Arbeitsrecht

Versicherungsrechtlicher Status – „Projektmanagement Internet“

Aktenzeichen  S 30 R 1447/15

Datum:
11.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV SGB IV § 7a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Für eine selbständige Tätigkeit im Bereich” „Projektmanagement Internet“ spricht der hochwertige, spezialisierte, individualisierte und weisungsunabhängige Auftrag. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 14.11.2014 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 10.06.2015 zu der bescheidsmäßigen Feststellung verurteilt, dass der Kläger seine Aufgaben für die Beigeladene von 02.01.2014 bis 31.07.2016 in selbstständiger Tätigkeit erbracht hat.
II.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen zu erstatten.

Gründe

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben. Gegenstand der Überprüfung nach zulässiger Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist jedoch nicht wie im Widerspruchsverfahren vorgetragen eine mangelhafte Ermessensausübung seitens der Beklagten, da es sich vorliegend ausschließlich um Angelegenheiten der Sachverhaltsermittlung handelt, in deren Ergebnis zwingendes Recht der Versicherungspflicht ohne Ermessensspielraum anzuwenden ist. Die Klage ist in der Sache offenkundig begründet. § 7 a Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) ermöglicht ein Anfrageverfahren über die Frage einer strittigen Beschäftigung in Abgrenzung zu einer selbstständigen Tätigkeit. Abs. 1 S. 3 der Vorschrift begründet eine bundesweite Sonderzuständigkeit der Beklagten für entsprechende Statusfeststellungen. Nach Abs. 2 der Vorschrift entscheidet die Beklagte aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt. Unerlässlich ist die Abwägung, in welchem Maße die erbrachte Leistung selbstgestaltet oder vor- und fremdbestimmt ist, inwieweit sie spezifischer Ausfluss eines eigenen unternehmerischen Profils oder aber austauschbare und standardisierte Abfolge vorgegebener Arbeitsschritte ist. Je enger und schematischer das Spektrum der zu erfüllenden Aufgaben ist und je selbstverständlicher die herangezogene Dienstleistungskraft austauschbar ist, umso weniger ist ein unternehmerisches Profil als Grundlage einer Selbstständigkeit beschreibbar.
Die erkennende Kammer hatte und hat immer wieder unter dem Aspekt der Statusfeststellung die Position von Taxifahrern, LKW-Fahrern, Busfahrern, Bedienern von Bau- und Forstwirtschaftsmaschinen, Hausmeistern, Buchhaltungskräften, Teilzeitpflegekräften usw. zu beurteilen, von denen jeweils nur der Nachweis des entsprechenden Führerscheins oder der formalen beruflichen Qualifikation gefordert wird und die bei der Erfüllung ihrer Aufgaben weder irgendeinen nennenswerten zeitlichen und inhaltlichen Spielraum noch auch nur die rechtliche Befugnis zu irgendeiner kreativen Ausgestaltung ihrer Dienstleistung haben. Dass ein mit fremdem Fahrzeug arbeitender Kurierdienstfahrer seine Fahrtrouten selbst bestimmen kann und dass sich der Hausmeister eines Grundbestandes eigenen Werkzeugs bedient, genügt zur Anerkennung einer Selbstständigkeit nicht. Vorliegend ist jedoch sehr ausführlich und sorgfältig dargelegt und auch unschwer erkennbar, dass die Dienstleistung des Klägers ausgesprochen hochwertig, spezialisiert und individualisiert war. Er wurde offenkundig genau wegen eines bei der Beigeladenen bekannten Profils persönlicher und fachlicher Eigenschaften für genau die Aufträge herangezogen, bei denen er unter allen Aspekten von Zuverlässigkeit und Schnelligkeit die besten Ergebnisse garantieren und die Risiken minimieren konnte. Seine fachliche Souveränität gab er keineswegs mit der Öffnung einer entsprechenden Internetseite auf, sondern brachte diese auch gegenüber dem beauftragenden Subunternehmen und indirekt auch gegenüber D. zur Geltung. Mit irgendwelchen bei C-Firma erforderlich werdenden anderweitigen Arbeiten etwa in Vertretung dortigen Personals hatte er sich nicht zu befassen. Niemand kam auf den Gedanken, ihm entsprechende Aufträge zu erteilen. In der modernen Dienstleistungsgesellschaft ist es zur alltäglichen Erscheinung geworden, dass hoch qualifizierte Personen in einer extrem flexiblen Weise für mehrere Arbeitgeber oder Auftraggeber tätig werden. Der Arbeitsort kann abwechselnd der EDV-Arbeitsplatz zuhause, ein entsprechend ausgestatteter Raum des Auftraggebers, das Auto, der ICE oder das Flugzeug sein. Dem „Produkt“ fehlen oftmals sowohl das klassische materielle Substrat eines Handwerks- oder Industrieerzeugnisses als auch das persönliche Element einer in körperlicher und geistiger Präsenz erbrachten Dienstleistung. Produziert wird vielmehr ein letztlich virtuelles Gebilde, bei dem es sich um eine Kommunikations-, Werbe-, Bestell- und Lieferungsstruktur zwischen dem Anbieter realer Waren und Dienstleistungen hier und der Kundschaft dort handeln kann, um eine Plattform für den politischen und gesellschaftlichen Nachrichten- und Meinungsaustausch oder um ein Spiel mit der Möglichkeit der Teilnahme von mobilen Geräten aus. Vertragsmäßig geschuldet kann beispielsweise sein die komplette digitale Dimension eines Wahlkampfs, die Popularisierung eine abseitigen Sportart mit der erhofften Folge des Massenkaufs entsprechender Geräte oder die von einem entsprechenden Ministerium in Auftrag gegebene Weckung des Bewusstseins für ein ökologisches Problem. Es liegt auf der Hand, dass der Anbieter solcher Programme und Strukturen keinen Lagerraum vorweisen kann, in dem werthaltige Gegenstände vorgewiesen werden könnten, und sei es auch nur eine CD oder DVD. Der Produzent von Programmen, Auftritten, Spielen und Plattformen setzt auch kein Kapital ein, sondern verwertet ausschließlich Fähigkeiten, Erfahrungen und seine eigene Geschicklichkeit nicht zuletzt unter dem Aspekt der Schnelligkeit der Aufgabenerfüllung. Vorliegend bietet die Tätigkeit des Klägers geradezu das Idealbild einer solchen digitalen Arbeitstechnik im 21. Jahrhundert. Der Kläger hat wiederum ganz diesem Bild entsprechend die Behauptungen der Beklagten über eine Fremdbestimmung von Arbeitsplatz, Arbeitszeit und Arbeitsweise geduldig widerlegt, ohne jedoch bei der Beklagten Gehör zu finden. Ort und Zeit der Leistungserbringung werden vorliegend gerade nicht vorgegeben. Die Beeinflussung des kreativen Prozesses des Klägers findet nicht in Gestalt von Weisungen statt, sondern in der Kommunikation auf Augenhöhe zwischen gleichberechtigten Partnern. Bekanntlich gibt auch der Eigentümer von Immobilien dem Gärtner, Anstreicher oder Installateur die Art und den Umfang seiner Tätigkeiten vor, ohne dass der Handwerker damit auch bei wochenlanger Inanspruchnahme in ein Beschäftigungsverhältnis bei ihm eintreten würde. Die Beauftragung eines selbstständigen Tagungsreferenten oder Kabarettisten, Architekten oder Bildhauers, Catering-Unternehmers oder Reiseleiters bedeutet ja jeweils auch nicht dessen völlige Freiheit in Art und Ergebnis seiner Aktivitäten, sondern geschieht in der Erwartung, dass ganz spezifische Arbeitsanteile unter den Aspekten von Auftragstreue, Zeit und Qualität erfüllt werden. Selbstverständlich finden zu diesem Zweck je nach der Eigenart des Projekts Kontrollen, Rückfragen und Besprechungen statt. Die von der Beklagten immer wieder herangezogenen Kriterien „Kapitaleinsatz“ und „Unternehmerrisiko“ sind bei der Beurteilung von Dienstleistungen wenig aussagekräftig. Der eindeutig selbstständige bzw. freiberufliche Schriftsteller, Psychotherapeut, Unternehmensberater oder Rechtsanwalt setzt genauso wenig „Kapital“ ein wie der bei einer Zeitung vollzeitbeschäftigte Journalist oder der leitende Angestellte eines Unternehmens. Die für viele geistig-kommerziell-kommunikative Berufe notwendige Vorhaltung eines häuslichen Büros mit PC, Telefon und Schreibtisch sowie der Besitz eines Autos sind so selbstverständlich geworden, dass sich aus einer solchen Infrastruktur und ihrer mehr oder weniger intensiven beruflichen Nutzung keine bedeutsamen Schlüsse ziehen lassen. Auch die Mehrzahl der zweifellos nicht selbstständigen Tageszeitungsredakteure, Gymnasiallehrer, Hochschulprofessoren und Richter halten sich zuhause eine wissenschaftlich-schreibtechnisch-kommunikative Arbeitsbasis.
Hinsichtlich des Unternehmerrisikos müsste die Beklagte zur Kenntnis nehmen, dass im Dienstleistungsbereich gewiss nicht die einzelne vereinbarte Arbeitsstunde oder der einzelne Arbeitstag in der Ungewissheit über einen Erlös begonnen werden, sondern dass das typische Risiko hier in der Ungewissheit künftiger Aufträge besteht. Eine betriebswirtschaftliche Risikokalkulation kann im Dienstleistungsbereich naturgemäß nicht in derselben Weise stattfinden wie sie bei der Produktion von Waren möglich ist, bei der die Wahrscheinlichkeiten eines schnellen Abverkaufs, eines zögernden Verkaufs erst nach wiederum kostspieliger Lagerhaltung, einer billigen Abgabe von Überbeständen und schließlich einer vollständigen Abschreibung des unverkäuflichen Rests mit betriebswirtschaftlichen Kurven aufgezeichnet werden können. Unstrittig unterliegt der Kläger einem Risiko künftiger Beauftragung, das durch keinen Kündigungsschutz und durch keine sonstige Bestandsgarantie abgefedert ist. Nach alledem ist beim Kläger mit großer Deutlichkeit die Selbstständigkeit bewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).


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