Arbeitsrecht

Zuordnung zurückgelegter Versicherungszeiten zu einer Qualifikationsgruppe und Glaubhaftmachung einer entsprechenden Tätigkeit

Aktenzeichen  L 13 R 1206/13

Datum:
25.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI SGB VI § 149 Abs. 5, § 256b Abs. 1 S. 1, Anlage 13
FRG FRG § 4, § 22 Abs. 1
DPSVA Art. 4, Art. 27

 

Leitsatz

In Polen zurückgelegte Versicherungszeiten eines Bergbautechnikers können nicht der Qualifikationsgruppe 2 der Anlage 13 zum SGB VI zugeordnet werden, wenn die Verrichtung einer dieser formellen Qualifikation entsprechenden Tätigkeit nicht glaubhaft gemacht ist.

Verfahrensgang

S 4 KN 31/13 2013-11-18 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. November 2013 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 23. Mai 2013 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, da die zulässige Klage unbegründet ist. Der Kläger hat entgegen der Annahme des SG keinen Anspruch auf Zuordnung der Versicherungszeiten vom 3. Oktober 1969 bis 31. März 1983 zur Qualifikationsgruppe 2 der Anlage 13 zum SGB VI und Zahlung einer dementsprechend höheren Altersrente. Das Urteil des SG war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Streitgegenstand ist nur noch der Bescheid vom 23. Mai 2013 über die Gewährung von Altersrente an den Kläger, der gemäß § 96 SGG an die Stelle des ursprünglich angefochtenen Überprüfungsbescheids vom 16. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. November 2012 getreten ist.
Gemäß § 96 Abs. 1 SGG wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abgeändert oder ersetzt.
Ursprünglich angefochtener Bescheid war der Bescheid vom 16. August 2012. Inhalt der Regelung dieses Bescheids war die Ablehnung des Antrags des Klägers, den Bescheid vom 8. November 1999 teilweise zurückzunehmen und die Versicherungszeiten vom 3. Oktober 1969 bis 31. März 1983 der Qualifikationsgruppe 2 der Anlage 13 zum SGB VI zuzuordnen. Diese Regelung wurde durch den Rentenbescheid vom 23. Mai 2013 ersetzt. Ein Ersetzen im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn ein neuer Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 96 Rn 4a). Der Rentenbescheid vom 23. Mai 2013 ist – nach Erlass des Widerspruchsbescheids – ganz an die Stelle sowohl des bestandskräftig gewordenen Vormerkungsbescheids vom 8. November 1999 als auch des ablehnenden Überprüfungsbescheids vom 16. August 2012 getreten. Zwar handelt es sich bei der Feststellung des Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit sowie der Ablehnung, eine bereits bestandskräftig gewordene Feststellung zurückzunehmen und durch eine andere zu ersetzen, und der Rentenwertfestsetzung unter Berücksichtigung auch dieser Zeit nicht um identische Regelungsgegenstände. Sie stehen jedoch in einem Verhältnis sachlicher und zeitlicher Exklusivität zueinander. Vor dem Zeitpunkt der Feststellung einer Leistung darf der Rentenversicherungsträger nicht über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten entscheiden (§ 149 Abs. 5 Satz 3 SGB VI) und den Rentenwert bestimmen. Ab dem Zeitpunkt der Feststellung einer Leistung wiederum erledigen sich Vormerkungsbescheide gemäß § 39 Abs. 2 SGB X auf andere Weise und dürfen durch weitere Feststellungen einzelner wertbestimmender Elemente von vornherein nicht mehr ersetzt werden. Nach Erlass seines Rentenbescheids besteht kein Rechtsschutzbedürfnis zur Durchführung eines gesonderten Rechtsbehelfsverfahrens nur in Bezug auf einen Vormerkungsbescheid mehr; ein solches Verfahren ist vielmehr unzulässig (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2010, B 13 R 118/08 R). Das Begehren des Klägers zielte auch – ungeachtet der Fassung seines Antrags vor dem SG in der mündlichen Verhandlung (§ 123 SGG) – ab dem Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheids in Wirklichkeit auf dessen Anfechtung und die Verurteilung der Beklagten im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG) zu einer höheren Rentenleistung.
Die Klage gegen den Bescheid vom 23. Mai 2013 ist zulässig. Insbesondere wurde ein Widerspruchsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt. Der erneuten Durchführung eines Widerspruchsverfahrens gegen den die ursprünglich angefochtenen Bescheide ersetzenden Rentenbescheid bedurfte es nicht.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Anspruch des Klägers auf Berücksichtigung und Bewertung der von ihm in P. zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten richtet sich nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen – DPSVA – vom 9. Oktober 1975, da die Wohnsitzverlegung des Klägers in das Bundesgebiet am 8. Dezember 1986 und damit vor dem 1. Januar 1991 erfolgte, der Kläger sich seitdem im Bundesgebiet aufhält und die strittige Beitragszeit im zeitlichen Anwendungsbereich des DPSVA 1975 liegt (vgl. Art. 27 Abs. 2 bis 4 DPSVA 1990). Dieses Abkommen gilt auch nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 fort (vgl. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in Verbindung mit Anhang II dieser Verordnung, wonach der Rechtsstatus auf der Grundlage des Abkommens von 1975 der Personen beibehalten wird, die vor dem 1. Januar 1991 ihren Wohnsitz auf dem Hoheitsgebiet Deutschlands oder Polens genommen hatten und weiterhin dort ansässig sind).
Nach Art. 4 DPSVA 1975 gilt für Abkommenszeiten das Prinzip der Eingliederung in das innerstaatliche System der sozialen Sicherheit des Wohnsitzlandes. Der die Rente gewährende Versicherungsträger des Wohnsitzlandes rechnet nach den für ihn geltenden Vorschriften im anderen Staat zurückgelegte Versicherungszeiten, Beitragszeiten und diese gleichgestellte Zeiten so an, als ob sie im Wohnsitzland zurückgelegt worden wären (Art. 4 Abs. 1 DPSVA 1975). Gemäß Art. 2 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes zum DPSVA 1975 vom 12. März 1976 (BGBl II 393) in der Fassung durch Art. 20 Nr. 2 und 3 des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) sind diese Zeiten bei Feststellungen einer Rente nach dem 30. Juni 1990 in unmittelbarer Anwendung des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG), dessen Art. 1 das Fremdrentengesetz (FRG), bildet, zu berücksichtigen.
Darüber hinaus finden die Bestimmungen des FRG auf den Kläger unmittelbar Anwendung, da er als Spätaussiedler anerkannt ist (vgl. § 1 Abs. 1 a FRG).
Gemäß § 22 Abs. 1 FRG i.V.m. § 256 b Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind die Entgeltpunkte für den Kläger nach Durchschnittsverdiensten zu ermitteln, die sich nach Einstufung der Beschäftigung in eine der in Anlage 13 genannten Qualifikationsgruppen und nach Zuordnung der Beschäftigung zu einem der in Anlage 14 genannten Bereiche ergeben. Damit hat der Gesetzgeber für die Versicherten aus den Herkunftsgebieten die Tabellenwerke übernommen, die den Einkommensverhältnissen sowie den Ausbildungs- und Fortbildungsstrukturen der ehemaligen DDR angepasst waren.
In die „Qualifikationsgruppe 2 Fachschulabsolventen“ sind einzuordnen:
1. Personen, die an einer Ingenieur- oder Fachschule in einer beliebigen Studienform oder extern den Fachschulabschluss entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften erworben haben und denen eine Berufsbezeichnung der Fachschulausbildung erteilt worden ist 2. -(betrifft Beitrittsgebiet) 3. Personen, die an staatlich anerkannten mittleren und höheren Fachschulen außerhalb des Beitrittsgebiets eine Ausbildung abgeschlossen haben, die der Anforderung des Fachschulabschlusses im Beitrittsgebiet entsprach, und ein entsprechendes Zeugnis besitzen 4. Technische Fachkräfte, die berechtigt die Berufsbezeichnung „Techniker“ führten, sowie Fachkräfte, die berechtigt eine dem Techniker gleichwertige Berufsbezeichnung entsprechend der Systematik der Berufe im Beitrittsgebiet (z. B. Topograph, Grubensteiger) führten.
Eine Einstufung in „Qualifikationsstufe 3 Meister“ kommt für Personen in Betracht, die einen urkundlichen Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister bzw. als Meister des Handwerks besitzen beziehungsweise denen auf Grund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet die Qualifikation als Meister zuerkannt wurde. Hierzu zählen nicht in Meisterfunktion eingesetzte oder den Begriff „Meister“ als Tätigkeitsbezeichnung führende Personen, die einen Meisterabschluss nicht haben (z. B. Platzmeister, Wagenmeister).
In die „Qualifikationsgruppe 4 Facharbeiter“ sind nach der Anlage 13 zum SGB VI Personen eingeordnet, die über die Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung nach abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf die Facharbeiterprüfung bestanden haben und im Besitz eines Facharbeiterzeugnisses (Facharbeiterbrief) sind oder denen auf Grund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet die Facharbeiterqualifikation zuerkannt worden ist. Hierzu zählen nicht Personen, die im Rahmen der Berufsausbildung oder der Erwachsenenqualifizierung auf Teilgebieten eines Ausbildungsberufes entsprechend der Systematik der Ausbildungsberufe im Beitrittsgebiet ausgebildet worden sind.
Nach S. 1 der Anlage 13 sind Versicherte in eine der Qualifikationsgruppen einzustufen, wenn sie deren Qualifikationsmerkmale erfüllen und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben.
Bei der Einstufung in Qualifikationsgruppen ist zunächst zu untersuchen, welches Qualifikationsniveau der Versicherte im Herkunftsgebiet erworben hat. Dann ist festzustellen, ob das im Herkunftsgebiet erworbene Qualifikationsniveau einem Qualifikationsniveau der DDR entspricht, wie es in den Qualifikationsgruppen der Anlage 13 zum SGB VI geschrieben ist (BSG, Urteil vom 12. November 2003, B 8 KN 2/03 R, in juris).
Der Kläger verfügt im Sinne des Satzes 1 der Anlage 13 über eine formelle Qualifikation als Techniker im Sinne der der Qualifikationsgruppe 2. Dies steht für den Senat fest aufgrund des vom Kläger vorgelegten Reifezeugnisses vom 20. September 1969. Danach hat der Kläger das Recht erworben, den Titel eines Bergbautechnikers zu führen. Dieser in P. erworbene Technikerabschluss entspricht auch – übertragen auf die Verhältnisse der ehemaligen DDR – einem dort erlangten Abschluss als Techniker. Denn aufgrund der „Vereinbarung zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der Volksrepublik P. über die Äquivalenz der Dokumente der Bildung und akademischen Grade und Titel, die in der DDR und in der Volksrepublik P. ausgestellt bzw. verliehen werden“ vom 24. Februar 1977 war ein polnischer Technikerabschluss einem DDR- Technikerabschluss gleichgestellt. Da sich in den Qualifikationsgruppen die DDR-Verhältnisse widerspiegeln, ist es auch gerechtfertigt, diese in der ehemaligen DDR geltenden Abkommensregelungen über die Gleichwertigkeit von Ausbildungsabschlüssen zu übernehmen (ebenso Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. März 2002, L 13 KN 6/99, wonach zur Frage der Gleichwertigkeit von Bildungsabschlüssen auf die bilateralen Abkommen der DDR zurückgegriffen werden kann).
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen vor dem SG und dem erkennenden Senat ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger im Sinne des Satzes 1 der Anlage 13 auch eine „entsprechende“ Tätigkeit ausgeübt hat.
Für die Feststellung, dass ein Versicherter eine seiner formellen Qualifikation „entsprechende Tätigkeit“ ausgeübt hat, ist ausreichend, dass die verrichtete Tätigkeit im Wesentlichen der erworbenen Qualifikation entspricht (BSG, Urteil vom 12. November 2003, B 8 KN 2/03, in juris). Aus der Bezugnahme auf den „Grubensteiger“ als eine Berufsbezeichnung, die dem des Technikers gleichwertig ist, im Rahmen der Qualifikationsgruppe 2 lässt sich ableiten, dass im Bereich des Bergbaus tatsächlich Tätigkeiten auf dem Niveau eines Steigers verrichtet worden sein müssen, damit von einer dem Berufsabschluss „Techniker“ entsprechenden Tätigkeit gesprochen werden kann. Der Steiger ist auch im polnischen Bergbau eine Aufsichtsperson, die Verantwortung für einen Teil des Bergwerks und die ihm unterstellten Personen trägt. Eine Tätigkeit als verantwortlicher Aufseher mit überwachenden und planenden Arbeiten ohne prägende persönliche, zimmermannstypische handwerkliche Mitarbeit würde diesem Tätigkeitsbild eines Grubensteigers entsprechen. Unabdingbar hierfür ist die Übernahme von Verantwortung dafür, dass die bergmännischen Arbeiten in dem jeweiligen Zuständigkeitsgebiet des Grubenbetriebs fachgerecht und störungsfrei durchgeführt werden.
Kennzeichnend für Tätigkeiten im Sinne der von der Beklagten angenommenen Qualifikationsgruppe 4 ist hingegen die eigenhändige und selbstständige Verrichtung von Zimmermannsarbeiten auf einem Niveau, das grundsätzlich eine mehr als 2-jährige Ausbildung voraussetzt.
Für die Frage, welche Tätigkeiten der Kläger tatsächlich ausgeführt hat, ist nicht ein Nachweis im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erforderlich. Ausreichend ist vielmehr, dass der Kläger glaubhaft macht (§ 4 FRG), Arbeiten auf dem Niveau eines Steigers verrichtet zu haben.
Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken soll, überwiegend wahrscheinlich ist. Dies gilt auch für außerhalb der Bundesrepublik Deutschland eingetretene Tatsachen, die nach den allgemeinen Vorschriften erheblich sind.
Bei Berücksichtigung der vom Kläger selbst gemachten Aussagen, der Angaben in seinem Legitimationsbuch, der Auskünfte des polnischen Sozialversicherungsträgers, der schriftlichen Zeugenaussagen sowie der vor dem Senat abgegebenen Aussagen der erreichbaren Zeugen F. und C. ist es für den Senat nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger tatsächlich im strittigen Zeitraum Tätigkeiten auf dem Niveau eines Steigers verrichtet hat.
Gegen die vom Kläger geltend gemachte Verrichtung von Überwachungstätigkeiten sprechen schon sehr deutlich seine eigenen Angaben im Kontenklärungsverfahren. Dort hatte er nicht angegeben, ausschließlich Aufsichtstätigkeiten verrichtet zu haben. Vielmehr hat er hier erklärt, als „Zimmermann“ tätig gewesen zu sein.
Auch später ist noch ausgeführt worden, der Kläger sei als „Vorarbeiter“ eingesetzt gewesen. Diese Selbstbeschreibung spricht für eine herausgehobene Position unter den Facharbeitern („primus inter pares“), da auch ein Vorarbeiter – wie sich auch schon aus der Bezeichnung ergibt – üblicherweise noch selbst Arbeiten verrichtet, und nicht nur Überwachungstätigkeiten ohne eigene Mitarbeit ausübt. Auch der Zeuge C. hat angegeben, dass Vorarbeiter noch selbst körperlich mitgearbeitet haben. Diese frühen Angaben des Klägers haben für den Senat einen hohen Beweiswert, da sie zum einen im Unterschied zu der späteren Behauptung einer Tätigkeit als Aufseher noch nicht im Hinblick auf ein bestimmtes Begehren (Einstufung in eine höhere Qualifikationsgruppe) gemacht wurden und es zum anderen nicht der Lebenserfahrung entspricht, dass man sich bei der Angabe seiner eigenen beruflichen Tätigkeiten abqualifiziert.
Darüber hinaus sprechen die übereinstimmenden Angaben im Legitimationsbuch sowie die Auskünfte des polnischen Sozialversicherungsträgers gegen die spätere Behauptung des Klägers, er sei ausschließlich als Aufsichtsperson tätig gewesen. Hier ist übereinstimmend von einer Tätigkeit als (Betriebs) Zimmermann die Rede. Die Eintragung „Aufsichtsperson“ oder “(Gruben) Steiger findet sich an keiner Stelle. Der polnische Sozialversicherungsträger hat seine Angaben auch nach Vorlage der Zeugenerklärungen und Nachfrage beim Arbeitgeber des Klägers nicht revidiert.
Der Umstand, dass vom polnischen Arbeitgeber bestätigt worden ist, der Kläger habe im streitigen Zeitraum überwiegend 1 1/2 fache Schichten verfahren, spricht ebenfalls gegen die Verrichtung von Aufsichtstätigkeiten. Nach polnischem Recht hat eine 1 1/2 fache Anrechnung zu erfolgen, soweit es sich um Tätigkeiten handelt, die im Rundschreiben Nr. 2 des polnischen Ministers für Bergbau und Energie vom 23. Februar 1970 (Rundschreiben) aufgrund des § 5 der „Verordnung des Vorsitzenden des Komitees für Arbeit und Entlohnung vom 22. Oktober 1968 über die Bestimmung einiger Arbeitsposten, deren Beschäftigungsausführung als eine Bergbautätigkeit angesehen wird, die zum Empfang von Bergmannsruhegeld oder Bergmannsrente berechtigt“ (V. 1968) sowie – für Zeiten ab 1. Januar 1983 – der Verordnung des polnischen Ministers für Arbeit, Löhne und soziale Angelegenheiten vom 21. Januar 1984 (Verordnung 1984; vgl. Poletzky, Sozialversicherungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik P., 2. Aufl. 1990, S. 335, 329; vgl. BSG, Urteil vom 29. September 1997, Az. 8 RKn 16/96, in juris Rn. 27), aufgeführt sind.
Gemäß § 1. 1 Nr. 10 Rundschreiben gelten als Beschäftigungszeiten, die gemäß Verordnung (1968) eineinhalbfach bei der Bemessung des Bergmanns-Ruhegeldes oder der Bergmannsrente anrechenbar sind, Beschäftigungszeiten nach der Befreiung auf den nachstehend aufgeführten Arbeitsposten: Bergmann-Zimmermann und Füller vor Ort und im Querschlag beim Umlegen, im Trockenversatz und im hydraulischen und pneumatischen Versatz.
Soweit der Kläger als Zimmermann untertage tätig war, ist damit die Anrechnung eineinhalbfacher Anrechnung nachvollziehbar. Reine aufsichtsführende Tätigkeiten sind jedoch in § 1. 1 Rundschreiben nicht genannt. Damit ist nicht plausibel, warum dem Kläger vom polnischen Sozialversicherungsträger eineinhalbfach anzurechnende Schichten bestätigt worden sind, wenn er rein aufsichtsführend tätig war.
Aus der Verordnung 1984 geht aus § 2 hervor, dass als Zeiten der Arbeit unter Tage wie auch in Schwefelbergwerken im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes über die Rentenversorgung der Arbeitnehmer und ihrer Familien vom 1. Februar 1983 (Gesetz 1983) Arbeitszeiten an den Arbeitsplätzen angesehen werden, die in dem als Anlage Nr. 2 dieser Verordnung beigefügten Verzeichnis aufgeführt sind. Unter der Anlage Nr. 2 (Verzeichnis derjenigen Arbeitsplätze, an denen die Arbeitszeit untertage sowie in Schwefelbergwerken eineinhalbfach angerechnet wird) ist unter der Nr. 8 der Bergmann-Zimmermann, Füller, Ausbauer, die vor Ort beim Verlegen von Förderanlagen, beim Bau von Versatzdämmen beim Umbau von Versatzrohrleitungen sowie beim Abbauversatz beschäftigt sind, aufgeführt. Auch hier findet sich kein Hinweis auf Aufsichtstätigkeiten.
Diesbezüglich findet sich nur in § 3 folgende Regelung: „Als Arbeitnehmer der Bergwerksbetriebsaufsicht und -leitung, die mindestens die Hälfte der Arbeitstage im Monat untertage oder in Schwefelbergwerken arbeiten und denen die Zeiten der Zugehörigkeit zu Rettungsmannschaften oder der Arbeit als Mechaniker für die Rettungsgeräte nach Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes 1983 eineinhalbfach angerechnet werden, werden Arbeitnehmer angesehen, die in dem als Anlage Nr. 3 dieser Verordnung beigefügten Verzeichnis aufgeführt sind.“ In der Anlage 3 finden sich dann alle Steiger, sowie Aufsichtsmeister der Abteilungen unter anderem für Schachten sowie andere Bedienstete der Betriebsaufsicht und Betriebsleitung von Gruben, die eine entsprechende Genehmigung des Bergamtes besitzen.
Daraus folgt jedoch nur, dass derartigen Aufsichtspersonen eineinhalbfach Schichten nur insoweit angerechnet worden sind, als sie zu Rettungsmannschaften zugehörig waren oder als Mechaniker für die Rettungsgeräte eingesetzt wurden. Dies ist beim Kläger aber nicht der Fall.
Die schriftlichen Zeugenaussagen sprechen zwar für die Behauptung des Klägers, als Aufseher tätig gewesen zu sein. Ihre Glaubwürdigkeit leidet aber darunter, dass der Kläger diese Aussagen nach seinen eigenen Angaben vorformuliert hat.
Die Aussagen der in den mündlichen Verhandlungen am 16. Oktober 2016 und 25. Januar 2017 uneidlich einvernommenen Zeugen F. und C. vermochten den Senat ebenfalls nicht davon zu überzeugen, dass der Kläger im strittigen Zeitraum eine Tätigkeit als verantwortlicher Aufseher auf dem Niveau eines Steigers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeübt hat.
Am ehesten für den Kläger sprechen die Aussagen des Zeugen C … Dieser hat angegeben, der Kläger sei als „Starzysta“ tätig gewesen, habe dabei 10 bis 20 Leute unter sich gehabt. Er sei für diese verantwortlich gewesen. Die Verantwortung für die Schicht habe beim Steiger gelegen. Steiger und „Starzysta“ hätten nicht körperlich mitgearbeitet. Ein „Starzysta“ sei ein Steiger in einer Art Probezeit ohne behördliche Genehmigung gewesen. Unterhalb der „Starzysta“ habe es noch Vorarbeiter gegeben, die körperlich mitgearbeitet hätten. Um „Starzysta“ zu werden, habe man die Ausbildung zum Techniker im Bergbau benötigt. Für körperlich Arbeitende seien Schichten bis zu 1,8 fach angerechnet worden. Auch die „Starzysta“ seien so behandelt worden, sie seien ja auch als Zimmermänner geführt worden. Steiger hätten diese Vergünstigungen nicht bekommen.
Die Glaubwürdigkeit des Zeugen C. leidet allerdings nach der Einschätzung des Senats darunter, dass der Kläger ausweislich seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2017 mit dem Zeugen C. über das Verfahren gesprochen und ihn auch über die Aussagen des Zeugen F. informiert hat, wenn auch nicht in allen Details. Der Zeuge C. wiederum hat angegeben, „er sei gestern mit dem Kläger noch mal durchgegangen, was in der Erklärung vom Mai 2011 stehe. Er wisse von der Aussage des Zeugen F., könne sich aber nicht an Einzelheiten erinnern. Er habe mit dem Kläger darüber gesprochen, dass die Angaben nicht mit der schriftlichen Erklärung des Zeugen übereinstimmen. Die schriftliche Erklärung des Zeugen F. kenne er aber nicht“.
Es hat also (erneut) eine Besprechung der Angelegenheit zwischen dem Kläger und dem Zeugen stattgefunden, was Zweifel daran sät, dass der Zeuge völlig unbeeinflusst seine Aussage abgegeben hat. Während der Kläger deutlich klargestellt hat, dass er vor der Verhandlung mit dem Zeugen C. über das Verfahren gesprochen und ihn auch über die Aussage des Zeugen F. informiert habe, wenn auch nicht in allen Details, hat der Zeuge C. versucht, dies auf ein bloßes Gespräch über den Inhalt der Erklärung vom Mai 2011 zu reduzieren. Auch sind seine Einlassungen zu der Aussage des Zeugen F. wenig glaubwürdig. Seine Aussage, er wisse von dessen Aussage, könne sich aber nicht an Einzelheiten erinnern, habe mit dem Kläger darüber gesprochen, dass die Angaben nicht mit der schriftlichen Erklärung des Zeugen F. übereinstimmen, wobei er aber diese nicht kenne, erwecken nicht den Anschein offener und wahrheitsgetreuer Angaben der tatsächlichen Vorgänge im Vorfeld der mündlichen Verhandlung.
Darüber hinaus hat der Zeuge C. erklärt, der Kläger habe ihn gebeten, seine schriftliche Erklärung vom 23. Mai 2011 zu schreiben. Er habe sie in Anwesenheit des Klägers formuliert. Es sei kein vorformulierter Text des Klägers gewesen. Dies widerspricht jedoch der Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 18. November 2013 vor dem SG, wonach die Zeugenaussagen zwar von den Zeugen persönlich geschrieben worden seien, er ihnen aber eine Vorlage unterbreitet habe. Für die Einlassung des Klägers spricht dabei, dass die schriftliche Aussage des Zeugen C. sehr ähnlich zu der des Zeugen E. ist.
Darüber hinaus zeichnet der Zeuge C. ein Bild des polnischen Bergbaus, das von jahrzehntelangen falschen Angaben in Legitimationsbüchern und Lohnlisten und der rechtswidrigen Beschäftigung von Mitarbeitern mit aufsichtlichen Tätigkeiten ohne bergaufsichtliche Genehmigung geprägt ist. Nach seinen Angaben ist der Kläger unter den Augen der zuständigen Behörden über Jahrzehnte als Steiger ohne behördliche Genehmigung („Starzysta“) tätig geworden, wobei er aber doch wieder nicht vollumfänglich die Verantwortung eines Steigers getragen hat, da nach der Aussage des Zeugen C. die Verantwortung für die Schicht beim „wirklichen“ Steiger gelegen habe. Auch war bei Zugrundelegung der Angaben des Zeugen C. über Jahre die Lohnabrechnung des Klägers offensichtlich rechtswidrig, da die Zuerkennung von eineinhalbfachen Schichten an Aufsichtspersonen nach den einschlägigen Bestimmungen des polnischen Rechts nicht zulässig war. Dies erscheint dem Senat wenig plausibel.
Schließlich ist bei der Bewertung der Aussage des Zeugen C. auch zu berücksichtigen, dass dieser jedenfalls seine Angaben über die vom Kläger verrichteten Tätigkeiten nicht aus eigener Wahrnehmung machen konnte. Er und der Kläger hätten, so der Zeuge, in verschiedenen Abteilungen in der Vorbereitung gearbeitet. Er wisse nicht mehr, ob ihm der Kläger einmal unterstellt gewesen sei.
Deutlich gegen den Kläger sprechen die Angaben des Zeugen F … Dieser hat bestätigt, der Kläger habe auch länger arbeiten müssen. Der Kläger habe an den Treffen mit dem Obersteiger aber nur als Vorarbeiter teilgenommen. Auch Vorarbeiter hätten Rapporte schreiben müssen. Selbst die mittlere Aufsicht habe tatsächlich in der Gruppe mitgearbeitet und nicht lediglich die Aufsicht geführt. Auch die mittleren Aufsichten hätten, so der Zeuge F., ihm als Steiger unterstanden. Eigene Verantwortung hätten sie nicht getragen, nur Aufsichtsfunktionen vom Abteilungsleiter zuerkannt erhalten. Diese mittlere Aufsicht im Sinne der Angaben des Zeugen F. soll nach Aussage des Zeugen C. mit den „Starzysta“ identisch sein.
Die Aussage des Zeugen F. spricht deutlich dafür, dass der Kläger – entsprechend seinen Angaben im Kontenklärungsverfahren – selbst handwerkliche Arbeiten verrichtet und nur im eingeschränkten Umfang darüber hinaus wie ein Vorarbeiter oder allenfalls wie eine mittlere Aufsicht aufsichtlich tätig geworden ist. Diese Aussage ist auch eher damit vereinbar, dass für den Kläger eineinhalbfache Schichten verrechnet wurden und der Kläger keine bergaufsichtliche Genehmigung als verantwortliche Aufsichtsperson hatte. Bei der Zugrundelegung der Aussage des Zeugen F. ergibt sich nach Einschätzung des Senats ein viel stimmigeres Bild als bei der des Zeugen C … Erstere ist im Gegensatz zu letzterer sowohl mit den urkundlichen Eintragungen als auch den ursprünglichen Angaben des Klägers gut vereinbar. Durch eine Vorarbeitertätigkeit mit zusätzlichen aufsichtlichen Komponenten bzw. als mittlere Aufsicht wird aber die Qualifikationsebene der Qualifikationsgruppe 2 noch nicht erreicht. Eine einem Steiger entsprechende Verantwortung liegt in einer derartigen Tätigkeit nicht.
In der Zusammenschau aller Umstände hält der Senat damit die tatsächliche Verrichtung von der Qualifikationsgruppe 2 entsprechenden Tätigkeiten durch den Kläger im strittigen Zeitraum nicht für überwiegend wahrscheinlich. Die Qualifikationsgruppe 3 kommt von vornherein nicht in Betracht, da der Kläger weder eine Meisterqualifikation hat noch als Meister tätig geworden ist. Damit hat es bei der von der Beklagten vorgesehenen Zuordnung des strittigen Zeitraums zur Qualifikationsgruppe 4 zu verbleiben.
Der Berufung war daher stattzugeben und die Klage gegen den nur noch angefochtenen Bescheid vom 23. Mai 2013 abzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt, dass der Kläger im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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