Baurecht

Abgrenzung Innenbereich zu Außenbereich, Außenbereich im Innenbereich

Aktenzeichen  AN 3 K 20.00965

Datum:
25.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43749
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
BauGB § 35 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber unbegründet, da der Ablehnungsbescheid vom 6. Mai 2020 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO.
Die Klage ist unbegründet, da nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO der Realisierung des Vorhabens am beantragten Standort öffentlich-rechtliche Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, entgegenstehen.
Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO sind die Vorschriften des Bauplanungsrechts Gegenstand der Prüfung und stehen der Realisierung des Vorhabens entgegen.
1. Das Vorhaben liegt im Außenbereich, weshalb sich seine Zulässigkeit – mangels ersichtlicher Privilegierung – als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB richtet. Mangels qualifiziertem Bebauungsplan für das streitgegenständliche Grundstück ist vorliegend eine Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich vorzunehmen.
Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist der Innenbereich durch einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil gekennzeichnet. Dabei sind die Begriffe „Ortsteil“ und „Bebauung im Zusammenhang“ kumulative Begriffe (BVerwG, B.v. 7.6.2016 – 4 B 47/14 – juris Rn. 10 = ZfBR 2016, 799). Für die Abgrenzung zwischen Innenbereich und Außenbereich ist festzuhalten, dass ein Bebauungszusammenhang regelmäßig am letzten Baukörper endet (BVerwG, U.v. 16.9.2010 – 4 C 7/10 – juris Rn. 12 = NVwZ 2011, 436). Etwas Anderes kann im Einzelfall nur dann gelten, wenn besondere topographische Gegebenheiten (z.B. Damm, Böschung, Fluss oder Waldrand) den Bebauungszusammenhang verschieben. Im Hinblick auf die Abgrenzung von Baulücken innerhalb eines Innenbereichs und einer Fläche des Außenbereichs ist maßgeblich, ob nach einer Bewertung des Gesamteindrucks der Umgebung der „Eindruck der Geschlossenheit“ noch vorhanden ist, das Grundstück also noch durch die Umgebung geprägt ist (BVerwG, B.v. 18.6.1997 – 4 B 238/96 – juris Rn. 4 = NVwZ-RR 1998,157). Maßgeblich ist mithin eine gewisse „Verklammerung“ der baulichen Anlagen. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass gerade der optischen Wahrnehmbarkeit der Umgebung eine entscheidende Rolle zukommt, denn für die Realisierung eines Vorhabens im Innenbereich gibt diese Umgebung den planersetzenden Maßstab im Sinne eines „Einfügens“ bzw. einer Prägung vor.
Eine nach diesen Grundsätzen zu bewertende Prägung des Vorhabenstandorts durch die Umgebung kann schon aufgrund des durch die aktenkundigen Fotos des Vorhabenstandorts und allgemein zugänglichen Satellitenbildern gewonnenen Gesamteindrucks nicht angenommen werden. Die Anlage „…“, in deren Gebiet auch das streitgegenständliche Grundstück liegt, ist in West-Ost-Ausdehnung bereits ca. 250 m und in Nord-Süd-Ausdehnung ca. 125 m lang. Der „…“ ist ebenso wie das klägerische Grundstück stark durchgrünt und mit Bäumen bepflanzt, was die vorrangige optische Wahrnehmbarkeit der Umgebung des Vorhabenstandorts in alle Richtungen außer nach Norden stark beeinträchtigt. Nach Süden, Osten und Westen kann aufgrund dieser Tatsache keine Verklammerung im Sinne eines „übersprungenen“ Bebauungszusammenhangs festgestellt werden. Woher sich eine solche Vorprägung des Vorhabenstandorts ergeben soll, kann auch die Klägerseite nicht erklären. Vielmehr zieht sie eine „Prägung“ des Vorhabenstandorts substantiiert ausschließlich aus der Tatsache, dass nördlich des Vorhabenstandorts, also auf der nördlichen Seite der „…-straße“, auch erst kürzlich Wohnhäuser errichtet wurden. Damit ist jedoch nur klargestellt, dass nördlich des Vorhabenstandorts (an der nördlichen Seite der „…-straße“) der Bebauungszusammenhang endet. Würde man eine Prägung des Vorhabenstandorts von nur einer Seite ausreichen lassen, würde dies darauf hinauslaufen, dass der Innenbereich endlos ausgedehnt werden könnte. Die genau im Außenbereich unerwünschte Situation einer bandartigen und unorganischen Siedlungsstruktur (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) wäre dann kaum mehr zu verhindern.
Die weiter von der Klägerseite hiergegen vorgebrachten Argumente verfangen nicht. Vollkommen unerheblich für obige Entscheidung ist die Frage, ob das Grundstück des Klägers erschlossen ist, da dies natürlich auch im Außenbereich der Fall sein kann (vgl. § 35 Abs. 1 und 2 BauGB). Gleiches gilt für die Tatsache, dass sich der Vorhabenstandort „im Stadtkern“ des Beigeladenen befindet, denn dieser kann aufgrund obiger Aspekte trotzdem keine Prägung herbeiführen. Auch ist irrelevant, dass der Kläger in der Vergangenheit eine Genehmigung für den Standort bekommen hatte. Insofern ist zu bedenken, dass diese Genehmigung eventuell rechtswidrig erteilt wurde und der Kläger keine Gleichbehandlung im Unrecht einfordern kann.
2. Nach § 35 Abs. 2 BauGB können sonstige Vorhaben im Außenbereich im Einzelfall zugelassen werden, wenn sie öffentliche Belange nicht beeinträchtigen und die Erschließung gesichert ist. Die Prüfung der Beeinträchtigung öffentlicher Belange erfordert eine nachvollziehende Abwägung der insbesondere in § 35 Abs. 3 BauGB angesprochenen Vorgaben und Wertungen (BVerwG, B.v. 26.6.2014 – 4 B 47/13 – juris Rn. 7 = BayVBl 2014, 703). Dabei ist für sonstige Vorhaben ein strenger Maßstab anzulegen, da diese im Gegensatz zu privilegierten Vorhaben regelmäßig keinen bodenrechtlich zwingenden Bezug zum Außenbereich vorweisen und grundsätzlich Alternativstandorte im Innenbereich in Anspruch nehmen können. Dieser strengere Maßstab manifestiert sich schon in dem Wort „beeinträchtigen“ in § 35 Abs. 2 BauGB. Nur so kann der vom Gesetzgeber intendierten größtmöglichen Schonung des Außenbereichs, wie sie sich etwa in § 35 Abs. 5 BauGB niedergeschlagen hat, Geltung verschafft werden.
Das Vorhaben beeinträchtigt mehrere der beispielhaft in § 35 Abs. 3 BauGB angesprochenen öffentlichen Belange i.S.v. § 35 Abs. 2. Die Errichtung des Doppelhauses widerspricht den Darstellungen des Flächennutzungsplans nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB, beeinträchtigt die natürliche Eigenart der Umgebung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB und lässt darüber hinaus auch die Entstehung einer Splittersiedlung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB befürchten.
2.1 Vorliegend stellt der Flächennutzungsplan für das fragliche Gebiet „Fläche für die Forstwirtschaft“ dar. Ein Verstoß hiergegen ist durch die beabsichtigte Errichtung eines Wohnhauses schon im Hinblick darauf, dass bei sonstigen Vorhaben auch ein nur negativer Planungswille beachtlich sein kann (BVerwG, U.v. 29.4.1964 – I C 30.62- juris Rn. 20 = BVerwGE 18, 247), offensichtlich.
2.2 Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB kann der Realisierung von Außenbereichsvorhaben die Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft oder ihres Erholungswertes entgegenstehen. Wesentliche Funktion dieses Belangs ist es, den Außenbereich von nicht privilegierter und damit dem Außenbereich wesensfremder Nutzung durch Bebauung jeglicher Art freizuhalten (BayVGH, U.v. 8.4.2014 – 2 B 12.2602 – juris Rn. 29 = AUR 2014, 468). Nicht entscheidend für die Beeinträchtigung dieses Belangs ist die Sichtbarkeit der in Frage stehenden Anlagen oder deren optische Unauffälligkeit (BVerwG, U.v. 30.4.1969 – IV C 63/68 – juris Rn. 17 = BayVBl 1970, 213). Entscheidend ist vielmehr, ob der konkrete Standort seine natürliche Funktion im Sinne einer land- oder forstwirtschaftlichen Nutzbarkeit oder bezüglich seines Erholungswertes bereits eingebüßt hat – mithin also erheblich vorbelastet ist (BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 29/81 – juris Rn. 8 = NVwZ 1985, 747; BVerwG, U.v. 24.8.1979 – 4 C 8/78 – juris Rn. 16 = BayVBl 1980, 309). Abzustellen ist hierbei auf das konkrete Baugrundstück (BayVGH, U.v. 15.7.2016 – 22 BV 15.2169 – juris Rn. 37 = BayVBl 2017, 18; BVerwG, B.v. 8.7.1996 – 4 B 120/96 – juris Rn. 3). Dieser Belang ist damit Ausdruck eines funktionalen Landschaftsschutzes (BayVGH, U. v. 11.4.2017 – 1 B 16.2509 – juris Rn. 18 = BayVBl 2018, 168).
Vorliegend ist das Baugrundstück – wie die gesamte Parkanlage – durch die Grünflächen und Bäume geprägt. Auch wenn der Kläger vortragen ließ, dass etliche Bäume auf seinem Grundstück im Zuge der Vorbereitungsmaßnahmen gefällt worden sind, sind dort immer noch Bäume vorhanden und im Übrigen steht einer Aufforstung nichts im Wege. Dass der Standort in diesem Sinne vorbelastet ist, dass eine forstwirtschaftliche Nutzung nicht mehr möglich wäre, ist – auch unter Berücksichtigung des dort noch vorhandenen Zauns sowie der Remise – nicht ersichtlich. Mithin ist das Grundstück nicht dergestalt vorbelastet, dass es seine natürliche Funktion eingebüßt hätte. Die Realisierung eines Wohnhauses auf dem Grundstück würde allerdings diese forstwirtschaftliche Funktion durchaus beeinträchtigen, weshalb das geplante Wohnhaus als im Außenbereich wesensfremd abzulehnen ist.
Entgegen der klägerischen Meinung kommt es für den Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft nicht darauf an, dass die Landschaft besonders schützenswert im Sinne eines Landschaftsschutzgebiets oder Ähnlichem ist. Auch jede „ordinäre“ Wald- oder Landwirtschaftsfläche genießt obigen, rein funktionalen Schutz.
2.3 Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB kann der Realisierung von Außenbereichsvorhaben die Befürchtung der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung entgegenstehen. Eine Splittersiedlung ist eine Ansammlung von baulichen Anlagen, die zum – wenn auch eventuell nur gelegentlichen – Aufenthalt von Menschen bestimmt sind (BVerwG, U. v. 19.4.2012 – 4 C 10/11 – juris Rn. 19 = NVwZ 2012, 1631). Dazu zählen nicht nur Wohnhäuser, sondern vor allem auch gewerbliche Anlagen, die ebenfalls dem mindestens gelegentlichen Aufenthalt von Menschen dienen (BVerwG v. 19.4.2012 a.a.O.). Die Splittersiedlung muss im Sinne der Vorschrift zu befürchten sein, sich also als ein unerwünschter Zersiedlungsvorgang darstellen (BVerwG v. 19.4.2012 a.a.O. Rn. 21). Dies anzunehmen rechtfertigt sich in aller Regel (BVerwG v. 19.4.2012 a.a.O.). Darüber hinaus ist in erster Linie auf die negative Vorbildwirkung abzustellen, die bereits bei einem einzigen Bauvorhaben regelmäßig eintritt (BVerwG, B. v. 8.4.2014 – 4 B 5/14 – juris Rn. 8 = ZfBR 2014, 494).
Vorliegend lässt die Zulassung des klägerischen Bauvorhabens die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten. Eine Ausdehnung der Bebauung nach Süden – über die „…-straße“ hinweg – birgt die Gefahr, dass das oben beschriebene Ende des Bebauungszusammenhangs in den „…“ verlagert wird und somit dort weitere Bauwünsche mit Verweis auf das klägerische Vorhaben hervorgerufen werden. Dem Vorhaben kommt damit negative Vorbildwirkung zu.
Soweit die Klägerseite hierzu ausführt, dass die umgebenden Grundstücke im Eigentum des Beigeladenen stehen und dieser zivilrechtlich dafür zu sorgen habe, dass keine weiteren Bauvorhaben realisiert werden, verfängt diese Argumentation nicht. Dies gilt schon deshalb, da sich die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse ändern können und mit Blick auf das Bauplanungsrecht keine „Verkaufsverbote“ für gemeindliches Eigentum damit verknüpft sind.
Nach alledem ist die Klage abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich der Beigeladene mangels konkreter Antragstellung in der Sache selber keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es auch nicht der Billigkeit ihm einen Kostenerstattungsanspruch zuzugestehen (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO). Er trägt daher seine außergerichtlichen Kosten selbst. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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