Baurecht

Anzahl von Wohneinheiten sowie Stellplätzen und Verletzung des Rücksichtnahmegebots

Aktenzeichen  M 9 K 17.325

Datum:
2.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9375
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Die Zahl der Wohneinheiten ist für sich genommen im Rahmen von § 34 BauGB kein Zulässigkeitskriterium und damit auch kein Ansatzpunkt für eine Nachbarklage. Eine etwaige (mittelbare) immissionsschutzrechtliche Mehrbelastung durch eine größere Zahl von Stellplätzen ist davon zu unterscheiden. Das Maß der baulichen Nutzung ist nur mittelbar drittschützend über das Gebot der Rücksichtnahme. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger als Gesamtschuldner haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Vorbescheid verletzt die Kläger nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen einen Vorbescheid kann nur dann Erfolg haben, wenn dieser unter Verletzung von Vorschriften erteilt wurde, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch den angefochtenen Vorbescheid drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, verletzt werden (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 1 SN 16.3556 – juris).
Eine derartige Verletzung drittschützender Vorschriften ist nicht erkennbar.
Die Zahl der Wohneinheiten ist für sich genommen im Rahmen von § 34 BauGB kein Zulässigkeitskriterium und damit auch kein Ansatzpunkt für eine Nachbarklage (statt aller VG München, B.v. 10.11.2016 – M 9 SN 16.4238 – juris); eine etwaige (mittelbare) immissionsschutzrechtliche Mehrbelastung durch eine größere Zahl von Stellplätzen ist davon zu unterscheiden (siehe unten). Das Maß der baulichen Nutzung ist nur mittelbar drittschützend über das Gebot der Rücksichtnahme; eine rücksichtslose Höhenentwicklung o.Ä. ist aber weder erkennbar noch vorgetragen (z.B. VG München, B.v. 26.10.2017 – M 9 S 17.3585 – juris).
Auch die durch den angefochtenen Vorbescheid (mit-) genehmigten Stellplätze (vgl. den gestempelten Lageplan mit der konkreten Anordnung der Stellplätze und Garagen, Bl. 30 d. BA) verstoßen nach den Erkenntnissen des Augenscheins nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, das vorliegend teils aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (reines oder allgemeines Wohngebiet), teils aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB folgt.
Dass die Stellplätze STP 1-8 im Außenbereich liegen dürften, ist von vorn herein irrelevant. Der Klägerbevollmächtigte möchte dies nach in der mündlichen Verhandlung konkretisiertem Vortrag insofern fruchtbar machen, als § 12 Abs. 1 BauNVO hier nicht gelte. Dass § 12 BauNVO im Außenbereich generell nicht anwendbar ist, ist für sich genommen richtig (vgl. EZBK, BauNVO, Stand: 127. EL Oktober 2017, § 12 Rn. 5 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 12.3.1998 – 4 C 10.97 – juris). Die Schlussfolgerung aber, dass dann strengere – d.h. nachbargünstigere – Maßstäbe für den Bau von Stellplätzen anzulegen seien, kann nicht nachvollzogen werden. § 12 Abs. 1 BauNVO begründet die allgemeine Gebietsverträglichkeit von Stellplätzen und Garagen, um sicherzustellen, dass ihnen die typischerweise mit ihrer Anlage bzw. ihrer Nutzung verbundenen Störungen gerade in sensiblen Bereichen wie reinen Wohngebieten grundsätzlich nicht entgegengehalten werden können (vgl. EZBK, BauNVO, Stand: 127. EL Oktober 2017, § 12 Rn. 39). Hier ist der Privilegierungstatbestand also oftmals entscheidend für eine Genehmigungsfähigkeit. Gleichzeitig normiert § 12 Abs. 2 BauNVO aber auch Beschränkungen für diese sensiblen Gebiete. In immissionsrechtlich weniger gefährdeten Bereichen wie Dorf- oder Mischgebieten dagegen gelten nach der Systematik des § 12 BauNVO keine Einschränkungen, Stellplätze sind dort grundsätzlich zulässig (z.B. OVG Rh-Pf, U.v. 13.9.2016 – 8 A 10491/16 – juris). Da im Außenbereich immissionsrechtlich das Schutzniveau eines Dorfbzw. Mischgebiets herrscht (statt aller BayVGH, U.v. 2.5.2017 – 1 B 15.1575 – juris), sind im Rahmen der Abwägung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB jedenfalls keine strengeren Maßstäbe anzulegen als für ein faktisches Dorf- oder Mischgebiet – unabhängig davon, ob § 12 BauNVO anwendbar ist oder nicht.
Die somit grundsätzlich von den Nachbarn hinzunehmenden Stellplätze können dennoch ausnahmsweise unzumutbar sein, wenn sie durch ihre Lage, Zahl, Zuwegung und sonstige Besonderheiten des Einzelfalles zu Beeinträchtigungen führen, die über das als sozialadäquat hinzunehmende Maß hinausgehen. Nach Ansicht der Kläger ist dies der Fall, da ein „rückwärtiger Ruhebereich“ tangiert würde.
Unabhängig davon, dass die Rechtsprechung zum sog. rückwärtigen Ruhebereich diffus ist – das Entscheidungsspektrum zeigt die unterschiedlichsten, oft von Billigkeitserwägungen geprägten Ergebnisse – und dem Gebot der Rücksichtnahme Kriterien zuschreibt, die jeglicher rechtlicher Grundlage entbehren – gerade angesichts dessen, dass in Bayern z.B. keine § 51 Abs. 7 BauO NRW vergleichbare Regelung (mehr) besteht –, ist vorliegend bereits kein derartiger Ruhebereich erkennbar. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02 – juris) verbietet sich eine generelle, für alle Standorte von Stellplätzen im rückwärtigen (Wohn-) Bereich geltende Beurteilung; sie hängt immer von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Allein die Tatsache, dass Wohnhäuser und Garagen in einem Straßenzug überwiegend zur Straße hin situiert sind, reicht deshalb für sich genommen nicht aus, um pauschal von einem rückwärtigen Ruhebereich sprechen zu können. Vorliegend handelt es sich bei der streitgegenständlichen Umgebung um eine gewöhnliche Straßenrandbebauung ohne irgendwelche Besonderheiten bzw. ohne ein klar ablesbares städtebauliches Konzept. Weder sind einheitliche Bebauungstiefen erkennbar – siehe FlNrn. 612/11 und 600/4, Gem. S. – noch ist der bisherigen Genehmigungspraxis ein besonderes „Freihalteinteresse“ für bestimmte Grundstücksbereiche zu entnehmen, wie es beispielsweise im Innenraum eines Baugevierts ausnahmsweise der Fall sein kann. Pauschale Beurteilungen sind rechtlich und tatsächlich nicht möglich (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2014 – 1 CS 14.397 – juris; U.v. 16.7.2015 – 1 B 15.194 – juris). Im vorliegenden Fall ist anzumerken, dass die Beigeladene zu 2. durch ihre in der mündlichen Verhandlung beschriebenen Planungsabsichten für die rückwärtige Freifläche FlNr. 600, Gem. S. explizit eine gegenteilige Entwicklung betreibt: Wird diese Freifläche von mehr als 12.000 m² wie geplant erschlossen und bebaut, entfallen alle Möglichkeiten etwaiger rückwärtiger Ruhebereiche. Weiter spricht auch der Zuschnitt des klägerischen Grundstücks (es stellt ein sich nach hinten verbreiterndes Trapez dar) und seine bauliche Ausnutzung gegen die Existenz eines wie auch immer gearteten Ruhebereichs: Der Zufahrtsbereich samt Garage erstreckt sich hier sehr viel weiter in das Grundstück hinein als auf den umliegenden Flurstücken und beeinträchtigt so selbst die näher zur Straße hin situierten Nachbarwohngebäude. Weiter liegt das klägerische Wohnhaus wegen dieser baulichen Anordnung in dem Streifen, den der Bevollmächtigte im sonstigen Umfeld als rückwärtigen Garten- und Erholungsbereich bezeichnet bzw. ausgemacht haben will; ein geschützter Ruhe- und Rückzugsraum in ruhigen rückwärtigen Gartenbereichen hinter Wohnhäusern (so formuliert bspw. bei BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02 – juris) ist auf dem klägerischen Grundstück also ohnehin nicht gegeben. Durch die Grundstückszuschnitte und durch die Hinterlandbebauung des klägerischen Grundstücks fehlt es an einer negativen Vorbildwirkung des streitgegenständlichen Vorhabens (z.B. BayVGH, B.v. 19.4.2017 – 9 ZB 15.1590 – juris).
Selbst wenn man einen Ruhebereich ausmachen wollte – wobei unklar ist, wo dieser gerade auf dem klägerischen Grundstück liegen sollte –, so wäre dieser vorbelastet, was von vorn herein gegen eine unzumutbare Beeinträchtigung spricht. Ein Vergleich der Zuschnitte und Dimensionen des klägerischen- und des Vorhabengrundstücks zeigt, dass das Vorhabengrundstück aufgrund seiner Lage, Größe und Ausdehnung nach Osten planungsrechtlich auf eine Bebauung in einem Umfang und in einer Tiefe angelegt ist, der bzw. die über die Bebauung durch das Wohnhaus der Kläger erheblich hinausgeht und typischerweise mit einem nicht unerheblichen Kraftfahrzeugverkehr verbunden ist (dazu OVG NW, B.v. 15.3.2018 – 7 A 1201/16 – juris). Die Kläger hatten wegen der Dimensionen und der Ausdehnung des Vorhabengrundstücks mit einer höheren Bebauungstiefe und mit der Möglichkeit der Unterbringung der Stellplätze auch in den rückwärtigen Bereichen zu rechnen; dass das Wohnhaus auf dem Vorhabengrundstück nicht – wie auf dem klägerischen Grundstück – im rückwärtigen Bereich untergebracht werden würde, in denen sich das ebenfalls trapezförmig gestaltete Vorhabengrundstück verjüngt, entspricht nicht zuletzt auch der auf dem klägerischen Grundstück – dort aber um 180° gedreht – verfolgten Konzeption.
Eine unzumutbare Beeinträchtigung ist auch deshalb nicht auszumachen, weil bereits gegenwärtig fast auf der vollen Länge der gemeinsamen Grundstücksgrenze ein Sichtschutz in Höhe von 1,80 m besteht, der im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens zur Lärmschutzwand ertüchtigt werden kann (vgl. dazu BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02 – juris). Wie dann überhaupt noch wahrnehmbare Emissionen vom Vorhabengrundstück (speziell: von der Zufahrt) ausgehen könnten, ist nicht erkennbar. Weiter befindet sich zwischen den geplanten rückwärtigen Stellplätzen und der klägerischen Terrasse das Nebengebäude der Kläger, das Geräusche zusätzlich abschirmt; Gleiches gilt für die neu geplante Garage „GA 3“. Auch liegen die geplanten Stellplätze im Übrigen – d.h. GA 4, STP 1 bis STP 8 – allesamt auf der vom klägerischen Grundstück abgewandten Südbzw. Südostseite in einem Abstand von wenigstens 30 m zum Wohnhaus und sind ohne Rangierverkehr und über eine ebene Zufahrt anfahrbar. Die Terrasse der Kläger wendet sich vom Vorhabengrundstück ab und ist nach Osten und nicht nach Süden hin orientiert und somit von den neu zu schaffenden Stellplätzen kaum betroffen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass vorliegend (nur) eine Wohnnutzung in Rede steht: Wie etwa die Parkplatzlärmstudie des Bayerischen Landesamts für Umwelt (6. Auflage 2007) zeigt, ist auch bei 10 (rückwärtigen) Stellplätzen bzw. Garagen eine sehr geringe Zahl von Fahrten zu erwarten; für oberirdische Stellplätze von Wohnanlagen wurde hierin tags eine durchschnittliche Bewegungshäufigkeit von 0,22 Bewegungen je Stellplatz und Stunde ermittelt (vgl. S. 29). Weiter ist festzuhalten, dass sich die meisten Fahrten auf nur zwei zeitliche Blöcke verteilen werden (07:00 Uhr bis 10:00 Uhr und 17:30 Uhr bis 20:30 Uhr). Nachts ist generell keine nennenswerte Nutzung zu erwarten. Inwiefern diese Beeinträchtigungen überhaupt spürbar sein sollten, ist nicht ersichtlich (für rückwärtig gelegene Stellplätze bspw. auch OVG Rh-Pf, U.v. 13.9.2016 – 8 A 10491/16 – juris).
Dass eine andere Planung die Kläger eventuell (noch) weniger beeinträchtigen könnte, ist irrelevant; denn stellt sich – wie hier – das konkrete Vorhaben gegenüber den Klägern als nicht rücksichtslos dar, können diese den Vorbescheid nicht durch einen Hinweis auf aus ihrer Sicht besser geeignete Alternativplanungen zu Fall bringen (VG München, B.v. 25.5.2016 – M 9 SN 16.179 – juris; BayVGH, U.v. 16.7.2015 – 1 B 15.194 – juris; OVG Bln-Bbg, B.v. 8.9.2015 – 2 S 28.15 – juris).
Mit Rücksicht auf das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung wird ergänzend noch darauf hingewiesen, dass eine Unwirksamkeit der gemeindlichen Stellplatz- und Garagensatzung (StellS) nicht ersichtlich ist. Der Bevollmächtigte blieb im Übrigen auch einen Hinweis darauf schuldig, inwiefern eine etwaige Unwirksamkeit der StellS für die geführte Nachbarklage von Vorteil wäre: § 2 der Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Stellplätze (Garagen- und Stellplatzverordnung – GaStellV) bietet kein höheres Schutzniveau als § 6 StellS. Dass die geplanten Stellplätze schließlich auf dem „Baugrundstück“ i.S.d. StellS, vgl. § 3 Abs. 3 StellS, liegen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Auch das Problem, das der Bevollmächtigte mit seinem diesbezüglichen Vortrag wohl gemeint haben dürfte, nämlich, ob die Stellplätze als baubzw. bebauungsakzessorische Nutzung noch dem Innenbereich zuzuschlagen oder aber dem Außenbereich zuzurechnen sind (vgl. BayVGH, B.v. 27.1.2010 – 9 ZB 08.37 – juris), spielt im Rahmen einer Nachbarklage keine Rolle.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, Abs. 3 Halbs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO; die Beigeladenen haben sich mangels Antragstellung nicht in ein Kostenrisiko begeben, weswegen es nicht der Billigkeit entspräche, auch ihre außergerichtlichen Kosten den Klägern aufzubürden. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.

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