Arbeitsrecht

Wirksamkeit einer außerordentlicher Kündigung

Aktenzeichen  12 Ca 4164/19

Datum:
16.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 57756
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 102 Abs. 1 S. 2, § 103, § 83, § 28 Abs. 1, § 27 Abs. 3 S. 4
BGB § 626 Abs. 1
KSchG § 15 Abs. 1

 

Leitsatz

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. In diesem Fall ist gemäß § 15 Abs. 1 KSchG auch die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds zulässig. (Rn. 82) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf € 18.450,00 festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Bereits die Kündigung vom 04.04.2019 hat das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos beendet.
I.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist für die vorliegende Kündigungsschutzklage gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. b ArbGG eröffnet.
Der Gerichtsstand Stadt M ergibt sich aus dem Sitz der Beklagten, §§ 12, 17 ZPO.
II.
Die außerordentliche Kündigung vom 04.04.2019 ist wirksam.
1. Die Kündigung wurde gemäß §§ 4, 7, 13 KSchG in Dreiwochenfrist durch Kündigungsschutzklage angegriffen, so dass die Wirksamkeit der Kündigung nicht fingiert wird.
2. Die Kündigung ist nicht wegen unvollständiger oder irreführender Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG unwirksam.
a. Soweit die Beklagte im gerichtlichen Verfahren Sachverhalte vorträgt, die erst nach der Anhörung und der Zustimmung des Betriebsrats vorgefallen sind, führt dies nicht zu einer unvollständigen Betriebsratsanhörung. Über in der Zukunft liegende Vorgänge wie z.B. das folgende Presseecho oder die noch weiter geführten Ermittlungen und deren Ergebnisse konnte die Beklagte den Betriebsrat noch gar nicht informieren. Die Vollständigkeit beurteilt sich nach dem zeitlichen Horizont der Information.
Allerdings kann der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren nur mit den Tatsachen argumentieren, zu denen auch der Betriebsrat angehört wurde, nicht also etwa mit dem „Presseecho“.
b. Der Betriebsrat wurde auch nicht irreführend informiert.
Allerdings wurde dem Betriebsrat und auch dem Gericht eine Ermahnung vorgelegt, die sich unstreitig nicht bzw. nicht mehr in der Personalakte des Klägers befindet, nämlich die Ermahnung vom 15.07.2016 (Bl. 85 d.A.).
Hier wird offenbar, dass die Beklagte über den Kläger nicht nur eine Personalakte führt, sondern auch Unterlagen separat von dieser aufbewahrt.
Hierin liegt jedenfalls auf den ersten Blick ein Verstoß gegen § 83 BetrVG und gegen Datenschutzrecht.
Davon zu unterscheiden ist indes die vorliegend zu entscheidende Frage, ob der Betriebsrat durch Vorlage der Ermahnung getäuscht wurde. Diese Frage ist zu verneinen.
Der Kläger hat die Ermahnung unstreitig erhalten. Er hat die der Ermahnung zugrundeliegende Anzeige beim Gewerbeaufsichtsamt auch unstreitig erstattet.
Die Beklagte hat dem Betriebsrat daher den zutreffenden Sachverhalt mitgeteilt, wodurch eine Irreführung ausscheidet.
Ebenso verhält es sich mit dem in der Betriebsratsanhörung enthaltenen Bericht über Vorgänge, in deren Zusammenhang Abmahnungen aufgrund gerichtlicher Verfahren wieder aus der Personalakte des Klägers entfernt werden mussten.
c. Die Unterrichtung ist auch im übrigen vollständig.
Die Beklagte hat den Betriebsrat in einem ausführlichen Schreiben unter Beigabe von umfangreichen Anlagen den aus ihrer Sicht maßgeblichen Sachverhalt dargelegt. Nach Vorlage der Anlagen an das Gericht im Rahmen der Duplik vom 20.12.2019 hat der Kläger die Vollständigkeit der Betriebsratsanhörung nicht mehr in Abrede gestellt.
3. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung gemäß § 103 BetrVG erteilt. Dabei kann die Frage offenbleiben, ob der Betriebsrat Verfahrensfehler begangen hat, denn die Beklagte durfte sich auf die Mitteilung des Betriebsratsvorsitzenden vom 19.03.2019 verlassen, nach der am 19.03.2019 ein Beschluss nach § 103 BetrVG gefasst worden war.
a. Nach der von beiden Parteien in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.08.1984 (AZR 391/83, NZA 1985, 254) darf der Arbeitgeber auf die Wirksamkeit eines Zustimmungsbeschlusses nach § 103 BetrVG vertrauen, wenn ihm der Betriebsratsvorsitzende oder sein Vertreter mitteilt, der Betriebsrat habe die beantragte Zustimmung erteilt. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn der Arbeitgeber Tatsachen kennt oder kennen muss, aus denen die Unwirksamkeit des Beschlusses folgt. Eine Erkundigungspflicht des Arbeitgebers besteht insofern nicht.
b. Im vorliegenden Fall kann sich die Beklagte nach diesen Kriterien auf den Vertrauensschutz berufen.
Als der Beklagten bekannte Tatsachen, aus denen sich die Unwirksamkeit des vom Betriebsratsvorsitzenden mitgeteilten Zustimmungsbeschlusses ergeben soll, hat der Kläger zunächst die Delegation der Anhörungen nach §§ 102, 103 BetrVG auf zwei Personalausschüsse geltend gemacht.
Dabei übersieht er indes, dass Gesamtgremium die nach § 103 BetrVG zu treffende Entscheidung jederzeit durch einen entsprechenden Beschluss wieder an sich ziehen kann, §§ 28 Abs. 1, 27 Abs. 3 S. 4 BetrVG. Die Beklagte durfte angesichts der Mitteilung des Betriebsratsvorsitzenden vom 19.03.2019 davon ausgehen, dass dies im vorliegenden Fall auch geschehen ist.
Da der Kläger im fraglichen Zeitraum sowohl ein Verfahren zur Anfechtung der letzten Betriebsratswahl betrieb als auch andere Mitglieder des Betriebsrats der Korruption beschuldigte, war es auch sehr naheliegend, dass der Betriebsrat sich dieser konkreten Personalie im Gesamtgremium annehmen würde.
Auch die kurze Dauer bis zum Zustimmungsbeschluss und der Umfang der Unterlagen führt entgegen der Argumentation des Klägers nicht zu einem anderen Ergebnis.
Die Notwendigkeit eines sehr zügigen Vorgehens ergibt sich bereits aus der Kürze der Fristen in §§ 102, 103 BetrVG, 626 Abs. 2 BGB.
Gerade im Zeitalter von E-Mail-Kommunikation sind Ladung und Durchführung einer ordnungsgemäßen außerordentlichen Betriebsratssitzung auch praktisch ohne weiteres möglich. Dazu kommt, dass dem Betriebsrat nach dem vom Kläger nicht substantiiert in Abrede gestellten Vortrag der Beklagten der Eingang des Antrags nach § 103 BetrVG vorab avisiert worden war.
Der Umfang der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen von nicht mehr als einem Ordner spricht auch nicht für eine Überrumpelung.
Die Beklagte konnte daher der Mitteilung des Betriebsratsvorsitzenden über den Beschluss nach § 103 BetrVG Vertrauen schenken. Konkrete Verfahrensfehler des Betriebsrats hat der Kläger im übrigen nicht vorgetragen.
c. Der Kläger dringt schließlich auch mit dem Argument nicht durch, die Anhörung sei schon gegenüber der falschen Person erfolgt.
Selbst wenn man den Betriebsratsvorsitzenden aufgrund der Delegation der Entscheidung nach § 103 BetrVG auf einen Ausschuss nicht als Empfangsvertreter ansehen möchte (so der Kläger unter Bezugnahme auf eine in einem anderen Kontext ergangene ältere Entscheidung), so ist der Betriebsratsvorsitzende jedenfalls Empfangsbote und hat in dieser Eigenschaft die Anhörung und den Zustimmungsantrag dem zuständigen Gremium übermittelt.
4. Es liegt auch ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB, § 15 Abs. 1 KSchG vor.
a. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. In diesem Fall ist gemäß § 15 Abs. 1 KSchG auch die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds zulässig.
Beim wichtigen Grund ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. etwa BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, „Emmely“).
Nach diesen Grundsätzen liegt im vorliegenden Fall ein wichtiger Grund gemäß §§ 626 Abs. 1 BGB, 15 Abs. 1 KSchG vor.
b. Dabei ergibt sich der wichtige Grund „an sich“ allerdings nicht aus einer Beleidigung oder anderen Ehrverletzung des Arbeitgebers.
Ehrverletzende Äußerungen eines Arbeitnehmers wie der in der E-Mail vom 07.03.2019 angestellte Vergleich der Beklagten mit der türkischen Militärdiktatur können grundsätzlich „an sich“ einen wichtigen Grund für eine Kündigung abgeben, hierbei ist indes eine Abwägung mit dem für die freiheitliche Grundordnung überragend wichtigen Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG erforderlich (vgl. insbesondere BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, NZA 2006, 656). Bei dieser Abwägung der Grundrechtspositionen ist jeweils die am wenigsten anstößige Auslegung der fraglichen Äußerung zu Grunde zu legen. Einer Äußerung darf kein Sinn beigelegt werden, den sie nicht besitzt; bei mehrdeutigen Äußerungen muss eine ebenfalls mögliche Deutung mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden (BAG, a.a.O., Rz. 27).
Im vorliegenden Fall liegt es nahe, dass der vom Kläger angestellte Vergleich darauf zielt, dass bei der Beklagen auf Veranlassung der Unternehmensleitung ein Verbot der Verwendung der türkischen Sprache ausgesprochen wurde.
Daneben ist aber auch die Deutung möglich, dass der Kläger – sehr zugespitzt – auf eine von einem einzelnen Vorgesetzten ausgesprochene Aufforderung hinweisen wollte, die türkische Sprache nicht zu verwenden.
In diesem zweiten Sinne verstanden zielt die Äußerung des Klägers auf einen zutreffenden Tatsachenkern, da auch nach dem Ermittlungsergebnis der Beklagten von einem Vorgesetzten die Bitte ausgesprochen wurde, während der Arbeit deutsch zu sprechen.
Damit ist die Äußerung des Klägers von der Meinungsfreiheit gedeckt.
c. Der wichtige Grund „an sich“ liegt jedoch in einem Verstoß gegen das arbeitsvertragliche Rücksichtnahmegebot nach § 241 Abs. 2 BGB, das den Arbeitnehmer verpflichtet, auf die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbaren Umfang zu wahren. Aus letzterem ergibt sich insbesondere, dass ein Arbeitnehmer verpflichtet ist, den Arbeitgeber über alle wesentlichen Vorkommnisse im Betrieb in Kenntnis zu setzen und insbesondere nicht vor einer betrieblichen Prüfung ungeklärte Sachverhalte nach außen zu tragen (vgl. BAG vom 03.07.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 – „Whistle Blower“).
Hiergegen hat der Kläger verstoßen, indem er mit der E-Mail vom 07.03.2019 eine zugespitzte und für die Beklagte in dieser Form negative und potentiell sehr geschäftsschädigende Aussage über einen wesentlichen internen Vorgang nach außen trug, ohne zuvor oder auch nur gleichzeitig oder unmittelbar danach die Beklagte in die Lage zu versetzen, den Vorgang intern aufzuklären.
i. Die Beklagte beschäftigt in Deutschland und im Konzern weltweit Mitarbeiter vieler verschiedener Nationalitäten und Ethnien. Dass es hierbei auch zu Konflikten kommt, die mit den Nationalitäten zusammenhängen, ist unvermeidlich. Für die Beklagte ist es von elementarer Bedeutung, diese Konflikte professionell zu bewältigen und idealerweise in einem frühen Stadium zu erkennen und gegenzusteuern.
ii. Ein – wie in der E-Mail vom 07.03.2019 suggeriertes – generelles Verbot der Benutzung der Muttersprache für Mitarbeiter eines Herkunftslands ist kein zuträgliches Mittel zur Bewältigung solcher Konflikte, sondern verstärkt diese und stellt unter Umständen eine gravierende Diskriminierung und in jedem Fall ein Fehlverhalten des Vorgesetzten dar, der das Verbot ausspricht. Der Ausspruch eines solchen Verbots wäre für die Beklagte ein wesentliches betriebliches Vorkommnis, das das Ansehen der Beklagten auf dem Absatzmarkt, aber auch auf dem Arbeitsmarkt gefährden kann.
iii. Der Kläger hat dieses Vorkommnis durch die Versendung der EMail vom 07.03.2019 an eine nicht mehr bei der Beklagten beschäftigte Person und an das türkische Generalkonsulat nach außen getragen, ohne der Beklagten zuvor die Möglichkeit gegeben zu haben, den Sachverhalt zu ermitteln und nötigenfalls abzustellen. Er hat der Beklagen auch bis zur letzten mündlichen Verhandlung nicht umfassend mitgeteilt, auf welchen konkreten Vorgängen und Hinweisen seine E-Mail vom 07.03.2019 beruhte.
iv. Es wäre dem Kläger auch möglich gewesen, seiner Loyalitätspflicht zu genügen, ohne dadurch Kollegen in Schwierigkeiten zu bringen, die ihn über den Vorgang informiert hatten.
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass sich der Kläger insoweit in einem gewissen Loyalitätskonflikt befand: Eine Meldung an Personal- oder Complianceabteilung wird diese zu Ermittlungen veranlassen, in deren Verlauf die Beklagte früher oder später auch die Kollegen befragen wird, die den Kläger involviert bzw. informiert haben, und diese Befragung werden diese Kollegen unter Umständen als unangenehm empfinden.
Zur Lösung dieses Konflikts hätten der Kläger hätte aber zunächst den Sachverhalt in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied selbst zunächst weiter aufklären und eventuell im Gespräch mit dem betroffenen Vorgesetzten abstellen können, hierbei hätte er andere Betriebsratsmitglieder um Unterstützung bitten können und er hätte vor allem eine Aufklärung in einer kleinen Runde anregen und diese dann aktiv unterstützen können. Wenn diese Bemühungen nicht erfolgreich gewesen wären, wäre es weiter möglich gewesen, die Thematik intern weiter zu eskalieren.
Möglich wäre ihm insbesondere auch eine Beschwerde gemäß § 84 BetrVG gewesen. Eine solche Beschwerde ist die E-Mail vom 07.03.2019 entgegen der Auffassung des Klägers schon wegen der Versendung an eine unternehmensfremde Person und das türkische Generalkonsulat nicht.
v. Die Vorgehensweise des Klägers ist auch nicht in Anwendung der zum „Whistle Blower“ entwickelten Grundsätze gerechtfertigt. In den Whistle-Blower-Fällen setzt die Rechtfertigung von Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber zum einen voraus, dass nicht leichtfertig unwahre oder infundierte Behauptungen aufgestellt werden und dass zum zweiten keine Anzeigen nach Außen erstattet wird, ehe eine interne Beschwerde versucht wurde. An beiden fehlt es hier.
vi. Der Kläger kann sich auch nicht damit rechtfertigen, dass er in Erfüllung seiner Aufgabe als Betriebsrat gehandelt habe.
Dabei ist zunächst zutreffend, das Fehlverhalten von Betriebsratsmitgliedern, die lediglich ihre Betriebsratstätigkeit betreffen, keine Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sondern lediglich Maßnahmen gemäß § 23 BetrVG nach sich ziehen können.
Mit der Weiterleitung der E-Mail an das türkische Generalkonsulat und eine weitere außerbetriebliche Person hat der Kläger indes die Grenze der Betriebsratsarbeit überschritten.
d. Die Kündigung entspricht auch dem Prognoseprinzip.
Nach diesem Prinzip ist die Kündigung keine Sanktion eines Fehlverhaltens. Vielmehr ist eine Kündigung auf Grund eines Fehlverhaltens des Arbeitnehmers nur dann gerechtfertigt, wenn auf Grund des Verhaltens eine Prognose dahin möglich ist, dass der Arbeitnehmer dieses oder ein ähnliches Verhalten wiederholen wird. Zur Objektivierung dieser Prognose ist regelmäßig erforderlich, dass der Arbeitnehmer zuvor wegen eines vergleichbaren Verhaltens abgemahnt wurde. Ausnahmsweise ist eine Abmahnung dann entbehrlich, wenn der Vertrauensbereich betroffen ist bzw. wenn der Arbeitnehmer es unter keinem Gesichtspunkt für möglich halten konnte, dass der Arbeitgeber das Verhalten hinnimmt.
Im vorliegenden Fall ist der Kläger einschlägig abgemahnt.
Einschlägig ist insbesondere die Abmahnung wegen der Betätigung des Notstoppschalters. In dem der Abmahnung zugrundeliegenden Vorgang betätigte der Kläger den Notstoppschalter, als die die Beklagte seiner Forderung, einen bestimmten Arbeitsplatz mit einem zweiten Mitarbeiter zu besetzen, nicht unmittelbar nachkam. Auch hier – und das macht die Parallelität zum vorliegenden Vorfall aus – setzte sich der Kläger bei einem von ihm vermuteten Verstoß des Arbeitgebers über die üblichen Regeln zur Klärung einer solchen Thematik hinweg und schaffte durch einseitiges Eingreifen Fakten, wobei er mögliche erhebliche Schäden billigend in Kauf nahm.
Das Abschalten eines Bandes in der Pkw-Fertigung trägt ebenso ein erhebliches Schadenspotential in sich wie eine Meldung einer Diskriminierung ihrer Staatsangehörigen an das Konsulat eines wichtigen Absatz- und Arbeitnehmerlandes.
Das Versenden der E-Mail nach Außen trotz einschlägiger Abmahnung lässt die Prognose darauf zu, dass der Kläger auch in Zukunft nicht vor vergleichbaren Handlungen zurückschreckt.
Dies ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass sich Kläger auch im Nachhinein nicht von seiner Vorgehensweise distanziert hat. Er hat vielmehr in der E-Mail vom 13.03.2019 zum Ausdruck gebracht, dass er es im Hinblick auf das beim türkischen Generalkonsulat für den Vorgang bestehende Interesse nicht für zweckmäßig ansieht, der Beklagten nähere Auskünfte zum Zweck der Aufklärung des Vorgangs zu erteilen.
e. Die allgemeine Interessenabwägung fällt zu Lasten des Klägers aus.
Für den Kläger spricht bei einer Abwägung, dass der Anlass der Äußerung in seiner Betriebsratstätigkeit zu finden ist. Für ihn spricht weiter seine langjährige Betriebszugehörigkeit.
Dem gegenüber steht indes das hohe Schadenspotential durch den drohenden Imageverlust auf dem Absatzmarkt Türkei und dem Arbeitsmarkt in Deutschland. Die Möglichkeit zur Begrenzung dieses Schadens durch Zusammenarbeit mit der Beklagten hat der Kläger in seiner E-Mail vom 13.03.2019 und bei seiner Befragung am 18.03.2019 nicht genutzt.
5. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist eingehalten.
Die zweiwöchige Frist nach dieser Norm beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigungen maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt. Für den Fristbeginn kommt es auf die sichere und möglichst vollständige Kenntnis des Kündigungssachverhalts an; selbst grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht. Zu den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen gehören nicht nur die konkreten Vorfälle, die einen Anlass für eine außerordentliche Kündigung bilden, sondern alle Umstände die bei der Zumutbarkeitsprüfung in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Die Aufklärung des Sachverhalts kann der Kündigungsberechtigte die ihm nach pflichtgemäßen Ermessen notwendig erscheinende Maßnahmen durchführen, insbesondere dem Kündigungsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Durch derartige Maßnahmen kann die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB aber nicht länger als unbedingt nötig herausgeschoben werden. Ihr Beginn ist nur so lange gehemmt wie der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG vom 31.03.1993, 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte nach der E-Mail des Klägers vom 07.03.2019 zunächst unmittelbar den Kläger selbst um Konkretisierung seiner Angaben gebeten und in der Folge versucht, den Sachverhalt „Türkischverbot“ auch ohne eine Konkretisierung durch den Kläger zu ermitteln. Es war vertretbar, wenn sie sich zur Kündigung erst nach dem Gespräch mit dem Kläger am 18.03.2019 entschloss. In diesem Gespräch hat der Kläger nach Erläuterung der Schwierigkeiten für die Compliance-Abteilung, Sachverhalte ohne konkrete Hinweise aufklären zu können, jede Zusammenarbeit mit der Compliance-Abteilung kategorisch abgelehnt. Dies ist im Rahmen der Prüfung eines wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB ein entscheidender Punkt.
Es war nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte einerseits bis zu dieser Klärung weiter ermittelte und andererseits aber an diesem Punkt den Kündigungsentschluss erfasste.
6. Die Zustimmung des Inklusionsamts zur außerordentlichen Kündigung des Klägers wurde innerhalb der Zweiwochenfrist des § 174 Abs. 2 SGB IX beantragt und gemäß § 174 Abs. 5 SGB IX unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt.
Aus § 174 Abs. 5 SGB IX ergibt sich auch, dass der Arbeitgeber berechtigt war zunächst den Betriebsrat und danach das Inklusionsamt anzuhören.
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO. Als Streitwert wurden fünf Bruttomonatsentgelte festgesetzt, nämlich ein Quartalsentgelt für die Kündigung vom 04.04.2019 sowie je ein Bruttomonatsentgelt für die Kündigungsschutzanträge gegen die weiteren Kündigungen über die nicht mehr zu entscheiden war, da das Arbeitsverhältnis bereits mit Ablauf des 04.04.2019 beendet war.
Der Kläger kann gegen dieses Urteil gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG Berufung zum Landesarbeitsgericht München einlegen.
Im Einzelnen gilt:


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