Arbeitsrecht

Verfügbarkeit eines Studenten in den Semesterferien

Aktenzeichen  S 17 AL 227/17

Datum:
14.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 154863
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III § 25 Abs. 1 S. 1, § 27 Abs. 4 S. 1, § 137 Abs. 1, § 138 Abs. 1, § 139 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Um die gesetzliche Vermutung, dass ein Student nicht versicherungspflichtig beschäftigt sein kann, zu widerlegen, genügt der Vortrag und Nachweis dazu, das eine Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt während der Semesterferien gegeben ist, nicht. Die gesetzliche Vermutung bezieht sich auf den gesamten Ausbildungsgang, so dass diese auch für die gesamte Ausbildung widerlegt werden muss. (Rn. 13 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Regelung über die Verfügbarkeit von Auszubildenden und Studenten ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 17.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2017 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 17.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2017 ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Alg im Zeitraum vom 14.03.2017 bis 23.04.2017.
Nach § 137 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wer arbeitslos ist (Nr. 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (Nr. 3). Gemäß § 138 Abs. 1 SGB III ist arbeitslos, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit – Nr. 1), sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen – Nr. 2), und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit – Nr. 3). Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht nach § 138 Abs. 5 SGB III zur Verfügung, wer eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie oder ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (Nr. 1), Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (Nr. 2), bereit ist, jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben (Nr. 3), und bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen (Nr. 4).
Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung grundsätzlich jede Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt oder zur Berufsausbildung. Nach § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB III sind Personen, die während der Dauer ihrer Ausbildung an einer allgemeinbildenden Schule (Nr. 1) oder ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule (Nr. 2) eine Beschäftigung ausüben, versicherungsfrei. Eine objektive Verfügbarkeit dieser Personen im Sinne von § 138 Abs. 5 SGB III liegt nur dann vor, wenn diesen Personen über eine versicherungsfreie Beschäftigung nach § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB III hinaus eine versicherungspflichtige Beschäftigung rechtlich und tatsächlich möglich ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Juni 2014 – L 9 AL 130/13). § 139 Abs. 2 SGB III sieht vor, dass bei Schülern oder Studenten einer Schule, Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte vermutet wird, dass sie nur (im Sinne von § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB III) versicherungsfreie Beschäftigungen ausüben können. Die Vermutung ist nur widerlegt, wenn der Schüler oder der Student darlegt und nachweist, dass der Ausbildungsgang die Ausübung einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulässt.
Entscheidend ist somit, ob die neben der Ausbildung oder dem Studium beabsichtigte Tätigkeit nach Zweck und Dauer untergeordnet ausgeübt werden soll, d.h. das Studium bzw. die Ausbildung die Haupt- und die Beschäftigung die Nebensache sein soll, oder ob der Schüler bzw. Student bei Aufnahme der beabsichtigten Tätigkeit nach seinem Erscheinungsbild nicht als Schüler bzw. Student, sondern als Arbeitnehmer anzusehen wäre. Nur in dem letztgenannten Fall ist von einer Versicherungspflicht der Beschäftigung auszugehen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Eine zeitliche Grenze gilt insoweit, als bei einer Beschäftigung von nicht mehr als 20 Stunden pro Woche davon auszugehen ist, dass die Beschäftigung hinter das Studium bzw. die Ausbildung zurücktritt und der Betroffene von seinem Erscheinungsbild her als Schüler bzw. Student anzusehen ist (sog. 20-Stunden-Grenze, dazu zuletzt grundlegend BSG, Urt. v. 11.11.2003 – B 12 KR 5/03 R). Übersteigt die beabsichtigte Tätigkeit diese Grenze, kommt es für die prägende Bedeutung einer Arbeitnehmertätigkeit neben der Dauer der wöchentlichen Arbeitsbelastung im Verhältnis zum Aufwand für Studium bzw. Ausbildung auch darauf an, inwieweit der Betroffene zu den üblichen Arbeitszeiten und damit nicht nur zu den dem Studium bzw. der Ausbildung angepassten Zeiten wie den Abend- oder Nachstunden oder an Wochenenden für eine Beschäftigung zur Verfügung steht (vgl. BSG, Urt. v. 30.03.1994 – 11 RAr 67/93 sowie Urt. v. 25.03.1999 – B 7 AL 14/98 R). Von einer festen Obergrenze für die zeitliche Belastung durch die Ausbildung und eine potentielle Erwerbstätigkeit ist jedoch nicht auszugehen (vgl. BSG, Urt. v. 21.04.1993 – 11 RAr 25/92; zum Ganzen auch LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.).
In einem ersten Schritt hat der Betroffene darzulegen, dass nicht bereits die abstrakten Regelungen in den einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entgegenstehen. Insoweit kommt es nur auf die verbindlich vorgeschriebenen Ausbildungs- und Anwesenheitszeiten an (vgl. BSG, Urt. v. 14.03.1996 – 7 RAr 18/94 sowie Urt. v. 19.03.1998 – B 7 AL 44/97 R). In einem zweiten Schritt ist darzulegen und nachzuweisen, wie das Studium bzw. die Ausbildung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der vorgeschriebenen Anforderungen gestaltet würde, um daneben einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen zu können. Hierzu sind konkrete, einfach überprüfbare und damit objektivierbare Tatsachen vorzutragen. Der pauschale Vortrag, durch das Studium bzw. die Ausbildung nicht voll in Anspruch genommen zu werden, genügt nicht. Der Schüler bzw. Student muss die von ihm beabsichtigte Studien- bzw. Ausbildungsgestaltung im Einzelnen aufzeigen, und zwar unter Angabe des jeweiligen Semesters sowie der Anzahl und insbesondere der zeitlichen Lage der vorgesehenen Unterrichtsstunden zuzüglich der zu berücksichtigenden Zeiten für Vor- und Nachbearbeitung, Wegezeiten und ggf. Praktika (vgl. BSG, Urt. v. 14.03.1996 – 7 RAr 18/94 sowie Urt. v. 19.03.1998 – B 7 AL 44/97 R). Hierbei ist eine nicht rückschauende, sondern vorausschauende Beurteilung erforderlich (BSG, Urt. v. 30.03.1994 – 11 RAr 67/93 sowie Urt. v. 14.03.1996 – 7 RAr 18/94). Das Aufzeigen einer bloß theoretischen Möglichkeit, eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, reicht nicht (BSG, Urt. v. 19.03.1998 – B 7 AL 44/97 R).
Der Schüler bzw. Student muss die Vermutung des § 139 Abs. 2 Satz 1 SGB III grundsätzlich für den gesamten Zeitraum seiner Ausbildung widerlegen. Es ist nicht ausreichend, wenn er nachweist, dass er – nur – während der Semesterferien eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausüben kann, nicht aber während der Vorlesungszeiten. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 139 Abs. 2 Satz 2 SGB III, der auf den „Ausbildungsgang“, also auf die Ausbildung im Ganzen, abstellt und nicht auf einzelne Zeitabschnitte während der Ausbildung. Würde man es ausreichen lassen, dass der Student die Vermutung nur für den Zeitraum widerlegen müsse, für den Alg beantragt wird, hätte es der Student selbst in der Hand, durch zeitliche Beschränkung seines Antrags auf die Semesterferien einen Anspruch auf Alg zu begründen, der nach der gesetzlichen Wertung des § 139 Abs. 2 SGB III ausgeschlossen sein soll (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.11.2014 – L 3 AL 972/14).
Vorliegend ist die Klägerin unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der o. g. Maßstäbe zur Überzeugung der erkennenden Kammer nicht verfügbar im Sinne des § 138 Abs. 5 SGB III. Die Klägerin trägt bereits nicht vor, dass sie während der Vorlesungszeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen wolle oder könne. Sie beschränkt ihre Verfügbarkeit vielmehr auf die Semesterferien. Nach der o. g. Rechtsprechung, insbesondere des LSG Baden-Württemberg, der sich die Kammer nach eigener Prüfung unter Bezugnahme auf die vom LSG angeführten Gründe anschließt, ist die Klägerin somit nicht verfügbar im Sinne des § 138 Abs. 5 SGB III.
Für eine Verfassungswidrigkeit der derzeit gültigen Regelungen zur Verfügbarkeit von Studenten bestehen aus Sicht der erkennenden Kammer keine Anhaltspunkte. Die seitens der Klägerin zitierte Entscheidung des BVerfG beschäftigte sich mit der Verfassungsmäßigkeit des generellen Ausschlusses arbeitsloser Studenten vom Bezug von Alg nach § 118a Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Dieser wurde wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz für nichtig erklärt, soweit er für Studenten einer Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld anordnete. Der Gesetzgeber musste die Verfügbarkeit von Studenten neu regeln. Dies ist mit § 139 Abs. 2 SGB III erfolgt. Die zitierte Entscheidung des BVerfG sagt hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin auf Alg nach den geltenden Regelungen des SGB III im Übrigen nichts aus.
Die Klage war aus o. g. Gründen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die erkennende Kammer musste vorliegend über die Zulassung der Berufung entscheiden, da der Beschwerdewert 750,- € nicht erreicht (vgl. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Bei Zahlungsansprüchen ist auf den Geldbetrag abzustellen, um den unmittelbar gestritten wird, ohne Zinsen und andere Nebenforderungen (§ 4 Zivilprozessordnung – ZPO). Bei der Wertbemessung nicht zu berücksichtigen sind Kosten des laufenden Verfahrens, solange die Hauptsache Gegenstand des Rechtsstreits ist. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt lediglich 248,80 € (Alg in Höhe von 6,22 € für 40 Tage). Die Berufung war zur Überzeugung der erkennenden Kammer nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die allgemeine Rechtsfrage, ob sich die vom Studenten bzw. Schüler im Rahmen des § 139 Abs. 2 SGB III darzulegende und nachzuweisende Verfügbarkeit auf die Ausbildung als Ganzes erstrecken muss oder ob es genügt, dass der Student bzw. Schüler für begrenzte Zeiträume zwischen zwei Ausbildungsabschnitten wie beispielsweise der vorlesungsfreien Zeit im Studium seine Verfügbarkeit nachweist, ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden.


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