Baurecht

Außenbereich, Landschaftsschutzgebiet, Trockenabbau von Kies und Sand, Vorbescheid

Aktenzeichen  15 ZB 21.105

Datum:
29.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10965
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1
BayAbgrG Art. 9 Abs. 1 S. 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 5 K 20.766 2020-10-29 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 56.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Erteilung eines (positiven) Vorbescheids für den geplanten „Trockenabbau von Kies und Sand“ (Art. 9 Abs. 1 Satz 4 BayAbgrG). Das inmitten eines größeren Waldgebietes gelegene Vorhabengrundstück befindet sich bauplanungsrechtlich im Außenbereich (§ 35 BauGB) und im Landschaftsschutzgebiet sowie im gleichnamigen Naturpark „Augsburg – Westliche Wälder“. Die geplante Abbaufläche umfasst eine Größe von 6,5 ha. Die Abbautiefe ist mit ca. 4 – 20 m und das Abbauvolumen von Kies und Sand mit ca. 450.000 m³ angegeben. Für den abschnittsweise erfolgenden Abbau und die sich anschließende Verfüllung ist ein Zeitraum von ca. 15 Jahren veranschlagt. Die geplante Abbaufläche liegt außerhalb der im Regionalplan festgesetzten Vorrang- und Vorbehaltsgebiete für die Gewinnung von Kies und Sand.
Der Beklagte hat die Voranfrage der Klägerin nach Beteiligung verschiedener Träger öffentlicher Belange abgelehnt (Vorbescheid des Landratsamts vom 2.4.2020). Das Vorhaben sei zwar nach Maßgabe des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert, jedoch bauplanungsrechtlich unzulässig, weil ihm öffentliche Belange entgegenstünden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vorbescheid des Landratsamts Bezug genommen.
Das Verwaltungsgericht Augsburg hat die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 29. Oktober 2020 abgewiesen. Die vom Beklagten getroffene Abwägungsentscheidung hinsichtlich der zu würdigenden Interessen der Klägerin an der Verwirklichung des Vorhabens und der durch das Vorhaben nachteilig betroffenen öffentlichen Belange sei nicht zu beanstanden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbingens geltend, an der Richtigkeit des Urteils bestünden ernstliche Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Es habe keine zutreffende Abwägungsentscheidung der widerstreitenden Interessen stattgefunden. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts werde der Schutzzweck des Landschaftsschutzgebiets im Hinblick auf die (geringen) Größenverhältnisse des geplanten Vorhabens nicht „ausgehöhlt“. Wesentliche Veränderungen der Bodengestalt seien nach der Schutzgebietsverordnung zwar erlaubnisbedürftig, grundsätzlich aber zulässig. Dementsprechend seien im Geltungsbereich der Verordnung auch bereits Abbaugenehmigungen für Sand und Kies erteilt worden. Der sich auf fünf Landkreise (sowie die Stadt Augsburg) erstreckende räumliche Geltungsbereich der vom Bezirk Schwaben erlassenen Landschaftsschutzgebietsverordnung werde offensichtlich in anderen Landkreisen „anders interpretiert und unterschiedlich angewandt“. Bei der „Realisierung eigener Interessen“ würden die Landkreise mitunter auch den räumlichen Geltungsbereich der Verordnung ändern und die „eigentlich schützenswerten Flächen aus dem Schutzgebiet“ herausnehmen. Einen „aktuellen Bestandsplan der von der Verordnung betroffenen Grundstücke“ gebe es beim Verordnungsgeber, dem Bezirk Schwaben, nicht. Die Landschaftsschutzgebietsverordnung könne somit nicht Grundlage des angefochtenen Bescheids des Landratsamtes sein. Der Flächennutzungsplan enthalte keine konkrete standortbezogene Aussage, welche dem privilegierten Vorhaben entgegenstehe. Auch der Regionalplan stehe entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts dem Vorhaben nicht entgegen, da der Abbau von Bodenschätzen auch außerhalb von Vorrang- und Vorbehaltsgebieten möglich sei. Auch sei das geplante Vorhaben kein raumbedeutsames Vorhaben. Im Übrigen habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), weil sich „ein Großteil der kieshöffigen Flächen in Natur- und Landschaftsschutzgebieten“ befinde und zu klären sei, inwieweit „Genehmigungsanträge mit den in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Argumenten abgelehnt“ werden dürften. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens im Zulassungsverfahren wird auf die Schriftsätze des Bevollmächtigten der Klägerin vom 18. Januar 2021, 6. April 2021, 14. April 2021 und 15. April 2021 verwiesen.
Der Beklagte widersetzt sich dem Vorbringen der Klägerin. Auf den Schriftsatz der Landesanwaltschaft Bayern vom 16. April 2021 und die beigefügte Stellungnahme des Landratsamts vom 14. April 2021 wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. An der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten (positiven) Vorbescheids.
Das Verwaltungsgericht ist – ebenso wie der Beklagte – bei der Prüfung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des streitgegenständlichen Außenbereichsvorhabens, das als ortsgebundener gewerblicher Betrieb (Trockenabbau von Kies und Sand) nach Maßgabe des § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB im Vergleich zu sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) im Außenbereich privilegiert ist, davon ausgegangen, dass es stets einer die gesetzlichen Vorgaben und Wertungen konkretisierenden nachvollziehenden Abwägung bedarf, ob die in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange dem Vorhaben entgegenstehen, wobei „nachvollziehende Abwägung“ einen gerichtlich uneingeschränkt überprüfbaren Vorgang der Rechtsanwendung meint, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 26.6.2014 – 4 B 47/13 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Nach neuerer Rechtsprechung stehen einem im Außenbereich privilegierten Vorhaben Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB jedoch – wie vorliegend – schon dann entgegen, wenn das Vorhaben in einer nicht durch Erlaubnis oder Befreiung zu behebenden Weise in Widerspruch zu einer gültigen Landschaftsschutzgebietsverordnung steht. In einem solchen Fall ist kein Raum mehr für eine „nachvollziehende Abwägung“ (vgl. z.B. VGH BW, U.v. 30.8.2017 – 8 S 17/16 – juris Rn. 39 im Anschluss an BVerwG, U. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – BVerwGE 147, 118 ff. = juris Rn. 6).
a) Die in der Landschaftsschutzgebietsverordnung vorgesehenen Möglichkeiten der naturschutzrechtlichen Erlaubnis und Befreiung in Bezug auf die Beschränkungen und Verbote der Verordnung (vgl. § 4 und § 6 der Verordnung) haben der Beklagte und das Verwaltungsgericht geprüft, deren Anwendung jedoch verneint, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Die hiergegen gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch.
Die Wertung des Verwaltungsgerichts, der Schutzzweck des Landschaftsschutzgebiets werde „ausgehöhlt“, beruht nicht auf einem Vergleich der Größenverhältnisse des geplanten Vorhabens zur Gesamtfläche des Landschaftsschutzgebiets, sondern auf der nicht zu beanstandenden Ansicht, dass „Naturgenuss und Landschaftsbild“ nicht nur „im äußeren Ring“ des Landschaftsschutzgebiets schutzwürdig sind, sondern – wie gerade im vorliegenden Fall – auch in Bezug auf diejenigen Flächen, die abgeschieden und wenig einsehbar inmitten des Waldes und inmitten der geschützten Flächen des Landschaftsschutzgebietes liegen. Der Hinweis der Klägerin auf – in anderen Fällen – im Geltungsbereich der Verordnung erteilte Abbaugenehmigungen für Sand und Kies ist nicht geeignet, die gerichtliche Würdigung in Zweifel zu ziehen, weil sich nicht nur die planungsrechtliche Zulässigkeit von Außenbereichsvorhaben sondern auch die Erteilung von Erlaubnissen und Befreiungen im Geltungsbereich einer Landschaftsschutzgebietsverordnung stets nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles richten und deshalb aus der bisherigen Genehmigungspraxis keine Rückschlüsse in Bezug auf das streitgegenständliche Vorhaben gezogen werden können. Es kommt deshalb insoweit auch nicht darauf an, ob die vom Bezirk Schwaben erlassene Landschaftsschutzgebietsverordnung, die sich auf das in der Stadt Augsburg sowie in fünf Landkreisen liegende Landschaftsschutzgebiet erstreckt (vgl. Art. 51 Abs. 2 Satz 3 BayNatSchG), in anderen Landkreisen „anders interpretiert und unterschiedlich angewandt“ wird oder nicht. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob bei der „Realisierung eigener Interessen“ die Landkreise den Geltungsbereich der Verordnung ändern und die „eigentlich schützenswerten Flächen aus dem Schutzgebiet“ herausnehmen (vgl. hierzu ebenfalls Art. 51 Abs. 2 Satz 3 BayNatSchG), weil Änderungen der Verordnung eine geänderte fachliche Einschätzung der Schutzbedürftigkeit einzelner Gebiete voraussetzen und Bedenken gegen eine derartige Einschätzung im Rahmen des Änderungsverfahrens vorgebracht werden können. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob beim Bezirk Schwaben ein „aktueller Bestandsplan der von der Verordnung betroffenen Grundstücke“ vorhanden ist oder nicht, weil das Vorhabengrundstück der Klägerin unstreitig inmitten des von etwaigen Änderungen insoweit nicht betroffenen Landschaftsschutzgebietes liegt und das Fehlen eines „aktuellen Bestandsplans“ beim Bezirk Schwaben nicht geeignet ist, die Geltung der Landschaftsschutzgebietsverordnung insgesamt in Zweifel zu ziehen.
b) Lediglich ergänzend ist zu bemerken, dass auch der Einwand der Klägerin, es habe keine zutreffende Abwägungsentscheidung der widerstreitenden Interessen stattgefunden, nicht zutrifft.
Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls die Schutzwürdigkeit der jeweils betroffenen Belange sowie die Reichweite und die Intensität der mit dem Vorhaben erfolgenden Beeinträchtigungen öffentlicher Belange dem Interesse der Klägerin an der Realisierung des privilegierten Vorhabens gegenübergestellt. Es hat in diesem Zusammenhang auch das besondere Gewicht, welches der Gesetzgeber einem privilegierten Vorhaben im Außenbereich beimisst, in Rechnung gestellt und erkannt, dass an das „Entgegenstehen“ eines öffentlichen Belangs (§ 35 Abs. 1 BauGB) höhere Anforderungen zu stellen sind als an die bloße „Beeinträchtigung“ (§ 35 Abs. 2 BauGB), da der Gesetzgeber privilegierte Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB in planähnlicher Weise dem Außenbereich zugewiesen und ihnen damit insoweit einen gewissen Vorrang eingeräumt hat (vgl. hierzu z.B. BayVGH, U.v. 16.6.2015 – 15 B 13.424 – juris Rn. 36 f. m.w.N.). Das Verwaltungsgericht ist ferner zu Recht davon ausgegangen, dass Belange, bei denen sicher zu erwarten ist, dass sie durch ein Vorhaben nur vorübergehend beeinträchtigt werden, geringeres Gewicht bei der zu treffenden Abwägungsentscheidung haben als dauerhaft beeinträchtigte Belange (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 28.10.2015 – 4 B 44/15 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass dem Vorhaben der Klägerin öffentliche Belange nicht schon deshalb entgegenstehen, weil hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt wäre (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB). Es hat jedoch ebenso zu Recht darauf hingewiesen, dass der Regionalplan zahlreiche Vorranggebiete für Kies- und Sandabbau vorsieht und das Ziel verfolgt, eine „unerwünschte Streuung von Abbauflächen“ und damit verbundene Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu vermeiden und die Nutz-, Schutz-, Sozial- und Lebensraumfunktionen des Waldes dauerhaft zu erhalten und zu stärken. Das Verwaltungsgericht konnte deshalb auch diesem Gesichtspunkt besonderes Gewicht beimessen, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob der Abbau von Bodenschätzen – bei nicht raumbedeutsamen Vorhaben – grundsätzlich auch außerhalb von im Regionalplan festgesetzten Vorrang- und Vorbehaltsgebieten möglich ist oder ob – wovon das Verwaltungsgericht auch nicht ausgeht – der Flächennutzungsplan eine konkrete standortbezogene Aussage enthält, welche allein schon dem privilegierten Vorhaben entgegenstünde (vgl. hierzu z.B. BVerwG, B.v. 17.8.2015 – 4 B 31/15 – juris Rn. 3 m.w.N.).
2. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die als grundsätzlich erachtete Frage, ob „Genehmigungsanträge mit den in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Argumenten abgelehnt“ werden dürften, ist nicht grundsätzlich klärungsfähig, weil sich bei einem privilegierten Außenbereichsvorhaben nicht nur die Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern auch die Prüfung der Möglichkeit einer naturschutzrechtlichen Erlaubnis und Befreiung in Bezug auf die Beschränkungen und Verbote einer Landschaftsschutzgebietsverordnung nach den Umständen des Einzelfalles richtet und deshalb auch in Bezug auf ortsgebundene Betriebe in Landschaftsschutzgebieten keine über den Einzelfall hinausgehende allgemeine Aussage möglich ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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