Arbeitsrecht

Zur Beschäftigungslosigkeit bei rechtlichem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses

Aktenzeichen  L 9 AL 202/15

Datum:
15.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 44531
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III  § 136 Abs. 1 Nr. 1, § 137 Abs. 1, § 138, § 145 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Es liegt keine Beschäftigungslosigkeit nach § 138 Abs 1 Nr 1 SGB III vor, wenn sowohl der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber den Willen haben, das Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers fortzusetzen, auch wenn ein betriebliches Eingliederungsmanagement erfolglos war. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 36 AL 1054/13 2015-07-01 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 1. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG München vom 01.07.2015 ist zulässig, sachlich jedoch nicht begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 23.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2013, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 29.08.2013 abgelehnt hat.
Das SG hat festgestellt, dass der Kläger im streitigen Zeitraum nur einen Anspruch auf Arbeitslosengeld vom 29.08.2013 bis 08.10.2013, aber nicht darüber hinaus hat.
Dabei hat die Sachaufklärung des Senats im Berufungsverfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kläger einen Anspruch auf Arbeitslosengeld über den 08.10.2013 hinaus hat.
Gemäß §§ 136 Abs. 1 Nr. 1, 137 Abs. 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sie arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Arbeitslos ist nach § 138 Abs. 1 SGB III ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).
Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht gemäß § 138 Abs. 5 SGB III zur Verfügung, wer
– Nr. 1 eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf,
– Nr. 2 Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann,
– Nr. 3 bereit ist, jede Beschäftigung im Sinne der Nummer eins anzunehmen und auszuüben und
– Nr. 4 bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen.
Nach § 145 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld auch, wer allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist. Die Feststellung, ob verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, trifft der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung.
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, war der Kläger – trotz vorübergehender Arbeitsunfähigkeit – im streitigen Zeitraum ab 29.08.2013 in der Lage, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Der Kläger erfüllte daher die oben dargelegten Voraussetzungen des § 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III für seine sogenannte objektive Verfügbarkeit.
Das SG hat weiterhin zutreffend dargelegt, dass die so genannte Nahtlosigkeitsregelung des § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III im vorliegenden Fall keine Anwendung finden kann, da diese gerade das Fehlen der objektiven Verfügbarkeit des Arbeitslosen aufgrund einer mehr als sechsmonatigen Minderung der Leistungsfähigkeit voraussetzt, was aus den oben dargelegten Gründen zu verneinen ist.
Der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld – im noch streitigen Zeitraum über den 08.10.2013 hinaus – scheitert jedoch an der fehlenden Beschäftigungslosigkeit des Klägers.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) tritt die hier maßgebliche Beschäftigungslosigkeit im leistungsrechtlichen Sinn gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nur dann ein, wenn die tatsächliche Beschäftigung ihr faktisches Ende gefunden hat. Auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses kommt es insoweit nicht an. Es sind vielmehr die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2007 – Az. B 11a AL 31/06/R).
Wesentliches Merkmal eines Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinn ist daher die faktische Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die sich auf der einen Seite in der tatsächlichen Verfügungsmacht bzw. Verfügungsbefugnis (Direktionsrecht) des Arbeitgebers und auf der anderen Seite in der faktischen Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers auswirkt (vgl. BSG, Urteil vom 09.02.2006 – Az. B 7a AL 58/05 R).
Dabei erfordern sowohl die Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers als auch die Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers keine Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers, sofern Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Willen haben, das Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers fortzusetzen. Von einer tatsächlichen Lösung des Beschäftigungsverhältnisses kann daher nur ausgegangen werden, wenn beide Seiten das Beschäftigungsverhältnis als dauerhaft gelöst ansehen (vgl. BSG, Urteil vom 21.08.1997 – Az. 12 BK 63/97; sowie LSG Niedersachen, Urteil vom 13.12.2001 – Az. L 8 AL 368/00).
Nach den Feststellungen des Senats ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass sowohl der Kläger als auch das Klinikum C-Stadt an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach der Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers interessiert waren. Eine dauerhafte Aufgabe der Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers ist – aus prognostischer Sicht zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung des Klägers am 11.07.2013 – nicht ersichtlich. So hat der Arbeitgeber in der Arbeitsbescheinigung keine Angaben zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gemacht, sondern handschriftlich auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses hingewiesen.
Nach Auskunft des Personalleiters des Klinikums C-Stadt gegenüber dem Senat war der Arbeitgeber auch jederzeit bereit, den Kläger nach seiner Gesundung tatsächlich wieder einzusetzen, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger hat insoweit nur vorübergehend geruht.
Laut dem vorliegenden Entlassungsbericht der I-Klinik bestand am 29.08.2012 zwar noch eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers, auf Dauer bestand jedoch aus sozialmedizinischer Sicht bereits zum damaligen Zeitpunkt ein Leistungsvermögen von täglich über sechs Stunden auch für seine Tätigkeit als Küchenhelfer. Die tatsächliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses war dem Kläger daher aus prognostischer ärztlicher Sicht langfristig möglich.
Nach den Angaben des Klägers ist bereits im Mai 2013 ein betriebliches Eingliederungsmanagement eingeleitet worden, wenn auch aus tatsächlichen Gründen anfänglich ohne dauerhaften Erfolg. Ferner hat der Kläger erklärt, er hätte damals, wenn er gekonnt hätte, sowohl wieder als Spüler gearbeitet als auch einen anderen Beruf erlernt.
Der Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers im leistungsrechtlichen Sinn wird vor allem dadurch bestätigt, dass der Kläger am 28.04.2015 seine Arbeit beim Klinikum C-Stadt tatsächlich wiederaufgenommen hat.
Der Senat sieht hierin sowohl einen Beleg für die oben dargelegte fortbestehende Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers als auch einen Beleg für die fortbestehende Dienstbereitschaft des Klägers im noch streitigen Zeitraum ab 09.10.2013.
Nach alledem bedeutete der rechtliche Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zur Überzeugung des Senats im hier streitigen Zeitraum nicht nur eine sog. „leere Hülse“, was dann der Fall gewesen wäre, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer zwar eine weitere Ausübung der Verfügungsgewalt gewollt hätten, aber aufgrund der Erkrankung des Arbeitnehmers eine weitere Beschäftigung prognostisch gesehen auf unabsehbare Zeit nicht möglich gewesen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 09.09.1993, Az. 7 RAr 96/92).
Von einer tatsächlichen Beschäftigungslosigkeit kann daher vorliegend nicht ausgegangen werden, der Kläger hat daher im noch streitigen Zeitraum ab 09.10.2013 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG München vom 01.07.2015 ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (vgl. § 160 Abs. 2 SGG).


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