Arbeitsrecht

Zur Einordnung eines Vulkanausbruchs als höhere Gewalt

Aktenzeichen  133 C 21869/15

Datum:
24.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
RRa – 2019, 217
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 398, § 651j Abs. 1

 

Leitsatz

1 Im Reisevertragsrecht kann ein Vulkanausbruch im konkreten Einzelfall auch dann höhere Gewalt iSv § 651j BGB aF darstellen, wenn in einer vulkanischen Region grundsätzlich mit Vulkanausbrüchen zu rechnen ist. (Rn. 26 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Gefährdung der Reise iSv § 651j BGB aF ist anzunehmen, wenn aufgrund von Medienberichten zum Zeitpunkt der Kündigung von einer Bedrohung der persönlichen Sicherheit des Reisenden auszugehen ist. (Rn. 30 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.885,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.03.2015 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten …, hinsichtlich der angefallenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 € freizustellen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4, Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.885,30 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückerstattung von 4.885,30 € infolge wirksamer Kündigung des Reisevertrages wegen höherer Gewalt gemäß § 651 j Abs. 1 BGB.
Gemäß § 651 e Abs. 3 S. 1, 651 j Abs. 2 S. 1 BGB verliert der Reiseveranstalter mit der Ausübung der Kündigung den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. Hat der Reisende bereits im Voraus gezahlt, besteht die Wirkung der Kündigung darin, dass eine Umgestaltung des Vertrages in ein Rückgewährschuldverhältnis eintritt, mit der Folge, dass der Rückzahlungsanspruch darauf beruht und der Reiseveranstalter eine Entreicherung nicht geltend machen kann (BGHZ 85, 50, NJW 1983, 33; Staudinger/Staudinger (2016) Rn. 38).
1. Der Kläger macht eigene Ansprüche und Ansprüche seiner Ehefrau … aus abgetretenem Recht geltend. Eine wirksame Abtretung liegt unstrittig vor, gemäß § 398 S. 1 BGB.
2. Gemäß § 651 j Abs. 1 BGB können sowohl der Reiseveranstalter als auch der Reisende den Vertrag allein nach Maßgabe dieser Vorschrift kündigen, wenn die Reise infolge bei Vertragsabschluss nicht voraussehbarer höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird.
a) Höhere Gewalt ist ein außerordentliches Ereignis, das unverschuldet von außerhalb des Betriebskreises hereinbricht und unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste, nach Lage der Sache vom Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann (RGZ 101, 95; 117, 12). Die höhere Gewalt muss zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unvorhersehbar gewesen sein. Es darf also nicht berücksichtigt werden, ob sich die höhere Gewalt inzwischen realisiert hat, sondern es muss auf die Erkenntnismöglichkeiten des Reisenden zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt werden. Die höhere Gewalt muss grundsätzlich zwischen Buchung und Kündigung eintreten.
Nach Ansicht des Gerichts handelt es sich bei dem Vulkanausbruch des Vulkans Turrialba auf Costa Rica um ein Fall von unvorhersehbarer höherer Gewalt im Sinne des § 651 j Abs. 1 BGB. Ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen kam es am 12. und 13. März 2015 zu einer explosiven Aktivität des Vulkans Turrialba in deren Verlauf Lava – und Gesteinsfragmente ausgeworfen und Vulkanasche ausgestoßen wurden. Der vorliegende Vulkanausbruch stellt eine außerordentliche Naturkatastrophe dar, die durch menschliche Hand nicht zu verhindern oder einzudämmen ist.
Dem Einwand der Beklagten, dass vorliegend keine unvorhersehbare höhere Gewalt vorliege, da zum einen bei vulkanischen Regionen wir Costa Rica mit 4 aktiven Vulkanen grundsätzlich und dauerhaft von den Reisenden mit einem Vulkanausbruch zu rechnen sei, und zum anderen sich hier im Fall gerade einen Monat vor der Buchung der Reise in Costa Rica ein größerer Vulkanausbruch ereignet habe, von dem die Reisenden hätten Kenntnis haben müssen und somit „sehenden Auges der Gefahr“ die Reise buchten, kann das Gericht nicht folgen.
Zum einen muss nach Ansicht des Gerichts auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abgestellt werden, die gerade hier im Fall zur Kündigung führten und nicht auf allgemein bekannte Gefahren und örtliche Gegebenheiten, die grundsätzlich in vulkanischen Urlaubsländern vorhanden sind. Denn gemäß den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 07.11.2017, die das Gericht im Wege des Urkundenbeweises § 415 ff. ZPO verwertet, muss beachtet werden, dass der hier maßgebliche Vulkan Turrialba Phasen von stärkerer Aktivität hat und Phasen von nur geringer Aktivität. Es gibt zwar bei diesem Vulkan immer wieder kleinere Ausbrüche, allerdings war der Vulkanausbruch im März 2015 gerade ein größerer, der sogar eine Aschewolke produzierte. Aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten muss nach Ansicht des Gerichts auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abgestellt werden und im Rahmen der höheren Gewalt jeder einzelne Vulkanausbruch für sich betrachtet werden. Denn allein die Kenntnis, dass es zu häufigeren kleinen Ausbrüchen kommt und dies sich auch in naher Vergangenheit so ereignete, führt nicht zu einer Vorhersehbarkeit des streitgegenständlichen Vulkanausbruchs vorliegenden Ausmaßes und konkreter Begleitumstände. Insbesondere muss auch beachtet werden, dass sich nach den Ausführungen des Sachverständigen die Ausbruchswahrscheinlichkeit von Dezember 2014 bis März 2015 gerade nicht gesteigert hat. Und auch gerade hinsichtlich des Ausbruchs des Turrialbas am 29.10.2014 konnte keine gesteigerte Ausbruchswahrscheinlichkeit für die Folgemonate festgestellt werden, da dieser auch Perioden über Monate und Jahre zeigte ohne Ausbruch.
Und zum anderen muss Beachtung finden, dass eine solche Ansicht dazu führen würde, dass sämtlichen Reisenden das Kündigungsrecht des § 651 j BGB entzogen werden würde, wenn auf grundsätzlich bestehende Gefahren von Naturkatastrophen oder allgemeine Lebensrisiken abgestellt werden würde. Dies würde dem Willen des Gesetzgebers und dem zugrunde liegenden Verbraucherschutz zuwiderlaufen, der den Parteien gerade bei unerwartetem Eintreten außergewöhnlicher Umstände ein Kündigungsrecht verschaffen wollte.
b) Eine Gefährdung der Reise gemäß § 651 j Abs. 1 BGB liegt vor. Unter Gefährdung ist vor allem die Bedrohung der persönlichen Sicherheit des Reisenden zu verstehen, nicht so sehr die Durchführbarkeit der Reise und das Noch-Vorhanden-Sein der Hoteleinrichtungen, da dafür die beiden anderen Kriterien des § 651 j BGB zur Verfügung stehen. Der Reisende muss zum Zeitpunkt der Kündigung eine Prognose anstellen, wann und mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung eintreten könnte. Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Kündigung kann dazu führen, dass eine Kündigung wegen einer Gefährdung zulässig ist, die sich später nicht oder jedenfalls nicht zum Zeitpunkt der Reise realisiert (MüKoBGB/Tonner, 7. Aufl. 2017, BGB § 651 j Rn. 14-17). Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 15.10.2002 – X ZR 147/01) spielt es eine entscheidende Rolle, mit welcher Wahrscheinlichkeit das konkrete Zielgebiet des Reisenden betroffen ist, wobei grundsätzlich eine erhebliche Wahrscheinlichkeit genügt. Die Erheblichkeit wurde bei einer Eintreffwahrscheinlichkeit von 1 : 4 bejaht. Demnach liegt eine zur Kündigung berechtigende Gefährdung vor, wenn es zwar überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Gefährdung nicht eintritt, aber gewisse, nicht fern liegende und von der Hand zu weisende, objektive und nicht nur auf Ängsten des Kündigenden beruhende Umstände für den gegenteiligen Geschehensablauf sprechen (MüKoBGB/Tonner, 7. Aufl. 2017, BGB § 651 j Rn. 14-17).
Da sich vorliegend der Kläger auf sein Kündigungsrecht gemäß § 651 j BGB beruft sind grundsätzlich sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen von diesem darzulegen und zu beweisen. An die Darlegungs- und Beweislast dürfen aber keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Substantiierter Vortrag anhand von Presseberichten ist ausreichend. Zwar genügt diesbezüglich grundsätzlich eine Warnung des Auswärtigen Amtes, allerdings kann aus dem Fehlen solcher Meldungen nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass keine Gefährdung vorliege (BeckOK BGB/Geib, 45. Ed. 1.11.2017, § 651 j Rn. 17-18).
Zum Zeitpunkt der Kündigung am 14.03.2015 wurde in den Onlineportalen der Medien über den streitgegenständlichen Vulkanausbruch berichtet. Nach Ansicht des Gerichts genügen die von der Klagepartei vorgelegten Medienberichte aus, um zum Zeitpunkt der Kündigung von einer Gefährdung der Reisenden bei Antritt der Reise ausgehen zu können. Es ist in diesem Zusammenhang einem Reisenden nicht zumutbar die Informationsquellen der Medienberichte zu erforschen und hieraus abzuleiten, ob es sich um Übertreibungen und Dramatisierungen handelt oder ob die tatsächlichen Gegebenheiten wahrheitsgetreu wiedergegeben werden. Zum anderen muss vorliegend auch beachtet werden, dass die Reisenden auch Kontakt mit einem in Costa Rica lebenden Bekannten aufnahmen, der ebenfalls die Zustände bestätigte.
Gemäß den Ausführungen des Sachverständigen ereignete sich der Auswurf von größeren Gesteinsfragmenten nur in unmittelbare Umgebung des Vulkans, die ausgestoßene Vulkanasche wurde hingegen von den vorherrschenden Winden verdriftet. Vulkanasche hat grundsätzlich mehrere unmittelbare negative Auswirkungen. Die Sichtverhältnisse werden beeinträchtigt, durch die Asche auf dem Asphalt ergeben sich schwierige Straßenverhältnisse, es können Gesundheitsprobleme durch das Einatmen feiner vulkanischer Asche sowie vulkanischer Gase sowie Augenreizungen eintreten und Flughäfen können aufgrund der Konzentration der Vulkanasche in der Atmosphäre gesperrt werden.
Unter Heranziehung der Grundsätze der BGH-Rechtsprechung zur Eintreffwahrscheinlichkeit der Gefährdung sieht das Gericht diese hier im Fall als gegeben an. Der Sachverständige führt nachvollziehbar aus, dass zwar eine verlässliche Aussage über erneute Ausbrüche im Zusammenhang mit dem Ausbruch am 12./13. März nicht getroffen werden kann, allerdings könne dennoch festgestellt werden, dass im Fall des Torrialba aufgrund der Signale der Überwachungsnetzwerke mit weiteren Ausbrüchen gerechnet werden musste. Darüber hinaus muss Beachtung finden, dass gerade der Reisende als Laie eine Prognose über etwaige künftige Gefährdungen durch weitere Ausbrüche oder deren Folgen anstellen musste.
3. Der Beklagten steht auch kein Entschädigungsanspruch gegen den Kläger zu gemäß § 651 j Abs. 2 S. 1, 651 e Abs. 3 S. 2 BGB, da zum Zeitpunkt der Kündigung keine Reiseleistungen der Beklagten erbracht wurden.
4. Der Beklagten steht auch aufgrund ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen kein Entschädigungsanspruch in Höhe von 85 % des Reisepreises infolge Stornierung zu. Denn unabhängig von der Frage einer wirksamen Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten kann ein etwaiger Entschädigungsanspruch im Rahmen des § 651 j BGB nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen pauschalisiert werden. Denn angesichts der komplizierten und differenzierten Entschädigungsregelung in § 651 e Abs. 3 S. 2 und 3 BGB kommen Pauschalierungsabreden auf Grund von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Hinblick auf § 651 m BGB nicht in Betracht (MüKoBGB/Tonner, 7. Aufl. 2017, BGB § 651 e Rn. 16-20; Staudinger/Staudinger (2016) § 651 e Rn. 58).
5. Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beruht hier im Fall auf § 280 Abs. 1, 2, 286 BGB. Die Zinsen beruhen auf § 288 S. 1 BGB. Die Beklagte befand sich durch die – unbestrittene – Verweigerung der Zahlung am 14.03.2015 in Zahlungsverzug gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 ZPO.
II.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
3. Die Entscheidung der Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 39 ff., 48 Abs. 1 S. 1 GKG, 3 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben