Arbeitsrecht

Wahlvorschlag einer Gewerkschaft bei Untervollmacht durch Beauftragten

Aktenzeichen  3 TaBV 55/20

Datum:
28.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 27781
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 14 Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5, § 19, § 126 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3
WO § 27 Abs. 1, Abs. 2
GG Art. 9 Abs. 3

 

Leitsatz

Es liegt kein Wahlvorschlag einer Gewerkschaft i. S. d. § 14 Abs. 5 BetrVG vor, wenn die Unterzeichner eines Wahlvorschlags von einem Beauftragten unterbevollmächtigt wurden, einen Wahlvorschlag für die Gewerkschaft zu unterzeichnen und beim Wahlvorstand einzureichen. (Rn. 22 – 28)
Kennworte auf Wahlvorschlagslisten für eine Betriebsratswahl können unzulässig sein, wenn das Kennwort den Eindruck erweckt, es handele sich bei der Liste um einen Wahlvorschlag der Gewerkschaft iSd § 14 Abs. 3 und 5 BetrVG, obwohl ein solcher tatsächlich nicht vorliegt (Anschluss an BAG BeckRS 2016, 115209 Rn. 21, Rn. 24). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

26 BV 436/19 2020-07-14 Bes ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 14.07.2020 – 26 BV 436/19 – abgeändert und wie folgt gefasst:
Die Betriebsratswahl vom 25. – 29.11.2019 wird für unwirksam erklärt.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Im Betrieb der zu 1) beteiligten Arbeitgeberin, die verschiedene Pflegeeinrichtungen betreut, fand vom 25. – 29.11.2019 eine Betriebsratswahl statt, aus der der zu 2) beteiligte Betriebsrat hervorging.
Für die Wahl waren drei Wahlvorschläge beim Wahlvorstand eingereicht worden, die dieser am 24.10.2019 veröffentlichte. Der Wahlvorschlag der Liste 2 war von Frau Z und Herr Y unterzeichnet worden. Hierzu legte der Betriebsrat mit Schriftsatz vom 19.06.2020 eine „Vollmacht nach BetrVG“ des Gewerkschaftssekretärs, Bezirk D-Stadt und Region, Herrn E., vom 14.10.2019 vor. Danach war Frau Z und Herrn Y die Vollmacht erteilt worden, als Beauftragte bzw. Beauftragter der ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft einen Wahlvorschlag zur Wahl eines Betriebsrats nach dem Betriebsverfassungsgesetz zu unterzeichnen und einzureichen sowie Erklärungen des Wahlvorstandes entgegenzunehmen und gegenüber dem Wahlvorstand Erklärungen abzugeben (vgl. Anl. Agg 3 = Bl. 235 d. A.). Der Wahlvorschlag der Liste 2 hatte das Kennwort „Wir bestimmen den Weg weiter mit – für die ver.diente Wertschätzung im W!“.
Mit Schreiben vom 25.10.2019 wies der Kandidat und Listenvertreter der Liste 3 darauf hin, dass das verwendete Kennwort der Liste 2 unzulässig sei. Werde im Kennwort eine Gewerkschaftsbezeichnung verwendet, ohne dass der Wahlvorschlag von zwei Beauftragten der betreffenden Gewerkschaft – vorliegend ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft – unterzeichnet sei, habe der Wahlvorstand dieses Kennwort zu streichen und stattdessen die Namen und Vornamen der beiden Erstgenannten auf der Liste zu ersetzen. Die Punktsetzung im verwendeten Wort „verdiente“ vermittle gegenüber dem Wähler den Eindruck, dass dieser Wahlvorschlag durch die ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft unterstützt würde, obwohl er nicht von zwei Gewerkschaftsbeauftragten unterzeichnet worden sei.
Der Wahlvorstand wertete alle drei Vorschlagslisten als gültig und ließ sie zur Wahl zu. Das Kennwort der Liste 2 wurde beibehalten und die Stimmzettel entsprechend ausgestaltet. Am 29.11.2019 wurde das Ergebnis der vom 25. – 29.11.2019 abgehaltenen Betriebsratswahl bekannt gemacht. Auf die Liste 2 entfielen 5 Betriebsratssitze, auf die Liste 1 ein Betriebsratssitz und auf die Liste 3 drei Betriebsratssitze.
Mit dem am 12.12.2019 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Antrag hat die Arbeitgeberin die Feststellung der Nichtigkeit der Wahl begehrt und hilfsweise die Betriebsratswahl angefochten. Sie hat u. a. die Auffassung vertreten, die Liste 2 sei mit einem unzulässigen Kennwort versehen worden und hätte nicht zur Wahl zugelassen werden dürfen. Es sei der falsche Eindruck erweckt worden, es handele sich um einen Wahlvorschlag der Gewerkschaft ver.di. Dies sei nicht der Fall. Der Vorschlag der Liste 2 sei nicht von zwei Beauftragten der Gewerkschaft ver.di – Verdiente Dienstleistungsgewerkschaft unterzeichnet worden. Die Unterzeichner seien nicht zur Abgabe der Erklärung berechtigt gewesen. Nach Maßgabe des § 10 i.V.m. § 23 der Satzung der Gewerkschaft ver.di – Verdiente Dienstleistungsgewerkschaft seien Gewerkschaftsmitglieder nicht berechtigt, verbindliche Erklärungen für die Gewerkschaft abzugeben, sondern ausschließlich der jeweils zuständige örtliche oder bezirkliche Vorstand.
Der Betriebsrat hat zur Begründung seines erstinstanzlichen Zurückweisungsantrags die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem Wahlvorschlag der Liste 2 um einen gewerkschaftlichen Wahlvorschlag im Sinne des § 14 Abs. 5 BetrVG handele, der von zwei Beauftragten der Gewerkschaft ver.di – Verdiente Dienstleistungsgewerkschaft durch ihre Unterschriften gestützt worden sei. Frau Z und Herr Y seien beide von der Gewerkschaft durch Vollmacht vom 14.10.2019 beauftragt worden. Es stehe einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft frei, Personen ihres Vertrauens und mithin auch Gewerkschaftsmitglieder entsprechend zu beauftragen. Hilfsweise hat der Betriebsrat darauf hingewiesen, dass das Listenkennwort der Liste 2 „…für die verdiente Wertschätzung im W“ nicht die unmittelbare Behauptung entnommen werden könne, die Gewerkschaft ver.di – Verdiente Dienstleistungsgewerkschaft sei Urheberin der Liste. Statt des vollständigen Namens der Gewerkschaft seien nur die Buchstaben „ver.di“ als Bestandteil des Wortes „verdient“ verwendet worden. Es ginge im Gesamtkontext um die Wertschätzung, die die Arbeitnehmer nach Ansicht des Betriebsrates durch ihre Leistung verdienten.
Das Arbeitsgericht München hat die Anträge durch Beschluss vom 14.07.2020 – 26 BV 436/19 – zurückgewiesen und u.a. zur Begründung ausgeführt, dass der Wahlvorstand die Liste 2 zur Wahl habe zulassen dürfen. Die Bezeichnung „ver.diente Wertschätzung im W!“ im Kennwort der Vorschlagsliste Nr. 2 sei zulässig. Der Eindruck, es handele sich bei der Liste 2 um einen Wahlvorschlag der Gewerkschaft ver.di – Verdiente Dienstleistungsgewerkschaft nach § 14 Abs. 3 und 5 BetrVG sei zutreffend. Mit dem Wahlvorschlag der Liste 2 liege ein Vorschlag dieser Gewerkschaft im Sinne des § 14 Abs. 5 BetrVG vor. Die Vorschlagsliste sei von zwei Beauftragten der Gewerkschaft ver.di – Verdiente Dienstleistungsgewerkschaft unterzeichnet worden, nämlich durch die Gewerkschaftsmitglieder Z sowie Y. Diese seien durch das als „Vollmacht nach BetrVG“ überschriebene Schreiben vom 14.02.2019, unterzeichnet durch den Gewerkschaftssekretär, Bezirk D-Stadt und Region, bevollmächtigt worden, als Beauftragte einen Wahlvorschlag zur Betriebsratswahl für die Gewerkschaft zu unterzeichnen und einzureichen. Ein gewerkschaftlicher Wahlvorschlag müsse nicht durch ein nach der Satzung vertretungsberechtigtes Organ der Gewerkschaft unterschrieben sein. Die Gewerkschaft entscheide selbst, wer ihre Beauftragten seien. Es sei nicht vorgeschrieben, dass die Beauftragten überhaupt Mitglieder der Gewerkschaft sein müssten, geschweige denn Organstellung haben müssten. Die Vertretungsmacht könne aus der Satzung der Gewerkschaft folgen, aber auch durch das satzungsmäßig zuständige Organ rechtsgeschäftlich formfrei (§ 167 Abs. 2 BGB) erteilt werden. Diese Voraussetzung sei vorliegend erfüllt. Es sei auch unschädlich, dass der Wahlvorstand nicht verlangt habe, dass die Gewerkschaft die Beauftragung bestätige oder durch schriftliche Vollmachtsvorlage nachweise. Dieses Recht bestehe nur in Zweifelsfällen, die hier auf Seiten des Wahlvorstandes nicht vorhanden gewesen seien.
Gegen diesen, ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 11.08.2020 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 11.09.2020 Beschwerde beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese am selben Tage begründet.
Das von der Liste 2 gewählte Listenkennwort sei unzulässig, weil mit der Liste 2 kein gewerkschaftlicher Wahlvorschlag im Sinne des § 14 Abs. 5 BetrVG vorliege. Die (angebliche) Vollmacht vom 14.10.2020 sei nur von einer Person, nämlich dem Gewerkschaftssekretär E. unterzeichnet worden. Demgegenüber sähen §§ 28 Abs. 3 und 29 Abs. 1 Satz 2 der Satzung vor, dass in bezirklichen Angelegenheiten der Bezirksvorstand in Zusammenarbeit mit der Bezirksgeschäftsführung ver.di – Verdiente Dienstleistungsgewerkschaft vertrete. Im Übrigen bestreitet die Arbeitgeberin, dass die vorgelegte Vollmacht tatsächlich vom 14.10.2019 stamme; andernfalls wäre sie früher als mit Schriftsatz vom 19.06.2020 vorgelegt worden.
Die Arbeitgeberin beantragt unter Rücknahme der Beschwerde im Übrigen, unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts München vom 14.07.2020 – 26 BV 436/19 – die Betriebsratswahl vom 25.11.2019 bis zum 29.11.2019 für unwirksam zu erklären.Der Betriebsrat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen und legt ein Schreiben der ver.di – Verdiente Dienstleistungsgewerkschaft vom 18.11.2020, unterzeichnet von der stellvertretenden Geschäftsführerin ver.di D-Stadt, vor, in dem es heißt:
„…der Gewerkschaftssekretär E. …, ist als Beauftragter von ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft bevollmächtigt, Wahlvorschläge zur Wahl von Betriebsräten nach dem Betriebsverfassungsgesetz zu unterzeichnen und einzureichen, sowie Erklärungen des Wahlvorstandes entgegenzunehmen und gegenüber dem Wahlvorstand Erklärungen abzugeben.“
Darüber hinaus meint der Betriebsrat, dem Gewerkschaftssekretär E. sei es weder tatsächlich noch rechtlich verwehrt gewesen, andere Personen als weitere Gewerkschaftsvertreter im Sinne des § 14 Abs. 5 BetrVG zu beauftragen. Dies ließe sich weder dem Gesetzeswortlaut noch dem Wortlaut der Wahlordnung entnehmen. Da das BetrVG nach ganz herrschender Meinung Teil des Privatrechts sei und eine Stellvertretung nach bürgerlichem Recht grundsätzlich zulässig sei, sei von der Vollmacht auch die Erteilung einer Untervollmacht gedeckt. Im Hinblick auf die satzungsmäßigen Aufgaben, die u.a. in der Unterstützung der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen sowie in der Wahrung und Entfaltung der gewerkschaftlichen Handlungsfähigkeit in Betrieben, Unternehmen und Verwaltungen (vgl. § 5 Nr. 2, Nr. 3 lit. m) Satzung ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft), habe ver.di – Verdiente Dienstleistungsgewerkschaft auch kein erkennbares Interesse am ausschließlich persönlichen Tätigwerden des ursprünglich bevollmächtigten Gewerkschaftsbeauftragten i. S. d. § 14 Abs. 5 BetrVG. Schließlich stehe der Wirksamkeit des streitgegenständlichen Wahlvorschlags nicht entgegen, dass die Arbeitnehmer Z und Y von ein und derselben Person unterbevollmächtigt worden seien. Jeder Gewerkschaftsbeauftragte i. S. d. § 14 Abs. 5 ziehe seine Legitimation aus der Vollmacht, die der satzungsmäßige Vertreter der Gewerkschaft erteilt habe. Wenn die Auffassung vertreten würde, dass ein und dieselbe Person nicht zugleich zwei Gewerkschaftsbeauftragte beauftragen könne, so könnte die gesetzliche Vorgabe der Unterzeichnung durch zwei Gewerkschaftsbeauftragte letztlich nie erfüllt werden, da auch die Beauftragung durch das satzungsmäßige Organ letztlich immer ein und dasselbe Organ vornehme. Das Kennwort der Liste 2 sei auch dann nicht unzulässig, wenn der Wahlvorschlag der Liste 2 als ein nicht gewerkschaftlicher Wahlvorschlag anzusehen wäre. Das Kennwort sei nur ein Teil des Eigennamens und dies auch wiederum nicht alleinstehend im Sinne eines Kurznamens, sondern nur als die erste Hälfte des Wortes „ver.diente“ enthalten.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht einge legt und begründet worden, §§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die vom 25.11. – 29.11.2019 durchgeführte Betriebsratswahl ist unwirksam.
a) Der allein noch rechtshängige Wahlanfechtungsantrag ist zulässig. Die formellen Voraussetzungen einer zulässigen Wahlanfechtung sind erfüllt. Die Antragstellerin ist nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Anfechtung berechtigt. Sie hat die Betriebsratswahl mit ihrer am 12.12.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses am 29.11.2019 fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten.
b) Der Antrag ist auch begründet.
aa) Nach § 19 BetrVG kann die Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Es liegt ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren vor, wenn der Wahlvorschlag eine Wahlvorschlagsliste zur Wahl zugelassen hat, obwohl die Liste ein unzulässiges Kennwort enthält (vgl. BAG, Beschluss vom 26.10.2016 – 7 ABR 4/15 – Rn. 17 ff.). Kennworte auf Wahlvorschlagslisten können insbesondere dann unzulässig sein, wenn das Kennwort den Eindruck erweckt, es handele sich bei der Liste um einen Wahlvorschlag der Gewerkschaft im Sinne des § 14 Abs. 3 und 5 BetrVG, obwohl ein solcher nicht vorliegt (vgl. BAG, Beschluss vom 26.10.2016 – 7 ABR 4/15 – Rn. 21 und 24).
Durch § 14 Abs. 5 BetrVG wird festgelegt, wann ein gewerkschaftlicher Wahlvorschlag vorliegt. Nach dieser Vorschrift muss jeder Wahlvorschlag der Gewerkschaft von zwei Beauftragten unterzeichnet sein. Nur so können rechtssicher Streitigkeiten darüber vermieden werden, unter welchen Voraussetzungen sich ein Wahlvorschlag durch sein Kennwort als „gewerkschaftlicher“ bezeichnen darf. Das schließt allerdings nicht aus, dass auf einem Wahlvorschlag nach § 14 Abs. 5 BetrVG zusätzlich Stützunterschriften wahlberechtiger Arbeitnehmer gesammelt werden, um etwa zu verdeutlichen, dass es sich auch um einen aus der Belegschaft unterstützten Wahlvorschlag handelt (vgl. BAG, Beschluss vom 26.10.2016 – 7 ABR 4/15 – Rn. 25 m.w.N.). Wer Beauftragter ist, entscheidet die Gesellschaft selbst (vgl. Thüsing in Ricardi, BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 14 Rn. 48; ErfK/Koch., 21. Aufl. 2021, § 14 BetrVG, Rn. 8; Fitting u.a. BetrVG, 30. Aufl. 2020, § 14 BetrVG, Rn. 68; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.01.2017 – 3 TaBVGa 3/16 – Rn. 54). Es können sowohl hauptberufliche Angestellte der Gewerkschaft als auch Arbeitnehmer des Betriebs oder eines anderen Betriebs in ehrenamtlicher Funktion beauftragt werden (vgl. etwa Fitting, a.a.O., Rn. 68 m.w.N.). Allerdings muss sich die Beauftragung entweder unmittelbar aus der Satzung der Gewerkschaft ergeben oder durch die ihre satzungsmäßigen Organe ordnungsgemäß ausgesprochen worden sein (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.01.2017 – 3 TaBVGa 3/16 – Rn. 55; Fitting, a.a.O., § 14 Rn. 68; ErfK/Koch., a.a.O., Rn. 8; Besgen in BeckOK Arbeitsrecht, Hrsg. Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, 58. Ed. 01.12.2020, § 14 Rn. 21).
bb) Danach durfte der Wahlvorschlag der Liste 2 mit dem genannten Kennwort nicht zugelassen werden.
(1) Es liegt kein Wahlvorschlag einer Gewerkschaft i. S. v. § 14 Abs. 5 BetrVG vor. Die Unterzeichner des Wahlvorschlags der Liste 2 sind nicht Beauftragte von ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft gem. § 14 Abs. 5 BetrVG.
Unstreitig leitet sich die Beauftragung der Arbeitnehmer Z und Y nicht unmittelbar aus der Satzung von ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ab. Beide Arbeitnehmer sind aber auch nicht durch die satzungsmäßigen Organe der Gewerkschaft zur Einreichung von Wahlvorschlägen beauftragt worden. In bezirklichen Angelegenheiten, zu denen die Unterstützung von Betriebsräten zählt, wird ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft durch den/die Bezirksgeschäftsführer/in zusammen mit dem Vorsitzenden des Bezirksvorstands vertreten, §§ 28 Abs. 3 d) und 29 Nr. 1 der Satzung. Demgegenüber hat die Vollmacht vom 14.10.2019 der Gewerkschaftssekretär des Bezirks D-Stadt und Region Herr E. allein ausgestellt, der weder Vorsitzender des Bezirksvorstands noch Bezirksgeschäftsführer der Gewerkschaft ist.
Entgegen der Auffassung des Betriebsrats war es nicht zulässig, dass der Gewerkschaftssekretär des Bezirks D-Stadt und Region die Arbeitnehmer Z und Y durch Untervollmacht mit der Unterzeichnung und Einreichung der Wahlvorschlagsliste der Liste 2 als gewerkschaftlichen Wahlvorschlag i. S. d. § 14 Abs. 5 BetrVG beauftragte. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck des § 14 Abs. 5 BetrVG und § 27 Abs. 2 WO i.V.m. § 126 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.
Während § 14 Abs. 5 BetrVG nur von zwei „Beauftragten“ spricht, konkretisiert § 27 Abs. 2 WO diese als „Beauftragte(n) der Gewerkschaft“. „Beauftragte der Gewerkschaft“ sind aber nur solche Personen, die die Gewerkschaft entweder durch ihre Satzung oder durch Vollmacht ihrer verfassungsmäßigen Organe bestimmt. Andernfalls handelt es sich um die Beauftragten der Beauftragten der Gewerkschaft. Da an die Abgabe von Erklärungen bei Wahlen besonders strenge formelle Anforderungen zu stellen sind, hätte dies eine entsprechende Klarstellung durch den Gesetzgeber bzw. Verordnungsgeber wie „Beauftragte der Gewerkschaften oder der von diesen Beauftragten“ bedurft.
Zudem sind die Grundsätze des BGB über die Vollmachtserteilung – gewillkürte Stellvertretung – auf die Wahlvorschriften nach dem BetrVG nicht anwendbar. Für die Regelung in § 14 Abs. 4 BetrVG, wonach jeder Wahlvorschlag der Arbeitnehmer von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, mindestens jedoch von drei Wahlberechtigten, unterzeichnet sein muss, ist anerkannt, dass der Wahlvorschlag von der geforderten Zahl wahlberechtigter Arbeitnehmer persönlich unterschrieben sein muss und eine Stellvertretung deshalb ausscheidet (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14.01.2016 – 5 TaBV 19/15 – Rn. 29; Fitting u.a., a.a.O., § 14 Rn. 52; ErfK/Koch., a.a.O., § 14 Rn. 7). Diese Auffassung wird durch §§ 6 Abs. 5, 8 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 WO bestätigt, die für § 14 Abs. 4 BetrVG eine „Unterschrift“ erfordern. Da § 27 Abs. 1 WO die entsprechende Geltung dieser Regelungen für den Wahlvorschlag einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft anordnet, wäre auch für den gewerkschaftlichen Wahlvorschlag eine Stellvertretung ausgeschlossen.
Schließlich dient die Regelung des § 14 Abs. 5 BetrVG wie die des § 14 Abs. 4 BetrVG dazu, die Betriebsratswahl auf ernsthafte Bewerber zu beschränken. Während § 14 Abs. 4 BetrVG für den nicht gewerkschaftlichen Wahlvorschlag deshalb ein Mindestquorum wahlberechtigter Arbeitnehmer des Betriebs verlangt, setzt § 14 Abs. 5 BetrVG voraus, „dass eine Gewerkschaft hinter dem Wahlvorschlag steht“ (vgl. Fitting u.a., a.a.O., § 14 BetrVG Rn. 67). Das gesetzgeberische Ziel, nur ernsthafte Bewerber zur Betriebsratswahl zuzulassen, setzt deshalb voraus, dass der Auftrag zur Unterzeichnung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlags – wenn er sich nicht schon aus der Satzung der Gewerkschaft selbst ergibt – durch die satzungsmäßigen Organe der Gewerkschaft (wirksam) erteilt wird. Die gesetzliche Regelung, dass zwei Beauftragte den gewerkschaftlichen Vorschlag zu unterzeichnen haben, verlöre jeden Sinn, wenn es genügen würde, dass ein Gewerkschaftsbeauftragter Dritte rechtsgeschäftlich bevollmächtigen könnte, ihn bei der Unterzeichnung der Wahlvorschlagsliste zu vertreten (s.a. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14.01.2016 – 5 TaBV 19/15 – Rn. 29 für den Fall, dass ein Beauftragter den anderen Beauftragten bevollmächtigt, ihn bei Änderungen des von ihm bereits unterzeichneten Wahlvorschlags zu vertreten; zustimmend insbesondere Jacobs in GK-BetrVG, Bd. 1, 11. Aufl. 2018, § 27 WO Rn. 3). Das vom Gesetz vorgesehene Vieraugenprinzip bei gewerkschaftlichen Wahlvorschlägen würde andernfalls faktisch aufgehoben sein.
Im Übrigen stünde der Unterbevollmächtigung zweier Gewerkschaftsmitglieder i. S. d. § 14 Abs. 5 BetrVG durch allein den Gewerkschaftssekretär des Bezirks D-Stadt und Region entgegen, dass die Satzung von ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft die Vertretung der Gewerkschaft immer in die Hände zweier Personen legt.
(2) Die Zulassung der Liste 2 mit dem Kennwort „Wir bestimmen den Weg weiter mit – für die ver.diente Wertschätzung im W!“ zur Betriebsratswahl war geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Mit den Worten „ver.diente Wertschätzung im W!“ liegt eine Anknüpfung an das im Alltagsleben gebräuchliche Logo „ver.di“ der Gewerkschaft „ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft“ vor, die nahelegt, es handele sich um einen Wahlvorschlag dieser Gewerkschaft. Dem steht nicht entgegen, dass es sich dabei um ein „Wortspiel“ handelt. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Verwechslung mit einem gewerkschaftlichen Wahlvorschlag ist die Erkennbarkeit der Marke „ver.di“, die bildnerisch durch die Punktsetzung herbeigeführt wird. Diese Beurteilung wird durch das Schreiben des Kandidaten und Listenführers der Liste 3 vom 25.10.2019 bestätigt (Bl. 72 d. A.), der frühzeitig darauf hinwies, dass die Punktsetzung im verwendeten Wort „ver.diente“ gegenüber dem Wähler den Eindruck vermittelt, dass dieser Wahlvorschlag durch die ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft unterstützt würde. Im Übrigen ist es nicht nachvollziehbar, dass der Betriebsrat einerseits darauf hinweist, dass die Nutzung des Logos „ver.di“ durch die Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sei und andererseits bestreitet, dass das Logo von „ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft“ im Kennwort des Wahlvorschlags der Liste 2 verwandt worden sei.
Die unveränderte Zulassung der Liste könnte auch geeignet gewesen sein, das Wahlergebnis zu beeinflussen (vgl. BAG, Beschluss vom 26.10.2016 – 7 ABR 4/15 – Rn. 32). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auf die Vorschlagsliste Nr. 2 eine andere Anzahl von Stimmen und Betriebsratssitzen entfallen wäre, wenn das unzulässige Kennwort gestrichen und die Liste stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden ersten in der Liste benannten Wahlbewerber bezeichnet worden wäre.
III.
Die Rechtsbeschwerde war nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die grundsätzlichen Fragen sind durch den Beschluss des LAG Rheinland-Pfalz vom 14.01.2016 – 5 TaBV 19/15 – entschieden worden, dem weder in Rechtsprechung noch in Literatur widersprochen worden ist. Zudem gründet sich die Entscheidung auf die Satzung einer einzelnen Gewerkschaft.


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