Arbeitsrecht

Zugangsrecht – Hausverbot – beendetes Arbeitsverhältnis – Rechtswegzuständigkeit

Aktenzeichen  4 Ta 103/21

Datum:
22.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landesarbeitsgericht 4. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LAGTH:2021:1222.4TA103.21.00
Normen:
§ 2 Abs 1 Nr 3 Buchst c ArbGG
§ 2 Abs 2 ArbGG
Art 12 GG
§ 1004 BGB
Spruchkörper:
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Verfahrensgang

vorgehend ArbG Suhl, 22. September 2021, 6 Ca 738/21, Beschluss

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Suhl vom 22.9.2021 – 6 Ca 738/21 – in Gestalt der Nichtabhilfeentscheidung vom 29.11.2021 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über ein Zugangsrecht der Klägerin zum Gelände und zu Räumlichkeiten der von der Beklagten betriebenen Klinik.
Die Klägerin war von September 2003 bis zum 31.07.2021 bei der Beklagten, welche in S… ein Klinikum betreibt, als Ärztin beschäftigt. Im Rahmen des Arbeitsverhältnisses gab es Probleme; u. a. hatte die Beklagte der Klägerin gegenüber ein beschränktes Hausverbot erteilt. Im hierüber geführten Rechtsstreit (6 Ca 273/21 ArbG Suhl – Sonneberg) kam es am 22.07.2021 zu einem Vergleich, in welchem sich die Parteien u. a. darauf einigten, das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2021 zu beenden. Eine Regelung über das vormals ausgesprochene Hausverbot enthielt dieser Vergleich nicht.
Aufgrund dessen wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an die Beklagte und bat um Klarstellung, dass jenes Hausverbot aufgehoben sei. Mit Schreiben vom 03.08.2021 ließ die Beklagte über ihren Prozessbevollmächtigten dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitteilen, dass sie von ihrem Hausrecht Gebrauch mache und wegen des Verhaltens der Klägerin in der Vergangenheit das Hausverbot “wiederhole “; dieses solle sich auf das gesamte Klinikum einschließlich der Notaufnahme erstrecken. Ausgenommen hiervon sei lediglich, dass die Klägerin als Notfallpatientin aufgenommen werden müsse. Wegen der Einzelheiten des Inhaltes des Hausverbots wird auf das Schreiben vom 03.08.2021 (Bl. 14 Rückseite und 15 d. A.) Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 22.09.2021 hat das Arbeitsgericht die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen verneint und den Rechtsstreit an das Landgericht Meiningen verwiesen.
Es handele sich nicht um einen Streit zwischen Parteien eines Arbeitsverhältnisses, weil dieses zum Zeitpunkt des Ausspruchs des Hausverbots bereits beendet gewesen sei. Es liege kein Fall der Nachwirkung i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c ArbGG vor. Hierfür genüge kein Zusammenhang mit einem ehemaligen Arbeitsverhältnis.
Gegen diesen ihr am 1.10.2021 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit am 12.10.2021 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde erhoben.
Die Grundlage der gesamten Auseinandersetzung sei gewesen und sei immer noch die Auseinandersetzung der Parteien im ersten arbeitsrechtlichen Verfahren. Das bestehende Hausverbot habe ausschließlich seine Grundlage in jenem durch Vergleich abgeschlossenen arbeitsgerichtlichen Verfahren; es sei ohne dieses nicht denkbar. Das weiterbestehende Hausverbot nehme Bezug auf vergangenes Verhalten und stelle damit den Zusammenhang zu diesem Arbeitsverhältnis dar.
Mit Beschluss vom 29.11.2021 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Thüringer Landesarbeitsgericht als Beschwerdegericht vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nicht gegeben. Bei dem Rechtsstreit über das am 03.08.2021 ausgesprochene Hausverbot handelt es sich weder um eine Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber noch um eine zwischen ehemaligen Arbeitsvertragsparteien aus Nachwirkungen des ehemals bestanden habenden Arbeitsverhältnisses noch um eine mit einer anhängigen Streitigkeit nach § 2 Abs. 1 oder 2 ArbGG im Zusammenhang stehende.
Das Arbeitsverhältnis ist seit dem 31.7.2021 beendet, weshalb für den vorliegenden Streit über das Zugangsrecht der Klägerin zur Klinik der Beklagten in S… nur eine Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c ArbGG in Betracht kommt. Danach sind die Arbeitsgerichte u. a. auch zuständig für Streitigkeiten zwischen (ehemaligen) Parteien eines Arbeitsverhältnisses aus dessen Nachwirkungen.
Der Streit über das Zugangsrecht der Klägerin zur Klinik der Beklagten in S…. und damit implizit über die Wirksamkeit des nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochenen Hausverbots ist keine Streitigkeit aus Nachwirkungen des Arbeitsverhältnisses.
Eine genaue Definition, was unter Nachwirkungen aus Arbeitsverhältnissen, welche die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründen können, zu verstehen ist, ist soweit ersichtlich, noch nicht gegeben. Die Kommentarliteratur führt zur Erläuterung im Wesentlichen Einzelfälle auf (vgl. z.B. GWBG/Waas ArbGG § 2 Rn. 59; ErfK/Koch ArbGG § 2 Rn. 17).
Nachwirkung i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c ArbGG bedeutet jedenfalls mehr als bloßer Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis (LAG Köln 2.9.1997, 6 Ta 139/97). Das belegt die Systematik von § 2 ArbGG. § 2 Abs. 3 ArbGG regelt die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen für Streitigkeiten außerhalb des Arbeitsrechtes, welche mit einer bereits anhängigen arbeitsrechtlichen Sache im rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Dies ist weitgehend der Prozessökonomie geschuldet und dem Umstand, dass zusammenhängende Streitigkeiten nicht in unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten entschieden werden sollen. Damit ist zugleich zum Ausdruck gebracht, dass lediglich im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis stehende Streitigkeiten dann nicht zur Begründung der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ausreichen, wenn nicht gleichzeitig aktuell noch ein arbeitsrechtlicher Streit bei einem Arbeitsgericht zulässigerweise anhängig ist. Das bedeutet wiederum, dass die in § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG geregelten unmittelbaren Zuständigkeiten der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht schon dann eingreifen können, wenn lediglich ein Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder einem ehemaligen Arbeitsverhältnis besteht. Nachwirkung in diesem Sinne muss dann einen intensiveren Bezug zum Arbeitsverhältnis haben als einen Zusammenhang rechtlicher oder wirtschaftlicher Art.
Nachwirkung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c ArbGG ist gegeben, wenn der konkret gerichtlich geltend gemachte Anspruch seine Grundlage in den Rechten und Pflichten aus dem ehemals bestanden habenden Arbeitsverhältnis hat, die auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Wirkung entfalten.
Der Begriff “Nachwirkung“ setzt sich zusammen aus dem Substantiv “Wirkung” und der abverbialen Zeitbestimmung “nach”. Das bedeutet sprachlich, dass zwischen dem, was wirkt, vor und nach einem bestimmten Zeitpunkt Identität bestehen muss. Weniger abstrakt formuliert: Wirkungen, welche das Arbeitsverhältnis erzeugt, sind vor und nach dessen Ende die gleichen, die Ursache der Wirkung ist vor dem Ende gelegt, ansonsten handele es sich nicht um eine „Nachwirkung“, sondern um eine „Folgewirkung“. „Nachwirkung“ verlängert in dem Sinne die Wirkung von etwas, wohingegen „Folgewirkung“ die Konsequenz einer vormals erzielten Wirkung sein kann. Das entspricht dem allgemeinen Arbeitsrechtssprachgebrauch, wenn etwa von der Nachwirkung von Tarifverträgen die Rede ist. Die bereits unmittelbar bestehende Wirkung von Tarifverträgen zu deren Laufzeit wirkt über einen Kündigungszeitpunkt hinaus weiter.
Bezogen auf die Verwendung des Begriffs in § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c ArbGG ist daher Voraussetzung, dass das Arbeitsverhältnis über sein Ende hinaus Wirkungen zwischen den Parteien entfaltet und der Anspruch auf diese Wirkungen gestützt wird, damit die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründet wird. Damit ist allerdings das Arbeitsverhältnis als Rechtsverhältnis und nicht als persönliche Beziehung gemeint. Aus dem Arbeitsverhältnis als Gefüge normativ begründeter gegenseitiger Rechte und Pflichten muss sich eine Wirkung für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergeben. Dies bedeutet i. e. S., dass entweder diese Rechte und Pflichten selber eine zeitliche Wirkung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus haben oder sich aus diesen Rechten und Pflichten ergebende Folgen/Ansprüche noch wirken.
Nicht ausreichend ist, dass sich aus der auf Grundlage des Arbeitsverhältnisses tatsächlich ergebenden persönlichen Beziehungen Umstände ergeben haben, die auch nach Ende des Arbeitsverhältnisses noch Folgen im Verhalten der ehemaligen Vertragsparteien zueinander haben. Insofern sind “Nachwirkungen” des Arbeitsverhältnisses als soziale Beziehung nicht Rechtsweg begründend. Entscheidend ist allein, ob die im Arbeitsverhältnis begründete Rechtsbeziehung nachwirkt. So kann es durchaus vorkommen, dass im Einzelhandel, in der Gastronomie oder in der Fitnessbranche persönliche Zerwürfnisse zwischen Arbeitsvertragsparteien dazu führen, dass nach Ende des Arbeitsverhältnisses der Zutritt zum Einzelhandelsgeschäft, zum gastronomischen Betrieb oder Fitnessstudio nicht erwünscht ist; ein Streit hierüber ist dann kein Streit, der vor den Gerichten für Arbeitssachen auszutragen ist.
Dieses Auslegungsergebnis wird vom Zweck der Vorschrift bestätigt. Wenn das im Arbeitsverhältnis begründete rechtliche Normengefüge auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch Wirkungen zeitigt, kann ein Streit hierüber und muss ein Streit hierüber aufgrund von Normen des Arbeitsrechtes entschieden werden. Der Klagegrund wäre genuin arbeitsrechtlicher Natur. Das ist bei einem Streit, der seine Wurzeln in persönlichen Beziehungen hat, nicht der Fall.
Das demonstriert der hier zu entscheidende Fall der Wirksamkeit des Hausverbots in besonderer Weise; die Klägerin beruft sich nicht etwa auf Zugangsrechte, die ihre Wurzeln im ehemals bestanden habenden Arbeitsverhältnis haben, sondern reklamiert Rechte aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften der gesundheitlichen Daseinsvorsorge. Sie ist als Notärztin tätig und – auch wenn die Aufgaben weitgehend privatisiert sind – sind die Aufgaben des Rettungsdienstes eine kommunale Aufgabe und durch öffentlich-rechtliche Normen geregelt, sowie auch Rechte und Pflichten der Kliniken weitgehend durch öffentlich-rechtlichen Normen überlagert sind. Auf dieses Normengefüge beruft sich die Klägerin zur Begründung ihres Zugangsrechts. Sie macht nicht geltend, dass die Beklagte ihr den Zugang zur Klinik als Mitwirkungshandlung des Gläubigers ihrer Arbeitsleistung, mithin als zur Verfügung Stellung eines eingerichteten Arbeitsplatzes schuldet.
Auch wenn sie im weitesten Sinne geltend macht, durch das Hausverbot in der Ausübung ihres Berufes beeinträchtigt zu sein und somit den Schutzbereich von Art. 12 Grundgesetz anspricht, ist dies nicht streitentscheidende Norm in dem Sinne und auch nicht Nachwirkung des ehemals bestanden habenden Arbeitsverhältnisses.
Der hier mit der Klage geltend gemachte Anspruch der Klägerin auf Zugang zum Klinikum der Beklagten ist der keine Streitigkeit aus Nachwirkungen des ehemals bestanden habenden Arbeitsverhältnisses in oben definierten Sinne. Dass nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochene Hausverbot ist entgegen des im Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten gewählten Wortlauts keine schlichte Wiederholung des im Rahmen des ehemals bestanden habenden Arbeitsverhältnisses bereits ausgesprochenen Hausverbots, sondern eine Neubegründung und wird auf einen neue Rechtsgrundlage, das Hausrecht (§ 1004 BGB) gestellt. Mag die Motivation auch in dem Verhalten der Klägerin im ehemals bestanden habenden Arbeitsverhältnis oder im Zusammenhang mit diesen bestehen, so handelt es sich um Fortwirken einer gestörten persönlichen Beziehung und nicht um Rechtswirkungen aus dem arbeitsrechtlichen Pflichtengefüge.
Die Klägerin macht auch erkennbar keine arbeitsrechtlichen Ansprüche geltend, sondern sieht sich in der Ausübung ihrer arbeitsrechtlichen Pflichten gegenüber einer anderen Person, Ihren neuen Arbeitgeber, durch die Beklagte behindert und beruft sich zu ihrer Rechtfertigung und Begründung ihres Anspruchs darauf, die Kliniken der Beklagten betreten zu dürfen, auf öffentlich-rechtlichen Normen.
Eine Zuständigkeit nach § 2 Abs. 3 ArbGG ist erkennbar auch nicht gegeben, weil kein anderer arbeitsrechtlicher Streitgegenstand aktuell anhängig ist.
Das Gericht hält Inhalt und Reichweite des Begriffs “Nachwirkung“ in § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c ArbGG für grundlegend klärungsbedürftig, weshalb es die weitere Beschwerde/Rechtsbeschwerde zugelassen hat.


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