Baurecht

4 B 35/21

Aktenzeichen  4 B 35/21

Datum:
4.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2022:040122B4B35.21.0
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 27. September 2021, Az: 15 B 20.828, Urteilvorgehend VG Regensburg, 4. April 2019, Az: RO 7 K 17.531, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2021 ergangenen Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Sie ist unbegründet.
2
I. 1. Die Beschwerde möchte der Sache nach rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob bei der Beurteilung der näheren Umgebung eines Vorhabens als faktisches Dorfgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO) ein an diese Umgebung grenzender, wesentlich störender Gewerbebetrieb außer Acht gelassen werden kann, dessen An- und Abfahrtsverkehr mit schwerem LKW durch die nähere Umgebung des Vorhabens abgewickelt wird und diese daher beeinflusst.
3
Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 und vom 14. Oktober 2019 – 4 B 27.19 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).
4
a) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil ihre Entscheidungserheblichkeit nicht feststeht. Nach der tatrichterlichen Würdigung gehört die westlich der Bahnlinie gelegene Bebauung, insbesondere die Ziegelei, nicht zur näheren Umgebung des klägerischen Vorhabens (UA Rn. 30). Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Bebauung nicht weiter betrachtet und keine Feststellungen zum An- und Abfahrtsverkehr getroffen. Es liegen auch nicht die Voraussetzungen vor, unter denen die Revision zuzulassen ist, obwohl die Entscheidungserheblichkeit einer als grundsätzlich aufgeworfenen Rechtsfrage nicht feststeht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2000 – 8 B 287.99 – BVerwGE 111, 61 und vom 21. Januar 2016 – 4 BN 36.15 – juris Rn. 13).
5
b) Unabhängig davon führt die Frage nicht zur Zulassung der Revision. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 34 Abs. 2 Halbs. 1 BauGB nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre.
6
aa) Wie der Umgriff der näheren Umgebung zu bestimmen ist, ist rechtsgrundsätzlich geklärt. Maßstabsbildend ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (BVerwG, Urteile vom 26. Mai 1978 – 4 C 9.77 – BVerwGE 55, 369 und vom 6. Juni 2019 – 4 C 10.18 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 224 Rn. 11). Dabei ist die nähere Umgebung für die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen (BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2014 – 4 B 38.13 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 217 Rn. 7). Die wechselseitige Prägung ergibt sich aus den in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmalen. Bei der Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB ist die nähere Umgebung der Umgriff, der hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgeblich ist (BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2019 – 4 B 27.19 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 7 f.). Dass eine bestimmte bauliche Nutzung An- und Abfahrtsverkehr in der – nach städtebaulichen Maßstäben bereits abgegrenzten (vgl. UA Rn. 30) – näheren Umgebung auslöst, führt daher nicht dazu, dass der Umgriff der näheren Umgebung sich auf diese Nutzung erstrecken müsste (Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 34 Rn. 21; vgl. ebenso BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2019 – 4 B 27.19 – ebd. zu den Fernwirkungen eines Lebensmittelmarktes).
7
bb) Die Frage führt auch nicht zur Zulassung der Revision, wenn sie auf die Würdigung der näheren Umgebung als faktisches Dorfgebiet zielte. Maßstabsbildend für § 34 Abs. 2 BauGB ist die in der in der näheren Umgebung vorhandene Art der baulichen Nutzung. Die Immissionsbelastung durch die Nutzung einer öffentlichen Straße ist nicht geeignet, die Zuordnung eines Gebiets zu einem faktischen Baugebiet entfallen zu lassen, weil sie nicht die Art der baulichen Nutzung betrifft (VGH Mannheim, Urteil vom 2. November 2016 – 5 S 2291/15 – BauR 2017, 220 ; OVG Koblenz, Beschluss vom 27. Juni 2002 – 1 A 11669/99 – BauR 2003, 368 = juris Rn. 48; OVG Münster, Beschluss vom 5. November 2013 – 2 B 1010/13 – BauR 2014, 834 ; Berkemann, ZfBR 2021, 611 ; Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 34 Rn. 60; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 34 Rn. 81; für die Abgrenzung des Bebauungszusammenhangs ebenso BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1990 – 4 C 40.87 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 138 S. 54 f.).
8
2. Die Beschwerde rügt in diesem Zusammenhang als Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO und damit als Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, dass der Verwaltungsgerichtshof das Ausmaß des Straßenverkehrslärms nicht weiter ermittelt habe. Dies bleibt erfolglos. Denn nach der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115 und Beschluss vom 13. Mai 2014 – 4 B 38.13 – NVwZ 2014, 1246 Rn. 27) kam es darauf nicht an.
9
II. Die weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Insoweit verfehlt die Beschwerde die Anforderungen an die Darlegung aus § 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB.
10
Die Beschwerde beschränkt sich im Kern darauf, ihre Kritik an der Rechtsanwendung im Einzelfall in Frageform zu kleiden. Die Darlegungen zeigen aber nicht auf, warum der vom Verwaltungsgerichtshof angelegte Maßstab einer für ein faktisches Dorfgebiet typischen Durchmischung von Wohnnutzung, gewerblicher sowie landwirtschaftlicher Nutzung (UA Rn. 31) grundsätzlichen Klärungsbedarf auslösen könnte. Dieser Maßstab entspricht dem Charakter des Dorfgebiets als ländliches Mischgebiet, das jedenfalls auch Gebäude land- und forstwirtschaftlicher Betriebsstellen umfassen muss (BVerwG, Urteile vom 23. April 2009 – 4 CN 5.07 – BVerwGE 133, 377 Rn. 10 und vom 6. Juni 2019 – 4 C 10.18 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 224 Rn. 21).
11
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.


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