Arbeitsrecht

VIII ZR 81/20

Aktenzeichen  VIII ZR 81/20

Datum:
15.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:150322BVIIIZR81.20.0
Normen:
§ 574 BGB
§ 574ff BGB
§ 308a ZPO
§ 322 ZPO
Spruchkörper:
8. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 30. November 2021, Az: VIII ZR 81/20, Beschlussvorgehend LG Heidelberg, 27. Februar 2020, Az: 5 S 36/19vorgehend AG Heidelberg, 12. Juli 2019, Az: 26 C 39/19

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg – 5. Zivilkammer – vom 27. Februar 2020 wird, soweit sie sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 2. März 2018 wendet, als unzulässig verworfen; im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf bis zu 4.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Revision des Beklagten ist nach § 552 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, soweit sie sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 2. März 2018 wendet. Insoweit ist sie mangels Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht nicht statthaft (§ 542 Abs. 1, § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Wegen des Sachverhalts und zur näheren Begründung wird auf den in dieser Sache ergangenen Hinweisbeschluss vom 30. November 2021 Bezug genommen, in dem sich der Senat bereits mit der von der Revision nunmehr auch in ihren Schriftsätzen vom 8. Februar und vom 16. Februar 2022 angesprochenen Frage einer vom Berufungsgericht vorgenommenen wirksamen Beschränkung der Revisionszulassung auseinandergesetzt und diese unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bejaht hat. Die diesbezüglichen Ausführungen der Revision in ihren vorstehend genannten Stellungnahmen zu dem Hinweisbeschluss des Senats geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Entgegen der Auffassung der Revision hat der Senat die von ihr als Kern der Argumentation der Revisionsbegründung angeführten Gesichtspunkte umfassend bedacht.
2
1. Anders als die Revision meint, hat das Berufungsgericht die Zulassung der Revision eindeutig auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Härteregelung nach §§ 574 ff. BGB und damit auf den von dem Beklagten geltend gemachten Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses beschränkt. Das Berufungsgericht sieht höchstrichterlichen Klärungsbedarf allein für die von ihm ausschließlich im Rahmen der Voraussetzungen der §§ 574 ff. BGB geprüfte Frage der “Reichweite und Rechtsfolgen von rechtskräftigen Gestaltungsurteilen, die – wenngleich rechtsfehlerhaft – lediglich gegenüber einem von mehreren notwendigen Streitgenossen ergangen sind”.
3
a) Soweit die Revision auf den Wortlaut der vorgenannten Frage verweist und geltend macht, das Berufungsgericht habe nach der von ihm gewählten Formulierung nicht etwa Fragen bezüglich der Voraussetzungen der Härteregelung nach §§ 574 ff. BGB und damit eines etwaigen Anspruchs des Beklagten auf Fortsetzung des Mietverhältnisses als zulassungsrelevant angesehen, verschließt sie sich bereits im Ausgangspunkt den Blick dafür, dass die Auslegung einer Zulassungsentscheidung sich nicht ausschließlich an deren Wortlaut ausrichten darf, sondern die Zulassungsentscheidung im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 10. April 2018 – VIII ZR 247/17, NJW 2018, 1880 Rn. 17). Wie bereits in dem Hinweisbeschluss des Senats vom 30. November 2021 ausgeführt, lässt sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Beschränkung der Zulassung der Revision den Entscheidungsgründen mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen, wenn die von dem Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Rechtsfrage nur für einen abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs erheblich ist, weil dann in der Angabe dieses Zulassungsgrunds regelmäßig die eindeutige Beschränkung der Zulassung hierauf zu sehen ist (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 17. August 2021 – VIII ZR 378/19, juris Rn. 8; vom 13. Mai 2020 – VIII ZR 222/18, NJW 2020, 3258 Rn. 9; jeweils mwN).
4
So verhält es sich hier. Die von dem Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage stellt sich – entgegen der Auffassung der Revision – nicht “unter allen Gesichtspunkten” und bezieht sich – auch nach den insoweit maßgeblichen Ausführungen des Berufungsgerichts – nicht auf den gesamten Streitstoff, sondern allein auf die Wirkungen des in dem Vorprozess erlassenen Gestaltungsurteils, mit dem das Amtsgericht auf den Härteeinwand des Beklagten die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit nach § 574a Abs. 2 BGB, § 308a Abs. 1 Satz 1 ZPO gegenüber dem Kläger zu 1 angeordnet hat. Ein solches Urteil führt – was die Revision verkennt – nicht etwa dazu, dass der Vermieter an einer erneuten Kündigung des Mietverhältnisses gehindert wäre, sondern ausweislich der Vorschrift des § 574c Abs. 2 Satz 1 BGB – auch zwischen den am Prozess beteiligten Parteien (hier dem Kläger zu 1 und dem Beklagten) – allein dazu, dass der Mieter (auch) einer späteren Kündigung widersprechen und von dem Vermieter verlangen kann, das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Die Wirksamkeit einer nach Rechtskraft des Gestaltungsurteils ausgesprochenen Kündigung – wie im vorliegenden Fall die Eigenbedarfskündigung vom 2. März 2018 – wird entgegen der Auffassung der Revision, die zu Unrecht meint, der Kläger zu 1 sei an einer Mitwirkung an dieser Kündigung gehindert gewesen, durch ein solches Urteil nicht in Frage gestellt. Hiervon ist auch das Berufungsgericht nach seinen Ausführungen in den Entscheidungsgründen rechtsfehlerfrei ausgegangen. Die von dem Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage ist daher nur für den von dem Beklagten geltend gemachten Fortsetzungsanspruch nach §§ 574 ff. BGB von Bedeutung mit der Folge, dass sich die Revisionszulassung – eindeutig – auf diesen Teil des Streitstoffs beschränkt.
5
b) Etwas anderes lässt sich – entgegen der Auffassung der Revision – auch den in der Zulassungsbegründung genannten Erwägungen des Berufungsgerichts nicht entnehmen, wonach es “jedenfalls denkbar” erscheine, dass Gestaltungsurteile auch die übrigen – nicht (an dem Vorprozess) beteiligten – notwendigen Streitgenossen binden könnten, um der Gefahr widerstreitender Entscheidungen zu begegnen. Diese Erwägungen des Berufungsgerichts, die es im Rahmen der Darstellung mehrerer Lösungsmöglichkeiten der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage angestellt hat, beziehen sich unzweifelhaft auf das im Vorprozess erlassene Gestaltungsurteil (nach § 574a Abs. 2 BGB, § 308a Abs. 1 Satz 1 ZPO) und die dort festgestellten Härtegründe, nicht aber auf die von den Klägern erklärte Kündigung vom 2. März 2018, deren Wirksamkeit das Berufungsgericht im Übrigen auch hinsichtlich des Klägers zu 1 bejaht hat.
6
2. Entgegen der Ansicht der Revision ist die Beschränkung der Zulassung auf die Härteregelung nach §§ 574 ff. BGB auch wirksam. Bei dieser Regelung handelt es sich – anders als die Revision meint – nicht um eine einzelne Rechtsfrage oder ein bloßes Anspruchselement, sondern – wie bereits im Hinweisbeschluss vom 30. November 2021 ausgeführt – um einen selbständigen Teil des Streitstoffs, der in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Streitstoff beurteilt und auf den die Revision daher wirksam beschränkt werden kann.
7
Nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Mieter einer an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Auf die Wirksamkeit der Kündigung hat die Geltendmachung von Härtegründen keinen Einfluss (vgl. etwa Senatsurteile vom 3. Februar 2021 – VIII ZR 68/19, NJW-RR 2021, 461 Rn. 22; vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133 Rn. 15, 32; Schmidt-Futterer/Hartmann, Mietrecht, 15. Aufl., § 574 BGB Rn. 16 und § 574a BGB Rn. 24; MünchKommBGB/Häublein, 8. Aufl., § 574 Rn. 8), sondern führt lediglich dazu, dass der Mieter bei Vorliegen einer nicht mehr zu rechtfertigenden Härte auf der Fortsetzung des Mietverhältnisses bestehen kann und der von dem Vermieter geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch aus diesem Grund abzuweisen ist (vgl. Senatsurteil vom 28. April 2021 – VIII ZR 6/19, NJW-RR 2021, 1312 Rn. 37; Schmidt-Futterer/Hartmann, aaO, § 574a BGB Rn. 24). Die Beschränkung der Zulassung der Revision auf diesen Teil des Streitstoffs birgt deshalb nicht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen und ist damit wirksam (vgl. hierzu grundlegend Senatsbeschluss vom 21. August 2018 – VIII ZR 186/17, NJW-RR 2019, 130 Rn. 17 mwN).
II.
8
Soweit das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, liegt ein Zulassungsgrund nicht vor (§ 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Zur Begründung wird auch insoweit auf den Hinweisbeschluss vom 30. November 2021 Bezug genommen, in welchem der Senat die von der Revision mit den Schriftsätzen vom 8. Februar und 16. Februar 2022 (nochmals) vorgebrachten Gesichtspunkte bereits ausführlich behandelt hat.
9
1. Der Senat hat in dem vorgenannten Hinweisbeschluss im Einzelnen ausgeführt, dass eine Durchbrechung des Grundsatzes, wonach ein Dritter an ein ohne seine Mitwirkung – und damit auch ohne Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) – zustande gekommenes gerichtliches Erkenntnis grundsätzlich nicht gebunden sein soll, nur in Betracht kommt, wenn dies im Einzelfall vom Gesetz ausdrücklich angeordnet oder zumindest nach dem Sinn einer Gesetzesvorschrift geboten ist, und dass der Gesetzgeber für die hier in Rede stehende Fallgestaltung eine solche Vorschrift nicht geschaffen hat. Das Berufungsgericht war deshalb durch die im Vorprozess gegenüber dem Kläger zu 1 angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht an einer (erneuten) Prüfung des Vorliegens von Härtegründen des Beklagten im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenüber den Klägern zu 2 und 3 gehindert.
10
Da in Bezug auf die Kläger zu 2 und 3 nicht ein Fall des § 574c Abs. 2 BGB, sondern eine erstmalige Kündigung vorlag, musste das Berufungsgericht seine Prüfung – entgegen der Auffassung der Revision – nicht darauf beschränken, ob sich die Umstände, die im Vorprozess für die Anordnung der Fortsetzung des Mietverhältnisses bestimmend waren, verändert haben. Vielmehr hatte das Berufungsgericht im Verhältnis zu den Klägern zu 2 und 3 eine eigenständige und umfassende Prüfung des Vorliegens einer Härte nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmen. Eine solche Prüfung hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei durchgeführt.
11
Soweit die Revision demgegenüber eine Bindung der Kläger zu 2 und 3 an das Ergebnis des Vorprozesses annehmen und diesen deshalb sogar – aus den oben genannten Gründen zu Unrecht – das Kündigungsrecht absprechen will, steht ihre Auffassung nicht nur in Widerspruch zu den vorgenannten Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur materiellen Rechtskraft. Sie liefe zudem auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und der aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG resultierenden Rechte der am Vorprozess nicht beteiligten Kläger zu 2 und 3 hinaus.
12
Bereits im Ausgangspunkt fehl geht deshalb auch die von der Revision im Schriftsatz vom 16. Februar 2022 angesprochene Erwägung, für eine Bindungswirkung spreche, dass ein Mietverhältnis mit drei Vermietern auch dann nicht wirksam gekündigt werden könne, wenn einer der Vermieter nicht kündigen wolle. Die Revision übersieht hierbei zudem, dass anders als in jenem Fall die Kläger zu 2 und 3 nicht einmal die Möglichkeit hätten, ihre Rechte – notfalls durch eine im Klageweg erzwungene Mitwirkung des Klägers zu 1 als weiterem Vermieter – gegenüber dem Beklagten geltend zu machen.
13
2. Ebenfalls ohne Erfolg macht die Revision – erstmals mit Schriftsatz vom 8. Februar 2022 – geltend, der Beklagte habe sich im Zusammenwirken mit einem Immobilienmakler – auf dessen Schreiben vom 31. Januar 2022 die Revision verweist – erfolglos seit Januar 2020 darum bemüht, eine Wohnung im “betreuten Wohnen” zu finden; es habe aber weder eine solche noch eine “ganz normale Wohnung im Stadtteil” gefunden werden können. Bei diesem Vorbringen handelt es sich um einen vom Berufungsgericht nicht festgestellten neuen Sachvortrag in der Revisionsinstanz, der nach § 559 ZPO keine Berücksichtigung mehr finden kann.
14
3. Soweit die Revision schließlich erneut auf die Verwurzelung des Beklagten in der Wohnung verweist, zeigt sie revisionsrechtlich beachtliche Rechtsfehler nicht auf, sondern wiederholt vielmehr den bereits vom Berufungsgericht ausführlich behandelten Vortrag des Beklagten und setzt lediglich ihre eigene Wertung an die Stelle der rechtsfehlerfreien Würdigung des Berufungsgerichts. Dies ist revisionsrechtlich unbehelflich.
15
4. Der Revision des Beklagten fehlt es daher, soweit sie von dem Berufungsgericht zugelassen worden ist, an der erforderlichen Erfolgsaussicht.
16
Dies würde im Übrigen selbst dann gelten, wenn nicht von einer Beschränkung der Revisionszulassung auszugehen wäre. Denn das Berufungsgericht hat die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung vom 2. März 2018 rechtsfehlerfrei bejaht. Wie bereits aufgezeigt, waren weder der Kläger zu 1 noch die Kläger zu 2 und 3 durch das im Vorprozess ergangene Gestaltungsurteil an dieser (erneuten) Kündigung des Mietverhältnisses gehindert.
III.
17
Hinsichtlich der von der Revision hilfsweise begehrten Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO wird auf die – von der Revision nicht angegriffenen – Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 30. November 2021 verwiesen.
IV.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Bünger     
      
Kosziol     
      
Dr. Schmidt
      
Dr. Matussek     
      
Dr. Reichelt     
      


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