Arbeitsrecht

Versorgung im Notfall und im organisierten ärztlichen Notdienst

Aktenzeichen  L 12 KA 85/15

Datum:
8.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 108198
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 3
EBM Ä Spalte GP
EBM Ä GOP 01210, 22230

 

Leitsatz

1. Die rückwirkend zum 1.8.2008 getroffene Neuregelung der Gebührenordnungspositionen für die Versorgung im Notfall und im organisierten ärztlichen Notdienst (GOP 01210 und 01212) in der Fassung der Beschlüsse des Bewertungsausschusses in seiner 341., 344. Und 354. Sitzung ist nicht zu beanstanden.
2. Die KV ist nicht verpflichtet, die Vergütung der Krankenhäuser bezüglich der für die Notfallbehandlung abrechenbaren Gebührenordnungspositionen rückwirkend auf die Höhe der den Vertragsärzten bereits ausgezahlten Vergütung anzuheben.
3. Zur Absetzung der GOP 22230 EBM Ä neben der GOP 01210 ff. EBM Ä

Verfahrensgang

S 43 KA 1125/14 2015-03-10 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Sozialgerichts München vom 10. März 2015, S 43 KA 1124/14, S 43 KA 1125/14 und S 43 KA 1126/14, werden zurückgewiesen.
II. Von den Kosten der Berufungsverfahren trägt die Klägerin 9/10, die Beklagte 1/10.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die nach §§ 143, 144 Abs. 3, 151 SGG statthaften und zulässigen Berufungen sind nicht begründet, da die Klägerin keine über die mit Bescheiden vom 25.11.2015 zugestandenen Vergütungen beanspruchen kann.
1. Streitgegenständlich sind die Richtigstellungsbescheide vom 9.10.2008, 10.3.2009 und 21.4.2009 in Gestalt der (Widerspruchs) bescheide vom 25.11.2015. Ein während des Klageverfahrens ergehender zweiter Widerspruchsbescheid in derselben Angelegenheit wird gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens. Ein neuer Verwaltungsakt wird nach § 96 Abs. 1 SGG nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abgeändert oder ersetzt. Die Widerspruchsbescheide vom 25.11.2015 ergingen nach den Widerspruchsbescheiden vom 29.6.2011. Mit den Widerspruchsbescheiden vom 25.11.2015 werden die Widerspruchsbescheide vom 29.6.2011 unter Ziffer I. zurückgenommen und damit die Widerspruchsbescheide vom 29.6.2011 auch im Sinne des § 96 Abs. 1 SGG ersetzt. Neuer Verwaltungsakt im Sinne des § 96 SGG kann auch ein Widerspruchsbescheid sein. Es erscheint angemessen, § 96 SGG jedenfalls entsprechend anzuwenden, wenn ein Widerspruch während eines anhängigen Klage- oder Berufungsverfahrens erneut beschieden wird. Hierdurch wird der Rechtsschutzes Klägers nicht aus Gründen so genannter Prozessökonomie in verfassungswidriger Weise (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) eingeschränkt (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.1994, Az. 4 RLw 4/96). Allerdings war die Beklagte nicht befugt, nach Erlass der ursprünglichen Widerspruchsbescheide zweite Widerspruchsbescheide während des Gerichtsverfahrens zu erlassen. Das Widerspruchsverfahren als notwendige Prozessvoraussetzung war nämlich mit Erlass der Widerspruchsbescheide vom 29.6.2011 abgeschlossen. Damit endeten prozessrechtlich Zuständigkeit und Kompetenz der Widerspruchstelle; sie durfte nach Erlass des Widerspruchsbescheides nicht mehr tätig werden, weil ein Widerspruch, über den sie hätte befinden müssen, nicht mehr anhängig war (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 85 Rdnr. 7b). Allerdings war die Beklagte jedenfalls für den Erlass der Rücknahmebescheide nach §§ 44, 48 SGB X zuständig, so dass sie zwar keinen Widerspruchsbescheid, jedoch einen Rücknahmebescheid hätte erlassen dürfen. Damit liegt im Erlass der als Widerspruchsbescheid bezeichneten Bescheide vom 25.11.2015 allenfalls ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Beklagten vor, was jedoch nicht zu einer Rechtswidrigkeit des (Widerspruchs) Bescheides führt.
2. Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf die von ihr begehrte höhere Vergütung der Notfallpauschalen, da eine entsprechende Rechtsgrundlage hierfür nicht besteht.
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für die Abrechnung der Zusatzpauschalen nach den GOP 01211 ff. EBM-Ä in der ursprünglichen, ab dem 1.1.2008 des geltenden Fassung schon deshalb nicht, weil die Beklagte bei ihr nicht die „Besuchsbereitschaft“ festgestellt hat und eine Feststellung auch aus Rechtsgründen ausgeschlossen war. Zudem hat der Bewertungsausschuss diese GOP rückwirkend zum 1.1.2008 aufgehoben. Das SG hat hierzu zutreffend festgestellt, dass die Honorarbescheide vom 9.10.2008, 10.3.2009 und 21.4.2009 jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26.9.2011 insoweit rechtswidrig waren, als die Beklagte die Vergütung der Klägerin auf Grundlage der Gebührenordnungspositionen 01211, 01215, 01217 und 01219 EBM auf der Grundlage der damals geltenden Fassung berechnet und deren Vergütung abgelehnt hatte. Denn diese Ziffern für die Versorgung im Notfall und im organisierten ärztlichen Notfalldienst waren rechtswidrig, weil sie die Krankenhausambulanzen von den Zusatzpauschalen in Notfällen ohne sachlichen Grund ausgenommen haben und damit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar waren. Dies hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 12.12.2012, Az. B 6 KA 3/12 R, mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, ausgeführt.
Die Klägerin hat lediglich Anspruch auf die Vergütung nach den Regelungen, die der Bewertungsausschuss in seiner 341., 344. und 354. Sitzung getroffen hat. Die entsprechende Vergütung wurde der Klägerin bereits mit dem Quartal 2/15 nachvergütet.
Diese rückwirkend zum 1.1.2008 getroffene Neuregelung betreffend die Gebührenordnungspositionen für die Versorgung im Notfall und im organisierten ärztlichen Not(-fall) dienst ist nicht zu beanstanden. Denn mit ihr hat der Bewertungsausschuss die Ungleichbehandlung und damit den Gleichbehandlungsverstoß durch die ursprüngliche Regelung durch eine rechtmäßige Regelung behoben. Zutreffend hat der Bewertungsausschuss die Neuregelung auch für die Vergangenheit und damit auch für den hier maßgeblichen Zeitraum getroffen. Das Bundessozialgericht hat mit vorgenanntem Urteil vom 12.12.2012 ohne einschränkende Vorgaben eine gesetzeskonforme Neuregelung der Vergütung ambulanter Notfallbehandlungen verlangt. Daher ist die vom Bewertungsausschuss getroffene Neuregelung rückwirkend zum 1.1.2008 im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem daraus folgenden Anspruch auf gleiche Vergütung zu prüfen.
Nach der vom BSG beanstandeten Regelung war in Abschnitt 1.2 EBM a.F. ab dem 1.1.2008 die GOP 01210 für die ambulante Notfallbehandlung mit 405 Punkten bewertet. Zur GOP 01210 existiert eine Zusatzpauschale nach der GOP 01211, die mit 255 Punkten bewertet war. Entsprechendes galt für die Notfallkonsultationspauschalen (GOP 01214, 01216 und 01218) mit den entsprechenden Zusatzpauschalen (GOP 01215, 01217 und 01219). Die Abrechnung der Zusatzpauschalen setzte die Vorhaltung der ständigen ärztlichen Besuchsbereitschaft für die aufsuchende Tätigkeit im Notdienst voraus. Eine solche Feststellung ist im Hinblick auf Krankenhäuser nicht möglich, da die Durchführung von Hausbesuchen auch in Notfällen nicht zu den Aufgaben der Krankenhäuser gehörte (vergleiche BSG, Urteil vom 12.12.2012, Juris, Rdnr. 17 ff). Daraus folgte, dass Vertragsärzte für die ambulante Notfallbehandlung die GOP 01210 und 01211 mit insgesamt 660 Punkten abrechnen konnten, Krankenhäuser jedoch nur die GOP 01210 mit 405 Punkten. Der Bewertungsausschuss hat aufgrund dieses Urteils Beschlüsse zur Neuregelung rückwirkend ab dem 1.1.2018 gefasst. In den Beschlüssen des Bewertungsausschusses in seiner 341. Sitzung am 17.12.2014 und in seiner 344. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung) wurde unter anderem festgelegt, dass die GOP 01211, 01215, 01217 und 01219 in Abschnitt 1.2 gestrichen wurden. Zudem wurde die GOP 01210 geändert und die GOP 01212 neu in den Abschnitt 1.2 EBM aufgenommen. Die GOP 01210 und die GOP 01212 sind Notfallpauschalen im organisierten Not(-fall) dienst und für nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäuser, wobei die GOP 01210 bei Inanspruchnahme zwischen 7:00 Uhr und 19:00 Uhr (außer an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen und am 24.12. und 31.12.) und die GOP 01212 bei Inanspruchnahme zwischen 19:00 Uhr und 7:00 Uhr des Folgetages und ganztägig an Samstagen, Sonntagen, gesetzlichen Feiertagen und am 24.12. und 31.12. anzusetzen ist. Die Berechnung der GOP 01210 und 01212 setzt die Angabe der Uhrzeit der Inanspruchnahme voraus.
Diese Beschlüsse wurden vom Bundesministerium für Gesundheit mit Schreiben vom 26.2.2015 beanstandet, soweit sie für die Vergangenheit galten. Die nachträglich geforderte Angabe von Uhrzeiten stelle eine Benachteiligung der Krankenhäuser dar, da die nachträgliche Angabe der Uhrzeit nicht flächendeckend für die betroffenen Krankenhäuser möglich sei. Soweit Krankenhäuser die Voraussetzungen für die Abrechnung der höhere Nachtpauschale nicht durch die Angabe der Uhrzeit nachweisen können, könnten sie nur die im Vergleich zur bisherigen Notfallpauschale geringere Tagespauschale abrechnen, so dass die Neuregelung eine rückwirkende Belastung darstellen würde. Aufgrund der Beanstandung durch das BMG hat der Bewertungsausschuss in seiner 354. Sitzung eine Anpassung bzw. Ergänzung der Beschlüsse aus der 341. und 344. Sitzung rückwirkend zum 1.1.2008 beschlossen. So wurde eine Nr. 6 in die Bestimmungen zum Abschnitt 1.2 EBM aufgenommen:
“Sofern im Zeitraum vom 1.1.2008 bis zum 31.3.2015 nicht für alle Behandlungsfälle des Quartals die Angabe der Uhrzeit der Inanspruchnahmen gemäß Nr. 5 im organisierten Not(-fall) dienst oder von nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten, Instituten und Krankenhäusern bei Inanspruchnahmen in diesem Quartal gegenüber der kassenärztlichen Vereinigung erfolgt ist bzw. nachgewiesen werden kann, wird abweichend von Nummer 2 für alle Behandlungsfälle in diesem Quartal die erste Inanspruchnahme im Notfall oder im organisierten Not(-fall) dienst wie folgt bewertet:
1.1.2008 bis 31.12.2008: 430 Punkte,
1.1. 2009 bis 30.9.2013: 475 Punkte,
1.1.2013 bis 31.3.2015: 168 Punkte.”
Diese Regelung beruhte auf der Überlegung, dass etwa 40% der Notfallbehandlungen in der Zeit gemäß GOP 01210 und etwa 60% der Notfallbehandlungen in der Zeit gemäß GOP 01212 in Anspruch genommen werden.
Die mit den Beschlüssen des Bewertungsausschusses in der 341., 344. und 354. Sitzung beschlossenen Neuregelungen rückwirkend zum 1.1.2008 haben die vom BSG beanstandete Ungleichbehandlung der Krankenhäuser im Vergleich zu den Vertragsärzten beseitigt und auch keine anderweitige, einseitige Benachteiligung der Krankenhäuser begründet.
Die Vergütung der Pauschalen für die Versorgung im Notfall oder organisierten Not(-fall)-dienst ist für Vertragsärzte und nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäusern in den neu gefassten GOP 01210 und 01212 einheitlich festgelegt. Weder in der Beschreibung des Leistungsinhalts noch in der Bewertung der Leistung ist eine Differenzierung zwischen Vertragsärzten und Krankenhäusern erkennbar. Die Vergütung für die Besuchsbereitschaft, die allen Vertragsärzten, nicht aber den Krankenhäusern zustand, ist gestrichen worden. Stattdessen existiert nun eine eigene Gebührenordnungsposition für den Besuch im organisierten Notfalldienst bzw. im Rahmen der Notfallversorgung durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäuser.
Der Bewertungsausschuss war auch berechtigt, eine entsprechende Neuregelung zu treffen. Dem Bewertungsausschuss kommt bei jeder Regelung ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Diesen Gestaltungsspielraum hat er mit den getroffenen Regelungen nicht überschritten. Die gerichtliche Überprüfung vom Beschlüssen des Bewertungsausschusses ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG im Wesentlichen darauf beschränkt, ob der Ausschuss den ihm zustehenden Entscheidungsspielraum überschritten oder seine Bewertungskompetenz missbräuchlich ausgenutzt hat (vergleiche BSG, Urteil vom 9.12.2004, B 6 KA 44/03 R). Allein der Aspekt, dass andere – möglicherweise für die Klägerin bessere – Lösungen denkbar sind, kann die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Bewertungsausschusses nicht begründen. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das BSG in seinem Urteil vom 12.12.2012 den Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses auch nicht dahingehend eingeschränkt, dass die allein rechtmäßige Lösung eine gleiche Vergütung der Klägerin für die Vergangenheit in Höhe der als rechtswidrig beanstandeten Regelungen gewesen wäre. Die vorgenannten Beschlüsse des Bewertungsausschusses sehen für die Vergangenheit eine Gleichbehandlung von Vertragsärzten und Krankenhäusern vor. Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Regelung für die Vergangenheit im Hinblick auf eine nachträgliche Angabe der Zeit der Inanspruchnahme hat der Bewertungsausschuss in seiner 354. Sitzung mit der Aufnahme einer zusätzlichen Regelung Rechnung getragen. Auf eine den Bewertungen der gestrichenen Gebührenordnungspositionen entsprechende Vergütung hat die Klägerin keinen Anspruch. In seinem Urteil vom 12.12.2012, hat das BSG (Juris, Rdnr. 42) ausdrücklich ausgeführt, dass die von ihm beanstandeten Verstöße des EBM 2008 gegen höherrangiges Recht bei der Vergütung ambulanter Notfallbehandlungen im Krankenhäusern nicht automatisch dazu führen, dass die Beklagte die vorgenommenen Richtigstellungen aufzuheben und den Honoraranforderung der Klägerin in vollem Umfang nachzukommen hätte. Vielmehr sei sie grundsätzlich an die Bestimmungen des EBM-Ä gebunden. Daher sei zunächst dem Bewertungsausschuss als Normgeber des EBM Gelegenheit zu einer gesetzeskonformen Neuregelung zu geben. Dem Bewertungsausschuss stand es daher frei, die Vergütung für die Versorgung im Notfall und im organisierten ärztlichen Not(-Fall) Dienst ab 1.1.2008 einheitlich neu zu ordnen, dabei die Besuchsbereitschaftspauschalen der (ehemaligen) GOP 01211, 01215, 01217 und 01219 vollständig zu streichen und das so „freiwerdende“ Vergütungsvolumen für eine Höherbewertung der Behandlungspauschalen der GOP 01210, 01212, 01214, 01216 und 01218 (sowie des Besuchs im Rahmen der Notfallversorgung mit Einführung der GOP 01418 – hier nicht streitig -) zu verteilen. In Umsetzung dieser Vorgaben hat der Bewertungsausschuss die nunmehr geltende Regelung getroffen und damit eine Gleichbehandlung von Vertragsärzten und Krankenhausambulanzen auch für die Vergangenheit herbeigeführt. Eine Ungleichbehandlung beider Gruppen besteht daher nach der Neuregelung nicht mehr.
Der Klägerin ist zwar insofern zuzustimmen, als dass es für die Vergangenheit eine Diskrepanz geben kann zwischen der Vergütung ambulanter Notdienstfälle, die von Vertragsärzten erbracht worden sind (und deren Honorarbescheid bestandskräftig ist) und der Vergütung von Notfallambulanzen, deren Honorarbescheide wie die der Klägerin nicht bestandskräftig geworden sind. Sie verkennt jedoch, dass die Bewertungsrelation mit der nun vorliegenden Beschlusstrias für beide identisch ist. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zwingt nicht dazu, die Vergütung der Krankenhäuser in einer Gesamtbetrachtung der für die Notfallbehandlung abrechenbaren Gebührenordnungspositionen rückwirkend auf die Höhe der den Vertragsärzten bereits ausgezahlten Vergütung anzuheben. Im Falle der Nichtigerklärung von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht nach §§ 78, 82 Abs. 1, 95 Abs. 3 BVerfGG sieht § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG vor, dass nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf der für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben.
Gleiches gilt, wenn eine Regelung für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wurde (BVerfG, Entscheidung vom 21.5.1974, Az. 1 BvL 22/71 und 21/72, Rdnr. 131 und BVerfG, Beschluss vom 22.3.1990, Az. 2 BvL 1/86, Orientierungssatz 5). Eine rückwirkende Neuregelung ist dann nur auf die noch nicht bestands- bzw. rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren anzuwenden. Diese unterschiedliche Behandlung ist durch das Bedürfnis nach Rechtssicherheit gerechtfertigt und unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Entscheidung vom 12.12.1957, Az. 1 BvR 678/57 = BVerfGE 7, 194-198, Rdnr. 6, darauf aufbauend unter anderem BFH, Urteil vom 11.2.1994, Az. III R 50/92, Leitsatz 1 und Rdnr. 26f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 8.10.19980, Az. 1 BvL 122/78, 1 BvL 61/79 und 1 BvL 21/77, Rdnr. 40 sowie Beschluss vom 24.5.2000. Az. 1 BvL 1/98, 1 BvL 4/98, 1 BvL 15/99, Orientierungssatz 4c). Das Prinzip der Rechtssicherheit ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips, aus dem die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Entscheidungen und sonstiger in Rechtskraft erwachsener Akte der öffentliche Gewalt folgt (BVerfG, Beschluss vom 14.3.1963, Az. 1 BvL 28/62 = BVerfGE 15, 313-327, Leitsatz 1 und Rdnr. 19). Tritt das Prinzip der Rechtssicherheit mit dem Gebot der Gerechtigkeit im Einzelfall in Widerstreit, ist es Sache des Normgebers, das Gewicht, das ihnen in dem zu regelnden Fall zukommt, abzuwägen und zu entscheiden, welchem der beiden Prinzipien der Vorzug gegeben werden soll. Gegen diese Entscheidung des Normgebers kann im Allgemeinen der Vorwurf der Willkür nicht erhoben werden, da beide Prinzipien gleichrangig zu beachten sind.
Diese für die Nichtigkeit von Gesetzen bzw. für den Fall der Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz geltenden Grundsätze gelten ebenso, wenn sich Bestimmungen untergesetzlicher Rechtsnormen, wie einzelne Regelungen des Bewertungsmaßstabes, als unvereinbar mit dem Grundgesetz erweisen. Die Beklagte ist aufgrund der entsprechenden Geltung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG jedenfalls für die hier betroffenen Quartale 2 – 4/2008 an einer Honorarkorrektur bei den Vertragsärzten im Hinblick auf die Neuregelung der Abschnitte 1.2 und 1.4 EBM gehindert (vgl. hierzu ausführlich Clemens in juris PK-SGB V, § 106a). Aus der oben dargestellten Rechtsprechung ergibt sich, dass Art. 3 Abs. 1 GG den Bewertungsausschuss bei der Neuregelung der Vergütung für die Versorgung im Notfall und im organisierten ärztlichen Not(-fall) dienst nicht daran hinderte, diese rückwirkend zum 1.1.2008 vollständig neu zu regeln, ohne dabei den Vergütungsanspruch der Krankenhäuser auf das Niveau der Vertragsärzte nach der gleichheitswidrigen Regelung des Abschnitts 1.2 EBM a.F. anzuheben. Auch unter dem Gesichtspunkt des strukturellen Vollzugsdefizits ergibt sich weder ein Nachzahlungsanspruch in Höhe des den Vertragsärzten zugeflossenen Honorars noch das Erfordernis einer nochmaligen Neuregelung durch den Bewertungsausschuss (vgl. Clemens in juris-PK SGB V zu § 106a, Rdnr. 99). Eine solche wäre denkbar gewesen, wenn der Bewertungsausschuss die Vergütungstatbestände für den Bereitschaftsdienst z.B. für die Vergangenheit gänzlich gestrichen hätte. Mit der erfolgten Neuregelung in den Beschlüssen aus der 341., 344. und 354. Sitzung hat der Bewertungsausschuss jedoch gerade noch eine vom Gestaltungsspielraum umfasste Neuregelung getroffen, da sie den Krankenhäusern zumindest ein nicht unerhebliches Mehr gegenüber der Altregelung gewährt. Die tatsächlich ungleiche Vergütung von Krankenhäusern und Vertragsärzten für die Versorgung im Notfall und im organisierten ärztlichen Not(-fall) dienst ist daher aufgrund des Prinzips der Rechtssicherheit sachlich gerechtfertigt.
Es liegt auch kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor, da hier schon keine rückwirkende Änderung zulasten der Klägerin vorgenommen wurde. Nachdem die Klägerin nach den (rechtswidrigen) vormaligen Regelungen des EBM alter Fassung schon keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen gehabt hätte, sieht die Neuregelung nunmehr einen Leistungsanspruch für die Klägerin vor. Der Hinweis auf die Entscheidung des SG Hamburg aus seiner Entscheidung vom 26.10.2011, S 27 KA 132/08 geht daher fehl.
Die Klägerin kann auch nicht aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17.9.2008, B 6 KA 46/07 beanspruchen, für die Vergangenheit wie die Vertragsärzte gestellt zu werden, die nach den aufgehobenen Ziffern vergütet werden. Denn in dieser Entscheidung des Bundessozialgerichts ging es um die unterschiedliche Vergütung vergleichbarer ambulanter Notfallbehandlungen durch Vertragsärzte und Krankenhausambulanzen. Im Gegensatz dazu hat jedoch vorliegend die Klägerin schon die „Leistungsinhalte“ der beanstandeten Ziffern nicht erfüllt. Denn das BSG hat die Ziffern 01210 ff. a.F. auch inhaltlich beanstandet, indem Leistungsinhalt der strittigen Zusatzpauschalen die „aktive“ Besuchsbereitschaft gewesen ist, d.h. sich Ärzte bereithalten, um im Bedarfsfall Patienten zuhause aufsuchen zu können. Das subjektive Moment des Vorhaltens seiner Bereitschaft bzw. Motivation zur Teilnahme am Notdienst stelle schon deswegen keine „Leistung“ eines Vertragsarztes dar, weil er zu dieser Teilnahme ohnehin verpflichtet sei; dies folge aus seinem Zulassungsstatus. Das BSG hat in dem Urteil vom 12.12.2012 ausführlich dargestellt, dass die Ungleichbehandlung gegenüber Krankenhausambulanzen bereits im Leistungsinhalt der strittigen Zusatzpauschale angelegt sei und damit letztlich eine weiterhin höhere Vergütung der im ärztlichen Notfalldienst erbrachten Leistungen der Vertragsärzte beabsichtigt sei. Dies hat das BSG für rechtswidrig erachtet.
Nicht gefolgt wird auch dem Argument des Klägerbevollmächtigten, den Urteilen des BSG vom 17.2.2016 und 20.1.1999 sei unmissverständlich zu entnehmen, dass der Bewertungsausschuss für die Vergangenheit nur eine Regelung habe treffen dürfen, nach der die Krankenhäuser für die Vergangenheit gleich den Vertragsärzten nach der Altregelung vergütet würden. Ein solcher Rechtssatz ist diesen Urteilen gerade nicht zu entnehmen. Im Urteil vom 17.2.2016 hebt das BSG nochmals hervor, dass dem Bewertungsausschuss für die Neuregelung die für jede Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsfreiheit zur Verfügung steht, solange dies unter strikter Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes geschehe. Dass diese Vorgabe nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit gilt, ergibt sich daraus, dass das BSG ausdrücklich ausgeführt hat, dem Normgeber müsse die Möglichkeit gegeben werden, eine verfassungsmäßige Regelung zu schaffen, bevor die Verwaltung erneut durch Verwaltungsakt entscheidet. Eines Hinweises auf die Neuentscheidung hätte es nicht bedurft, wenn der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses sich nur auf die zukünftige Regelung beziehen würde. Lediglich für den Fall, dass bis Ende des Quartals 2/17 keine Neuregelung getroffen würde, hat das BSG der Beklagten aufgegeben, die psychologischen Psychotherapeuten gleich den ärztlichen Psychotherapeuten im streitgegenständlichen Quartal 1/08 zu vergüten. Diese zeitliche Vorgabe kann auch als Reaktion auf die lange Umsetzungsfrist der hier streitigen GOP verstanden werden.
Soweit im Urteil vom 20.1.1999 auf das Rückwirkungsverbot bei Regelungen des EBM-Ä (Urteil vom 17.9.1999, 6 R KA 36/97 zur rückwirkenden Budgetierung von Gesprächsleistungen) verwiesen wird und hieraus geschlossen wird, dass nur die nachträgliche Einbeziehung der orthopädischen Rheumatologen in die streitgegenständliche Regelung verfassungskonform wäre, ist der vorliegende Sachverhalt nicht mit dem dort entschiedenen zu vergleichen. Denn die Klägerin erfüllt im Gegensatz zur Entscheidung vom 20.1.1999 schon nicht die Tatbestandsvoraussetzungen der hier als verfassungswidrig eingestuften Notfallpauschale alter Fassung, da bei ihr – zutreffend – keine Rufbereitschaft festgestellt wurde. In einem solchen Fall bleibt es dem Bewertungsausschuss auch für die Vergangenheit unbenommen, eine Neuregelung zu treffen, die den Vorgaben des Bundessozialgerichts in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit der Regelung entspricht, ohne zwingend ein Vergütungsniveau auf der Basis der Altregelung vorzusehen.
Die Umsetzung der Neuregelung des Abschnitts 1.2 EBM durch die Beklagte mit dem (Widerspruchs-)bescheiden vom 25.11.2015 ist daher nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat gegen die Neuberechnung des Honorars keine über die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung hinausgehenden Einwände erhoben. Anhaltspunkte dafür, dass die von der Beklagten vorgenommene Neuberechnung des Honorars für die streitgegenständlichen Quartale nicht in Einklang mit den neu geschaffenen Regelungen der GOP 01210 ff. EBM n.F. stehen könnte, sind nicht ersichtlich.
3. Soweit die Klägerin die Absetzung der GOP 22230 neben der GOP 01210, 01214, 01216 und 01218 EBM rügt, dringt sie auch mit diesem Begehren nicht durch. Nach den allgemeinen Bestimmungen zu Kapitel A I.2.1.3 Abs. 2 EBM ist eine Gebührenordnungsposition nicht berechnungsfähig, wenn deren obligate und – sofern vorhanden – fakultative Leistungsinhalte vollständig Bestandteil einer anderen berechneten Gebührenordnungsposition sind. Sämtliche Abrechnungsbestimmungen und Ausschlüsse sind zu berücksichtigen.
Die GOP 22230 war neben den GOP 01210 ff. abzusetzen, da nach der Leistungslegende die im Anhang 1, Spalte GP, aufgeführten Leistungen zum fakultativen Leistungsinhalt der GOP 01210 gehören und damit nicht gesondert abgerechnet werden können.
Die GOP 22230 beinhaltet die klinisch-neurologische Basisdiagnostik.
Die Leistungslegende der GOP 01210 (alte und neue Fassung) in den streitgegenständlichen Quartalen lautet:
“Obligater Leistungsinhalt
– persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt im organisierten Not(-Fall) Dienst und für nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäuser, Fakultativer Leistungsinhalt
– in Anhang 1, Spalte GP, aufgeführte Leistungen,
– funktioneller Ganzkörperstatus (27310).”
In der Anlage 1, Verzeichnis der nicht gesondert berechnungsfähigen Leistungen, Spalte GP, ist die „klinisch-neurologische Basisdiagnostik“ aufgeführt und als möglicher Bestandteil der Grundpauschale bezeichnet. Da die Leistungslegende der GOP 22230 „Klinisch-neurologische Basisdiagnostik“ lautet, ist der Ansatz dieser GOP bereits durch die Regelung im EBM (fakultativer Leistungsinhalt der GOP 01210) ausgeschlossen. Es liegt durch die Verweisung bei der GOP 01210 EBM auf „in Anhang 1 Spalte GP, aufgeführte Leistungen“ ein ausdrücklicher Ausschluss der gesonderten Abrechenbarkeit vor, der entgegen der Rechtsauffassung des Klägerbevollmächtigten der Vorbemerkung zum Anhang 1 als speziellere Regelung vorgeht. Dies ergibt sich systematisch daraus, dass in der Verweisung nicht pauschal auf den Anhang 1 und damit auch auf die Vorbemerkung verwiesen wird, sondern nur auf die Spalte GP. Die Präambel zu Anhang 1.1 gilt somit hier nicht.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO und entspricht dem Anteil des Unterliegens- und Obsiegens in der Berufungsinstanz unter Berücksichtigung der Nachzahlung aus der Neuregelung.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).


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