Arbeitsrecht

Verweisung wegen unzulässigen Verwaltungsrechtswegs im jugendrechtlichen Dreiecksverhältnis

Aktenzeichen  M 18 K 15.4371

Datum:
11.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150161
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
GVG § 17a Abs. 2
SGB VIII § 78b

 

Leitsatz

1 Im jugendrechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen Jugendhilfeträger, Leistungsberechtigtem und Leistungserbringer liegt zwischen dem leistungsberechtigten Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer regelmäßig ein privatrechtlicher Vertrag vor, dem der Jugendhilfeträger durch Kostenübernahme im Rahmen der bewilligten Maßnahme als weiterer Schuldner beitritt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Schuldbeitritt erfolgt durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt. Der Anspruch des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger resultiert aus dem Schuldbeitritt im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein auf dem Betreuungsvertrag gegründeter Auskunftsanspruch des Jugendhilfeträgers gegen den Leistungserbringer steht in direktem Zusammenhang mit dessen Zahlungsanspruch, weil der Zahlungsverpflichtete in die Lage versetzt werden muss, vor der Zahlung Qualität und Umfang der beauftragten Dienstleistung zu überprüfen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Landgericht München I verwiesen.

Gründe

I.
Die Beklagten sind Trägerinnen der freien Jugendhilfe und Betreiber verschiedener Einrichtungen zur Erbringung von Jugendhilfeleistungen.
Am … Februar 2014 meldeten Mitarbeiter der Beklagten zu 1. der Fachabteilung des Jugendamtes München, dass im Bereich der stationären und teilstationären Angebote des Trägers ein von den Betriebserlaubnissen und den Leistungsvereinbarungen erheblich abweichender Personaleinsatz vorliege. Nach einer gemeinsamen Vorortprüfung mit Vertretung der Heimaufsicht am … … März 2014 stellte diese fest, dass die im Arbeitsvertrag festgelegten Arbeitszeiten häufig geringer als die tatsächlich geleisteten Stunden seien und Mehrarbeit finanziell abgegolten werde.
Nach erfolgloser Aufforderung vom 9. September 2015 zur Beibringung von Nachweisen in Form von Dienstplänen und Arbeitsverträgen sowie der Erteilung von Auskünften zum Personaleinsatz ließ die Klagepartei mit Schriftsatz vom 30. September 2015, eingegangen am 1. Oktober 2015, beim Verwaltungsgericht München Klage auf Rechenschaftslegung sowie Auskunftserteilung erheben.
Die Beklagten beantragten unter *. Februar 2016 Klageabweisung. Zur Begründung wurde u.a. vorgetragen, dass etwaige Auskunftsansprüche bereits erfüllt seien. Mangels gesetzlicher Rechtsgrundlagen könnten sich Auskunftsansprüche der Klägerin gegen die Beklagten nur auf die Entgelt- und Leistungsvereinbarungen, also auf eine vertragliche Grundlage stützen. Diese sähen keine Auskunftsrechte vor. Soweit § 242 BGB als Anspruchsgrundlage genannt werde, hätten die Beklagten diesen Anspruch durch Vorlage von Hilfeplänen, Personallisten und Qualifikationslisten sowie zahlreichen weiteren Informationen erfüllt.
Mit Schriftsatz vom 26. September 2017 wurden die Klageanträge präzisiert und Auskunftsansprüche jeweils auf die einzelnen Einrichtungen bezogen. Zur Klagebegründung wurde ergänzend angeführt, dass der Klägerin wegen ihres Rückforderungsanspruchs in Form eines öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs ein materieller Auskunftsanspruch zustehe. Ohne entsprechende Auskünfte über den tatsächlichen Personaleinsatz in den Einrichtungen der Beklagten seit Abschluss der jeweiligen Entgelt- und Leistungsvereinbarungen sei es der Klägerin nicht möglich, die von ihr überzahlten Beträge zu ermitteln und die genaue Höhe eines Rückforderungsanspruchs zu beziffern. Ferner sei die Kostenzusage zusammen mit der Entgeltregelung nach § 78 b SGB VIII als öffentlichrechtlicher Vertrag gemäß § 53 SGB X zu werten. Auf diese Sonderrechtsbeziehung zwischen den Parteien sei auf der Grundlage von § 242 BGB der allgemeine Grundsatz der Rechenschaftslegungspflicht nach § 259 BGB anzuwenden, wonach rechenschaftspflichtig oder jedenfalls auskunftspflichtig sei, wer fremde Angelegenheiten oder jedenfalls solche Angelegenheiten besorge, die zugleich eigene und fremde seien. Außerdem sei nach den allgemeinen Grundsätzen des BGB zur materiellen Beweislast der Leistungserbringer für die tatsächliche Erbringung der Leistung nachweispflichtig.
Die Frage der Rechtswegeröffnung wurde in der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2017 mit dem Parteien erörtert.
II.
Der Verwaltungsrechtsweg ist für die vorliegende Streitigkeit nicht eröffnet.
Nach Anhörung der Parteien – in der mündlichen Verhandlung – war der Rechtsstreit daher nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das Landgericht München I zu verweisen.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art eröffnet, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine solche Streitigkeit ist vorliegend jedoch nicht gegeben, sondern vielmehr eine zivilrechtliche.
Mit der Klage macht die Klägerin Ansprüche im Rahmen von sozialrechtlichen bzw. jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnissen geltend.
Im jugendrechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen dem Jugendhilfeträger, dem Leistungsberechtigten und dem Leistungserbringer liegt zwischen dem leistungsberechtigten Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer regelmäßig ein privatrechtlicher Vertrag vor, dem der Jugendhilfeträger durch Bewilligung der Kostenübernahme im Rahmen der bewilligten Maßnahme als weiterer Schuldner beitritt. Durch diesen Schuldbeitritt mittels privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt, durch den der Leistungserbringer zugleich einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Jugendhilfeträger erwirbt, wandelt sich die zivilrechtliche Schuld aus dem zwischen dem Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer geschlossenen (Dienst-) Vertrag nicht in eine öffentlichrechtliche um. Denn ein Schuldbeitritt teilt seinem Wesen nach die Rechtsnatur der Forderung des Gläubigers, zu der er erklärt wird. (vgl. BGH v. 31.3.2016, III ZR 267/15 – juris, Rn. 20 ff.; BayVGH v. 21.4.2017 12 ZB 17.1 – juris, Rn. 2). Nichts anderes gilt für den geltend gemachten Auskunftsanspruch, welcher sich ebenso wie der Zahlungsanspruch auf den Betreuungsvertrag gründet. Darüber hinaus steht der Auskunftsanspruch in direktem Zusammenhang mit dem Zahlungsanspruch. Denn auch der mittels Schuldbeitritt zur Zahlung Verpflichtete muss vor Erfüllung seiner Zahlungspflicht in die Lage versetzt werden, Qualität und Umfang der durch den Leistungsberechtigten beauftragten Dienstleistung zu überprüfen.
Auf einen solchen Schuldbeitritt ist auch der klägerische Anspruch gegründet, es ist also der Zivilrechtsweg eröffnet.
Diese Einschätzung gilt unabhängig davon, ob eine LeistungsEntgeltvereinbarung nach § 78b SGB VIII geschlossen worden ist. (a.A. wohl OVG NRW v. 16.9.2011, 12 A 2308/10 – juris, Rn. 29 ff., ohne jedoch die Frage weiter zu problematisieren).
Zwar handelt es sich bei Vereinbarungen nach § 78b SGB VIII um öffentlichrechtliche Verträge. Gegenstand dieser Vereinbarungen ist aber nicht die Beschaffung von Dienstleistungen gegen ein Entgelt, sondern die Klärung der Bedingungen für die Leistungsabwicklung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis im Einzelfall ( vgl. Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 78b, Rn. 7). Eine Vereinbarung nach § 78b SGB VIII führt also nicht dazu, dass der Anspruch des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger aus dem jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis herausverlagert wird. Der Anspruch des Leistungserbringers resultiert also nicht aus dem öffentlichrechtlichen Vertrag, sondern weiterhin aus dem Schuldbeitritt im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis. Die Vereinbarungen beeinflussen („überlagern“) lediglich das privatrechtliche Erfüllungsverhältnis als zivilrechtliche Seite des sozialrechtlichen Dreiecks (vgl. BGH v. 31.3.2016 a.a.O. Rn. 18, zu Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII). Dadurch ändert sich aber nichts daran, dass der Schuldbeitritt des Jugendhilfeträgers zum zivilrechtlichen Vertragsverhältnis zwischen Hilfeberechtigten und Leistungserbringer Grundlage des geltend gemachten Anspruchs des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger bleibt.
Auch die von der Beklagten im Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom *. Oktober 2017 genannten höchstrichterlichen Entscheidungen (BGH v. 12.11.1991 BGHZ 116, 339; BVerwG v. 30.9.1993 BVerwG 94, 202) rechtfertigen nicht die Annahme der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, da sie keinen vergleichbaren Sachverhalt behandeln. Die beiden Entscheidungen betreffen die Klassifizierung von Pflegesatzvereinbarungen im Sinne von § 93 Abs. 2 BSHG als öffentlichrechtliche Verträge. Zur hier maßgeblichen Rechtsfigur des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses verhalten sich diese Entscheidungen indessen nicht. Letzteres gilt gleichermaßen für die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (v. 19.5.1994 BVerwG 96, 71) sowie des BayVGH (v. 14.9.2017, 12 CE 17.433 – bislang nicht veröffentlich).
Nach alledem ist für die vorliegende Streitigkeit nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet. Zuständig ist das Landgericht München I.


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