Arbeitsrecht

Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung nach Anspruchsübergang bei Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Aufwendungsersatz

Aktenzeichen  2 Sa 124/17

Datum:
3.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 145237
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 717 Abs. 2 S. 1
GVG § 17b Abs. 2 S. 2
SGB X § 115
BGB § 267, § 389, § 407 Abs. 1, § 412, § 677, § 679, § 683, § 684

 

Leitsatz

Zahlt der Arbeitgeber in Kenntnis des Anspruchsübergangs zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil des Arbeitsgerichts Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und hebt das Landesarbeitsgericht das Urteil auf, weil der Arbeitnehmer für den Arbeitsunfähigkeitszeitraum bereits Krankengeld von der gesetzlichen Krankenkasse erhalten hatte, so kann der Arbeitnehmer gegen den Anspruch des Arbeitgebers aus § 717 Abs. 2 ZPO mit einem Aufwendungsersatzanspruch nach § 683 oder § 684 BGB aufrechnen, soweit er das Krankengeld bereits an die Krankenkasse zurücküberwiesen hatte. (Rn. 25 – 46)

Verfahrensgang

12 Ca 4812/16 2017-02-24 Endurteil ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 24.02.2017 – 12 Ca 4812/16 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 94,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.11.2015 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht trägt die Klagepartei 9/10, der Beklagte 1/10. Die durch die Anrufung des unzuständigen Amtsgerichts Erlangen entstandenen Mehrkosten trägt die Klagepartei ganz.
II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klagepartei 9/10, der Beklagte 1/10.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig.
Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist ein-gelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
B.
Die Berufung des Beklagten ist zum großen Teil begründet. Dem Beklagten stand gegen die Klägerin auf Grund seiner Zahlung an die D… ein Erstattungsanspruch gegen die Klägerin in Höhe von 693,42 € zu. In dieser Höhe ist der der Klägerin gegen den Beklagten gem. § 717 Abs. 2 ZPO zustehende Schadensersatzanspruch durch Aufrechnung erloschen. Das Urteil des Arbeitsgerichts war daher entsprechend abzuändern.
I.
Der Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung von 787,78 € ist gem. §§ 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO entstanden. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Das Landesarbeitsgericht schließt sich in vollem Umfang den diesbezügliche Ausführungen unter B. I. der Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts an und macht sich zu eigen (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
II.
Der Anspruch der Klägerin ist nicht durch die Zahlung des Beklagten an die D… in Höhe von 693,42 durch Erfüllung erloschen. Denn diese Zahlung war von der Klägerin nicht gem. § 362 Abs. 2 BGB iVm § 185 BGB genehmigt. Im Gegenteil hatte die Klägerin bereits bei Zahlung an den Beklagten zur Abwendung der Zwangsvollstreckung mit Schreiben vom 17.02.2015 die Rückzahlung an sich verlangt.
III.
Der Anspruch der Klägerin ist jedoch in Höhe von 693,42 € durch Aufrechnung gem. § 398 BGB mit Wirkung ab 05.06.2015 erloschen. Der Beklagte hat wirksam mit einem eigenen Anspruch aus §§ 683, 670 BGB bzw. 684 Satz 1 BGB die Aufrechnung erklärt.
1. Mit der Zahlung von 693,42 € an die D… hat der Beklagte einen Aufwendungsersatzanspruch in dieser Höhe gem. §§ 683, 670 BGB gegen die Klägerin erworben.
a. Der Beklagte besorgte mit der Zahlung an die D… am 05.06.2015 ein Geschäft für die Klägerin im Sinne von § 677 BGB.
aa. Das erkennende Gericht ist überzeugt, dass der Beklagte tatsächlich an die D… die Zahlung von 693,42 € geleistet hat. Dies ist belegt durch den vom Beklagten vorgelegten Überweisungsbeleg vom 03.06.2015 (Blatt 132 der Akten) sowie die Bestätigung der D… vom 28.07.2015 (Blatt 133). Angesichts dieses konkreten und belegten Sachvortrags ist das einfache Bestreiten der Klägerin nicht ausreichend. Dass die Zahlung geleistet wurde gilt daher als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO) und wurde im Berufungserwiderungsschriftsatz auch nicht mehr bestritten.
bb. Zum Zeitpunkt der Zahlung am 05.06.2015 war die Klägerin verpflichtet, der D… das gezahlte Krankengeld zu erstatten. Die Klägerin schuldete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vom 26.5. bis 09.06.2017 gem. § 3 EFZG. Dieser Anspruch des Beklagten ging gem. § 115 SGB X mit der Zahlung des Krankengelds an den Beklagten in Höhe von 787,78 € auf die D… über. Mit der Zahlung zur Abwendung der Vollstreckung am 17.02.2015 wurde die Klägerin nicht von der Leistungspflicht gegenüber der D… befreit. Zum einen kannte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt den gesetzlichen Forderungsübergang auf Grund der Überleitungsanzeige vom 17.07.2014 (Blatt 46 der Akten), §§ 412, 407 Abs. 1 BGB. Zum anderen traf die Klägerin gerade keine entsprechende Leistungsbestimmung, sondern forderte im Gegenteil diesen Betrag gleichzeitig zurück.
Mit der Zahlung der 693,15 € an die D… am 05.06.2015 bewirkte der Beklagte die von der Klägerin gegenüber der D… geschuldete Leistung gem. § 267 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift kann auch ein Dritter (hier der Beklagte) die Leistung bewirken, wenn der Schuldner (hier die Klägerin) nicht in Person zu leisten hat. Dies ist bei einer Geldschuld regelmäßig der Fall. Die Einwilligung des Schuldners ist hierfür nicht erforderlich (§ 267 Abs. 2 BGB). Der Gläubiger (hier die D…) hätte die Leistung zwar ablehnen können, wenn die Klägerin als Schuldnerin widersprochen hätte. Ob ein solcher Widerspruch gegenüber der D… erfolgt ist, kann offen bleiben. Denn die D… hat die Leistung durch den Beklagten selbst angeregt und war damit mit der Leistungsbewirkung einverstanden. Dies zeigt auch das Schreiben der D… vom 25.11.2015. Dort heißt es, dass eine Rückzahlung des Krankengeldes an den Beklagten nicht mehr erfolgen könne, es sei denn der Arbeitgeber würde der D… den zu entrichtenden Betrag von 787,78 € zurückerstatten.
cc. Der Beklagte handelte objektiv auch im Interesse der Klägerin. Denn er befreite sie von ihrer Verbindlichkeit gegenüber der D… Gegenteiliges ist nicht ersichtlich.
dd. Der Beklagte handelte auch mit dem Willen, zumindest auch für die Klägerin tätig zu werden (sog. Fremdgeschäftsführungswille). Er wollte mit der Zahlung (auch) den Erstattungsanspruch der D… gegenüber der Klägerin tilgen. Ihm war bekannt, dass die D… diesen Anspruch gegenüber der Klägerin angemeldet hatte und er mit der Zahlung auch diesen Anspruch zum Erlöschen bringen würde. Dies ergibt sich aus der Gesprächsnotiz der D… über ein diesbezügliches Gespräch mit dem Beklagten vom 03.03.2015 (Blatt 131 der Akten). Dass der Beklagte möglicherweise auch meinte, eigenen Verpflichtungen nachzukommen, ist irrelevant. Denn die Wahrung auch der eigenen Interessen schließt den Fremdgeschäftsführungswillen nicht aus (Palandt/Sprau, 76. Aufl., 2017, § 677 BGB, Rn 6 mwN).
b. Der Beklagte war zur Geschäftsführung von der Klägerin als Geschäftsherrin weder beauftragt noch ihr gegenüber sonst berechtigt. Entsprechende vertragliche Regelungen gibt es nicht. Sonstige Berechtigungen sind nicht ersichtlich.
c. Der entgegenstehende Wille der Klägerin ist im vorliegenden Fall unbeachtlich. Zwar entsprach die Geschäftsführung des Beklagten nicht dem Willen der Klägerin. Vielmehr forderte die Klägerin die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistete Entgeltfortzahlung wegen des Anspruchsübergangs auf die D… unmittelbar wieder zurück. Der entgegenstehende Wille des Geschäftsherrn ist nach § 679 BGB jedoch unbeachtlich, wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, nicht rechtzeitig erfüllt werden würde. Dies gilt auch im Rahmen des Aufwendungsersatzanspruchs, § 683 Satz 2 BGB. Die Tilgung von Erstattungsansprüchen eines öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträgers liegt nach Ansicht des erkennenden Gerichts grundsätzlich im öffentlichen Interesse. Die Interessenlage ist vergleichbar mit der Tilgung fremder Steuerschulden, die nach überwiegender Meinung ebenfalls im öffentlichen Interesse liegt (BGHZ 7, 346, 355 f; OLG München 26.03.1991 – 18 U 6302/90; unentschieden Staudinger/Bergmann (2015) § 679 BGB, Rn 24 mwN auch zur Gegenansicht).
2. Jedenfalls folgt der Anspruch des Beklagten aus § 684 Satz 1 BGB.
Nach dieser Vorschrift ist der Geschäftsherr (hier die Klägerin) verpflichtet, dem Geschäftsführer (hier dem Beklagten) alles, was er durch die Geschäftsführung erlangt, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben, wenn die Übernahme des Geschäfts nicht dem Interesse oder dem Willen des Geschäftsherrn entspricht. Dabei hat die Verweisung auf die §§ 812 ff BGB lediglich den Zweck, den Umfang der Herausgabepflicht zu begrenzen. Es muss nicht geprüft werden ob die Klägerin durch Leistung des Beklagten oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas erlangt hat (BGH 14.06.1976 – III ZR 81/74, Rn 45, juris). Erlangt ist jede Vermögensmehrung. Darunter fällt auch die Befreiung von einer Verbindlichkeit (Staudinger/Bergmann (2015) § 684 BGB, Rn 12).
Der Beklagte tilgte die Schulden der Klägerin gegenüber der D… und zwar auch mit dem Willen, die Verpflichtung der Klägerin zu erfüllen (s.o.). Die Klägerin wurde mindestens in Höhe der Zahlung von 693,42 € von einer Verbindlichkeit befreit (zur Begrenzung des Anspruchs auf die getätigten Aufwendungen: Staudinger/Bergmann (2015), § 684 BGB, Rn 10 mwN). Dass die Klägerin, die hierfür die Darlegungs- und Beweislast trifft, nicht mehr bereichert wäre, hat sie weder behauptet, noch ist dies sonst ersichtlich.
3. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin nach § 717 Abs. 2 ZPO und der Aufwendungsersatzanspruch des Beklagten (entweder nach § 683 BGB oder nach § 684 BGB) sind auf Geldzahlungen gerichtet. Sie standen sich somit spätestens seit Verkündung des Urteils des Landesarbeitsgerichts am 22.05.2015 als gleichartige Leistungen iSv § 387 BGB gegenüber.
4. Der Beklagte hat wirksam die Aufrechnung gem. § 388 BGB erklärt.
a. Das erkennende Gericht ist dabei bereits der Auffassung, dass der Beklagte selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 24.02.2017 konkludent die Aufrechnung erklärt hat. Die Aufrechnungserklärung braucht nicht ausdrücklich abgegeben zu werden und kann in der Leistungsverweigerung gegenüber einer gleichartigen Schuld enthalten sein (Palandt/Grüneberg, 76. Aufl. 2017, § 388 BGB, Rn 1). Ausweislich des Protokolls hat der Beklagte – in der Sitzung anwaltlich nicht vertreten – erklärt, er sei nicht gewillt, den Betrag doppelt zu zahlen (Blatt 150 der Akten). Da bereits in erster Instanz insbesondere wegen der Zahlung des Beklagten an die D… vom 05.06.2015 die Zahlung an die Klägerin verweigert wurde und der Beklagte in der mündlichen Verhandlung dies nochmals als wesentlichen Gesichtspunkt zu Protokoll gegeben hat, nämlich keine Doppelzahlung leisten zu wollen, sieht das erkennende Gericht bereits hierin die notwendige Aufrechnungserklärung mit eigenen Ansprüchen.
b. Jedenfalls hat der Beklagte in der Berufungsschrift vom 02.06.2017 die Aufrechnung eindeutig erklärt. Dies ist zwischen den Parteien auch nicht streitig. Diese Erklärung konnte der Beklagte auch in prozessual zulässiger Weise in der Berufungsinstanz im Rahmen der Berufungsbegründung abgeben.
Bei der Aufrechnungserklärung handelt es sich um ein Verteidigungsmittel, das nur zuzulassen ist, wenn entweder der Kläger einwilligt oder das Gericht die Geltendmachung für sachdienlich hält (§§ 64 Abs. 6 ArbGG, 533 Nr. 1 ZPO). Darüber hinaus wird § 533 Nr. 2 ZPO mit seiner Verweisung auf § 529 ZPO durch die spezialgesetzliche Vorschrift des § 67 ArbGG mit seiner erweiterten Möglichkeit der Heranziehung von neuem Tatsachenvortrag modifiziert (Germelmann, ArbGG, 9. Aufl., 2017 § 67 Rn 3a).
Zwar hat die Klägerin nicht in die Verhandlung über die Aufrechnung eingewilligt. Das Gericht hält die Aufrechnung aber für sachdienlich. Bereits erstinstanzlich sind sämtliche Tatsachen vorgebracht worden, die die Aufrechnungsforderung begründen. Deren Berücksichtigung führte daher nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits (vgl. § 67 Abs. 3 ArbGG). Die Aufrechnung wurde jedenfalls in der Berufungsbegründung erklärt (§ 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG).
5. Da die Aufrechnung den Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht in voller Höhe zum Erlöschen gebracht hat, hat der Beklagte an die Klägerin einen Betrag von 94,36 € nebst Zinsen zurückzuzahlen. Die Berufung war insoweit daher zurückzuweisen. Ein weiterer Zinsschaden ist nicht zuzusprechen, da Zinsen erst ab 19.11.2015 geltend gemacht wurden, die Forderungen sich aber bereits ab 05.06.2015 aufrechenbar gegenüberstanden (§ 389 BGB).
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die wegen der Anrufung des unzuständigen Gerichts entstandenen Mehrkosten waren im vollen Umfang der Klägerin aufzuerlegen, § 17b Abs. 2 Satz 2 GVG. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 72 Abs. 2 ArbGG).


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