Baurecht

Abgrenzung Innenbereich/Außenbereich, Sachbescheidungsinteresse

Aktenzeichen  AN 3 K 20.00932

Datum:
20.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 32158
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 35 Abs. 2 BauGB – § 34 Abs. 1 BauGB – Art. 68 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 BayBO

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage sowohl in ihrem Haupt- (I.) als auch Hilfsantrag (II.) zulässig, aber unbegründet, da der Ablehnungsbescheid vom 17. April 2020 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Vorbescheids nach Art. 71 Satz 4 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 BayBO.
I. Die Klage ist im Hauptantrag unbegründet, da nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO der Realisierung des Vorhabens am beantragten Standort öffentlich-rechtliche Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, entgegenstehen (1.). und im Übrigen auch außerhalb des Prüfprogramms liegende Vorschriften gegen die Erteilung sprechen (2.).
Gegenstand des Vorbescheids war unbestritten auch die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach §§ 29 ff. BauGB, wie sich schon aus Frage 2 des Vorbescheidsantrags vom 19. September 2019 ergibt.
1. Das Vorhaben liegt im Außenbereich, weshalb sich seine Zulässigkeit – mangels ersichtlicher Privilegierung – als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB richtet.
Mangels qualifiziertem Bebauungsplan für das streitgegenständliche Grundstück ist vorliegend eine Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich vorzunehmen.
Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist der Innenbereich durch einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil gekennzeichnet. Dabei sind die Begriffe „Ortsteil“ und „Bebauung im Zusammenhang“ kumulative Begriffe (BVerwG, B. v. 7.6.2016 – 4 B 47/14 – juris Rn. 10 = ZfBR 2016, 799). Für die Abgrenzung zwischen Innenbereich und Außenbereich ist festzuhalten, dass ein Bebauungszusammenhang regelmäßig am letzten Baukörper endet (BVerwG, U. v. 16.9.2010 – 4 C 7/10 – juris Rn. 12 = NVwZ 2011, 436). Etwas Anderes kann im Einzelfall nur dann gelten, wenn besondere topographische Gegebenheiten (z.B. Damm, Böschung, Fluss oder Waldrand) den Bebauungszusammenhang verschieben. Im Hinblick auf die Abgrenzung von Baulücken innerhalb eines Innenbereichs und einer Fläche des Außenbereichs ist maßgeblich, ob nach einer Bewertung des Gesamteindrucks der Umgebung der „Eindruck der Geschlossenheit“ noch vorhanden, das Grundstück also noch durch die Umgebung geprägt ist (BVerwG, B. v. 18.6.1997 – 4 B 238/96 – juris Rn. 4 = NVwZ-RR 1998,157). Maßgeblich ist mithin eine gewisse „Verklammerung“ der baulichen Anlagen. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass gerade der optischen Wahrnehmbarkeit der Umgebung eine entscheidende Rolle zukommt, denn für die Realisierung eines Vorhabens im Innenbereich gibt diese Umgebung den planersetzenden Maßstab im Sinne eines „Einfügens“ vor.
Eine nach diesen Grundsätzen zu bewertende Prägung des Vorhabenstandorts durch die Umgebung kann aufgrund des im Augenscheintermin gewonnenen Gesamteindrucks nicht bestätigt werden. Das Vorhabengrundstück ist in West-Ost-Ausdehnung bereits über 120 m lang und – wie auch die nähere Umgebung – stark durchgrünt, was die vorrangige optische Wahrnehmbarkeit der Umgebung nach Osten und Süden stark prägt. Nach Süden und Osten hin kann jedenfalls keine Verklammerung im Sinne eines „übersprungenen“ Bebauungszusammenhangs festgestellt werden. Der Bebauungszusammenhang endet spätestens am Grundstück Fl.Nr. …, dem nördlichen Nachbargrundstück zum Klägergrundstück.
Im Süden schließen sich an den Vorhabenstandort die unbebauten Grundstücke Fl. Nr. … und dann … an, welche in dieser Richtung eine schon weit über 50 m lange, kaum einsehbare „Grünfläche“ markieren. Die noch weiter südlich entlang des … vorgefundene Bebauung (beginnend auf Fl.Nr. … und Fl.Nr. …) teilt das Schicksal der östlich des streitgegenständlichen Grundstücks liegenden Bebauung als sog. Splittersiedlung (dazu weiter unten) und könnte einen entsprechenden Bebauungszusammenhang gar nicht vermitteln.
Eine Verklammerung scheidet auch unter dem Aspekt der steil ansteigenden Böschung zur sog. Südwesttangente bzw. südlichen … aus. Ein solch steiler Anstieg ist überhaupt erst auf Höhe der Fl.Nr. … und … und damit weit außerhalb eines Bebauungszusammenhangs feststellbar, da der … zunächst relativ höhengleich zum Klägergrundstück in die … einmündet und nur über die Länge des Weges (nach Süden hin) schließlich eine steile Böschung entwickelt. Ein insofern vorgebrachtes topographisches Hindernis, welche das Klägergrundstück mit der nördlich gelegenen Bebauung verklammert, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Dass sich – wie die Klägerseite meint – eine eventuelle Bauleitplanung an der Böschung als Grenze orientieren würde, mag nicht ausgeschlossen sein, ändert aber nichts an der rechtlichen Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse.
Nach Osten bzw. Nordosten schließen sich an das Klägergrundstück die Grundstücke Fl.Nr. … und … an. Deren Bebauung befindet sich vom geplanten Vorhabenstandort auf dem Klägergrundstück mindestens 60 Meter entfernt. Vom geplanten Vorhabenstandort ist die auf diesen Nachbargrundstücken befindliche Bebauung nicht wahrnehmbar. Erst wenn man sich auf dem östlichen Grundstücksteil des Klägergrundstücks (auf Höhe des dortigen Wochenendhäuschens) befindet, kann man diese Nachbarbebauung überhaupt erkennen. Die dort wahrnehmbare Bebauung, ein Gartenhaus (Fl. Nr. …) sowie ein Wohngebäude mit Nebengebäude (Fl.Nr. …), stellt sich selbst gemeinsam mit der vom Klägergrundstück nicht mehr erkennbaren Bebauung jedoch als Splittersiedlung dar, die keinen Bebauungszusammenhang vermittelt, da sie keinen Maßstab nach § 34 Abs. 1 BauGB bilden kann. Insofern teilt die erkennende Kammer die Wertung, die auch die damalige Kammer im Verfahren AN 3 K 05.01419 dem Urteil vom 25. April 2006 zugrunde gelegt hat. Insofern ist für die Kammer keine Veränderung der Sachlage erkennbar.
Der Charakter als Splittersiedlung folgt in erster Linie aus dem als üppig zu bezeichnenden Verhältnis von Grundstücksgrößen zur eigentlichen Bebauung und dem daraus folgenden Eindruck der „Leere“ zwischen den einzelnen baulichen Anlagen. Die Kammer gewann fast durchweg den Eindruck vor Einzelobjekten, die ohne Beziehung zueinander zu stehen, was durch die regelmäßig nicht vorhandenen Sichtbeziehungen verstärkt wurde. Auch ist erkennbar gewesen, dass sich die östlich des Klägergrundstücks befindliche Bebauung zum … hin – nicht nur den Straßennamen nach – auch baulich anders situiert. Das Gericht vermag nicht zu erkennen, wie ein baulicher Zusammenhang für das Klägervorhaben aus der östlich gelegenen Bebauung abgeleitet werden sollte. Der Vorhabenstandort steht vielmehr in keiner baulichen Beziehung zu der östlich gelegenen Bebauung und wird von dieser mithin auch nicht „verklammert“.
Diese Verklammerung wird schließlich auch nicht durch das auf dem Klägergrundstück errichtete Wochenendhäuschen erzeugt. Eine mangelnde Verklammerung ergibt sich schon im Hinblick auf die stark unterschiedlichen Dimensionen der zu verklammernden Bauobjekte. So sind westlich und nördlich (entlang der …) zumindest noch vom Vorhabenstandort optisch wahrnehmbare Ein- oder Mehrfamilienhäuser vorhanden. Die Bebauung östlich ist, wenn auch teilweise noch größer und höher ausgeführt, ähnlich zu bezeichnen. Im Vergleich hierzu wirkt das hier vorgebrachte Wochenendhäuschen eher bedeutungslos und verschwindet in der Umgebung, was auch dadurch deutlich wird, dass man dieses auf dem Klägergrundstück eigentlich erst bei dessen Durchquerung überhaupt wahrnehmen kann.
Inwiefern eine darüber hinaus von der Klägerseite angedachte „Verklammerung“ des westlichen Teils des Klägergrundstücks noch möglich sein soll, erschließt sich dem Gericht nicht.
Das Vorhaben beeinträchtigt mehrere der beispielhaft in § 35 Abs. 3 BauGB angesprochenen öffentlichen Belange i.S.v. § 35 Abs. 2. Die Errichtung des Doppelhauses widerspricht den Darstellungen des Flächennutzungsplans nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB und lässt darüber hinaus auch die Entstehung einer Splittersiedlung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB befürchten.
Vorliegend stellt der Flächennutzungsplan für das fragliche Gebiet „Grünfläche“ dar. Ein Verstoß hiergegen ist offensichtlich.
Die Errichtung des Doppelhaues lässt nach Meinung des Gerichts anschaulich die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten. Hier ist anzuführen, dass die Kammer nun bereits zum zweiten Mal (nach 2005) über das Klägergrundstück zu entscheiden hatte, was den Baudruck vor Ort darlegt. Eine weitere Ausdehnung der Bebauung nach Süden birgt die Gefahr des Lückenschlusses mit der bereits vorhandenen Splittersiedlung.
Auch wenn die Klägerseite im Zuge der aktuellen Debatten um „Nachverdichtung“ den Lückenschluss als vernünftig erachtet, so bleibt festzuhalten, dass dies Aufgabe der gemeindlichen Bauleitplanung, nicht jedoch ein Auslegungsaspekt von § 35 BauGB wäre. Von dem darauf abzielenden Instrument der Außenbereichssatzung hat die Beklagte jedenfalls keinen Gebrauch gemacht. Das sich der „Lückenschluss“ in dieser Konstellation auch als unerwünschter Zersiedlungsvorgang darstellt, bedarf keiner weiteren Erörterung.
2. Daneben kann die Versagung des Vorbescheids auch auf Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO gestützt werden. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Anforderungen der „Wasserschutzgebietsverordnung … infra“ (VWSR) – wie die Beklagte meint – Teil des baurechtlichen Prüfprogramms im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO sind. Denn jedenfalls könnte eine Versagung auch auf Gründe außerhalb dieses Prüfprogramms wegen mangelndem Sachbescheidungsinteresse gestützt werden (BayVGH, U. v. 28.6.2018 – 9 B 13.2616 – juris Rn. 41 = BayVBl 2019, 772; U. v. 30.5.2018 – 2 B 18.681 – juris Rn. 16 f. = BayVBl 2019, 416).
Das Vorhaben verstößt gegen § 3 Abs. 1 Ziffer 6.1 VWSR, da es sich unbestritten um die Realisierung eines Bauvorhabens in der engeren Schutzzone (II) handelt.
Der Tatbestand für eine Ausnahme nach § 4 Abs. 1 VWSR ist nicht erfüllt. Offensichtlich handelt es sich bei der Realisierung eines Doppelhauses nicht um eine Ausnahme, die durch das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 VWSR). Es liegt vielmehr ein rein privatnütziges Bauvorhaben vor.
Auch handelt es sich beim Verbot eines Neubaus nicht um eine unbillige Härte im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 VWSR. Zwar ist der Term „unbillige Härte“ nicht weiter definiert, jedoch muss er sich vom Begriff der „billigen Härte“ unterscheiden. Eine billige Härte muss immer dann angenommen werden, wenn der Leitgedanke der Regelung greifen soll. Es erscheint geradezu aufdringend, dass im Rahmen einer Wasserschutzgebietsverordnung nach §§ 51, 52 WHG der Bau neuer baulicher Anlagen der Leitgedanke und auch Hauptschutzzweck sein soll. Mithin kann unter einer unbilligen Härte nur gefasst werden, was von diesem Leitgedanken abweicht, sich also als ein atypischer Fall gegenüber diesem darstellt. Dafür, dass sich dieser Fall untypisch von anderen Fällen unterscheidet, ist nichts ersichtlich. Es handelt sich um den Regelfall der Realisierung neuer baulicher Anlagen in einem Wasserschutzgebiet.
Die dagegen vorgebrachten Argumente der Klägerseite bewirken keine gegenteilige Beurteilung. Soweit auf einzelne oder mehrere angeblich abweichende „Bezugsfälle“ in der Umgebung hingewiesen wurde, ist zum einen festzustellen, dass diese schon von ihrer Zahl nicht ausreichen, eine Unwirksamkeit im Sinne einer Funktionslosigkeit der VWSR zu begründen. Selbst wenn die Beklagte rechtswidrige Ausnahmen erteilt hätte, kann der Kläger – solange die Verordnung selbst nicht durch diese Praxis unwirksam geworden ist – keine Gleichbehandlung einfordern. Zum anderen hat die Beklagte dargelegt, dass sich etwaige „Ausnahmen“ entweder als Bestandsgebäude vor Erlass der VWSR darstellen oder dass es sich um Umnutzungen/Umbauten von Bestandsgebäuden handelt. Beide Voraussetzungen greifen für den Kläger nicht.
Schließlich konnte auch keine Substantiierung für den Einwand vorgebracht werden, dass das Wasserwirtschaftsamt … den Umgriff der Verordnung als falsch eingestuft habe.
Nach alledem ist die Klage im Hauptantrag abzulehnen.
II. Auch im Hilfsantrag ist die Klage unbegründet, da für das Gericht keine im Ermessen der Beklagten stehenden Ausnahmen oder Befreiungen erkennbar sind, die obige Ablehnungsgründe beheben könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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