Baurecht

Ausübung des Ermessens bei Entscheidung über ein Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BauGB, Anforderungen an die Anhörung vor Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts, Ermessensentscheidung im Gemeinderat als zuständiges Organ

Aktenzeichen  B 2 K 19.701

Datum:
28.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 8881
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 6
BauGB § 27 Abs. 1 S. 1, 3
BauGB § 28 Abs. 2 S. 1
VwGO § 114 S. 1
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1
BayVwVfG Art. 40

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 18.07.2019, Az …wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg, da der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig ist und er die Klägerin in subjektiven Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Der streitgegenständliche Bescheid ist – unabhängig von der Frage, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist gem. § 24 Abs. 3 Satz 1 Baugesetzbuch – BauGB – jedenfalls ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.
Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist eine Ermessensentscheidung (Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 28 Rn. 3). Der Gemeinde kommt hier ein Entschließungsermessen hinsichtlich der Ausübung zu (Art. 40 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG -). Sie kann bei Vorliegen der Voraussetzungen ihr Vorkaufsrecht ausüben, muss dies aber nicht tun (BayVGH, U v. 06.02.2014 – 2 B 3.2570 -). Das Verwaltungsgericht prüft daher, ob der Verwaltungsakt deswegen rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde, § 114 Satz 1 VwGO. Hinsichtlich der zweiten Variante kann weiter danach differenziert werden, ob die Behörde ihre Entscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen hat, sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder die einzelnen Gesichtspunkte nicht entsprechend ihres Gewichts gewürdigt hat (Rennert; in: Eyermann, VwGO, § 114, Rn. 22 ff.).
Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung bei Ausübung eines Vorkaufsrechts setzt voraus, dass nicht nur einzelne Entscheidungsgesichtspunkte ermittelt und dargestellt werden, sondern auch eine Gewichtung oder Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erkennbar ist oder andere Alternativen im Rahmen des Ermessensspielraums diskutiert werden (BayVGH, U. v. 22.01.2016 – 9 ZB 15.2027 -). Ob im Einzelfall die konkreten Ausübungsvoraussetzungen vorliegen, beurteilt sich nach den Erwägungen der Gemeinde im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts. Insoweit hat der Gemeinderat als im hiesigen Fall nach Art. 29 GO zuständiges Entscheidungsorgan der Gemeinde den entscheidenden Sachverhalt zu ermitteln und die einzelnen Sachverhaltsbestandteile selbständig und im Verhältnis zueinander zu bewerten. Es sind bei der Entscheidung alle maßgeblichen Umstände und die Interessen der Beteiligten ausreichend zu berücksichtigen und abzuwägen (vgl. BayVGH, B. v. 13.10.2009 – 14 B 07.1760 – juris Rn. 40).
Gemessen daran erweist sich der streitgegenständliche Bescheid als ermessensfehlerhaft. Ob das Ermessen in rechtmäßiger Weise ausgeübt wurde, ist anhand der Niederschrift der Sitzung des Gemeinderats, in der die Ausübung des Vorkaufsrechts beschlossen wurde, und der Begründung des Bescheids (Art. 39 Abs. 1 Satz 2, 3 BayVwVfG) zu ermitteln.
Für den maßgeblichen Marktgemeinderatsbeschluss wird dem Marktgemeinderat zwar mitgeteilt, dass im Kaufvertrag, zu dem das Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll, der Neubau von zwei Sechsfamilienhäusern als Vertragszweck angegeben ist. Dem Marktgemeinderat nicht mitgeteilt wird die Tatsache, dass unter Beteiligung der Marktgemeinde die Geltungsdauer der Baugenehmigung des Landratsamtes … vom 16.04.2014 am 08.05.2019 verlängert wurde. Auch im Bescheid wird hierauf nicht eingegangen, vielmehr wird fehlerhaft zugrunde gelegt, dass keinerlei Bestrebungen der Käuferin in Richtung einer Wohnbebauung des Grundstücks ersichtlich sind. Insoweit wird von einem zumindest teilweise fehlerhaften Sachverhalt ausgegangen. Dafür, dass nicht alle Tatsachen ermittelt wurden und von einem umfassend dargestellten Sachverhalt ausgegangen wurde, spricht auch die faktisch ausgefallene Anhörung der Käuferin. Erst mit Schreiben vom 10.07.2019 wurde die Käuferin angehört. Der Marktgemeinderat fasste seinen Beschluss am 11.07.2019. Entsprechend wird in den Bescheidsgründen darauf hingewiesen, dass der Marktgemeinderat seine Ermessensbetätigung auf die Aktenlage beschränkte. Jedoch ist nicht einmal die bestehende Aktenlage dem Marktgemeinderat vollständig vorgetragen worden.
Es wurde im hiesigen Fall nämlich auch übersehen, dass auch die Verkäuferin ausnahmsweise ein Interesse an der Bebauung durch die Käuferin haben kann und nicht nur ein Interesse am bloßen Verkauf selbst. Ganz unabhängig von der Frage einer möglichen Verbilligung der zu erwerbenden Wohnung um 15.000 EUR, die im Moment der Ermessensausübung nach der Aktenlage der Gemeinde nicht bekannt war, wird im Kaufvertrag dennoch das bei der Klägerin bestehende Interesse an einer Realisierung der Wohnbebauung deutlich, um daran partizipieren zu können. Im Kaufvertrag wird nämlich zum einen festgehalten, dass die Klägerin erwägt, eine Wohnung in dem geplanten Vorhaben zu erwerben. Zum anderen wird die Fälligkeit des Kaufpreises an die Fertigstellung der Wohnbebauung geknüpft. Gemäß §§ 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB, 464 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – würden diese Bedingungen auch gegenüber der Gemeinde gelten, da sich die Frage der Fälligkeit des Kaufpreises primär nach der Vereinbarung mit dem ursprünglichen Käufer richtet (Faust, in: BeckOK BGB, § 464 Rn. 5).
Hinzu kommt, dass die Klägerin bis zur Fälligkeit des Kaufpreises auf ausreichende Sicherheiten wegen freundschaftlicher und verwandtschaftlicher Verbindungen der Klägerin zur Beigeladenen verzichtet hat. Insoweit übernimmt die Klägerin bewusst das Insolvenzrisiko der Beigeladenen und ihrer Gesellschafter. Durch die Ausübung des Vorkaufsrechts kommt es zu einem Austausch der Schuldnerin. Auch mit dem Interesse der Klägerin an der Beigeladenen als Schuldnerin hätte sich der Beklagte in der Ermessensbetätigung auseinandersetzen müssen. Auch insoweit ist der Sachverhalt nicht vollständig ermittelt. In der angestellten Verhältnismäßigkeitsprüfung wird insoweit deshalb auch die Bedeutung der Vertragsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verkannt. Hierdurch wird auch die freie Wahl des Vertragspartners geschützt, in die durch die Ausübung des Vorkaufsrechts eingegriffen wird.
Ebenso kann eine eingehende Erörterung und Prüfung der Interessen der Verkäuferin und der Käuferin – wie sie im Bescheid behauptet werden – anhand der Niederschrift nicht nachvollzogen werden. Es fehlt eine substantiierte Auseinandersetzung im Sinne einer Bewertung und Gewichtung der einzelnen Belange zueinander. Insbesondere fehlt eine hinreichende Auseinandersetzung mit den Absichten der Beigeladenen, das erworbene Grundstück zur Wohnbebauung zu nutzen. Im hiesigen Fall wäre dies aber notwendig gewesen, da die Wohnbebauung bereits als Zweck des Kaufvertrages genannt wird. Die Käuferinteressen an einer Verwirklichung der geplanten Bebauung und den dazu notwendigen Grundstückserwerb werden den Interessen der Gemeinde an einer zügigen Wohnbebauung nicht gegenübergestellt. Es wird zwar dargelegt, weshalb die Gemeinde nicht mit einer zügigen Realisierung der Bebauung durch den Käufer rechnet, dies entbindet jedoch nicht davon, das Interesse am Grundstückserwerb mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Ermessenserwägungen einzustellen.
Endlich wird auch nicht dem vom VGH aufgestellten Kriterium, auch Alternativen zu diskutieren (BayVGH, B. v. 22.01.2016 – 9 ZB 15.2027 – juris Ls. 1) genüge getan. Diese strenge Anforderung an die Ausübung des Ermessens ergibt sich aus dem mit der Ausübung des Vorkaufsrechts verbundenen tiefgreifenden Eingriff in die Eigentums- und Vertragsfreiheit (Art. 14 Abs. 1, 2 Abs. 1 Grundgesetz – GG -). In der Bescheidsbegründung wird nur knapp darauf abgestellt, dass keine milderen Mittel ersichtlich seien, eine Bebauung des Grundstücks sicherzustellen. Insoweit wird allerdings pauschal davon ausgegangen, dass keine Bauabsicht bestehen würde, unter Hintanstellung der Tatsachen, die Gegenteiliges belegen könnten und die auf weitere Möglichkeiten zur Sicherung der Bebauung schließen lassen.
Bereits aus der fehlerhaften Ermessensausübung ergibt sich die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides (Riese, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 72). Da auch Interessen der Klägerin nicht hinreichend berücksichtigt wurden, ist auch diese in ihrer grundrechtlich geschützten Eigentums- und Vertragsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG verletzt, womit ihr ein Aufhebungsanspruch zusteht.
II.
Ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankommt, führt darüber hinaus auch die fehlerhafte Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG zur Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheides. Die Anhörung dient zwar auch zur Sachverhaltsaufklärung, ihr kommt aber ebenso die rechtsstaatliche Aufgabe zu, den im Verwaltungsverfahren Beteiligten Gehör zur Rechts- und Interessenswahrung zu ermöglichen.
a) Aus dem Wortlaut „ist Gelegenheit zu geben“ ergibt sich, dass es sich um einen verfahrensrechtlichen Anspruch handelt. Entscheidend ist daher, dass sich die Beteiligten äußern können und damit Möglichkeit erhalten, auf das Verfahren gestaltend einzuwirken. Die Behörde ist insoweit verpflichtet, die vorgebrachten Argumente zumindest in ihre Erwägungen einzubeziehen. Notwendig ist daher, dass dem Betroffenen die Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist gewährt wird. Dies kann im Einzelfall variieren. Jedenfalls ist aber Gelegenheit zu geben, die Interessen rechtzeitig in den Entscheidungsfindungsprozess einzubringen. Diese Pflicht hat der Beklagte jedenfalls gegenüber der Beigeladenen ersichtlich verletzt. Dieser wurde im Anhörungsschreiben vom 10.07.2019 Frist zur Äußerung bis 16.07.2019 gesetzt. Bereits am 11.07.2019 hat der Gemeinderat über die Ausübung des Vorkaufsrechts entschieden, ohne dass entsprechende Stellungnahmen der Beigeladenen hätten berücksichtigt werden können. Den mit der Anhörung verfolgten Zwecken genügt auch nicht die äußerst knappe Fristsetzung gegenüber der Klägerin. Das Anhörungsschreiben wurde ausweislich der Behördenakte am 02.07.2019 versandt, die Frist wurde bis 10.07.2019 gewährt. Selbst wenn das Anhörungsschreiben bei der Klägerin am 03.07.2019 eingegangen ist, wurden ihr nur 4 volle Arbeitstage zur Stellungnahme im Rahmen der Anhörung gewährt. In dieser Zeit kann kaum mit einer qualifizierten Stellungnahme betreffend die Ausübung eines Vorkaufsrechts gerechnet werden. Der Klägerin wurde insoweit die Möglichkeit genommen, sich gegenüber dem Beklagten im Verwaltungsverfahren zu den aus ihrer Sicht maßgeblichen Tatsachen zu äußern und so gestaltend auf die zu treffende Ermessensentscheidung einzuwirken.
b) Inhaltlich muss die Anhörung derart ausgestaltet sein, dass der Betroffene Art und Inhalt des in Aussicht genommenen Verwaltungsakts in seinen wesentlichen Zügen erfassen kann, damit für ihn der Verfahrensgegenstand überhaupt erkennbar ist und er sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen äußern kann. Erheblich sind insoweit die Tatsachen, von deren Vorliegen oder Nichtvorliegen die Entscheidung abhängig ist. Da das Vorkaufsrechts auf Grundlage einer an Gemeinwohlaspekten orientierte Abwägung (vgl. § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB) unter Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers und des Erwerbers nach pflichtgemäßem Ermessen auszuüben ist, besteht Veranlassung, an die Anhörung hier qualifizierte Anforderungen zu stellen. Im Hinblick auf die Abwendungsbefugnis des Käufers ist bereits in der Anhörung der Zweck, zu dem das Vorkaufsrecht ausgeübt wird, anzugeben. Insoweit ist die Schutzrichtung eine andere als die von § 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB verfolgte. Zwar ist auch dort mit Blick auf die Abwendungsbefugnis der Verwendungszweck anzugeben, die Norm ermöglicht aber primär die Prüfung, ob die Inanspruchnahme des Grundstücks durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist und ob die Ermessensbetätigung rechtmäßig erfolgte. In erster Linie hat die § 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB Bedeutung für die Anfechtung des Bescheids (EZBK § 24 Rn. 79; BeckOK BauGB § 24 Rn. 29).
Hingegen ist die Abwendungsbefugnis als subjektives öffentliches Recht ausgestaltet, welches zwar unabhängig von der Ausübung des Vorkaufsrechts besteht, aber nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur dann, wenn die Verwendung des Grundstücks nach den baurechtlichen Vorschriften bestimmbar ist. Insoweit muss der Käufer durch die Anhörung in die Lage versetzt werden, zu prüfen, ob die Verwendung bestimmbar ist, und ob er zu einer zweckentsprechenden Verwendung in der Lage ist. Fehlt es hieran, läuft auch die verfahrensrechtliche Möglichkeit nach § 27 Abs. 1 Satz 3 BauGB des Verkäufers leer, eine Verlängerung der Frist zur Ausübung der Abwendungsbefugnis bei der Gemeinde zu beantragen. Auch diese ist daran geknüpft, dass der Verkäufer glaubhaft machen kann, das Grundstück nach den baurechtlichen Vorschriften entsprechend zu verwenden. Die Verpflichtung zur Angabe des Verwendungszwecks bereits bei der Anhörung schützt daher den Käufer bei der Geltendmachung der Abwendungsbefugnis unter zwei Aspekten. Gemessen daran fehlt es im hiesigen Fall an einer inhaltlich hinreichenden Anhörung. Der Käuferin gegenüber wird der Zweck, zu dem das Vorkaufsrecht ausgeübt wird, nicht hinreichend bestimmt.
Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertigt die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nummer 6 BauGB nur, wenn damit Flächen – unmittelbar oder mittelbar (als Tauschland) – für die Errichtung von Wohngebäuden oder für deren infrastrukturelle Ausstattung erworben werden sollen (BVerwG. B. v. 25.01.2010 – 4 B53/09, juris Rn. 5). Insoweit gibt der Beklagte in seinem Anhörungsschreiben einen zulässigen Zweck zur Ausübung des Vorkaufsrechts an. Der angegebene Zweck, Tauschgelände zu erwerben, schließt die Abwendung des Vorkaufsrechts allerdings nicht aus. § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB macht die Abwendung des Vorkaufsrechts nur davon abhängig, dass der Käufer bereit und in der Lage ist, das Grundstück binnen angemessener Frist entsprechend den vorhandenen Festsetzungen des Bebauungsplans zu nutzen. Auch wenn die Gemeinde das Grundstück als Tausch- und Ersatzfläche verwenden möchte, kann sie damit die Abwendung des Vorkaufsrechts nicht hindern (OVG Saarlouis U. v. 23.06.1992 – 2 R 43/90, juris Rn. 46 a. E.).
Auf diesen Umstand weist das Anhörungsschreiben nicht in der gebotenen inhaltlichen Form hin. Das bloße Abdrucken der §§ 26, 27 BauGB genügt in der vorliegenden Konstellation nicht. Die Käuferin hätte selbst nämlich gerade nicht die Gelegenheit, das Grundstück als Tausch- oder Ersatzfläche zu nutzen. Vielmehr hat sie nur die Möglichkeit das Grundstück entsprechend der Festsetzungen des Bebauungsplans der Beklagten, der für dieses Grundstück besteht, zu nutzen. Aus dem Anhörungsschreiben selbst geht nicht mit der hinreichenden Bestimmtheit hervor, dass dies zur Ausübung der Abwendungsbefugnis genügt. Dies mag in einfachen Konstellationen genügen, in denen das Grundstück unmittelbar zum Zweck des Vorkaufsrechts genutzt werden soll, jedoch nicht im hiesigen Fall, in dem zumindest laut Anhörungsschreiben nur eine mittelbare Nutzung zum angestrebten Verwendungszweck erfolgen soll. Die Käuferin wird nicht entsprechend des Zwecks der Anhörung in die Lage versetzt, darüber zu entscheiden, ob sie in der Lage ist, die Abwendungsbefugnis aus § 27 Abs. 1 BauGB auszuüben.
c) Auch ist nicht offensichtlich, dass die Verletzung der Anhörungspflicht keinen Einfluss auf die Entscheidung in der Sache hatte im Sinne des Art. 46 BayVwVfG. Im Bereich von Ermessensentscheidungen, wie der Ausübung eines Vorkaufsrechts, kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte bei Beachtung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Hier bestand die konkrete Möglichkeit, dass der Gemeinderat in seiner Entscheidung am 11.07.2019 anders entschieden hätte, hätte er um die Verwendungsabsicht der Käuferin gewusst. Auch hätte die Entscheidung anders ausfallen können, hätte der Beklagte bereits aufgrund der Anhörung Kenntnis von den tatsächlich bestehenden Voraussetzungen der Abwendungsbefugnis gehabt.
d) Die mangelhafte Anhörung im Rechtsverhältnis der Gemeinde zur Beigeladenen führt auch im Rechtsverhältnis zur Klägerin zu einem Verfahrensfehler. Dies deshalb, weil das Vorkaufsrecht nach seiner materiellen Konstruktion in den §§ 24 ff. BauGB gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 gegenüber dem Verkäufer ausgeübt werden muss, allerdings gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur der Käufer die Möglichkeit zu Abwendung hat. Käufer und Verkäufer sind in gleicher Weise von der Ausübung eines Vorkaufsrechts durch die Gemeinde betroffen. Sobald tatsächlich eine Abwendungsbefugnis des Käufers besteht, kann der Verkäufer ein Interesse daran haben, dass dieses auch ausgeübt wird, damit es nicht zu einem Schuldnerwechsel kommt. Bereits im Gesetz findet sich mit § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB ein entsprechendes Beispiel. Nur durch die Ausübung der Abwendungsbefugnis kann verhindert werden, dass die Gemeinde einen vom Kaufvertrag abweichenden zu zahlenden Kaufpreis festsetzt. Dies ist hier zwar nicht der Fall, allerdings macht die Norm deutlich, dass die Interessen von Käufer und Verkäufer miteinander verknüpft sind und nicht getrennt, sodass sie nicht jeweils für sich alleine betrachtet werden können. Durch die vertraglichen Regelungen zur Fälligkeit und Sicherheit sowie der Möglichkeit eine Wohnung im zu errichtenden Objekt zu erwerben und den Kaufpreis zu verrechnen, sind auch hier die Interessen der Klägerin als Verkäuferin mit denen der Beigeladenen derart eng verknüpft, dass auch die Klägerin in die Lage versetzt werden muss, beurteilen zu können, ob eine Abwendungsbefugnis besteht. Auch hier greifen die qualifizierten Anforderungen an die Anhörung, wie sie oben dargestellt wurden. Die Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG bezweckt insoweit auch den Schutz der Klägerin als Verkäuferin des streitgegenständlichen Grundstücks.
Insoweit ist die Klägerin auch in ihren eigenen subjektiven Rechten verletzt.
III.
Nicht entscheidungserheblich ist die Frage, ob der Grundstückskaufvertrag formnichtig nach §§ 311b Abs. 1 Satz 1, 125 BGB sein könnte. Es sei aber darauf hingewiesen, dass dies voraussichtlich hier nicht anzunehmen wäre. Das Formerfordernis eines an das Grundstücksgeschäft gekoppelten weiteren Vertrags greift nur ein, sofern beide eine rechtliche Einheit bilden. Dies ist nur dann der Fall, wenn nach dem Willen der Parteien die beiden Verträge nicht einzeln gelten sollen, sondern in ihrer Wirksamkeit miteinander stehen und fallen sollen. Von einer rechtlichen Einheit in diesem Sinne kann nur ausgegangen werden, wenn der Grundstückskaufvertrag von dem weiteren Vertrag abhängig ist und nicht umgekehrt, wenn der weitere Vertrag von Grundstückskaufvertrag abhängig ist (zum Ganzen Gehrlein, in: BeckOK BGB, § 311b Rn. 25). Im letztgenannten Sinne stellen sich allerdings die Regelungen im hiesigen Kaufvertrag dar. Die Klägerin erwägt nur, eine Wohnung in dem geplanten Objekt zu erwerben. Hier wird weder eine Rechtspflicht begründet, noch wird der Grundstückskaufvertrag von einem eventuellen weiteren Kaufvertrag über eine Wohnung abhängig gemacht. Entsprechend könnte auch keine Nichtigkeit des Grundstückkaufvertrags angenommen werden.


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