Aktenzeichen 7 B 35/09
§ 412 Abs 1 ZPO
§ 86 Abs 1 VwGO
§ 108 Abs 1 VwGO
§ 5 Abs 1 S 1 Nr 1 BImSchG
§ 132 Abs 2 Nr 3 VwGO
Verfahrensgang
vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 7. Mai 2009, Az: 6 C 1142/07.T, Urteil
Gründe
I.
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Der Kläger zu 2 wendet sich gegen eine Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Verbrennungsanlage in H. Er ist Eigentümer und Bewohner eines in der Gemeinde H. im Einwirkungsbereich der geplanten Anlage gelegenen Grundstücks. Das Wohngebäude des Klägers liegt ca. 1 200 m in ost-südöstlicher Richtung vom geplanten Anlagenstandort entfernt.
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Im näheren Umfeld des Anlagenstandorts befinden sich diverse Gewerbe- und Industrieunternehmen, insbesondere wird unterirdisch Kalirohstoff abgebaut und in oberirdischen Anlagen verarbeitet. In der weiteren Umgebung des Anlagenstandorts sind zudem mehrere große Abraumhalden für die bei der Kaliproduktion anfallenden Reststoffe vorhanden. Überdies befindet sich im weiteren Umkreis die Untertagedeponie für gefährliche Abfälle H.
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Bei der geplanten Anlage handelt es sich um eine sog. Ersatzbrennstoff-Anlage (EBS-Anlage). Der zur Verbrennung vorgesehene Abfall soll in externen Vorbehandlungsanlagen produziert und per LKW zum Anlagenstandort transportiert werden. Der Anlagenstandort befindet sich auf dem Betriebsgelände der K. GmbH im Bereich einer aufgelassenen Betriebsdeponie. Zweck der Anlage ist die Erzeugung von 160 t Frischdampf/Stunde für die Anlagen der K. GmbH vor Ort.
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Mit Bescheid vom 26. März 2007 genehmigte das Regierungspräsidium K. der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen die Errichtung und den Betrieb der geplanten Anlage einschließlich der erforderlichen Nebenanlagen. Genehmigt ist eine zweilinige Rostfeuerung mit einer Gesamtabfallverbrennungskapazität von 273 000 t pro Jahr und einer Feuerungswärmeleistung von 128,04 MW zuzüglich der Stützfeuerung (Erdgas). Die angelieferten Abfälle werden in einem Bunker gesammelt und über Fördereinrichtungen und Vorlagebehälter den Öfen zugeführt. Der minimale Massenstrom an Abfällen ist in der Genehmigung auf 20 t pro Stunde und der maximale Massenstrom auf 44 t pro Stunde festgesetzt. Die entstehenden Rauchgase sind in Rauchgasreinigungsanlagen zu reinigen und je Verbrennungslinie über eine eigene Kaminanlage mit einer Mündungshöhe von 70 m über Boden und einem Durchmesser von 2,05 m abzuleiten. In den Nebenbestimmungen zu der Genehmigung ist u.a. festgesetzt, welche Abfälle in der Anlage verbrannt werden dürfen und welche Grenzwerte eingehalten werden müssen.
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Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Die streitgegenständliche Genehmigung verletze keine materiellrechtlichen Vorschriften des Immissionsschutzrechts, die dem Schutz des Klägers zu dienen bestimmt seien. Die Genehmigung verstoße nicht gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG. Die zur Abwehr schädlicher Umwelteinwirkungen vorgesehenen Grenzwerte würden durchweg eingehalten. Dies ergebe sich aus der Immissionsprognose der Gesellschaft für Betriebs- und Umweltberatung mbH (GfBU) vom 29. Mai 2006, die nicht erkennbar fehlerhaft sei. Entgegen der Auffassung des Klägers begegneten weder die der Immissionsprognose zugrunde gelegten Rechenmodelle AUSTAL2000 und FITNAH noch die mit diesen Modellen errechneten Ergebnisse durchgreifenden Bedenken. Die besonderen örtlichen Gegebenheiten im Untersuchungsgebiet seien bei den Berechnungen ausreichend berücksichtigt worden. Die Immissionsprognose sei auch nicht durch die vom Kläger vorgelegte Berechnung des Sachverständigen S. mit dem Programm WinKFZ oder auf andere Weise erschüttert worden. Darauf, ob ein anderes Windfeldmodell generell oder im Einzelfall besser geeignet sei, um meteorologische oder geografische Besonderheiten zu berücksichtigen, komme es nicht an. Ungeachtet der Frage, ob WinKFZ grundsätzlich als Windfeldmodell nach der TA Luft und den Anforderungen der VDI-Richtlinie 3945 anzuerkennen sei, könne jedenfalls nicht festgestellt werden, dass dieses Modell derart überlegen sei, dass es alle anderen Berechnungsmethoden verdränge und das (konkurrierende) Berechnungsmodell AUSTAL2000 als fehlerhaft qualifiziert werden müsse. Überdies sei die Klage auch deshalb unbegründet, weil der Kläger selbst dann, wenn man auf die Berechnungen des Sachverständigen S. abstelle, durch die Immissionen der streitbefangenen Anlage nicht in eigenen Rechten verletzt werde. Im unmittelbaren Bereich des klägerischen Grundstücks würden selbst nach den Berechnungen des Sachverständigen S. die festgesetzten Immissionswerte der TA Luft durch die rechnerisch ermittelte Gesamtbelastung bei allen maßgeblichen Schadstoffen nicht überschritten.
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Die Revision gegen sein Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers zu 2.
II.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist weder wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) noch wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
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1. Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ist – jeweils selbständig tragend – darauf gestützt, dass eine Verletzung des Klägers zu 2 in drittschützenden Rechten, namentlich dem Recht auf Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG, nicht vorliegt, weil zum einen nach der nicht zu beanstandenden Immissionsprognose des Vorhabenträgers von dem Vorhaben keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen und zum anderen auch nach dem vom Kläger vorgelegten Gutachten S. jedenfalls im unmittelbaren Bereich des klägerischen Grundstücks die Immissionswerte der TA Luft durch die rechnerisch ermittelte Gesamtbelastung bei allen maßgeblichen Schadstoffen nicht überschritten würden. Ist eine Entscheidung – wie hier – auf mehrere, jeweils für sich selbständig tragende Gründe gestützt, kann eine Beschwerde nach § 132 Abs. 2 VwGO nur Erfolg haben, wenn für jeden der Urteilsgründe ein Zulassungsgrund zulässig vorgetragen ist und vorliegt (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328). Daran fehlt es. Die Beschwerde verhält sich nur zu der nach ihrer Auffassung unzutreffenden Bewertung der Immissionsprognose des Vorhabenträgers als nicht erkennbar fehlerhaft.
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2. Abgesehen davon wären auch weder die Verfahrensrügen noch die Divergenzrüge erfolgreich.
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a. Der Kläger rügt sinngemäß eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er ist der Meinung, der Verwaltungsgerichtshof sei den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen
– zur Eignung der Prognosemethodik für das Windfeld (Ziffer 3 der Beschwerdeschrift, S. 6 ff.),
– zur Modifizierung der meteorologischen Ausgangsdaten (Ziffer 4 der Beschwerdeschrift, S. 13 ff.),
– zur Empfehlung des Deutschen Wetterdienstes (DWD; Ziffer 5 der Beschwerdeschrift, S. 21 f.)
– zur Ermittlung der Orte der maximalen Belastung (Ziffer 6 der Beschwerdeschrift, S. 22 f.)
– zur Überlegenheit des Modells WinKFZ und der Untauglichkeit der Modelle AUSTAL2000/FITNAH (Ziffer 7 der Beschwerdeschrift, S. 23 ff.),
– zur Größe des Rechengebiets (Ziffer 8 der Beschwerdeschrift, S. 52 ff.) und
– zur Rastergröße (Ziffer 9 der Beschwerdeschrift, S. 56 ff.)
zu Unrecht nicht gefolgt.
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Es kann dahinstehen, ob die gerügten Verstöße gegen die Aufklärungspflicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt sind, obwohl die Beschwerde weder den Inhalt der abgelehnten Beweisanträge mitteilt noch die in der mündlichen Verhandlung gestellten 18 Beweisanträge den einzelnen Aufklärungsrügen konkret zuordnet. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, den Beschwerdevortrag zu sichten und zu ordnen, um das herauszusuchen, was möglicherweise – bei wohlwollender Auslegung – zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte (Beschluss vom 27. Mai 2008 – BVerwG 4 B 42.07 – juris Rn. 2 und 10).
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Ungeachtet dessen sind die erhobenen Aufklärungsrügen jedenfalls in der Sache nicht begründet. Liegen – wie hier – bereits Gutachten zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es nach § 98 VwGO, § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Tatsachengerichts, ob es zusätzliche Sachverständigengutachten einholt. Das Tatsachengericht kann sich dabei ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen, die von einer Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt wurden, stützen (Beschluss vom 30. Dezember 1997 – BVerwG 11 B 3.97 – Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 1 m.w.N). Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung der vorliegenden Gutachten hätte aufdrängen müssen. Gutachten und fachtechnische Stellungnahmen sind dann ungeeignet, wenn sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, wenn sie von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen, wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht, ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügt oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert wird (stRspr, vgl. Beschluss vom 26. Juni 1992 – BVerwG 4 B 1-11.92 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 89, S. 86 ). Dass die Ablehnung der Beweisanträge gemessen an diesen Grundsätzen zu beanstanden sein könnte, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.
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Sofern – was allerdings weder in den Beweisanträgen noch in der Beschwerdeschrift explizit zum Ausdruck kommt – der Kläger meint, der Verwaltungsgerichtshof hätte zur Beurteilung der Frage, ob von dem Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen ausgehen, zusätzlich zur Immissionsprognose und dem Gutachten S. noch ein weiteres Gutachten einholen müssen, hätte er darlegen müssen, warum auch das von ihm vorgelegte Gutachten S. nicht geeignet ist, diese Frage abschließend zu klären (vgl. Beschluss 5. Dezember 2008 – BVerwG 9 B 28.08 – Buchholz 406.25 § 50 BImSchG Nr. 6, Rn. 5).
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Auch im Übrigen ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof nach Maßgabe der o.g. Grundsätze noch Sachverständigengutachten zu den in der Beschwerdeschrift unter Ziffer 3 bis 9 angesprochenen Themen hätte einholen müssen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich – wie der Kläger selbst einräumt (S. 13 der Beschwerdebegründung) – mit der Kritik des Klägers an der Verwendung der Rechenmodelle AUSTAL2000 und FITNAH ausführlich auseinandergesetzt und die Einwände des Klägers als widersprüchlich, pauschal und unsubstantiiert zurückgewiesen (UA S. 39 bis 44). Dasselbe gilt für die Kritik des Klägers an der Veränderung der meteorologischen Ausgangsdaten aufgrund einer nach seiner Auffassung fehlerhaften Bewertung der Empfehlung des Deutschen Wetterdienstes und der daraus folgenden Verschiebung der Orte der maximalen Belastung (UA S. 44 bis 47). Der Verwaltungsgerichtshof hat weiter auch die Ausführungen des Klägers zur (vermeintlichen) Überlegenheit des Rechenmodells WinKFZ zur Kenntnis genommen und ausführlich – kritisch – gewürdigt (UA S. 46 unten/47, S. 48 ff.; S. 62 bis 65). Er hat sich schließlich auch mit der Kritik des Klägers an der Größe des Rechengebiets (UA S. 51 unten bis 53 oben) und – im Zusammenhang mit der Auswertung des Gutachtens S. – mit der zulässigen Maschenweite befasst (UA S. 62/63). Angesichts dessen liegt auch der Vorwurf des Klägers zu 2 neben der Sache, der Verwaltungsgerichtshof habe sich in seiner Entscheidung nicht hinreichend mit der Kritik an der Veränderung der meteorologischen Datenbasis (S. 19 der Beschwerdebegründung) sowie der Erforderlichkeit, das Beurteilungsgebiet zu vergrößern (S. 53 der Beschwerdebegründung), auseinander gesetzt, und weder angesprochen noch berücksichtigt, dass die Immissionsbelastung von AUSTAL 2000 offensichtlich unterschätzt werde (S. 27 der Beschwerdebegründung).
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Im Rahmen seiner Tatsachen- und Beweiswürdigung ist der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass es dem Kläger weder durch Vorlage der Berechnungen der Sachverständigen S. mit dem Programm WinKFZ noch auf andere Weise gelungen sei, die fachaufsichtlich geprüften Ergebnisse der Immissionsprognose zu erschüttern (UA S. 48). Der Inhalt der Beschwerdeschrift erschöpft sich im Wesentlichen darin, die tatrichterliche Würdigung der vorhandenen Gutachten und sonstigen Erkenntnismittel als fehlerhaft anzugreifen. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind aber – sofern sie denn vorlägen – revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb grundsätzlich nicht begründen. Eine Ausnahme hiervon kommt bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung in Betracht (Beschluss vom 5. Dezember 2008 a.a.O. Rn. 6). Ein solcher Mangel wird von der Beschwerde nicht substantiiert dargetan. Daraus folgt zugleich, dass auch die von der Beschwerde sinngemäß gerügten Verstöße gegen den Grundsatz der Überzeugungsbildung nicht vorliegen.
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b. Auch die Divergenzrüge genügt schon den Darlegungsanforderungen nicht.
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Eine Divergenzrüge ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschluss vom 5. Dezember 2008 a.a.O. Rn. 10). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerde nicht.
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Die Beschwerde rügt eine Abweichung von dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. August 1999 – BVerwG 4 B 55.99 – (juris Rn. 9). Danach hat sich die Prüfung schädlicher Umwelteinwirkungen an den Umständen des Einzelfalls auszurichten, wenn die Nr. 2.3 und 2.5 der TA Luft weder unmittelbar noch sinngemäß einschlägig sind. Die Beschwerde zeigt nicht auf, mit welchem abstrakten, dieselbe Rechtsvorschrift betreffenden Rechtssatz der Verwaltungsgerichtshof sich dazu in Widerspruch gesetzt hat. Die von der Beschwerde benannte Formulierung des Verwaltungsgerichtshofs, der ergänzende Einsatz des Modells FITNAH durch die GfBU zur Bewältigung der durch die spezifischen geografischen Verhältnisse im Untersuchungsgebiet gestellten besonderen Anforderungen bei der Feststellung der Schadstoffausbreitung sei keinen grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt, stellt ersichtlich keinen abstrakten Rechtssatz, sondern lediglich eine einzelfallbezogene Wertung dar.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).