Baurecht

Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts an oberirdischem Gewässer

Aktenzeichen  W 4 K 16.395

Datum:
18.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayNatSchG BayNatSchG Art. 39
BNatSchG BNatSchG § 66 Abs. 5
GO Art. 37 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Art. 39 Abs. 2
BayVwVfG BayVwVfG Art. 37 Abs. 1, Art. 40
BayWG BayWG Art. 1
BGB BGB § 469
WHG WHG § 2 Abs. 1
VwGO VwGO § 114 S. 1

 

Leitsatz

1. Das Vorliegen der Rechtsfertigungsgründe für die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle. Einen Beurteilungsspielraum hat die handelnde Behörde nicht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Rechtfertigung der Ausübung des Vorkaufsrechts kann es grundsätzlich schon ausreichen, wenn lediglich förderliche Auswirkungen auf die in Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG genannten Rechtfertigungsgründe festzustellen sind. Hierbei darf sich die Behörde grundsätzlich davon leiten lassen, dass nach allgemeiner Erfahrung die Verwirklichung naturschutzfachlicher Ziele durch den Eigentumserwerb seitens der öffentlichen Hand besser gefördert wird als durch entsprechende Maßnahmen von Privatpersonen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die erhobene Klage ist als Anfechtungsklage zwar zulässig, aber unbegründet, da der Bescheid des Beklagten vom 7. März 2016 rechtmäßig ist und die Kläger nicht ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist § 66 Abs. 5 BNatSchG i.V.m. Art. 39 BayNatSchG. Danach steht u.a. dem Freistaat Bayern das Vorkaufsrecht zu beim Verkauf von Grundstücken, auf denen sich oberirdische Gewässer einschließlich von Verlandungsflächen, ausgenommen Be- und Entwässerungsgräben, befinden oder die daran angrenzen (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG). Dieses hat der Freistaat Bayern, vertreten durch die Kreisverwaltungsbehörde, hier also die Kreisfreie Stadt Aschaffenburg auszuüben (vgl. Art. 39 Abs. 3 Satz 1 BayNatSchG, Art. 9 Abs. 1 GO), wenn dies gegenwärtig oder zukünftig die Belange des Naturschutzes oder Landschaftspflege oder das Bedürfnis der Allgemeinheit nach Naturgenuss und Erholung in der freien Natur rechtfertigen (Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG).
Bedenken formeller Art gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts bestehen entgegen der Auffassung des Klägervertreters nicht.
Insbesondere ist die Zwei-Monats-Frist des Art. 39 Abs. 7 Satz 1 BayNatSchG gewahrt. Danach kann das Vorkaufsrecht nur innerhalb von zwei Monaten nach der Mitteilung der in Art. 39 Abs. 1 Sätze 1 und 2 genannten Verträge ausgeübt werden. Mit dem Begriff der „Mitteilung“ nimmt die Vorschrift Bezug auf Art. 39 Abs. 3 Satz 3 BayNatSchG i.V.m. § 469 BGB. Nach der letztgenannten Vorschrift ist die Mitteilung über den Inhalt des Vertrags an den Vorkaufsberechtigten i.S.v. § 469 BGB stets gegenüber der Kreisverwaltungsbehörde, hier also der Kreisfreien Stadt Aschaffenburg, abzugeben. Genauere Bestimmungen zum Inhalt der Mitteilung enthält das Gesetz zwar nicht, jedoch ist als Mindestvoraussetzung schon aus der Vorschrift des § 469 BGB („Inhalt des geschlossenen Vertrags“) zu fordern, dass alle vertraglichen Bestimmungen sowie die Wirksamkeitsvoraussetzungen mitgeteilt werden (vgl. BayVGH v. 8.12.2011 – 14 BV 10.559 – Rn. 23 = NuR 2012, 510). Das fristauslösende Ereignis ist somit die positive Kenntnis der Kreisverwaltungsbehörde/der Kreisfreien Stadt von den vertraglichen Bestimmungen.
Unter Berücksichtigung dessen hat das Notariat K* … – Dr. M* … – dem Beklagten mit Schreiben vom 23. November 2015 zwar mitgeteilt, dass zwischen den Klägern und Herrn A* … ein Kaufvertrag zustande gekommen sei, die vertraglichen Bestimmungen allerdings, d.h. die notarielle Urkunde, über den Kaufvertrag, ging bei der Stadt Aschaffenburg ausweislich des Einlaufstempels am 22. Januar 2016 ein, so dass die gesetzlich normierte Ausschlussfrist des Art. 39 Abs. 7 Satz 1 BayNatSchG zweifellos gewahrt ist.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Vortrag des Klägervertreters, vor Ausübung des Vorkaufsrechts hätte es eines Stadtratsbeschlusses bedurft. Angesichts der Größe der Stadt Aschaffenburg und der Bedeutung der vorliegenden Angelegenheit, aber auch angesichts der zu erwartenden Verpflichtungen, die durch die Ausübung des Vorkaufsrechts entstehen, handelt es sich vorliegend bei der Ausübung des Vorkaufsrechts zweifellos um eine Angelegenheit der laufenden Verwaltung gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO, die der Oberbürgermeister unproblematisch gemäß Art. 39 Abs. 2 GO der Verwaltung übertragen konnte.
Auch in materieller Hinsicht bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Ausübung des Vorkaufsrechts.
Soweit der Klägervertreter ausführt, der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG sei vorliegend nicht gewahrt, vermag er damit nicht durchzudringen. Dem Klägervertreter ist zwar zuzugestehen, dass ein Verwaltungsakt nur dann dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt, wenn auch die Behörde erkennbar ist, die den Verwaltungsakt erlassen hat (vgl. Art. 37 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG). Dies ist vorliegend aber unzweifelhaft der Fall, denn die Stadt Aschaffenburg hat in der Ausübungserklärung eindeutig darauf hingewiesen, dass der Freistaat Bayern, vertreten durch die Kreisfreie Stadt Aschaffenburg, das gesetzliche Vorkaufsrecht ausübe. Dies entspricht der im Gesetz gewählten Formulierung (vgl. Art. 39 Abs. 3 Satz 1 BayNatSchG) und ist deshalb nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für die Ausübung des Vorkaufsrechts ist, wie bereits erwähnt, Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BayNatSchG, wobei das Vorliegen der in Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG geregelten Rechtfertigungsgründe der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BayVGH v. 3.5.2016 – 14 B 15.205 – Rn. 41 = juris). Einen Beurteilungsspielraum hat die handelnde Behörde somit nicht. Zur Rechtfertigung der Ausübung des Vorkaufsrechts kann es allerdings grundsätzlich schon ausreichen, wenn lediglich förderliche Auswirkungen auf die in Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG genannten Rechtfertigungsgründe festzustellen sind (vgl. BayVGH v. 9.3.2015 – 14 ZB 13.2250 – Rn. 6 = NuR 2015, 427). Hierbei darf sich die Behörde auch grundsätzlich von dem Leitsatz leiten lassen, dass nach allgemeiner Erfahrung die Verwirklichung naturschutzfachlicher Ziele durch den Eigentumserwerb seitens der öffentlichen Hand besser gefördert wird, als durch entsprechende Maßnahmen von Privatpersonen, insbesondere im Rahmen zivilrechtlicher Vereinbarungen, wie etwa Bewirtschaftungsvereinbarungen (BayVGH v. 9.3.2015 – 14 ZB 13.2250 – Rn. 7 ff. = NuR 2015, 427).
Die in Art. 39 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BayNatSchG normierten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall alle gegeben. Insbesondere handelt es sich entgegen der Ansicht des Klägervertreters beim Gailbach um ein fließendes Gewässer i.S.d. Art. 1 BayWG, § 2 Abs. 1 WHG, denn dieser entspringt, wie der Beklagte glaubhaft vorgetragen hat, unterhalb des Weißberges südlich von Gailbach. Auf seinem Weg zur Mündung in den Main wird er von mehreren Bächen, u.a. auch dem Billingersbach gespeist, so dass von einem Be- und Entwässerungsgraben, wie der Klägervertreter meint, nicht die Rede sein kann.
Dass der Gailbach streckenweise verrohrt ist, ändert an diesem Ergebnis nichts, da nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung durch die Verrohrung nicht die Eigenschaft als oberirdisches Gewässer aufgehoben werden kann (vgl. BVerwG v. 27.1.2011 – 7 C 3/10 – juris). Im Übrigen ist ein Be- bzw. Entwässerungsgraben ein künstlich hergestelltes Gewässer, welches für gewöhnlich nur vorübergehend wasserführend ist und der Be- oder Entwässerung dient (vgl. Engelhardt/Fischer-Hüftle/Egner/Brenner, BayNatSchG, Art. 39 Rn. 6a). Genau das trifft für den Gailbach aber nicht zu.
Es liegen auch entsprechende Rechtfertigungsgründe für die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG in der Form von zukünftigen naturschutzfachlichen Belangen vor, zumal dies Klägerseits nicht ernsthaft bestritten wird. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht insoweit auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid (§ 117 Abs. 5 VwGO) und sieht von einer weiteren Darstellung ab.
Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgte auch entsprechend den Anforderungen an eine pflichtgemäße Ermessensausübung nach Art. 40 BayVwVfG. Die Rechtsfolge des Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG besteht in der Einräumung einer Ermessensentscheidung, welche gemäß den Grundsätzen des Art. 40 BayVwVfG zu treffen ist, jedoch nach § 114 Satz 1 VwGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Hierbei ist zu beachten, dass die Behörde nach § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen auch noch im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens ergänzen, jedoch nicht gänzlich austauschen oder gar erstmalig Ermessen ausüben darf.
Unter Berücksichtigung dessen kann vorliegend von einem gänzlichen Ermessensausfall oder einem Übersehen ermessensentscheidender Sachverhaltsaspekte in tatsächlicher Hinsicht nicht die Rede sein. Bei der Beurteilung, ob die Behörde Ermessen ausgeübt hat, kommt der dem Bescheid beigefügten Begründung indizielle Bedeutung zu (vgl. BayVGH v. 2.1.2016 – 9 ZB 15.2027 – Rn. 11).
Die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid zu Ermessensaspekten zeigen in ausreichender Weise, dass sich der Beklagte der Eröffnung einer Ermessensentscheidung im Kern bewusst war. Ebenso wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen. Dies zeigt, dass die Behörde im Grundsatz erkannt hat, dass berechtigte private Belange zumindest auf der Käuferseite im Raum stehen und den Inhalt der Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts im Ermessenswege beeinflussen können. Den Vorwurf des Klägervertreters im Klageschriftsatz vom 11. April 2016, der Beklagte habe sich mit den widerstreitenden Kläger- und Käuferinteressen nicht bzw. nicht ausreichend auseinandergesetzt, kann das Gericht deshalb nicht nachvollziehen.
Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht unter Berücksichtigung des weiteren Vortrags des Klägervertreters, sämtliche Ausführungen zu den Wertverhältnissen der betroffenen Grundstücke seien im Bescheid völlig falsch. Denn die nach Art. 39 Abs. 8 BayNatSchG vorgenommene Verkehrswertermittlung durch den Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Bereich der Kreisfreien Stadt Aschaffenburg vom 15. Februar 2016 ist nicht zu beanstanden und wird im Übrigen klägerseits auch nicht substantiiert angegriffen. Wenn der Klägervertreter in diesem Zusammenhang meint, es hätte ein Quadratmeterpreis von 141,32 EUR angesetzt werden müssen, verkennt er, dass es sich bei den Fl.Nrn. …03, …04 und …06 um Grünflächen handelt, die bis unmittelbar an den Gailbach heranreichen. Sie befinden sich im bauplanungsrechtlichen Außenbereich und sind im Flächennutzungsplan, wie der Gutachterausschuss überzeugend ausführt, als Grünland sowie als Überschwemmungsbereich des Gailbachs dargestellt. Die Annahme eines Bodenwerts von ca. 5,00 EUR pro m² ist deshalb ebenso wenig zu beanstanden, wie die Annahme von 18,00 EUR pro m² für das Grundstück Fl.Nr. …16, zumal das Vorkaufsrecht im Bereich des Flurstücks Nr. …16 lediglich für den nicht überbauten Bereich des Bachlaufs ausgeübt wurde.
Die Klage war demnach abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.


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