eine Berücksichtigung, aus wessen Sphäre der Kündigungsgrund stammt, enthielte. Dies wäre eine geltungserhaltende Reduktion, die im Rechtsfolgensystem des § 306 BGB nicht vorgesehen ist (vgl. BAG vom 17.03.2016 – 8 AZR 665/14 Rn. 29; vom 13.12.2001 – 3 AZR 791/09 Rn. 30, beide juris).
Entgegen der Ansicht der Beklagten führt die Unwirksamkeit dieser Klausel nicht zum vollständigen Fortfall von § 4.4 der Vereinbarung vom 12.02.2009 und damit der vertraglichen Grundlage für den streitgegenständlichen Anspruch. Von der Unwirksamkeitsfolge des § 307 Abs. 1 BGB ist nur Satz 3 von § 4.4 der Vereinbarung vom 12.02.2009 erfasst. Im Übrigen bleibt die Vereinbarung bestehen, § 306 Abs. 1 BGB.
d) Der Zinsanspruch ab 01.01.2015 folgt aufgrund der Fälligkeitsregelung („Auszahlung mit dem Dezembergehalt 2014“) unter Berücksichtigung von § 614 Satz 2 BGB aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, 2 Ziffer 1, Abs. 4, 247 BGB, ohne dass zuvor eine Mahnung erforderlich war.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97, 516 ZPO. Danach haben die Parteien die Kosten ihrer Berufungen zu tragen, soweit sie sie zurückgenommen haben. Zusätzlich fallen der Beklagten die Kosten ihres erfolglos eingelegten Rechtsmittels zur Last. Dabei ist von einem fiktiven Gesamtstreitwert in Höhe von 17.430,77 € auszugehen. Der Kläger hat seine Berufung im Wert von 6.511,47 € zurückgenommen, die Beklagte ihre im Wert von 919,30 €. Die erfolglose Berufung der Beklagten betraf einen Zahlungsanspruch in Höhe von 10.000,00 €. Hieraus ergibt sich die tenorierte Kostenquote für die Berufung.
Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1, 2 ArbGG.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben