Arbeitsrecht

Vergütungspflichtige Arbeitszeit – Fahrtzeiten

Aktenzeichen  5 AZR 25/19

Datum:
18.3.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2020:180320.U.5AZR25.19.0
Normen:
§ 77 Abs 3 S 1 BetrVG
§ 611a BGB
§ 195 BGB
§ 199 BGB
Spruchkörper:
5. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Essen, 15. Februar 2018, Az: 5 Ca 2859/17, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 14. Dezember 2018, Az: 10 Sa 193/18, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers und unter Zurückweisung der Revision im Übrigen wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2018 – 10 Sa 193/18 – im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben als das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 15. Februar 2018 – 5 Ca 2859/17 – hinsichtlich der Klageanträge zu 1. und 2., einschließlich des zu 2. erhobenen Hilfsantrags, zurückgewiesen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Vergütung von Fahrtzeiten.
2
Der Kläger ist bei der Beklagten als Servicetechniker im Außendienst beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 1. Februar 1999 zugrunde. Dort sind eine wöchentliche Arbeitszeit von „z.Zt. 38,5 Stunden“ und die Zahlung einer Grundvergütung, einer allgemeinen Leistungszulage und einer „Leistungszulage Außendienst“ vereinbart. Zuletzt erzielte der Kläger einen Bruttomonatsverdienst von 2.551,41 Euro. Die Beklagte, die ihren Sitz in H hat, ist aufgrund Mitgliedschaft im zuständigen Arbeitgeberverband an die Tarifverträge für den Groß- und Außenhandel Niedersachsen gebunden.
3
Das Einsatzgebiet des Klägers ist dem „Business & Service Center“ D – einem von zehn Service- und Direktvertriebsstandorten, die von der Beklagten bundesweit unterhalten werden – zugeordnet. Soweit der Kläger dort keine Aufgaben zu erledigen hat, fährt er arbeitstäglich, wie bei Außendienstmitarbeitern der Beklagten üblich, von seiner Wohnung zum ersten Kunden und kehrt vom letzten Kunden wieder dorthin zurück. Die Serviceaufträge werden ihm am Vortag zentral über die Abteilung „Dispatch“ in H zugewiesen.
4
In einer bei der Beklagten geltenden „Betriebsvereinbarung über die Ein- und Durchführung von flexibler Arbeitszeit für Servicetechniker“ (im Folgenden BV) vom 27. Juni 2001 heißt es ua.:
        
„§ 1   
Geltungsbereich
        
Diese Vereinbarung gilt für alle Servicetechniker der Business & Service Center …
        
        
§ 2     
Gegenstand der Betriebsvereinbarung
        
Die Betriebsvereinbarung regelt die Ein- und Durchführung von flexibler Arbeitszeit für die Servicetechniker der Business & Service Center.
        
        
…     
        
        
§ 3     
Arbeitszeit
        
Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 37,5 Stunden.
        
        
§ 4     
Flexible Arbeitszeit
        
Im Rahmen der flexiblen Arbeitszeit ist zu unterscheiden zwischen der Kernarbeitszeit und der Gleitzeit. Kernarbeitszeit ist die Zeit, während der eine Anwesenheitspflicht besteht. Gleitzeit ist die Zeit, innerhalb der der Mitarbeiter seinen Arbeitsbeginn sowie sein Arbeitsende in vorheriger Abstimmung mit dem Dispatch festlegen kann. …
        
        
Die Arbeitszeit ist dabei folgende:
        
        
Montag – Donnerstag
07:00 – 18:00 Uhr,
Kernzeit: 09:00 – 16:00 Uhr
        
Freitag
07:00 – 17:00 Uhr,
Kernzeit: 09:00 – 14:00 Uhr
        
…     
        
        
§ 5     
Pausenregelung
        
Die tägliche Pausenzeit beträgt insgesamt 45 Minuten. …
        
        
…       
        
§ 7     
Überstundenausgleich
        
Überstunden sind durch Inanspruchnahme von Freizeit innerhalb desselben Monats auszugleichen.
        
        
Der Freizeitausgleich ist mit dem Dispatch abzustimmen. Stehen dienstliche Belange der Gewährung des Freizeitausgleichs innerhalb desselben Monats entgegen, so kann der Freizeitausgleich auf den nächsten Kalendermonat übertragen werden. Im Zeitraum von 12 Monaten sollten die Überstunden in Form von Freizeit ausgeglichen werden. In 2002 erstmals zum 31.12.2002. Vom zum 31.12. bestehenden Stundenüberhang können in das jeweilige Folgejahr bis zu 10 Std. übertragen werden und bis maximal 10 Stunden zur Auszahlung gelangen. Sollte aus dringenden betrieblichen Gründen der Überhang größer als 20 Stunden sein, so ist dieser mit dem Januargehalt auszuzahlen.
        
        
§ 8     
An- und Abfahrtszeiten
        
Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden zählen nicht zur Arbeitszeit, wenn sie 20 Minuten nicht überschreiten. Sobald die An- oder Abreise länger als 20 Minuten dauert, zählt die 20 Minuten übersteigende Reisezeit zur Arbeitszeit. Insoweit sind für den Kundendiensttechniker jeweils 20 Minuten Fahrzeit für An- und Abreise zumutbar.
        
        
§ 9     
Vergütung
        
Die Vergütung erfolgt unabhängig von der Anzahl der geleisteten Stunden jeweils in Höhe eines Bruttomonatsgehalts. Darüber hinaus erhält er die Vergütung gem. § 7.
        
        
Davon unberührt bleibt die Vergütung für Zeiten der Rufbereitschaft (= Zeiten der Erreichbarkeit und Telefonsupport).
        
        
…       
        
        
§ 12   
Zeiterfassung
        
Die Zeiterfassung erfolgt anhand der vom Mitarbeiter auszufüllenden und beim Vorgesetzten abzugebenden FTRs, der Spesenabrechnung und der Stundenzettel durch das Dispatch und den Vorgesetzten. Unzulässige Manipulationen können zur fristlosen Kündigung führen.
        
        
…       
        
        
§ 14   
Ausscheiden eines Mitarbeiters
        
…       
        
        
Sollte ein Mitarbeiter bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses die monatliche Sollarbeitszeit durch eigenes Verschulden nicht erreichen, so werden zu wenig geleistete Arbeitsstunden mit der letzten Gehaltsabrechnung verrechnet.“
        
5
Die Beklagte führt für den Kläger auf der Grundlage der BV und einer regelmäßigen Arbeitszeit von 38,5 Stunden ein Arbeitszeitkonto, in das ausschließlich Zeitguthaben oder Zeitschuld eingestellt werden. Dabei berücksichtigte sie, soweit der Kläger im Außendienst tätig war, Fahrtzeiten von dessen Wohnung zum ersten Kunden und vom letzten Kunden nach Hause bis zu einer Dauer von jeweils 20 Minuten nicht als Zeit geleisteter Arbeit. Sie leistete hierfür auch keine Vergütung.
6
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am 21. November 2017 beim Arbeitsgericht eingereichten Zahlungs- und Feststellungsklage. Er hat die Auffassung vertreten, im Rahmen seiner Außendiensttätigkeit seien sämtliche Fahrten zu und von Kunden Bestandteil seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht. Die hierfür aufgewendete Zeit sei deshalb uneingeschränkt vergütungspflichtig. Er habe somit auf Basis des vereinbarten Bruttomonatsentgelts Anspruch auf Differenzvergütung, soweit in den Jahren 2013 bis 2016 die für An- und Abfahrten zu Kunden aufgewendete Zeit bis zur Grenze von je 20 Minuten im Arbeitszeitkonto nicht als Arbeitszeit berücksichtigt worden sei und soweit sich nach den Regelungen in § 7 BV ein „Überstundenüberhang“ zu seinen Gunsten ergebe. Für das Jahr 2017 bestehe hinsichtlich der bis einschließlich Oktober 2017 nicht berücksichtigten Fahrtzeiten ein Anspruch auf Gutschrift. Die Regelungen in § 8 BV schlössen die Ansprüche nicht aus.
7
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.388,23 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2017 zu zahlen;
        
2.    
die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto des Klägers weitere 4.160 Minuten mit dem Stand vom 31. Oktober 2017 gutzuschreiben,
        
        
hilfsweise festzustellen, dass das Arbeitszeitkonto des Klägers am 31. Oktober 2017 einen Stand von 6.680 Minuten aufwies;
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
3.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ohne Kürzung die Anfahrtszeiten von seiner Wohnung zum ersten Kunden und die Abfahrtszeiten vom letzten Kunden zu seiner Wohnung als Arbeitszeiten auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.
8
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, vor Inkrafttreten der BV seien bei allen Außendienstmitarbeitern und insoweit auch beim Kläger jeweils 40 Minuten für die An- und Abfahrt zum ersten bzw. vom letzten Kunden nicht auf die geschuldete Arbeitszeit angerechnet und auch nicht vergütet worden. Gegenüber dieser betriebseinheitlichen Regelung, die zumindest konkludent Vertragsbestandteil geworden sei, seien die Bestimmungen in der BV nicht ungünstiger, sondern bedeuteten eine Besserstellung der Außendienstmitarbeiter. Letztlich komme es hierauf nicht an. Die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen seien, soweit es sich hiernach bei den umstrittenen Fahrtzeiten um vergütungspflichtige Arbeitszeit handele, betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet. Für die Zeit ab Inkrafttreten der BV seien deshalb allein die Regelungen in § 8 BV maßgeblich. Vorsorglich hat die Beklagte hinsichtlich bis zum 31. Dezember 2013 entstandener Ansprüche die Einrede der Verjährung erhoben.
9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.


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