Bankrecht

Verwirkung des Widerrufsrechts für einen bereits beendeten Altvertrag über einen grundpfandrechtlich gesichertes Verbraucherdarlehen: Schutzwürdiges Vertrauen des Unternehmers in ein Unterbleiben des Widerrufs; Prüfung des Umstandsmoments

Aktenzeichen  XI ZR 25/19

Datum:
18.2.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:180220UXIZR25.19.0
Normen:
§ 242 BGB
§ 346 BGB
§ 355 BGB vom 02.12.2004
§ 357 Abs 1 S 1 BGB vom 02.12.2004
§ 495 Abs 1 BGB vom 23.07.2002
Spruchkörper:
11. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG Düsseldorf, 21. Dezember 2018, Az: I-17 U 60/18vorgehend LG Mönchengladbach, 20. Februar 2018, Az: 3 O 131/17

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. Dezember 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers.
2
Die Parteien schlossen unter dem 28. Juni/3. Juli 2007 einen Darlehensvertrag über 480.000 € mit einem bis zum 30. November 2019 festen Nominalzinssatz von 5,22% p.a. Die Beklagte erhob bei Vertragsabschluss ein Bearbeitungsentgelt in Höhe von 1.200 €. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten diente eine Grundschuld. Bei Abschluss des Darlehensvertrags belehrte die Beklagte den Kläger unzureichend deutlich über sein Widerrufsrecht, da die Belehrung zum Beginn der Widerrufsfrist die den gesetzlichen Vorgaben nicht genügende Wendung “die Vertragsurkunde, der schriftliche Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Vertragsantrags” enthält (vgl. Senatsurteile vom 21. Februar 2017 – XI ZR 381/16, WM 2017, 806 Rn. 12 ff., vom 14. März 2017 – XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 24 und vom 17. April 2018 – XI ZR 446/16, WM 2018, 1358 Rn. 36 mwN).
3
Im April 2011 vereinbarten die Parteien auf Wunsch des Klägers die vorzeitige Aufhebung des Darlehensvertrages. Die Beklagte berechnete in diesem Rahmen ein Aufhebungsentgelt in Höhe von 31.814,62 €, das der Kläger neben der noch offenen Valuta an die Beklagte zahlte, die daraufhin sämtliche für das Darlehen bestellte Sicherheiten freigab.
4
Mit Schreiben vom 6. Januar 2016 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung.
5
Die Klage auf Rückzahlung des Aufhebungsentgelts und des Bearbeitungsentgelts, jeweils nebst Zinsen, hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht der Klage vollumfänglich stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihr Begehren auf Zurückweisung der Berufung des Klägers weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe

6
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
I.
7
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung – ausgeführt:
8
Das Recht des Klägers zum Widerruf seiner auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung sei nicht verwirkt. Zwar liege das Zeitmoment vor, da der Kläger “8 ½ Jahre nach Abschluss des in Streit stehenden Darlehensvertrages (und annähernd 5 Jahre nach dessen Ablösung)” habe verstreichen lassen, bevor er den Widerruf erklärt habe. Es fehle indes am Umstandsmoment.
9
Zwar könne gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprochen habe und er es in der Folgezeit versäumt habe, den Verbraucher nachzubelehren. Das gelte in besonderem Maße, wenn die Beendigung des Darlehensvertrages auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgehe. Es bestehe indes keine “tatsächliche Vermutung” des Inhalts, löse der Verbraucher ein Darlehen unter Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung ab, sei nach Ablauf einer gewissen Frist das Umstandsmoment regelmäßig zu bejahen. Es bedürfe eines weiteren Umstandsmoments für ein Kreditinstitut, dass es sich auf die Abwicklung des beendeten Vertrages verlassen dürfe. Einen Vertrauenstatbestand könne es für die Bank etwa begründen, wenn sie ihrem Kunden bei der Vertragsaufhebung besonders entgegengekommen sei, etwa durch Reduzierung des Vorfälligkeitsentgelts oder durch eine vorzeitige Freigabe der ihr gestellten Sicherheiten bei fortbestehendem Sicherungsinteresse.
10
Solche besonderen Umstände lägen hier nicht vor. Die Beklagte habe durch die einvernehmliche Aufhebung des Darlehensvertrages unter Berechnung ihres Vorfälligkeitsentgelts das erhalten, was der Kläger ihr aufgrund des Vertrags aus dem Jahr 2007 geschuldet habe. Die damit einhergehende Sicherheitenfreigabe im Jahr 2011 habe dieser vollständigen Befriedigung der wirtschaftlichen Interessen der Beklagten, die mit dem Darlehensschluss verknüpft gewesen seien, entsprochen. Aus der Tatsache, dass die Beklagte die von dem Kläger vereinnahmten Gelder valuten- und taggenau an die …-Bank, bei der sie sich refinanziere, weitergeleitet habe, könne die Beklagte im Zusammenhang mit einer Verwirkung des Widerrufsrechts nichts herleiten. Dieser Umstand beruhe nicht auf einem Verhalten des Klägers, sondern auf internen Dispositionen der Beklagten, die sie aufgrund des Darlehensvertrages im Sommer 2007 getroffen habe.
II.
11
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts ausgeschlossen hat, weisen revisionsrechtlich erhebliche Rechtsfehler auf.
12
1. Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden (Senatsurteile vom 10. Oktober 2017 – XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 9 und vom 16. Oktober 2018 – XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 14; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 – XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 9). Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 40 und XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 37, vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 30, vom 14. März 2017 – XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27 sowie vom 16. Oktober 2018, aaO; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018, aaO). Die Bewertung des Tatrichters kann in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, aaO, Rn. 18, und XI ZR 564/15, aaO, Rn. 43 sowie vom 16. Oktober 2018, aaO; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018, aaO).
13
2. a) Das Berufungsgericht hat zwar noch zutreffend angenommen, dass gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen – wie hier – das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein kann, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren, und dies in besonderem Maße gilt, wenn die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 41, vom 21. Februar 2017 – XI ZR 381/16, WM 2017, 806 Rn. 22, vom 12. März 2019 – XI ZR 9/17, WM 2019, 917 Rn. 11 und vom 17. September 2019 – XI ZR 677/17, juris Rn. 25 mwN; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 – XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 16), ohne dass die vor der Widerrufserklärung erfolgte Beendigung eines Darlehensvertrags eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen des Umstandsmoments begründet (Senatsurteile vom 3. Juli 2018 – XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 9 und vom 11. September 2018 – XI ZR 64/17, juris Rn. 14).
14
b) Allerdings hat das Berufungsgericht im Rahmen seiner Würdigung der Umstände des Einzelfalls verkannt, dass der Zeitraum zwischen der Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrags und dem Widerruf – hier annähernd fünf Jahre – nicht das Zeitmoment betrifft, aber – wenn auch nicht im Sinne einer Vermutung nach Ablauf einer wie immer definierten Mindestzeitspanne – gerade im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Widerrufs bei der Prüfung des Umstandsmoments Berücksichtigung finden kann (Senatsbeschlüsse vom 23. Januar 2018 – XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 14 und vom 25. September 2018 – XI ZR 462/17, BKR 2019, 139 Rn. 11; Senatsurteile vom 2. April 2019 – XI ZR 687/17, juris Rn. 16, vom 17. September 2019 – XI ZR 677/17, juris Rn. 24 und vom 22. Oktober 2019 – XI ZR 203/18, WM 2020, 84 Rn. 15).
15
c) Überdies ist – entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts – die Tatsache, dass der Darlehensgeber Sicherheiten freigegeben hat, ein Aspekt, den der Tatrichter bei der Prüfung des Umstandsmoments berücksichtigen kann, auch wenn der Darlehensgeber nach Beendigung des Darlehensvertrags und vollständiger Erfüllung der aus dem unwiderrufenen Darlehensvertrag resultierenden Pflichten des Darlehensnehmers die Sicherheiten ohnehin freizugeben hätte. Die Sicherheiten sichern regelmäßig auch Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB. Dem Rückgewähranspruch des Darlehensnehmers aus der Sicherungsabrede haftet die für den Fall des Widerrufs auflösende Rechtsbedingung einer Revalutierung an. Beendet der Darlehensgeber trotz der Möglichkeit der Revalutierung durch Rückgewähr der Sicherheit den Sicherungsvertrag, kann darin die Ausübung beachtlichen Vertrauens im Sinne des § 242 BGB liegen (Senatsurteile vom 11. September 2018 – XI ZR 125/17, WM 2018, 2128 Rn. 34, vom 16. Oktober 2018 – XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 17 und vom 24. September 2019 – XI ZR 322/18, WM 2020, 80 Rn. 23 mwN; Senatsbeschlüsse vom 23. Januar 2018 – XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 20 und vom 7. März 2018 – XI ZR 298/17, juris).
16
d) Schließlich hat das Berufungsgericht verkannt, dass der weitere Einsatz der vom Darlehensnehmer erlangten Mittel nach vollständiger Beendigung des Darlehensvertrags durchaus geeignet sein kann, ein schutzwürdiges Vertrauen des Darlehensgebers auf das Ausbleiben des Widerrufs zu begründen (Senatsurteile vom 16. Oktober 2018 – XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 16, vom 2. April 2019 – XI ZR 687/17, juris Rn. 19 und vom 22. Oktober 2019 – XI ZR 203/18, WM 2020, 84 Rn. 16; Senatsbeschluss vom 5. Juni 2018 – XI ZR 577/16, juris Rn. 4). Dies gilt auch, wenn der Darlehensgeber – was hier die Beklagte geltend macht – nicht selbst mit den Zahlungen des Darlehensnehmers wirtschaftet, sondern diese valutagleich an eine andere Bank, über die er das Darlehen refinanziert und von der er die Mittel für das Darlehen erhalten hat, weitergeleitet hat.
III.
17
Das Berufungsurteil, das sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO), unterliegt mithin der Aufhebung (§ 562 ZPO). Da der Senat der tatrichterlichen Würdigung der nach § 242 BGB maßgeblichen Umstände anhand der höchstrichterlich gefestigten Grundsätze nicht vorgreifen kann (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 10. Oktober 2017 – XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 11, vom 3. Juli 2018 – XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 16, vom 24. Juli 2018 – XI ZR 305/16, BKR 2019, 29 Rn. 19 und vom 9. April 2019 – XI ZR 70/18, juris Rn. 16), verweist er die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ellenberger     
        
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