Arbeitsrecht

Zum Akteneinsichtsrecht eines einzelnen Gemeinderatsmitglied

Aktenzeichen  M 7 K 18.452

Datum:
12.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 41192
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayGO Art. 45, Art. 46, Art. 48 Abs. 1 S. 1, Art. 102 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1, Art. 106 Abs. 1
Geschäftsordnung Gemeinderat § 3 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Eine kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit ist in der Form der allgemeinen Leistungsklage zu behandeln.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Geschäftsordnung des Gemeinderats kann dem Gemeinderat oder einzelnen Gemeinderatsmitgliedern weitergehende als in der Gemeindeordnung zugewiesene individuelle Informationszugangsrechte einräumen, sofern dadurch nicht die in Art. 37 BayGO festgelegten gesetzlichen Befugnisse des ersten Bürgermeisters eingeschränkt werden.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Gemeinderats führt nicht zur Unwirksamkeit von dessen Beschlüssen, sofern nicht zugleich zwingende gesetzliche Bestimmungen verletzt werden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Verweigerung der vom Kläger mit Schreiben vom 15. November 2017 beantragten Akteneinsicht durch die Beklagte rechtswidrig war.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger und die Beklagte haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat teilweise Erfolg.
Sie ist zulässig und begründet, soweit der Kläger die Feststellung beantragt, dass die Verweigerung der beantragten Akteneinsicht rechtswidrig war. In Bezug auf den ersten Hauptantrag einschließlich dessen Hilfsantrag ist die Klage unzulässig.
Als kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit ist die Klage, soweit sie Erfolg hat, als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig.
Auch soweit von einem Adressaten die Verletzung von Mitgliedschaftsrechten durch einen Verstoß gegen Bestimmungen der Geschäftsordnung des Gemeinderats gerügt wird, kann der Betroffene grundsätzlich im Rahmen des Kommunalverfassungsstreitverfahrens auf dem öffentlich-rechtlichen Rechtsweg entsprechend seinem Klageziel Klage erheben (vgl. Wachsmuth in PdK Bayern, Art. 45 GO, Anm. 8; vgl. auch Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand: Mai 2018, Art. 45 Anm. 3 Buchst. a und f; VG Ansbach, B.v. 23.1.2007 – AN 4 E 07.00164 – juris Rn. 38). Die Klagebefugnis des Klägers (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO) ist daher gegeben.
Eine kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs grundsätzlich in Form der allgemeinen Leistungsklage zu behandeln (vgl. BayVGH, U.v. 16.7.1980 – 4. B – 616/79 – BayVBl 1980, 656). Ist die Streitigkeit zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits erledigt, muss der Kläger auf die Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO zurückgreifen, in der das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1969 – VIII C 149.67 – MDR 1970, 261 ff.). Hierzu zählen auch die durch organschaftliche Befugnisse und Verpflichtungen gekennzeichneten Rechtsbeziehungen zwischen Gemeindeorganen. Feststellungsfähig sind insbesondere auch einzelne, sich aus einem umfassenderen Rechtsverhältnis ergebende Berechtigungen. Erforderlich ist, dass das Rechtsverhältnis hinreichend konkret ist; abstrakte Fragen sind dagegen nicht feststellungsfähig. Notwendig ist somit das Vorliegen eines bestehenden, bereits überschaubaren, d.h. konkreten und nicht nur gedachten Sachverhaltes, dessen Rechtsfolgen festgestellt werden sollen (vgl. BayVGH vom 10.12.1986, BayVBl 1987, 239 ff., VG Regensburg, U.v. 10.10.2001 – RN 3 K 00.1623 – juris Rn. 22).
Die Konkretheit des Rechtsverhältnisses ist in Bezug auf den hier streitigen Anspruch auf Akteneinsicht gegeben. Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt im Hinblick auf eine bestehende Wiederholungsgefahr vor, da es sich bei der örtlichen Rechnungsprüfung im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GO um einen regelmäßig wiederkehrenden Vorgang handelt und auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Beklagte eine Änderung in Bezug auf die hier in Streit stehende Vorgehensweise vorgenommen hat bzw. vornehmen wird.
Die Klage ist auch begründet, da durch die Verweigerung der Akteneinsicht ein dem Kläger individuell zustehendes organschaftliches Informationsrecht verletzt wurde.
Gemäß § 3 Abs. 5 Satz 2 der Geschäftsordnung für den Gemeinderat der Beklagten erhält jedes Gemeinderatsmitglied zur Vorbereitung von Tagesordnungspunkten der nächsten Sitzung nach vorheriger Terminvereinbarung das Recht zur Einsicht in die entscheidungserheblichen Unterlagen, sofern Gründe der Geheimhaltungsverpflichtung nicht entgegenstehen. Das Verlangen zur Akteneinsicht ist gegenüber dem ersten Bürgermeister geltend zu machen (vgl. § 3 Abs. 5 Satz 4 der Geschäftsordnung). Demnach räumt die Geschäftsordnung dem einzelnen Gemeinderatsmitglied ein individuelles Akteneinsichtsrecht in Bezug auf die Vorbereitung zur nächsten Gemeinderatssitzung ein. Dieses geht über die in der Gemeindeordnung gesetzlich geregelten Akteneinsichtsrechte hinaus und verschafft dem Gemeinderatsmitglied einen individuellen, auch gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die beantragte Akteneinsicht.
Die beantragte Akteneinsicht durfte hier nicht deshalb vollumfänglich verweigert werden, weil – wie hierzu in der E-Mail der Gemeindeverwaltung im Auftrag des ersten Bürgermeisters vom 16. November 2017 ausgeführt wurde – die Einsichtnahme auf den Prüfungsbericht der Vorprüfer beschränkt sei und § 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung nicht zu einem allgemeinen Prüfungsrecht für einzelne Gemeinderatsmitglieder führe, eine gemeindliche Geschäftsordnung also die Bayerische Gemeindeordnung nicht aushebeln könne. Es kann hier deshalb dahingestellt bleiben, ob mit dem Antrag möglicherweise auch Einsicht in Akten begehrt wurde, bei denen es sich nicht um „entscheidungserhebliche Unterlagen“ im Sinne von § 3 Abs. 5 Satz 2 der Geschäftsordnung gehandelt hätte und dieser deshalb insoweit (teilweise) hätte abgelehnt werden können.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 15. November 2017 an den ersten Bürgermeister der Beklagten im Hinblick auf die bevorstehende Gemeinderatssitzung am 20. November 2017 unter Berufung auf die Regelung in § 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung Einsicht in die entscheidungserheblichen Unterlagen beantragt. Er hat dies insoweit konkretisiert, als er die Akteneinsicht auf die „Unterlagen zur Vorprüfung“ beschränkt hat. Diese sind im Einzelnen im Bericht der Vorprüfer über die örtliche Prüfung der Jahresabschlüsse 2013 und 2014 der Gemeinde (S. 2) aufgelistet. Zudem hat er einen konkreten Zeitrahmen für die begehrte Akteneinsicht angegeben (Donnerstag, 16. November 2017, in der Zeit von 9.15 Uhr bis 12.00 Uhr und von 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr). Daher ist davon auszugehen, dass der Kläger ein den formalen Anforderungen des § 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung entsprechendes und hinreichend konkretes Akteneinsichtsgesuch gestellt hat.
Die von der Beklagten angeführte Begründung für die Verweigerung der Akteneinsicht hält der rechtlichen Prüfung nicht stand. Weder aus dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Regelung lässt sich eine zwingende oder gebotene einschränkende Auslegung dahingehend entnehmen, dass sich für die (hier jedenfalls) durch den Gemeinderat durchzuführende örtliche Rechnungsprüfung im Sinne von Art. 103 Abs. 1 Satz 1 GO daraus kein über die Rechte der Gemeinderatsmitglieder aus Art. 102 Abs. 4 GO (Einsichtnahme in die Prüfberichte) hinausgehender Anspruch auf Akteneinsicht ergeben sollte. Es überzeugt auch nicht der Einwand der Beklagten, die Gewährung der Akteneinsicht hätte zur Folge, dass der Kläger eine eigene Rechnungsprüfung durchführen würde, was gegen die Vorgaben in Art. 103 Abs. 1 Satz 1 GO verstoße, wonach die Rechnungsprüfung nur vom Gemeinderat oder von einem Rechnungsprüfungsausschuss durchgeführt werden dürfe.
Das einzelne Gemeinderatsmitglied hat auf der Grundlage der Gemeindeordnung (abgesehen von der Einsicht in die Niederschriften, vgl. Art. 54 Abs. 3 GO, und in die Prüfberichte im Sinne von Art. 102 Abs. 4 GO) grundsätzlich kein – uneingeschränktes – subjektiv öffentliches Recht auf Erhalt von Informationen, sondern kann vielmehr (nur) im Rahmen seines Antragsrechts eine Entscheidung des Gemeinderats als Plenum über die strittige Frage herbeiführen (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2000 – 4 ZE 00.3321 – juris Rn. 14). Ob sich im Einzelfall aus dem Mitgliedschaftsrecht in der kommunalen Volksvertretung ein ungeschriebener verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch auch eines einzelnen Gemeinderatsmitglieds gegenüber dem Bürgermeister als Leiter der Gemeindeverwaltung ergeben kann, ohne den der jeweilige Mandatsträger seine organschaftlichen Mitwirkungsbefugnisse nicht effektiv wahrnehmen könnte, wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bisher offen gelassen (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2015 – 4 ZB 14.1692 – juris Rn. 16; vgl. auch B.v. 11.2.2014 – 4 ZB 13.2225 – juris Rn. 14; B.v. 23.11.2017 – 4 ZB 17.1586 – juris Rn. 14).
Es ist aber grundsätzlich auch in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs anerkannt, dass die Geschäftsordnung – wie hier – weitergehende Regelungen über Informationsrechte der einzelnen Gemeinderatsmitglieder gegenüber der Gemeinde enthalten kann (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2000 a.a.O.). Es wird in der Rechtsprechung daher grundsätzlich für zulässig angesehen, in der Geschäftsordnung des Gemeinderats individuelle Informationszugangsrechte einzuräumen (vgl. Engelbrecht, BayVBl 2017, 541/543). Dies ist hier in nicht zu beanstandender Weise mit der Regelung in § 3 Abs. 5 Satz 2 der Geschäftsordnung (entsprechend der Mustergeschäftsordnung des Bayerischen Gemeindetags) sachbezogen beschränkt auf Tagesordnungspunkte der nächsten Sitzung und auf entscheidungserhebliche Unterlagen hierzu erfolgt.
Die in allen Gemeinden aufgrund von Art. 45 Abs. 1 GO durch den Gemeinderat verpflichtend zu erlassende Geschäftsordnung darf wegen des Vorrangs des Gesetzes nicht zu den Vorschriften der Gemeindeordnung in Widerspruch stehen. Dadurch ist es aber nicht ausgeschlossen, dass dem Gemeinderat oder einzelnen Gemeinderatsmitgliedern weitergehende (Informations-) Rechte als in der Gemeindeordnung zugewiesen werden, sofern die in Art. 37 GO festgelegten gesetzlichen Befugnisse des ersten Bürgermeisters dadurch nicht eingeschränkt werden. Die vom Bayerischen Gemeindetag veröffentlichte Mustergeschäftsordnung (abgedruckt in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand Mai 2018 – Anlage 1. Geschäftsordnung für den Gemeinderat) sieht in § 3 Abs. 5 Satz 2 ein über die Gemeindeordnung hinausgehendes Akteneinsichtsrecht vor. Diese Bestimmung wird in der Literatur teilweise als „in ihrer rechtlichen Begründung wie auch in ihrer Tragweite nicht unproblematisch“ angesehen, vor allem weil die Gewährung eines solchen Informationsrechts des einzelnen Gemeinderatsmitglieds „in die Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters nach Art. 46 Abs. 2 Satz 1 GO eingegriffen“ werde (vgl. Pahlke, BayVBl 2011, 686/689 m.w.N.). Diese Bedenken sind unbegründet. Art. 46 Abs. 2 Satz 1 GO besagt, dass der erste Bürgermeister die Beratungsgegenstände vorbereitet. Das bedeutet nicht nur, dass er das erforderliche Material zusammenzustellen hat, sondern beinhaltet auch die Pflicht, den Gemeinderat so zu informieren, dass er eine Entscheidung treffen kann. Diese Aufgabe des ersten Bürgermeisters wird in keiner Weise dadurch eingeschränkt, dass einem einzelnen Gemeinderatsmitglied vor der betreffenden Sitzung die Einsicht in die „entscheidungserheblichen Unterlagen“ gestattet wird. Es existiert kein Recht des Bürgermeisters, bei der Vorbereitung der Beratungsgegenstände einer anstehenden Sitzung von Informationsbegehren einzelner Gemeinderatsmitglieder verschont zu bleiben. Der Bürgermeister kann und muss weiterhin grundsätzlich selbst darüber entscheiden, welche Punkte er in die von ihm zu erstellende Tagesordnung aufnimmt und welche aus seiner Sicht für die zufassenden Gemeinderatsbeschlüsse erheblichen Tatsachen er dem Gemeinderat in der jeweiligen Sitzung mitteilt. Ein geschäftsordnungsmäßig eingeräumtes Akteneinsichtsrecht jedes einzelnen Gemeinderatsmitglieds mit dem Ziel, sich für anstehende Beschlussfassungen des Gemeinderats sachkundig zu machen, greift nicht unzulässig in die gesetzlichen Befugnisse des Bürgermeisters ein (vgl. Pahlke, BayVBl 2011, 686/689 f.).
Auch unter dem Blickwinkel des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (bei Weitergabe von personenbezogenen Date) sowie der Berufsfreiheit (bei Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen) wird in der (zweipoligen – im Gegensatz zur dreipoligen) Konstellation, bei der entweder keine Vertraulichkeitsinteressen berührt sind oder nur solche, über deren rechtlichen Schutz die Gemeinde allein disponieren darf, die Regelung eines Informationszugangsrechts in Form eines Auskunftsrechts durch die Geschäftsordnung des kollegialen Hauptorgans ebenso wie in Form eines Akteneinsichtsrechts als dem Grundsatz nach zulässig angesehen (vgl. Engelbrecht, BayVBl 2017, 541/548). Eine allgemeine Ermächtigung für den Erlass einer Geschäftsordnung, wie sie Art. 45 GO bereitstellt, genügt für eine solche Regelung. Die Auslegung der konkreten Regelung muss dabei sicherstellen, dass ein Informationsfluss in dreipoligen Konstellationen unterbleibt. Das Merkmal „sofern Gründe der Geheimhaltung nicht entgegenstehen“ ist dann so zu lesen, dass die Einsicht in Unterlagen zu versagen ist, sobald diese personenbezogene Daten, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse von Außenstehenden enthalten (vgl. Engelbrecht, BayVBl 2017, 541/548). Demzufolge kann aus der Regelung in § 3 Abs. 5 Satz 2 der Geschäftsordnung keinesfalls für das einzelne Gemeinderatsmitglied ein so weitgehendes Akteneinsichtsrecht hergeleitet werden, wie es gemäß der Regelung in Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GO den Organen der Rechnungsprüfung der Gemeinde (hier dem Gemeinderat) zusteht. Ein unzulässiger Widerspruch zur gesetzlichen Regelung in Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GO ist mit der Regelung in der Geschäftsordnung daher nicht verbunden.
Der Kläger kann demnach das geltend gemachte Akteneinsichtsrecht aus der rechtlich nicht zu beanstandenden Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 2 der Geschäftsordnung herleiten. Für eine einschränkende Auslegung in Bezug auf bestimmte Beratungsgegenstände ergeben sich aus dem Wortlaut der Regelung keine Anhaltspunkte, ebenso wenig aus deren Zweck, den Gemeinderatsmitgliedern ein über die sich aus der Gemeindeordnung selbst ergebenden Rechte hinausgehendes Akteneinsichtsrecht zur Vorbereitung auf die konkret anstehenden Beratungsgegenstände zu gewähren. Die Einwände der Beklagten greifen daher auch im Übrigen nicht durch.
Der Umstand, dass eine anstehende Entscheidung dem Gemeinderat und nicht dem einzelnen Gemeinderatsmitglied obliegt, dürfte die Regel und nicht nur bei der örtlichen Rechnungsprüfung durch den Gemeinderat nach Art. 103 Abs. 1 Satz 1 GO der Fall sein. Auch ist nicht ersichtlich, wie eine Rechnungsprüfung durch den Kläger, selbst wenn eine solche erfolgen sollte, zu einer Umgehung der Zuständigkeitszuweisung in Art. 103 Abs. 1 Satz 1 GO führen sollte. Letztendlich obliegt es jedem Gemeinderatsmitglied, für sich eigenverantwortlich zu prüfen, für welche Entscheidung des Gemeinderats er stimmt. Um diese Entscheidung, für deren Folgen er auch die Verantwortung trägt, sachgerecht treffen zu können, räumt ihm die Geschäftsordnung ein diesbezügliches Akteneinsichtsrecht ein. Demnach wird er die in diesem Zusammenhang eingesehenen Unterlagen auch einer gewissen Prüfung unterziehen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob es dem Kläger durch die Akteneinsicht ggf. ermöglicht worden wäre, eine „eigene Rechnungsprüfung“ durchzuführen – so die Beklagte – oder ob er sich lediglich umfassender, als auf der Grundlage des vorgelegten Prüfberichts der Vorprüfer möglich, auf die Sitzung vorbereiten wollte – so der Kläger – wobei sich eine klare Abgrenzung zwischen diesen Bewertungen ohnehin kaum vornehmen lassen dürfte.
Auch aus der speziellen Regelung des Akteneinsichtsrechts nach Art. 102 Abs. 4 GO lässt sich nicht ableiten, dass im Fall der örtlichen Rechnungsprüfung durch den Gemeinderat die dem einzelnen Gemeinderatsmitglied zu gewährende Akteneinsicht generell auf die Berichte über die Prüfungen beschränkt und die Regelung in § 3 Abs. 5 Satz 2 der Geschäftsordnung damit so auszulegen wäre, dass als „entscheidungserhebliche Unterlage“ hier lediglich der den Gemeinderäten bereits vorgelegte Prüfbericht der Vorprüfer anzusehen und die Verweigerung einer weitergehenden Akteneinsicht daher berechtigt gewesen wäre. So steht die Regelung von ihrem Standort her in unmittelbarem Zusammenhang mit der allgemeinen Regelung zur Rechnungslegung und zu dem Jahresabschluss, insbesondere mit der Regelung in Art. 102 Abs. 3 GO, der die Aufgaben des Gemeinderats in diesem Zusammenhang festlegt (Feststellung des Jahresabschlusses bzw. der Jahresrechnung und Beschluss über die Entlastung). Gemäß Art. 102 Abs. 3 Satz 1 GO erfolgt dies erst, wenn die örtliche Prüfung der Jahresrechnung und der Jahresabschlüsse nach Art. 103 GO durchgeführt ist. Bereits dies spricht dafür, dass die Regelung in Art. 102 Abs. 4 GO nicht einschränkend im Rahmen der (hier) dem Gemeinderat obliegenden örtlichen Rechnungsprüfung im Sinne von Art. 103 Abs. 1 Satz 1 GO herangezogen werden kann. Zudem wurde das Akteneinsichtsrecht in Art. 102 Abs. 4 GO gerade deshalb geschaffen, weil angesichts der Bedeutung der Beschlüsse innerhalb des Rechnungslegungsverfahrens die Regelungen in der Mustergeschäftsordnung über die Akteneinsicht in der damaligen Fassung der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 7. Juni 1972 (MABL S. 311) – weniger weitgehend als die aktuelle Mustergeschäftsordnung – als nicht ausreichend angesehen wurden, so dass der Gesetzgeber dafür habe Sorge tragen müssen, dass die Gemeinderatsmitglieder sich über die Prüfungsergebnisse unmittelbar und umfassend selbst unterrichten können (vgl. die Gesetzesbegründung in LT-Drs. 8/5706, S. 18). Auch vor diesem Hintergrund wäre keine Rechtfertigung ersichtlich, das den Gemeinderatsmitgliedern nach § 3 Abs. 5 Satz 2 der Geschäftsordnung zustehende – grundsätzlich über die Regelungen der Gemeindeordnung hinausgehende – Akteneinsichtsrecht im Bereich der örtlichen Rechnungsprüfung dahingehend einzuschränken, dass dieses nur im Hinblick auf den – hier von den Vorprüfern und nicht von einem Rechnungsprüfungsausschuss – gefertigten Prüfbericht bestünde (zu einem über die – von einem Rechnungsprüfungsausschuss – erstellten Prüfungsberichte hinausgehendes Akteneinsichtsrecht des Gemeinderats vgl. auch OVG RhPf, B.v. 4.10.2013 – 10 A 10631/13 – juris Rn. 3; B.v. 25.7.2018 – 10 A 10433/18 – juris Rn. 7).
Die von dem Kläger beantragte Akteneinsicht wurde ihm daher zu Unrecht verweigert. Nach Auffassung der Kammer ist jedoch nicht davon auszugehen, dass der Verstoß gegen das sich aus der Geschäftsordnung ergebende Akteneinsichtsrecht des Klägers auch zur Unwirksamkeit der in der Sitzung im Zusammenhang mit der örtlichen Rechnungsprüfung gefassten Beschlüsse führt.
Es besteht der Grundsatz, dass ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung nicht zur Unwirksamkeit des gefassten Gemeinderatsbeschlusses führt. Nur dann, wenn ein gegen die Geschäftsordnung verstoßendes Verhalten zugleich eine gesetzliche Bestimmung verletzt – sei es eine zwingende gesetzliche Form- oder Verfahrensvorschrift oder ein gesetzliches Mitgliedschaftsrecht – und die Gesetzesverletzung nicht anderweitig geheilt ist, kommt ein gültiger Beschluss nicht zustande (vgl. BayVGH, U.v. 18.6.2008 – 4 BV 07.211 – juris Rn. 25 m.w.N.; OVG NW, U.v. 27.8.1996 – 15 A 32/93 – juris Rn. 7 f.; Bauer/Böhler/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Stand April 2018, Art. 45 GO Rn. 7; Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern, Stand Mai 2015, Art. 45 Anm. 5; Wachsmuth in PdK Bayern, Stand September 2018, Art. 45 GO Anm. 7). Entscheidend ist insoweit nicht der Schutzzweck der jeweiligen Geschäftsordnungsvorschrift oder einer Geschäftsordnung überhaupt, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Geschäftsordnung eines Gemeinderats grundsätzlich nur Binnenrechtsbeziehungen innerhalb des Vertretungsorgans durch von ihm selbst aufgestellten Regeln gestaltet, aber kein Außenrecht darstellt (vgl. OVG NW, U.v. 27.8.1996 – 15 A 32/93 – juris Rn. 6). Gegen ein gesetzlich geregeltes Informations- bzw. Akteneinsichtsrecht wurde hier jedoch nicht verstoßen. Das Gesetz räumt einzelnen Gemeinderatsmitgliedern weder ein allgemeines Auskunfts- noch ein allgemeines Akteneinsichtsrecht ein. Regelungen finden sich – wie ausgeführt – lediglich für den Zugang zu den Niederschriften (Art. 54 Abs. 3 Satz 1 GO) und zu den Prüfungsberichten (Art. 102 Abs. 4 GO).
Soweit der Kläger weiterhin die Feststellung begehrt, dass seine Mitwirkungsrechte dadurch verletzt werden, dass der Gemeinderat der Beklagten, zuletzt mit Beschluss vom 20.11.2017 zwei Vorprüfer mit der Prüfung des Jahresabschlusses der Gemeinde und des Eigenbetriebs beauftragt und die örtliche Prüfung des Gemeinderats sich, zuletzt mit Beschluss vom 20. November 2017, darauf beschränkt, den von den Vorprüfern vorgelegten Prüfbericht zustimmend zur Kenntnis zu nehmen, dürfte die Klage bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet sein. Dem Kläger fehlt hierfür die erforderliche Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO).
Entgegen der Auffassung des Klägers lassen sich die beiden Vorgänge nicht dergestalt zu einer Einheit verbinden, dass hierdurch organschaftliche Mitwirkungsrechte des Klägers verletzt würden, auch wenn sich der Eindruck aufdrängen mag, dass mit der Vorgehensweise die Vorschriften über die Bildung eines Rechnungsprüfungsausschusses, dem der Kläger dann wohl angehört hätte, umgangen wurden. Ein Anspruch auf Bildung eines Rechnungsprüfungsausschusses steht dem einzelnen Gemeinderatsmitglied nicht zu. Die Beauftragung zweier Mitglieder des Gemeinderats als Vorprüfer durch den Gemeinderat kann ebenfalls nicht zu einer Verletzung von Mitwirkungsrechten des Klägers führen, da – wie das zuständige Landratsamt in seinem Schreiben vom 23. November 2016 an den Kläger nachvollziehbar ausgeführt hat – im Wege der Auslegung davon auszugehen ist, dass mehrheitlicher Wille des Gemeinderats nur sein konnte, die beiden Gemeinderatsmitglieder mit der Vorprüfung der Jahresabschlüsse und nicht (rechtswidrig) mit deren abschließenden Prüfung an seiner Stelle zu beauftragen. Sofern der Gemeinderat die ihm dann als Gremium obliegende eigene abschließende Prüfung rechtswidrig unterlassen oder nicht in rechtmäßiger Weise vorgenommen haben sollte, könnte sich auch hieraus keine Verletzung einer schützenswerten Rechtsposition des Klägers ergeben, weil ein im Rechtsweg verfolgbarer Anspruch darauf, dass der Gemeinderat nur gesetzmäßige Beschlüsse fasst, dem einzelnen Gemeinderatsmitglied oder der überstimmten Minderheit im Gemeinderat nicht zusteht. Das einzelne Gemeinderatsmitglied hat, sofern nicht in ein ihm zustehendes Individualrecht eingegriffen wird, allenfalls die Möglichkeit, ein Eingreifen der Rechtsaufsichtsbehörde anzuregen (vgl. BayVGH, U.v. 25.2.1970 – Nr. 150 IV 68 – BayVBl 1970, 222/ 223). Dadurch, dass sich die örtliche Prüfung des Gemeinderats (wiederholt) darauf beschränkt, den von den Vorprüfern vorgelegten Prüfbericht zustimmend zur Kenntnis zu nehmen, wird jedoch nicht in ein dem Kläger zustehendes Individualrecht eingegriffen. Auch der damit in Zusammenhang stehende Hilfsantrag bleibt daher ohne Erfolg. Darauf, dass der Gemeinderat nur eine aus Sicht des Klägers ordnungsgemäße örtliche Rechnungsprüfung und anschließende Feststellung der Jahresabschlüsse durchführt, hat er keinen im Rechtsweg verfolgbaren individuellen Anspruch.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da der Kläger in einem der beiden Klageanträge obsiegt hat, waren die Kosten des Verfahrens den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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