Arbeitsrecht

Voraussetzungen für die Verhängung einer Vergabesperre

Aktenzeichen  4 HK O 1154/16

Datum:
13.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NZBau – 2016, 717
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 935
GWB GWB §§ 97, 100
SektVO SektVO § 1 I

 

Leitsatz

1 Voraussetzung für die Verhängung einer Vergabesperre ist, dass der Adressat der Vergabesperre die ihm im Verhältnis zum Auftraggeber obliegenden Pflichten in einem solchen Maße verletzt hat, dass die für eine Zusammenarbeit erforderliche Vertrauensbasis zerstört und es dem Auftraggeber nicht zuzumuten ist, mit diesem ein Vertragsverhältnis einzugehen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für das Vorliegen einer derartigen schweren Verfehlung des Adressaten ist der Auftraggeber darlegungs- und beweisbelastet, wobei Indiztatsachen ausreichen können, wenn sie von einigem Gewicht sind und auf gesicherten Kenntnissen aus seriösen Quellen stammen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung fehlt wegen Selbstwiderlegung, wenn der Antragsteller nach Eintritt der Gefährung mit seinem Verfügungsantrag mehr als einen Monat zuwartet oder das Verfahren nicht zügig betreibt. (redaktioneller Leitsatz)
4 Ist der Antragsteller gegen einen früheren Verstoß nicht vorgegangen, so fehlt die Dringlichkeit für einen Antrag auf Untersagung eines neuerlichen Verstoßes, sofern dieser zumindest im Kern vergleichbar ist (Fortführung von OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 03650). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen:
II.
Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Verfügungsklägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 500.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zurückzuweisen. Es besteht weder ein Verfügungsgrund noch ein Verfügungsanspruch.
1.
Die ausschließliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus §§ 87, 89 Abs. 1 GWB;33Abs. 1 GZVJu.
Der Zivilrechtsweg ist unabhängig vom Erreichen der EG-Schwellenwerte gegeben. Eine ausschließliche Zuständigkeit der Vergabekammer besteht nur für Ansprüche auf Vornahme oder Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren, § 104 Abs. 2 GWB.
2.
Ein Rechtschutzbedürfnis ist gegeben (KG, NZBau 2012, 56, 59; NZBau 2012, 383).
Ein Verfügungsgrund liegt jedoch nicht vor.
a.
Es mag dahinstehen, ob ein Verfügungsgrund fehlt wenn kein weiteres Vergabeverfahren läuft und auch nicht konkret in Zukunft zu erwarten ist'(vgl. OLG Köln, NZBau 2013, 600), da diese Voraussetzungen hier nicht vorliegen. Es laufen sowohl weitere Vergabeverfahren und sind nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Verfügungsklägerin noch weitere zu erwarten.
b.
Der Verfügungsgrund fehlt wegen Selbstwiderlegung, wenn der Antragsteller nach Eintritt der Gefährdung mit einem Antrag zuwartet oder das Verfahren nicht zügig betreibt. Selbstwiderlegung kann einen an sich glaubhaften Verfügungsgrund entkräften. Diese Grundsätze enthalten einen verallgemeinerungsfähigen Ausschlussgedanken hinsichtlich des Verfügungsgrundes, der in anderen Rechtsgebieten als dem Wettbewerbsecht ebenfalls Gültigkeit besitzt (Münchener Kommentar ZPO, § 935 ZPO: Rn. 18).
Ein Zuwarten von mehr als einem Monat ist dringlichkeitsschädlich (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.2012, Az. Vl-W (Kart) 5/12).
Ist der Verletzte gegen einen früheren Verstoß nicht vorgegangen, so fehlt die Dringlichkeit für einen Antrag auf Untersagung eines neuerlichen Verstoßes, sofern dieser zumindest im Kern vergleichbar ist. Umgekehrt fehlt es dann nicht an der Dringlichkeit, wenn sich Art oder Umfang des Verstoßes wesentlich ändern und die neue Verletzungshandlung für den Antragsteller schwerer wiegt als der frühere Verstoß (OLG Düsseldorf a. a. O.):
c.
Bereits mit Schreiben vom 08.10.2015 hat die Verfügungsbeklagte eine dreijährige Vergabesperre angekündigt und Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben (Anlage AST7). Bereits am 02.11.2015 hat die Verfügungsklägerin einen Verfügungsantrag auf Untersagung bei Gericht eingereicht, eine Vergabesperre gegen sie für die Dauer von bis zu drei Jahren zu verhängen. Diesen Verfügungsantrag hat sie wieder zurückgenommen.
Nach dem eigenen Vortrag der Verfügungsklägerin ist die Absicht der Verhängung einer Vergabesperre aufgrund der Mehrzahl der angegebenen Gründe seit längerem bekannt (Schriftsatz vom 10.03.2016). Diese Kündigungsgründe finden sich bereits in dem Schreiben vom 08.10.2015 (Androhung einer Vergabesperre, Anlage AST7, sowie Kündigung, Anlage AST2) und vom 10.09.2015 (Anlage AST5). Die Verfügungsklägerin hat sich auch mit den jeweiligen Vorwürfen auseinandergesetzt und die angebotenen Gelegenheiten zur Stellungnahme genutzt.
Soweit im Verfügungsantrag Ziffer 1. vom 15.02.2016 noch weitere mögliche Gründe für eine Vergabesperre enthalten sind, die vor dem Schreiben vom 20.01.2016 (Anlage AST10) nicht mitgeteilt worden sein sollten, kommt es hierauf nicht entscheidend an, da die Aufzählung in Ziffer 1 a-i) im Antrag vom 15.02.2016 kumulativ zu verstehen ist – es sich bei Ziffer 1 i) gar um einen Auffangtatbestand handelt – und Streitgegenstand nicht eine Vergabesperre wegen eines einzelnen oder einzelner der in Ziffer 1 des Verfügungsantrages vom 15.02.2016 aufgelisteten Gründe ist.
Überdies richten sich die neuen Verfügungsanträge vom 31.03.2016 gegen die bereits verhängte Vergabesperre an sich und differenzieren nicht nach einzelnen Begründungen für diese.
d.
Für den mit dem Verfügungsantrag vom 15.02.2016 geltend gemachten Verfügungsanspruch, der auf eine Erstbegehungsgefahr (der Verhängung einer Vergabe) gestützt war, fehlte es von Anfang an an der Dringlichkeit, da die maßgeblichen Umstände – wie dargelegt – der Verfügungsklägerin bereits seit Monaten bekannt waren.
e.
Durch die Verhängung der Vergabesperre kam es nicht zu einem Wiederaufleben der Dringlichkeit
Nach wohl noch überwiegender Meinung soll die Verfolgung der Begehungshandlung wieder dringlich sein, wenn der Gläubiger die ihm bekannte vorherige Begehungsgefahr für die gleiche Handlung nicht zum Anlass eines rechtzeitigen Vorgehens genommen hatte. Dies mag für das Verhältnis zwischen Markenanmeldung und Markenbenutzung sowie bei bestimmten Titelschutzanzeigen so gelten. Im Übrigen aber kann die Annahme einer neuen Dringlichkeit allenfalls für solche Fälle gelten, in denen die spätere Verletzungsanhandlung wirklich eine andere Qualität aufweist als diejenige, deren Begehung drohte. Entspricht dagegen die Verletzungsform ihrer Ankündigung, so besteht kein Grund für eine neue Dringlichkeit; denn wer keinen Anlass sieht, eine real drohende (konkrete) Gefahr vorbeugend abzuwehren, kann nicht längere Zeit später glaubhaft geltend machen, sein nunmehriges Vorgehen gegen die Realisierung eben dieser Gefahr sei dringlich (Teplizky, wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 11. Auflage, Kapitel 54, Rn. 37a). Dies muss vorliegend auch für die streitgegenständlichen neuen Verfügungsanträge auf Mitteilung und Anwendung der verhängten Vergabesperre gelten.
Ist wegen zu langem Zuwartens die Dringlichkeit für die Verfolgung eines vorbeugenden Unterlassungsanspruch’ entfallen, besteht auch für die Verfolgung eines auf Wiederholungsgefahr gestützten Unterlassungsanspruchs keine (erneute) Dringlichkeit, es sei denn, die begangene Verletzungshandlung weist eine andere Qualität auf als die Handlung, deren Begehung drohte (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.02.2009, Az. 4 U 204/08; OLG Hamm, Urteil vom 22.10.2013, Az. 4 U 66/13; OLG Hamburg, GRUR-RR 2008,100).
f.
Soweit sich die Verfügungsklägerin auf das Gespräch vom 09.12-2015 beruft, ergibt sich auch hieraus kein Verfügungsgrund.
Es schlössen sich keine Vergleichsverhandlungen an, sondern eine unbestimmt fange Zeit zur Prüfung durch die Verfügungsbeklagte. Es mag hier dahinstehen, ob sinnvolle/erfolgversprechende Vergleichsbemühungen zu einer Verlängerung der Monatsfrist führen können. Für eine einseitige, unbestimmt lange Überlegungsfrist kann dies jedenfalls nicht gelten.
Soweit die Verfügungsklägerin drei Wochen Vorlaufzeit für den Fall erhalten sollte, dass die Verhängung einer Vergabesperre nicht vom Tisch sei, kann hierdurch kein neuer Verfügungsgrund geschalten werden. Die Eilbedürftigkeit Ist eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung.
Erst am 20.01.2016 hat die Verfügungsbeklagte erneut eine Vergabesperre angedroht, mithin 6 Wochen nach dem Gespräch vom 09.12.2015.
Wegen des fehlenden Verfügungsgrundes ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
4.
Es besteht auch kein Verfügungsanspruch.
a.
Zwar ist eine besondere gesetzliche Ermächtigung “für die Verhängung einer Vergabesperre nicht erforderlich, aber Voraussetzung ist, dass der Adressat der Vergabesperre die ihm obliegenden rechtlichen Pflichten in einem solchen Maße verletzt hat, dass die für eine Zusammenarbeit erforderliche Vertrauensbasis zerstört ist und es dem Auftraggeber nicht zuzumuten ist, mit dem Auftragnehmer ein Auftragsverhältnis einzugehen. Für das Vorliegen einer derartigen schweren Verfehlung ist der Auftraggeber darlegungs- und beweispflichtig. Bloße Verdachtsmomente genügen nicht, eindeutige Belege sind notwendig.
Eine schwere Verfehlung kann sich auch aus der Nicht- bzw. Schlechterfüllung vertraglicher Pflichten ergeben (EuGH, NZBau 2013, 116; hierzu Prieß, Friton: Eignung zum Ausschluss, NZBau 2013, 214). Indiztatsachen können ausreichen, wenn sie von einigem Gewicht sind und auf gesicherten Kenntnissen aus seriösen Quellen stammen (Dreher/Motzke Beck’scher Vergaberechtskornmentar, § 16 V.OB/A: Rn. 160).
Die Verfügungsbeklagte durfte und darf erwarten, dass ein zuverlässiger Geschäftspartner bei laufendem Vergabeverfahren besonders sorgfältig zwischen den Interessen seines eigenen Unternehmens und denen der Verfügungsbeklagten trennen würde (Landgericht Frankfurt a. M. NZBau 2004, 630). Dies ist nicht geschehen.
b.
Die Verfügungsklägerin hat nicht nur auf Auftrag der Verfugungsbeklagten ein Leistungsverzeichnis erstellt, sondern ein von ihr erstelltes Mengengerüst vorgegeben, das dann für alle Bieter verbindlich geworden ist. Solches Vorgehen führt offensichtlich zu einem Vorteil für die Verfügungsklägerin.
c.
Die Verfügungsklägerin hat nicht nur auf Wunsch der Verfügungsbeklagten Fragen beantwortet die von anderen Bietern an die Verfügungsbeklagte gestellt wurden, sondern sie hat auf Eigeninitiative hin weitere Fragen der Verfügungsbeklagten mitgeteilt (Anlagen AG7 und Ag8). Damit konnte sich die Verfügungsklägerin einen Vorteil im Verfahren der Auftragsvergabe verschaffen, da sie als einzige die zu erwartenden Fragen kannte und ihre Antworten vorbereiten konnte; die anderen Bieter wurden von den Fragen überrascht.
d.
Es bestehen deutliche Indizien für eine Kenntnis der Verfügungsklägerin vom Angebot der Firma … vom … (Anlagen AG5 und AG6). Es ist unstreitig, dass sich eine Vielzahl der von der Verfügungsklägerin angebotenen Preise mit denen im Angebot der Firma … gleichen. Da nach der Lebenserfahrung eine derartige Identität bei einer Vielzahl von Einzelpreisen mehr als äußerst unwahrscheinlich ist, spricht dies für eine Kenntnis der Verfügungsklägerin von diesen Preisen.
e.
Es bestand eine deutlich über das geschäftsmäßig Veranlasste hinausgehende persönliche Bekanntschaft zwischen leitenden Mitarbeitern der Verfügungsklägerin und dem ehemaligen Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten … Die Tatsache, dass alle sieben in der Zeit von März 2014 bis April 2015 von der Verfügungsbeklagten vergebenen Aufträge im Bereich Baugrunduntersuchung für den Bau von Freileitungsmasten, die in die Zuständigkeit des Standortes … entfallen, an die Verfügungsklägerin gingen, stellt ein weiteres Indiz für ein unzulässiges Wettbewerbsverhalten dar.
Die Verfügungsbeklagte hat gerügt dass bei dem Projekt … Leitung … eine Vielzahl von Leistungsnachweisen nicht vorlägen (Anlage AG10). Soweit der Verfügungsklägervertreter hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, diese Vorlage von Nachweisen sei geführt worden und hierzu Herrn … als präsenten Zeugen mitgebracht hatte, konnte diesem Beweisangebot nicht nachgekommen werden. Es handelte sich um einen Ausforschungsbeweis, da nicht vorgetragen war. wer wann wem welche Nachweise wie hatte zukommen lassen.
Auch dies begründet ein Indiz für einen Verdacht für ein vertragswidriges Verhalten der Verfügungsklägerin.
g.
Die Verfügungsklägerin kann sich nicht darauf berufen, dass die Fragen von der Verfügungsbeklagten an sie gestellt worden seien. Zum einen hat sie von sich aus weitere Fragen – unaufgefordert – mitgeteilt und zum anderen musste die Verfügungsklägerin auch bei Beteiligung von Mitarbeitern der Verfügungsbeklagten bzw. wenn von den Letztgenannten Anfragen oder Aufforderungen an sie ergingen., selbstständig prüfen, ob sie diesen Wünschen nachkommen konnte. Keineswegs ist die Verfügungsklägerin von jedem Verdacht frei, wenn sich auch Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten falsch verhalten haben, hat doch die Verfügungsklägerin dann die sich ergebenden Gelegenheiten zu Ungunsten ihrer Vertragspartnerin ausgenutzt. Die Verfügungsbeklagte konnte aber erwarten, dass ein zuverlässiger Geschäftspartner bei einem laufenden Vergabeverfahren besonders sorgfältig zwischen den Interessen seines eigenen Unternehmens und denen des Auftraggebers trennen würde. Die Verfügungsklägerin hätte in entsprechenden Fällen auf Leitungsebene an die Verfügungsbeklagte herantreten können und müssen, um sich zu vergewissern, dass die an sie herangetragenen Wünsche und Aufträge in Ordnung gingen. Dies ist nicht geschehen.
h.
In der Gesamtschau bestehen hinreichende Anhaltspunkte – zum Teil unstreitig bzw. durch Schriftstücke nachgewiesen – dafür, dass die Verfügungsklägerin die ihr obliegenden Pflichten in einem derartigen Maße verletzt hat, dass es der Verfügungsbeklagten nicht zuzumuten ist bzw. war, mit der Verfügungsklägerin weiter zusammenzuarbeiten.
Die verhängte Vergabesperre ist daher, auch hinsichtlich der Dauer von drei Jahren, als rechtmäßig anzusehen.
5.
Die dargelegte Würdigung bezieht sich nicht nur auf den ursprünglichen Verfügungsantrag vom 15.02.2016, hinsichtlich dessen das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, sondern auch hinsichtlich der neugestellten Verfügungsanträge vom 31.03.2016. Eine rechtmäßig verhängte Vergabesperre darf auch kommuniziert und natürlich angewendet werden.


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