Baurecht

4 O 249/20

Aktenzeichen  4 O 249/20

Datum:
14.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Halle (Saale) 4. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Urteil
Spruchkörper:
undefined

Tenor

1) Der Beschluss der 3. Vergabekammer des L. vom 29.11.2017 im Verfahren 3 VK LSA 89/17, mit dem der Klägerin aufgegeben wurde die vollständigen Vergabeakten zum Verfahren zu reichen, wird aufgehoben.
2) Der Beschluss der 3. Vergabekammer des L. vom 8.12.2017 im Verfahren 3 VK LSA 89/17, mit dem der Klägerin ein Ordnungsgeld angedroht wurde, wird aufgehoben.
3) Der Beschluss der 3. Vergabekammer des L. vom 18.12.2017 im Verfahren 3 VK LSA 89/17, mit dem gegen die Klägerin ein Ordnungsgeld verhängt wurde, wird aufgehoben.
4) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.000 € zu zahlen.
5) Es wird festgestellt, dass die Vergabekammer des L. keinen Anspruch gegen die Klägerin auf die Übergabe von Akten im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren 3 VK LSA 89/17 hat.
6) Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
7) Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 60 % und die Beklagte 40 %.
8) Das Urteil ist jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob Ansprüche der Vergabekammer gegen die Klägerin bestehen.
Die Klägerin ist ein privatrechtlich organisiertes Wohnungsunternehmen in D. Alleingesellschafterin ist die Stadt D. Nach dem Gesellschaftsvertrag ist der Gesellschaftsgegenstand die Bewirtschaftung, Verwaltung und Errichtung von Wohn- und Geschäftsgebäuden zur Versorgung der Einwohner der Stadt D. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Gesellschaftsvertrag verwiesen (Anlage K 1 – Bd. I, Bl. 88f. d.A.). Sie steht hinsichtlich der Vermietung der Wohn- und Gewerbeflächen mit den anderen Vermietern in D. im Wettbewerb. Dazu gehören drei große Wohnungsgenossenschaften und auch große Wohnungsunternehmen. Es liegt in D. eine sehr hohe Leerstandsquote von 27 % vor, die Einwohnerzahl ist seit vielen Jahren deutlich gesunken und wird auch in Zukunft weiter deutlich sinken. An dem fortbestehenden Überangebot an Wohnungen hat auch der bereits durchgeführte Abriss von rd. 3.500 Wohneinheiten durch die Klägerin nichts geändert. Die Stadt D. hält eigene Einrichtungen für bedürftige Menschen vor.
Die Klägerin trägt nach den Regelungen des Gesellschaftsvertrags das wirtschaftliche Risiko allein und die Stadt als Alleingesellschafterin gleicht weder Verluste aus noch übernimmt sie das Insolvenzrisiko der Klägerin. Sie finanziert sich ausschließlich aus den erzielten Mieteinnahmen und erreicht eine marktübliche Kapitalrendite. Seit dem Jahr 2007 wurden durchgehend Gewinne erwirtschaftet, wobei allerdings wegen sehr hoher Abschreibungen von 11,4 und 5,5, Millionen € auf das Anlagevermögen in den Jahren 2011 und 2012 bilanziell Verluste ausgewiesen werden mussten. Für die Geschäftsführung besteht ein erfolgsabhängiger Vergütungsanteil.
Die Klägerin schrieb Abrissarbeiten im Wert von rd. 280.000 € nach den Regelungen der VOB/A aus. Ein unterlegener Bieter hat auf die Mitteilung, dass sein Angebot nicht angenommen werde, die bei dem L. eingerichtete 3. Vergabekammer angerufen. Diese verlangte die Übersendung der Vergabeakte der Klägerin, was letztere verweigerte. Mit Beschluss vom 29. November 2017 setzte die 3.Vergabekammer der Klägerin eine Frist zur Vorlage des Originals der Vergabeakte. Mit Beschluss vom 8.12.2017 drohte sie ein Zwangsgeld von 5.000 € an und verhängte dieses mit Beschluss vom 18.12.2017. Die Klägerin zahlte das Zwangsgeld unter Vorbehalt.
Die Klägerin hat zunächst Klage vor dem Verwaltungsgericht H. gegen das Landesverwaltungsamt mit dem Antrag erhoben, die Beschlüsse des Landesverwaltungsamtes aufzuheben und das gezahlte Zwangsgeld zurückzuzahlen. Das Verwaltungsgericht hat den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht D. verwiesen, wo es bei einer Beschwerdekammer einging. Dieses hat sich für örtlich und funktional unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht H. verwiesen. Die Klägerin nimmt nunmehr im Wege des Parteiwechsels das L. in Anspruch.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
1) Der Beschluss des Landesverwaltungsamt vom 29. November 2017, mit dem die Klägerin zur Übergabe der vollständigen Vergabeakten im Original an die Vergabekammer zur Nachprüfung im Verfahren zum Az. 3 VK LSA 89/17 verpflichtet wird, wird aufgehoben,
hilfsweise,
der Beklagte wird verurteilt, das Landesverwaltungsamt anzuweisen, festzustellen, dass der Beschluss des Landesverwaltungsamts vom 29. November 2017, mit dem die Klägerin zur Übergabe der vollständigen Vergabeakten im Original an die Vergabekammer zur Nachprüfung im Verfahren zum Az. 3 VK LSA 89/17 verpflichtet wird, nichtig ist,
äußerst hilfsweise
der Beklagte wird verurteilt, das Landesverwaltungsamt anzuweisen, den Beschluss des Landesverwaltungsamts vom 29. November 2017, mit dem die Klägerin zur Übergabe der vollständigen Vergabeakten im Original an die Vergabekammer zur Nachprüfung im Verfahren zum Az. 3 VK LSA 89/17 verpflichtet wird, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
2) Den Beschluss des Landesverwaltungsamt vom 8. Dezember 2017, mit dem der Klägerin die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5.000,00 Euro angedroht wird, falls sie nicht bis 14. Dezember 2017 die vollständigen Vergabeakten im Original an die Vergabekammer zur Nachprüfung des strittigen Vergabeverfahrens übergibt, wird aufgehoben,
hilfsweise
der Beklagte wird verurteilt, das Landesverwaltungsamt anzuweisen, festzustellen, dass der Beschluss des Landesverwaltungsamts vom 8. Dezember 2017, mit dem der Klägerin die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5.000,00 Euro angedroht wird, falls sie nicht bis 14. Dezember 2017 die vollständigen Vergabeakten im Original an die Vergabekammer zur Nachprüfung des strittigen Vergabeverfahrens übergibt, nichtig ist,
äußerst hilfsweise
der Beklagte wird verurteilt, das Landesverwaltungsamt anzuweisen, den Beschluss des Landesverwaltungsamts vom 8. Dezember 2017, mit dem der Klägerin die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5.000,00 Euro angedroht wird, falls sie nicht bis 14. Dezember 2017 die vollständigen Vergabeakten im Original an die Vergabekammer zur Nachprüfung des strittigen Vergabeverfahrens übergibt, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
3) Den Beschluss des Landesverwaltungsamt vom 18. Dezember 2017, mit dem gegen die Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro festgesetzt wurde, wird aufgehoben,
hilfsweise
der Beklagte wird verurteilt, das Landesverwaltungsamt anzuweisen, festzustellen, dass der Beschluss des Landesverwaltungsamts vom 18. Dezember 2017, mit dem gegen die Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro festgesetzt wurde, nichtig ist,
äußerst hilfsweise
der Beklagte wird verurteilt, das Landesverwaltungsamt anzuweisen, den Beschluss des Landesverwaltungsamts vom 18. Dezember 2017, mit dem gegen die Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro festgesetzt wurde, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
4) Der Beklagte wird verurteilt, das von der Klägerin gezahlte Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro an die Klägerin auf deren Konto bei der Deutschen Bank, IBAN DE… spätestens drei Tage nach Rechtskraft des Urteils zurückzuzahlen.
5) Es wird festgestellt, dass der Beklagte keine Ansprüche gegen die Klägerin auf Übergabe von Akten der Klägerin hat, insbesondere nicht auf Übergabe der vollständigen Vergabeakten im Original zur Nachprüfung im Verfahren des Beklagten zum Az. 3 VK LSA 89/17.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin ausschließlich nach wirtschaftlichen sowie leistungs- und effizienzbezogenen Kriterien und mit Gewinnerzielungsabsicht handelt. Ihre Aufgabe sei – insoweit wird auf die Selbstdarstellungen der Klägerin (Anlage B 1, 2 – Bd. II, Bl.61ff. d.A.) verwiesen – die Bereitstellung von Wohnraum für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen und die soziale Betreuung von Bürgern. Die Gewinnerzielung diene nur der Erreichung der sozialen Aufgabenstellung. Auch der Rückbau des Wohnungsbestandes diene dem öffentlichen Interesse des Städtebaus. In einem Insolvenzfall würde die Stadt die Klägerin mit Finanzmitteln retten.

Entscheidungsgründe

1) Die Klage ist weitgehend zulässig.
a) Insbesondere ist die Zivilkammer des Landgerichts H. aufgrund der bindenden Rechtswegverweisung (§ 17 a Abs.2 GVG) und der Verweisung durch das Landgericht D. zuständig.
aa) Allerdings war die Verweisung rechtlich unzutreffend. Das Verwaltungsgericht hat übersehen, dass sich nicht jede Tätigkeit der Vergabekammer im Zusammenhang mit einem unterschwelligen Vergabeverfahren als ein Zivilverfahren darstellt. Auch im Urteil des Oberverwaltungsgericht N. (1 O 149/18), auf das sich das Verwaltungsgericht stützt, wird dies nicht ausreichend klar unterschieden. Ebenso zeigt der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2.5.2007 (juris, Az. 6 B 10/07) auf, dass dieser Aspekt völlig übersehen wird; dort wird allein das Rechtsverhältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Bieter betrachtet.
Zwar ist zutreffend, dass sich im Vergabeverfahren selbst nur der Auftraggeber und der übergangene Bieter streiten und deshalb handelt es sich insoweit richtigerweise um zivilrechtliche Verfahrensgegenstände. Dies gilt aber nicht für Maßnahmen der Vergabestelle in Vorbereitung dieses Verfahrens. Denn dort handelt die Vergabestelle klar in einem Über/Unterordnungsverhältnis aus eigener öffentlich-rechtlicher Machtbefugnis, wie sich auch daraus ergibt, dass sie Zwangsmaßnahmen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage anwendet und dies ausdrücklich wegen eines erlassenen Verwaltungsaktes zur Vorlage der Vergabeakte der Klägerin. Auch die Beanstandung des § 19 Abs.2 Landesvergabegesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (LVG-LSA) bei einem Verfahrensabschluss stellt offensichtlich einen Verwaltungsakt dar. Dem steht auch nicht entgegen, dass nach herrschender Meinung das unterschwellige Vergabeverfahren von der Ausschreibung bis zum Zuschlag dem Zivilrecht zugeordnet wird (Schneider, Handbuch EDV-Recht, 5.A., Rn.409 m.w.N., zitiert nach juris). Denn diese rechtliche Zuweisung kann allein für den Streit mit dem Bieter gelten. Nicht aber für das Verfahren an sich, soweit durch den Landesgesetzgeber im Rahmen seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art.74 GG – die bundesgesetzlichen Regelungen betreffen nur Verträge oberhalb der Schwellenwerte – für die unterschwelligen Vergabeverfahren ein eigenständiges Nachprüfungsverfahren geschaffen wurde. Diese Verfahrensgestaltung wurde in S. öffentlich-rechtlich ausgestaltet. Auch die Unterschwellenvergabeordnung des Bundes enthält keinerlei Regelungen zu einer abweichenden rechtlichen Bewertung des Nachprüfungsverfahren.
bb) Eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts gemäß § 171 Abs.3 GWB besteht nicht. Die Regelungen des GWB gelten nur für Vergabeverfahren oberhalb der Schwelle des § 106 GWB, wie diese Bestimmung ausdrücklich darstellt. Eine Anwendung dieser Bestimmungen im Unterschwellenbereich ist durch das Land S. auch nicht gesetzlich angeordnet.
b) Der Parteiwechsel und die Umstellung der Klageanträge ist sachdienlich.
2) Die Klage ist auch weitgehend begründet.
a) Zwar kann das Land im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung aus Art. 74 GG ohne weiteres auch für den bundesrechtlich gerade nicht geregelten Unterschwellenbereich eine Vergabeprüfung einführen und insoweit die bereits bestehenden Vergabekammern nach dem GWB zusätzlich auch diese Aufgabe zuweisen (§ 19 Abs.3 LVG-LSA i.V.m. Zif. II 1 des Runderlasses vom 4.3.1999 – offensichtlich fehlerhaft bezeichnet als § 2 Abs.1), wobei die nach Zif. III Nr.5 des Runderlasses erlassene Geschäftsordnung eine weitere Vergabekammer und die Verteilung der Verfahren vorsehen kann.
Und die Vergabekammer kann gemäß § 19 Abs.2 S.1 des LVG-LSA verlangen, dass ihr der potentiellen Auftraggeber die Akten zum Vergabeverfahren vorlegt. Die Durchführung eines Vergabeprüfungsverfahrens im Bereich unterhalb der Wertschwellen des § 106 GWB i.V.m. Art 4 der Richtlinie 2014/24 EU setzt gemäß § 1 Abs.1 sowie § 2 Abs.2 LVG-LSA jedoch voraus, dass es sich bei dem Betroffenen um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB handelt. Der Verweis in § 2 Abs.2 LVG-LSA zum persönlichen Anwendungsbereich auf § 98 Nr.2 ist bei der erforderlichen Auslegung als dynamische Verweisung auf den nunmehrigen § 99 GWB zu verstehen.
b) Bei der Klägerin handelt es sich jedoch nicht um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB. Dies obwohl mehr als die Hälfte des Aufsichtsorgans der Klägerin durch die Kommune besetzt werden und es bei der Gründung einer vorhergehenden Rechtsorganisation in D. (nicht der Klägerin !) ausweislich der Eigendarstellung der Klägerin in dem Druckwerk “90 Jahre Soziale Wohnungswirtschaft in D.” (Gründung als gemeinnützige Siedlungsgesellschaft, Förderung soziale Wohnungswirtschaft – Anlage B 1 – Bd.III, Bl.24ff. d.A.) um die Wahrnahme von Allgemeininteressen nichtgewerblicher Art ging, worauf der Wortlaut des § 99 GWB allein abstellt. Die Bestimmung des § 99 GWB hat jedoch im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung eine konkretere Auslegung erhalten, die sich vom ursprünglichen Gründungszweck gelöst hat und darauf abstellt, wie die Tätigkeit derzeit ausgeübt wird und die Abgrenzung zwischen einer nichtgewerblichen und einer gewerblichen Wahrnahme von Allgemeininteressen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls danach getroffen, ob das Unternehmen auch insoweit mit Gewinnerzielungsabsicht handelt und die mit der Tätigkeit verbundenen wirtschaftlichen Risiken selbst trägt (grundlegend EuGHjuris, Urteil vom 22.5.2003, Az. C-18/01 Rn.51, das insoweit sogar eine teleologische Reduktion anspricht; EuGHjuris, Urteil vom 27.2.2033, Az. C-373/00 Rn.66; EuGHjuris, Urteil vom 16.10.203, Az. C-283/00; Rn.81f.; OLG Hamburgjuris, Beschluss vom 25.1.2007, Az. 1 Verg 5/06 Rn.22 m.w.N.; OLG Hamburgjuris, Beschluss vom 11.2.2019, Az. 1 Verg 3/15, Rn. 159f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.4.2008, Az. 8 U 228/06 , Rn.68ff.).
c) Zwar betrifft diese Auslegung den Bereich oberhalb der Schwellenwerte. Die Regelung des § 99 GWB ist jedoch in gleicher Weise auszulegen wie für die Vergaben unterhalb der Schwellenwerte. Ersichtlich beabsichtigte das Land S. bei unterschwelligen Vergaben nicht auch eine Erweiterung des hinsichtlich der zu prüfenden Vergaben betroffenen Personenkreises. In § 1 Abs.1 und § 2 Abs.2 LVG-LSA wird allein an die Regelung des Bundesgesetzes (§ 99 GWB) angeknüpft. Und auch § 19 Abs.1 GWB verweist nur auf den “öffentlichen Auftraggeber”, der in § 99 GWB gesetzlich definiert ist.
d) Es kann dahinstehen, ob die Tätigkeit der Klägerin auch Bereiche umfasst, die Allgemeininteressen umfassen. Denn auch in diesem Bereich handelt die Klägerin gewerblich. Davon ist für dieses Urteil jedenfalls auszugehen. Ausweislich des Gesellschaftsvertrages der Klägerin trägt sie ihre Verluste selbst, das Insolvenzrisiko wird ihr durch die Stadt nicht abgenommen und es gibt auch keine Gewährleistungshaftung der Stadt.
Soweit die Beklagte demgegenüber behauptet hat, dass die Stadt die Klägerin vor einer Insolvenz mit weiteren Mitteln ausstatten würde, so ist sie auf das Bestreiten der Klägerin beweisfällig geblieben. Dies geht zu ihren Lasten, da sie im Zivilprozess die Tatsachen vortragen und beweisen muss, auf die sie ihr Verteidigungsvorbringen stützen will und die Tatsachen beweisen muss, auf die sie ihr Recht zu einer Tätigkeit der Vergabekammer gegenüber der Klägerin stützen will. Angesichts eines Anlagevermögen von rd. 200 Millionen €, was sich aus den durch die Beklagte eingereichten Jahresabschlüssen ergibt, liegt es auch eher fern, dass es zu einer Insolvenz kommt.
Es ist für die Entscheidung auch unerheblich, ob die Gesetzeslage grundsätzlich einer Gemeinde in S. das gewinnorientierte Betreiben eines privatrechtlich gestalteten Unternehmens gestattet (§ 128f. KVG-LSA). Denn es kommt für die Bewertung der Tätigkeit der Klägerin als gewerblich oder nichtgewerblich allein auf die tatsächlich ausgeübte Art und Weise der Betätigung an. Unstreitig ist insoweit, dass die Klägerin seit 2007 jährlich Gewinne erwirtschaftet hat. Nur in zwei Jahren, in denen aus der Betriebstätigkeit im Übrigen auch Gewinne erzielt wurden, musste wegen massiver Abschreibungen auf die Immobilienwerte bilanziell ein Verlust ausgewiesen werden.
Weder die Beschäftigung von Ansprechpartnern für die Mieter, noch die Vermietung von Wohnungen an Ausländer und entlassene Strafgefangene deutet auf eine nichtgewerbliche Tätigkeit der Klägerin hin. Auch wenn letztere auf dem allgemeinen Mietmarkt oft schlechtere Chancen haben eine Wohnung zu erlangen, so ist nicht ersichtlich, dass ihnen von der Klägerin die Wohnungen zu anderen Bedingungen zur Verfügung gestellt werden als sonstigen Mietern (was sogar dem AGG widersprechen würde). Angesichts der hohen Leerstandsquote erscheint es sogar wirtschaftlich sehr sinnvoll, wenn die Klägerin insoweit besondere Bemühungen entwickelt, um solche Mieter anzuziehen, die bei anderen Vermietern nicht so beliebt sein mögen. Dies insbesondere, da bei diesen (gegenüber dem allgemeinen Mietmarkt) vermehrt die Mietzahlung durch staatliche Transfer- oder Sozialleistungen mit unmittelbarer Zahlung an den Vermieter gesichert ist, so dass diesbezüglich Zahlungsausfälle nicht zu erwarten sind, was auf den allgemeinen Mietmarkt nicht zutrifft.
Mit den Ansprechpartnern für die Mieter wird die Mieterzufriedenheit gestärkt und entstehende Probleme ausgeräumt, bevor es dazu kommt, dass das Mietverhältnis beendet wird oder werden muss. Insoweit handelt es sich mitnichten um eine quasi vorgelagerte Sozialarbeit für die städtischen Behörden, sondern insbesondere angesichts der hohen Leerstandsquote um Maßnahmen zum Mietererhalt, die wirtschaftlichen Erfordernissen entsprechen.
Selbst mit dem Rückbau überflüssiger Wohnungen handelt die Klägerin im eigenen Interesse und nicht im Interesse der Allgemeinheit. Denn angesichts des starken Einwohnerrückgangs belasten die dauerhaft leerstehenden Immobilien durch anfallende, laufende Kosten das Vermögen der Klägerin dauerhaft negativ. Deren weiterer Vorhalt ist unwirtschaftlich und es ist angesichts der Einwohnerprognose ersichtlich, dass sich daran nichts ändern wird. Dass sich die Klägerin bei dem Rückbau an irgendwelchen Wünschen der Stadt orientiert und nicht daran, in welchen Immobilienlagen sich erwartbar die beste Vermietung erzielen lässt, ist nicht ersichtlich.
Soweit in der Rechtsprechung bei kommunalen Wohnungsunternehmen öfter allein wegen einer Aufgabe der sozialen Wohnraumversorgung von einer insoweit nichtgewerblichen Tätigkeit ausgegangen wird, missachtet dies den zweiten Prüfungsschritt für das Vorliegen eines öffentlichen Auftraggebers, nach dem konkret nach allen Umständen des Einzelfalls zu prüfen ist, ob die Aufgabe tatsächlich in einer nicht gewerblichen Art und Weise ausgeführt wird (vgl. OLG Hamburgjuris, Beschluss vom 11.2.2019, Az. 1 Verg 3/15, Rn. 159f.). Insoweit wird oft nur pauschal darauf verwiesen, dass insoweit eine Kombination mit der gewerblichen Tätigkeit bestehe ohne konkret darzustellen, warum die soziale Wohnraumversorgung in einer nichtgewerblichen Art ausgeführt wird. Gerade bei fortgesetzt bestehenden großen Leerständen – wie vorliegend in D. – ist darauf zu verweisen, dass es dort gar keiner sozialen Wohnraumbeschaffung bedarf, da sich grundsätzlich jeder größere Vermieter über jeden Mieter freuen dürfte. Es ist auch darauf zu verweisen, dass nach dem Gesellschaftsvertrag bei der Klägerin eine Sozialkomponente für den Gesellschaftszweck nicht einmal aufgeführt ist (§ 1 Gesellschaftsvertrag). Die wirtschaftliche Ausrichtung der Klägerin wird auch durch § 1 Abs.2 der Geschäftsordnung deutlich, nach der das Geschäftsziel die nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes ist. Unstreitig erzielt die Klägerin auch die marktübliche Kapitalrendite unter den Marktbedingungen wie in D. mit seinen erheblichen Leerstandsquoten. Angesichts des sehr schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes und der knappen Jahresgewinne der Klägerin ist auch nicht zu erwarten, dass die Stadt in irgendeiner Weise darauf einwirken wird, dass bei dieser andere als die wirtschaftlichsten Verträge abgeschlossen werden.
Die Beklagte kann auch nicht darauf verweisen, dass nach der einschlägigen Rechtsprechung bereits dann das Unternehmen insgesamt als öffentlicher Auftraggeber anzusehen ist, wenn auch nur zu einem geringen Teil Aufgaben im Allgemeininteresse in einer nichtgewerblichen Art wahrgenommen werden (Infizierungstheorie). Denn es ist – wie vorstehende dargestellt – nicht ersichtlich, dass die Klägerin auch nur in einem Teilbereich nichtgewerblich handelt.
Auch der Verweis darauf, dass zahlreiche Urteile und Vergabekammerentscheidungen kommunale Wohnungsunternehmen als öffentliche Auftraggeber erachten, missachtet das Erfordernis der Einzelfallbetrachtung nach der Art und Weise der ausgeübten Tätigkeit. Anders als in zahlreichen anderen Sachverhaltsgestaltungen, auf die oft abgestellt wird, liegt – anders als im Verfahren Korhonen des EuGH (Az. C-18/01) – keine Erklärung dazu vor, dass der öffentliche Gesellschafter das Unternehmen vor der Insolvenz schützen werde. Ebenso wenig liegt ein Sachverhalt vor, in dem die Kommune insoweit bereits tätig geworden ist bzw. seit 10 Jahren durch Beihilfen zu einer Unternehmenssanierung beiträgt oder bereits Zuschüsse gewährt hat.
3) Gemäß den vorstehenden Ausführungen ist die Anforderung der Ausschreibungsunterlagen materiell rechtswidrig, weil die Klägerin nicht dem Personenkreis unterfällt, auf die das Landesvergabegesetz L. anwendbar ist. Damit fehlt auch der Zwangsgeldandrohung und Zwangsgeldfestsetzung die rechtliche Grundlage.
Insoweit kann ausnahmsweise auch im Zivilverfahren die Aufhebung der entsprechenden Verwaltungsakte ausgesprochen werden. Denn die Verweisung durch das Verwaltungsgericht erfolgte rechtsirrig. Insoweit wird auf die Darstellung zu Ziffer 1) dieses Urteils verwiesen. Und in solchen Fällen ist anerkannt, dass bei dadurch auftretenden Regelungslücken im grundsätzlich berufenen Prozessrecht des aufnehmenden Gerichts auch dasjenige Prozessrecht, nach welchem der Rechtsstreit ohne die unzutreffende Verweisung zu beurteilen war, analog anzuwenden ist, wenn dies dem Rechtsschutzziel des von der unberechtigten Verweisung betroffenen Klägers am ehesten entspricht (BGHjuris, Beschluss vom 14.12.1989, Az. IX ZB 40, 89, Rn. 8 m.w.N.; BVerwGjuris, Urteil vom 6.6.1967, Az. IV C 216.65 Rn. 19; BVerwGjuris, Urteil vom 24.4.1975, Az. VIII A1.73; LSG Niedersachsen-Bremenjuris, Beschluss vom 24.4.2018, Az. L 7 SF 1/18).
Nach § 1 VwVfG LSA in Verbindung mit § 79 VwVG gelten für förmliche Rechtsbehelfe die Vorschriften der VwGO. Nach der Regelung des § 113 Abs. 1 VwGO führt ein rechtswidriger Verwaltungsakt zur Aufhebung des entsprechenden Bescheides. Das Zivilrecht kennt keine solche Rechtsfolge und ein Feststellungsurteil genügt dem Rechtsschutzziel nicht in gleicher Weise, da es die angefochtenen Bescheide bestehen lässt. Insbesondere würde ohne Aufhebung der Bescheide der Eintritt deren Bestandskraft drohen oder auf diese zukünftig in anderer Weise Bezug genommen werden.
Darauf, ob auch die Bestimmung des § 178 GWB analog anwendbar sein könnte, kommt es mithin nicht an. Zwar geht die Beklagte in der Klageerwiderung selbst von der unmittelbaren Anwendung der Vorschriften gemäß § 155ff. GWB aus, wobei dies allerdings grundsätzlich der ständigen Rechtsprechung widerspricht und gesetzlich nicht angeordnet ist. Vielmehr zeigt § 19 Abs. 2 LVG-LSA auf, dass für die zu treffende Entscheidung gegenüber § 168 GWB gerade Abweichendes geregelt ist.
4) Die Beklagte hat auch die auf die unberechtigt geltend gemachte Zwangsgeldforderung bereits erhaltenen 5.000 € zurückzuzahlen. Da das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist, folgt der Anspruch aus dem öffentlich-rechtlich Folgenbeseitigungsanspruch und nicht aus § 812 Abs.1 BGB. Die Verweisung an das Zivilgericht ändert nichts an den anzuwendenden materiellrechtlichen Regelungen zwischen den Parteien.
Allerdings kann die Klägerin einseitig keinen konkreten Leistungsweg – hier Überweisung auf ein bestimmtes Konto – verlangen. Die Art der Geldübermittlung bestimmt allein der Schuldner.
Soweit die Klägerin eine Rückzahlung spätestens drei Tage nach Rechtskraft verfolgt, ist dies nicht nachzuvollziehen, da die Rückzahlungspflicht bereits mit der Rechtskraft eintritt. Angesichts der Formulierung “spätestens” handelt es sich allerdings nicht um eine Beschränkung des Antrages, die einer frühere Ausurteilung als drei Tage nach der Rechtskraft gemäß § 308 Abs.1 ZPO entgegensteht. Es dürfte sich allein um eine mit dem Klageantrag verbundene Mahnung handeln.
5) Begründet ist auch der Feststellungsantrag zu Ziffer 5) soweit er das aktuelle Vergabeverfahren betrifft. Dem Anspruch fehlt nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Denn mit der Entscheidung in diesem Rechtsstreit werden nur die bisher ergangenen Verwaltungsakte der Beklagten beseitigt. Rechtlich könnte sie insoweit neue Verwaltungsakte wegen dieser Ausschreibung erlassen.
Der weitergehende Feststellungsantrag ist jedoch unbegründet. Gemäß vorstehenden Darstellungen kommt es für die Abgrenzung einer gewerblichen von einer nichtgewerblichen Tätigkeit jeweils auf die Art und Weise an, in welcher aktuell gehandelt wird. Insoweit kann sich die Bewertung der Tätigkeit der Klägerin schnell auch anders darstellen, was aufgrund der “Infizierungstheorie” auch nur bei geringen Änderungen gilt. Es kann daher keine generelle Feststellung für die Zukunft geben.
Der Antrag ist auch unbegründet, soweit er jegliche Aktenanforderungen des Landes S. bei der Klägerin in Zukunft betrifft. Der Antrag ist nicht auf Vergabeverfahren beschränkt.
6) Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs.1, 709 ZPO.


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