Arbeitsrecht

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt eines ehemaligen Mitarbeiters der Staatsbibliothek

Aktenzeichen  M 19L DK 19.3123

Datum:
17.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26905
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 13, Art. 14 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts erkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts (Art. 13 Bayerisches Disziplinargesetz – BayDG) erkannt.
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Solche wurden von dem Beklagten auch nicht geltend gemacht.
2. Das Gericht legt seiner Entscheidung sämtliche Vorwürfe aus der Disziplinarklage zugrunde.
Diese wirft dem Beklagten unter 1. den Sachverhalt aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 10. April 2018 vor, das ihn wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 206 tatmehrheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit einem weiteren Fall des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die tatsächlichen Feststellungen des Urteils stehen für das Disziplinargericht bindend fest (Art. 55 Halbs. 1, Art. 25 Abs. 1 BayDG). Dies gilt auch für ein nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürztes Strafurteil (BayVGH, U.v. 13.7.2011 – 16a D 09.3127 – juris Rn. 92 ff.).
Auch an den weiteren, in der Disziplinarklage unter 2. bis 4. aufgeführten Vorwürfen hat das Gericht keine Zweifel.
Der Beklagte verkaufte ein bereits 1999 von der … erworbenes Gemälde im Jahr 2007 nochmals zum Preis von 3250 € an diese. Er erwarb 1999 das Bild „… …“ für 6000 DM von der Künstlerin W.. Das Bild wurde am 27. August 1999 aus Mitteln der Verwahrung XIII bezahlt (vgl. Disziplinarakte = DA Bl. 762). Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 29. September 2007 fälschte er eine Rechnung von Frau V. von diesem Tag an die …, in der sie dieser für die Überlassung des Gemäldes am 24. September 2007 einen Kaufpreis in Höhe von 3250 € in Rechnung stellte (DA Bl. 193). Die Fälschung der Rechnung ergibt sich zum einen aus einem Vergleich der auf der Rechnung befindlichen Unterschrift mit einer von ihr während ihrer Tätigkeit bei der … geleisteten Unterschrift (DA Bl. 196), zum anderen aus ihrer glaubhaften Erklärung, sie habe die Rechnung nicht erstellt (Staatsanwaltliche Fallakte 1, Fall Nr. 2, Bl. 4). Im Vorfeld hatte der Beklagte sie gebeten, die Beträge aus zwei Überweisungen, die sie in nächster Zeit von der … erhalten werde, auf sein Konto weiterzuleiten (Staatsanwaltliche Fallakte 1, Fall Nr. 2, Bl. 4). Er selbst stellte den vermeintlich von Frau V. in Rechnung gestellten Betrag mit Auszahlungsanordnung vom 4. Oktober 2007 sachlich und rechnerisch richtig (DA Bl. 192), die … überwies ihn noch am selben Tag auf das Konto von Frau V. (DA 194), die ihn an den Beklagten weiter überwies (Staatsanwaltliche Fallakte 1, Fall Nr. 3, Bl. 8 f.). Dieser räumt in seiner Stellungnahme vom 10. November 2012 ein, dass diese Anschuldigung zutrifft.
Der Beklagte nahm weiter bei seiner Pensionierung ein von der … erworbenes Glas-Kunst-Objekt mit nach Hause. Er kaufte am 24. September 2009 in der Kunstgalerie „… … …“ das Glas-Kunst-Objekt „… …“ für 5400 € (vgl. die Rechnung von diesem Tag, DA Bl. 199). Den Kaufpreis wies er mit Anordnungs- und Buchungsbeleg vom 28. September 2009 von einem Konto der … zur Zahlung an (DA Bl. 198). Anders als sonst innerhalb der … üblich, hatte er nicht vorher mit Frau Dr. R. als zuständiger Fachstelle abgesprochen, ob das Objekt benötigt werde (vgl. deren schriftliche Äußerungen v. 26. und 27.2.2019, DA Bl. 1566 ff.). Das Kunstwerk stand anfangs in seinem Büro. Zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt vor seiner Pensionierung nahm er es mit seinen persönlichen Sachen mit nach Hause (vgl. seine Beschuldigtenvernehmung am 11.12.2012, Staatsanwaltliche Fallakte 1, Fall Nr. 4, Bl. 3). Dort stand es im Keller (vgl. E-Mail v. 25.4.2012 v. Frau V. an Frau L., Staatsanwaltliche Fallakte 1, Fall Nr. 4, Bl. 10). Mit E-Mail vom 25. April 2012 erkundigte sich Frau L. bei Frau V. nach dem Verbleib des Kunstwerks, das Frau V. dann verpackt im Keller fand. Etwa im August 2012 brachte der Beklagte das Kunstwerk, verpackt in einen Karton, in einen ausgelagerten Speicherraum der … nach Garching und stellte es dort ab, ohne dem dortigen Mitarbeiter Herrn R. den Inhalt des Kartons zu offenbaren (vgl. Zeugenaussage Herr R. v. 9.1.2013, Staatsanwaltliche Fallakte 1, Fall Nr. 4, Bl. 17). Der Beklagte äußert zu diesen Vorwürfen, er habe das Glas-Kunst-Objekt vor seiner Pensionierung verpackt, um es Frau Dr. R. zukommen zu lassen. Es sei mit anderen Kartons, die seine private Bibliothek enthalten hätten, zu ihm nach Hause gebracht und dort versehentlich von ihm im Keller eingelagert worden. Dieser Vortrag entlastet ihn nicht. Er widerspricht der schriftlichen Aussage von Frau Dr. R., die angibt, eine Übernahme des Objekts sei nicht mit ihr abgesprochen gewesen (DA Bl. 1566 ff.). Es erscheint zudem nicht nachvollziehbar, wie das Objekt in einen Umzugskarton verpackt ohne sein Zutun in seinen Keller gelangt sein soll. Da es wegen seiner Größe nicht in einen normalen Umzugskarton passte, hätte ihm jedenfalls beim Ausladen auffallen müssen, welchen Gegenstand er eingelagert. Zudem ergab seine spontane Aussage bei der Wohnungsdurchsuchung am 11. Dezember 2012, dass er Kenntnis vom Standort des Objekts hatte. Der Geschehensablauf legt vielmehr nahe, dass er das von ihm ursprünglich für die … erworbene Kunstwerk, dass dort nie Gefallen gefunden hat, bei seiner Pensionierung – aus welchen Gründen auch immer – mit nach Hause genommen hat, um es für sich zu behalten.
Der Beklagte verkaufte außerdem 2008 ein Gemälde für 2850 € an die …, das diese nicht benötigt hat. Die Künstlerin W. hatte ihm das Gemälde „… … …“ geschenkt. Er hatte dieses Gemälde in seinem Büro in der … aufgehängt. Am 1. Februar 2008 überwies er von einem Konto der … 2850 € auf das Privatkonto von Frau V. (Staatsanwaltliche Fallakte 1, Fall Nr. 10, Bl. 4 und 6); als Verwendungszweck war angegeben „Bild von … … … … …“ (Staatsanwaltliche Fallakte 1, Fall Nr. 10, Bl. 5). Frau V. überwies den Betrag auf sein Geheiß weiter auf sein Privatkonto (Staatsanwaltliche Fallakte 1, Fall Nr. 3, Bl. 8 f.). Der Beklagte räumt auch diesen Sachverhalt in der schriftlichen Stellungnahme vom 10. November 2012 ein.
3. Hinsichtlich der verletzten Pflichten und des Verschuldens wird auf die Ausführungen in der Disziplinarklage (dort S. 21 f.) verwiesen (vgl. Art. 3 BayDG, § 117 Abs. 5 VwGO). Im Hinblick auf die dem Beklagten in der Disziplinarklage unter 2. vorgeworfene Tat (Verkauf eines Gemäldes für 3250 € an die …*) kommt zu der insoweit festgestellten Verletzung der Pflicht zur Achtung der Gesetze wegen Begehung einer Untreuehandlung nach § 266 Abs. 1 StGB eine Verletzung dieser Pflicht auch wegen Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB hinzu. Die angeblich von Frau V. erstellte Rechnung vom 29. September 2007 stellt eine unechte Urkunde dar, die der Beklagte hergestellt hat.
4. Sämtliche Verhaltensweisen des Beklagten begründen innerdienstliche Pflichtverletzungen, weil sie in sein Amt und seine dienstlichen Pflichten eingebunden waren (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2018 – 2 C 60.17 – juris Rn. 19). Auch der Diebstahl des Glas-Kunst-Objekts im Rahmen seiner Pensionierung wurde erst durch seine dienstliche Stellung möglich.
5. Das Fehlverhalten des Beklagten wiegt schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BayDG. Da der Beklagte, wäre er noch im Dienst, aufgrund seines Fehlverhaltens nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen, ist ihm als Ruhestandsbeamter nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG das Ruhegehalt abzuerkennen. Die Aberkennung des Ruhegehalts ist auch angemessen und erforderlich.
Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 – 16a D 14.2285 – juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 36).
Bei mehreren Verfehlungen ist die schwerwiegendste maßgeblich (BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 74). Dies ist hier das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, das mit Urteil des Amtsgerichts München vom 10. April 2018 strafrechtlich geahndet wurde.
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen oder aufgrund seines Fehlverhaltens sei eine erhebliche, nicht wieder gut zu machende Ansehensbeeinträchtigung eingetreten (BayVGH, U.v. 28.9.2016 – 16a D 13.2112 – juris Rn. 49).
Zur konkreten Bestimmung der Disziplinarmaßnahmebemessung ist – auch bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen – in einer ersten Stufe auf den Strafrahmen zurückzugreifen, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert des Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Ls. und Rn. 15). Bei dem hier für das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 StGB vorgesehenen Strafrahmen von fünf Jahren ergibt sich in einer Gesamtschau ein Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 20; B.v. 23.1.2014 – 2 B 52.13 – juris Rn. 8). Bei der vorliegenden innerdienstlichen Tat spielt das Strafmaß keine maßgebliche Rolle; unabhängig hiervon wurde der Beklagte aber jedenfalls zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung ist daher die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis bzw. hier die Aberkennung des Ruhegehalts.
Hier hat der Beklagte über einen Zeitraum von sechs Jahren in 206 Einzeltaten Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von mindestens 78.851,48 € vorenthalten. Aufgrund des eindeutigen Hinweises seines Mitarbeiters A. vom 20. November 2000 (DA Bl. 262) war ihm seine gesetzeswidrige Verfahrensweise bewusst. Mit diesem Verhalten hat er im Kernbereich seiner Pflichten als Leiter der Zentralabteilung der … und Haushaltsbeauftragter nach Art. 9 BayHO versagt und ist den hohen Anforderungen, die diese Position an seine persönliche Integrität stellte, nicht gerecht geworden.
Zu Gunsten des Beklagten ist insoweit zu berücksichtigen, dass er nicht eigennützig handelte, sondern ihm vielmehr daran gelegen war, den reibungslosen Betrieb innerhalb der … aufrechtzuerhalten (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 2 B 21.16 – juris Rn. 13; BayVGH, U.v. 13.3.2019 – 16a D 17.908 – juris Rn. 33).
Allerdings kommen zu dem Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt die weiteren, in der Disziplinarklage unter 2. bis 4. dargestellten Taten hinzu. Der Beklagte hat in den Jahren 2007 und 2008 jedenfalls fahrlässig zwei Gemälde zum Preis von 3250 € und 2850 € und im Jahr 2009 ein Glas-Kunst-Objekt zum Preis von 5400 € für die … erworben, die diese nicht benötigt hat, und durch Verschwendung einer Summe von insgesamt 11.500 € dem Grundsatz der wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung (vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 BayHO) zuwider gehandelt. Weiter hat er ein Gemälde, das er mit Mitteln der … erworben hatte und das folglich in deren Eigentum stand, nochmals an diese verkauft und den aus dem Verkauf erzielten Erlös in Höhe von 3250 € auf dem Umweg über das Konto von Frau V. auf sein Konto überweisen lassen, was strafrechtlich als Untreue zu würdigen ist. Für diese Tat hat er außerdem eine angeblich von Frau V. gestellte Rechnung vom 29. September 2007 gefälscht und damit eine Urkundenfälschung begangen. Auch der Erlös aus dem Verkauf des von der … nicht benötigten Gemäldes „… … …“ in Höhe von 2850 € kam ihm selbst zugute. Zudem hat er das Glas-Kunst-Objekt bei seiner Pensionierung mit nach Hause genommen und damit einen Diebstahl begangen.
Im Hinblick auf die Vielzahl der hinzu tretenden Taten und die hierdurch für die … entstandene vermögenswerte Einbuße in Höhe von 11.500 € kommt damit allein die Höchstmaßnahme in Betracht. Zwar stehen das Gemälde „… … …“ und das Glas-Kunst-Objekt noch im Eigentum der …, beide Erwerbshandlungen wären jedoch im Rahmen einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung nicht erforderlich gewesen.
6. Wegen der Schwere des Dienstvergehens, der Vielzahl der Taten und deren ver-mögensmäßigem Umfang kann von der Höchstmaßnahme auch nicht wegen des Vorliegens eines Milderungsgrundes abgesehen werden.
Von der Höchstmaßnahme ist zugunsten einer weniger strengen Disziplinarmaßnahme abzusehen, wenn ein – ursprünglich vom …esverwaltungsgericht zu den Zugriffsdelikten entwickelter – sog. „anerkannter“ Milderungsgrund vorliegt. Diese erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. Zum einen tragen sie existenziellen Notlagen sowie körperlichen und psychischen Ausnahmesituationen – auch einer etwa verminderten Schuldfähigkeit – Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils vor drohender Entdeckung. Auch der Milderungsgrund der Geringwertigkeit kann dazu führen, dass im Hinblick darauf, dass durch das Dienstvergehen nur ein geringer Schaden entstanden ist, von der Höchstmaßnahme abgesehen werden muss (BayVGH, U.v. 28.9.2016 – 16a D 13.2112 – juris Rn. 56; U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 44).
Diese Milderungsgründe stellen jedoch keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Bei der prognostischen Frage, ob gegenüber einem Beamten aufgrund eines schweren Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist, gehören zur Prognosebasis außerdem alle für diese Einschätzung bedeutsamen be- und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Selbst wenn keiner der vorrangig zu prüfenden anerkannten Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar ist. Entlastungsmomente können sich dabei aus allen denkbaren Umständen ergeben. Solche Umstände können das Absehen von der disziplinarischen Höchstmaßnahme rechtfertigen, wenn sie in ihrer Gesamtheit das Gewicht eines anerkannten Milderungsgrundes aufweisen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer die Vorwürfe aufgrund der Schadenshöhe, der Anzahl und Häufigkeit der Taten, der Begehung von „Begleitdelikten“ und anderen belastenden Gesichtspunkten im Einzelfall wiegen. Entlastungsgründe sind nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ bereits dann einzubeziehen, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen sprechen (vgl. BayVGH, U.v. 28.9.2016 – 16a D 13.2112 – juris Rn. 57; U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 45).
Zu Gunsten des Beklagten sind hier folgende Umstände zu berücksichtigen:
Der Beklagte litt sei ca. 1993/1994 an einem Tinnitus, seit 2005 an einer psychischen Erkrankung. Diese im behördlichen und gerichtlichen Disziplinarverfahren nachvollziehbar dargestellten gesundheitlichen Einschränkungen stellen einen Milderungsgrund von großem Gewicht dar. Die psychischen Schwierigkeiten korrespondieren mit seit circa 2005 festgestellten Leistungseinbrüchen. Diese haben sich etwa in der mangelnden Dienstaufsicht über einige Mitarbeiter, der unzulänglichen Erfüllung dienstlicher Aufgaben und in der Folge der kontinuierlich zunehmenden Aufgabenübertragung an seine Nachfolgerin Frau L. gezeigt (vgl. hierzu einen Aktenvermerk des Generaldirektors Dr. G. letztlich v. 11.4.2012, DA 36 f., und das vom Beklagten im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Schreiben v. 29.9.2010 v. Frau L. an Herrn Dr. G.). Der Beklagte beruft sich insoweit auch glaubhaft auf eine für ihn bestehende dienstliche Überlastungssituation.
Zu Gunsten des Beklagten ist weiter zu berücksichtigen, dass der Dienstherr keine Fürsorgemaßnahmen ergriffen hat, obwohl die persönliche und gesundheitliche Überforderung des Beklagten offensichtlich war. Im Hinblick auf seine erkennbaren Leistungseinbrüche wären klärende Gespräche mit ihm und die – gegebenenfalls wiederholte – Anordnung von amtsärztlichen Untersuchungen zur Überprüfung seiner Dienstfähigkeit erforderlich gewesen.
Nicht mildernd berücksichtigt werden können die fehlende straf- und disziplinarrechtliche Vorbelastung des Beklagten und seine bis 2001 sehr guten dienstlichen Leistungen. Die letzte Beurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 1. Juli 1998 bis 31. Mai 2001 kommt zu einem Gesamturteil von 15 Punkten. Angesichts der Schwere des festgestellten Dienstvergehens können jedoch weder die fehlende straf- und disziplinarrechtliche Vorbelastung noch die guten dienstlichen Leistungen zum Ausspruch einer milderen Disziplinarmaßnahme führen. Diese Umstände stellen ein normales Verhalten zur Erfüllung der Dienstpflichten dar. Sie sind nicht geeignet, die Schwere des Dienstvergehens so abzumildern, dass von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte. Die langjährige pflichtgemäße Dienstausübung ist – selbst bei überdurchschnittlichen Leistungen – für sich genommen regelmäßig nicht geeignet, derartige Pflichtverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 09.3029 – juris Rn. 96).
Nicht mildernd berücksichtigt werden kann weiter die lange Dauer des bereits am 8. Oktober 2012 eingeleiteten und damit bis heute knapp acht Jahre dauernden Disziplinarverfahrens. Zum einen ist der größte Zeitanteil davon der Dauer des Strafverfahrens geschuldet, das im Oktober 2012 begonnen hat und erst mit Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts München am 18. April 2018 beendet wurde. Zum anderen kann im Disziplinarrecht die lange Verfahrensdauer nur unterhalb der Maßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und der ihr gleichzusetzenden Aberkennung des Ruhegehalts berücksichtigt werden. Der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessenen Verfahrensdauer lässt sich nicht mit dem Zweck der Disziplinarbefugnis, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, vereinbaren. Diese Schutzgüter schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat (BVerwG, B.v. 22.10.2018 – 2 B 30.18 – juris Rn. 8 f.; BayVGH, U.v. 24.5.2017 – 16a D 15.2267 – juris Rn. 191). Nichts anderes kann im Hinblick auf die Aberkennung des Ruhegehalts gelten.
In einer Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände ist nach Überzeugung des Gerichts die Aberkennung des Ruhegehalts angemessen, aber auch geboten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit den Vermögensstraftaten und der Urkundenfälschung schwerwiegende Straftaten zu dem Veruntreuen und Vorenthalten von Arbeitsentgelt hinzukommen. Die Schwere des Dienstvergehens und das festgestellte Persönlichkeitsbild des Beamten führen zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit.
7. Ein Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufs besteht nicht, obwohl die dem Beklagten vorgeworfenen Taten teilweise sehr lange zurückliegen. Art. 16 BayDG enthält im Hinblick auf die Höchstmaßnahme kein Disziplinarmaßnahmeverbot.
8. Die Aberkennung des Ruhegehalts ist unter Abwägung des Gewichts des Dienstvergehens sowie des dadurch eingetretenen Vertrauensschadens und der mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehenden Belastung auch nicht unverhältnismäßig. Die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst sowie hier die Aberkennung des Ruhegehalts als disziplinarische Höchstmaßnahme verfolgt neben der Wahrung des Vertrauens in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung die Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels durchgreifender Milderungsgründe das Vertrauen zerstört und kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Beamte werde seine Dienstaufgaben künftig pflichtgemäß erfüllen, ist die Entfernung aus dem Dienst die angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Aberkennung des Ruhegehalts beruht dann auf einer schuldhaften schwerwiegenden Pflichtverletzung durch den Beamten und ist diesem als für alle öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Rechtsfolge bei derartigen Pflichtverletzungen zuzurechnen (BayVGH, U.v. 9.12.2015 – 16b D 14.642 – juris Rn. 58).
Die Kostenfolge ergibt sich aus Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.


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