Baurecht

Eilantrag eines Denkmaleigentümers auf bauaufsichtliches Einschreiten

Aktenzeichen  2 CE 21.2002

Datum:
22.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30922
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BayBO Art. 75 Abs. 1 S. 1, Art. 76 S. 1
BGB § 823 Abs. 2, § 906, § 1004
GG Art. 14 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Ermessensreduzierung auf Null für die Einstellung von Arbeiten nach Art. 75 Abs. 1 S. 1 BayBO ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt. Ein Rechtsanspruch auf Einschreiten besteht insbesondere, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für das Verlangen des Betroffenen nach einem öffentlich-rechtlichen Einschreiten fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn das Ziel mit einer in Betracht kommenden zivilrechtlichen Klage identisch ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 8 E 21.3565 2021-07-12 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,– Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers nach § 146 VwGO hat keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof sieht ebenso wenig wie das Erstgericht einen Anlass, eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO zu erlassen. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung selbständig tragend darauf gestützt, dass es jedenfalls an einer Reduzierung des der Antragsgegnerin zustehenden Ermessens hinsichtlich des Ergreifens bauaufsichtlicher Maßnahmen auf Null fehlt. Dies ist nicht zu beanstanden.
Die Möglichkeit, seine Rechte unmittelbar gegenüber dem „Störer“ zivilrechtlich (§§ 1004, 906, 823 Abs. 2 BGB) geltend zu machen, kann nach den konkreten Umständen des Einzelfalls ein beachtlicher Ermessensgesichtspunkt sein (vgl. BVerwG, B.v. 10.12.1997 – 4 B 204.97 – NVwZ 1998, 395). Das gilt insbesondere dann, wenn wie vorliegend hauptsächlich das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis berührt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs genügt allein eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften nicht, damit sich das der Bauaufsichtsbehörde gemäß Art. 76 Satz 1 BayBO zustehende Ermessen auf Null reduziert. Gleiches muss für Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO gelten. Eine Ermessensreduzierung ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt. Ein Rechtsanspruch auf Einschreiten besteht insbesondere, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 14.10.2019 – 9 ZB 17.227 – juris Rn. 9; B.v. 15.1.2019 – 15 ZB 17.317 – juris Rn. 4; B.v. 7.9.2018 – 9 ZB 16.1890 – juris Rn. 6; B.v. 10.4.2018 – 15 ZB 17.45 – juris Rn. 19; siehe auch BayVerfGH, E.v. 3.12.1993 – Vf. 108-VI-92 – BayVBl 1994, 110). Von diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht ausgegangen und hat zutreffend den Rechtsanspruch auf Einschreiten verneint.
Der Antragsteller rügt, dass im Fall der drohenden Substanzverletzung eines Baudenkmals ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten bestehen muss. Das Ermessen der Behörde müsse in solchen Fällen stets auf Null reduziert sein.
Vorliegend handelt es sich im Kern um eine zivilrechtliche Streitigkeit. Die Antragsgegnerin kann dann von einem Einschreiten wegen rechtswidriger Zustände absehen, wenn der Betroffene zugleich in privaten Rechten verletzt wird und sich des störenden Zustands selbst zu erwehren vermag, vor allem dadurch, dass er die Hilfe der ordentlichen Gerichte gegen den Störer in Anspruch nimmt. Im Bereich des Gefahrenabwehrrechts gilt der Grundsatz der Subsidiarität (vgl. BVerwG, B.v. 10.12.1997 – 4 B 204/97 – BayVBl 1998, 219; BayVGH, U.v. 12.11.1987 – 2 B 86.01342 – juris; Dirnberger in Busse/Krauß, Bayerische Bauordnung, Stand Mai 2021, Art. 54 Rn. 103). Es ist nicht Sinn des öffentlichen Baurechts, dass der Betroffene statt einen Unterlassungsanspruch gegen den Störer geltend zu machen, von den Behörden die Beseitigung eines rechtswidrigen Zustands verlangen und ihnen so das Prozessrisiko zuschieben darf. Für das Verlangen des Betroffenen nach einem öffentlich-rechtlichen Einschreiten fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn das Ziel mit einer in Betracht kommenden zivilrechtlichen Klage identisch ist. Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass der von den Zivilgerichten gewährte Schutz in der Sache genauso weit geht wie der, den Verwaltungsgerichte bieten können. Es besteht deshalb grundsätzlich kein Rechtsanspruch auf eine an sich mögliche verwaltungsbehördliche Hilfeleistung, wenn der Betreffende sich entweder selbst helfen kann oder er sich die erforderliche Hilfe unter zumutbarem Aufwand mit den Mitteln des Privatrechts verschaffen kann. Denn die Grundfunktion verwaltungsbehördlicher Tätigkeit liegt vornehmlich in der Wahrung objektiv-öffentlicher Interessen, während es bei Nachbarstreitigkeiten um die Beeinträchtigung subjektiver Rechte geht (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.1987 – 1 CS 87.00315; B.v. 26.7.1981 – 1 CE 81.01564; Dirnberger in Busse/Kraus a.a.O.).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Antragsteller Eigentümer eines Baudenkmals ist. Zwar kann die Denkmaleigenschaft bei der Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin eine Rolle spielen. Zu einer Ermessensreduktion auf Null führt sie jedoch nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlangt es der nach Art. 14 Abs. 1 GG gebotene nachbarliche Drittschutz, dass der Eigentümer eines Denkmals als Nachbar bestimmte Verletzungen objektiven Rechts geltend machen kann (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 4 C 3.08 – juris). Art. 14 Abs. 1 GG vermittelt insofern nur ein grundrechtlich gebotenes Mindestmaß an denkmalrechtlichem Nachbarschutz (vgl. BVerwG, B.v. 10.6.2013 – 4 B 6.13 – juris). Im vorliegenden Fall stehen jedoch keine spezifisch denkmalschutzrechtlichen Belange inmitten. Der Kläger macht gegenüber dem Abriss des Altbestands auf dem Grundstück der Beigeladenen im Wesentlichen Belange wie die Gefährdung der Gesamtstatik oder des Baugrunds geltend. Letztlich befürchtet der Antragsteller Substanzverletzungen seines Eigentums. Auch als Eigentümer eines Denkmals kann ihm angesonnen werden, Rechtsschutz vor den Zivilgerichten zu suchen.
Der Antragsteller behauptet, eine Gefährdung der Standsicherheit des Baudenkmals und ist der Auffassung, dass Beschädigungen an der denkmalgeschützten Fassade zu einer Gefährdung von Leib und Leben von Passanten führen könnten. Er stützt sich dabei in erster Linie auf die Stellungnahme des Bauunternehmers S… vom 29.7.2021 (VGH-Akt S. 119), wonach selbst bei „kleinen Erschütterungen“ ganze Putzschollen sich ablösen könnten und eine Gefährdung von Passanten im Raum stehen könnte. Unabhängig davon, dass es völlig unbestimmt ist, was „kleine Erschütterungen“ sind, handelt es sich bei der Stellungnahme des Bauunternehmers S… vom 29. Juli 2021 um ein Schreiben, das nicht den Abbruch des Beigeladenen, sondern im weitesten Sinn das Werkvertragsrecht zwischen dem Antragsteller und dem Unternehmer zum Gegenstand hat. Bereits von daher ist es kaum geeignet, einen Anordnungsanspruch auf behördliches Einschreiten gegen die Beigeladene glaubhaft zu machen. Weiter bezieht sich der Antragsteller auf ein Schreiben der … Ingenieurgesellschaft für Bauwesen und Geotechnik mbH vom 6. August 2021 (VGH-Akt S. 120), wonach erst bei sich im Rahmen des Monitoring-Verfahrens ergebenden Überschreitungen, gegebenenfalls selektive Abbruchmethoden zur Ausführung kommen müssten. Solche Überschreitungen wurden jedoch bislang nicht dargelegt. Im Übrigen nimmt das Schreiben … Ingenieurgesellschaft für Bauwesen und Geotechnik mbH vom 6. August 2021 auf das Schreiben des Bauunternehmens S… Bezug. Auch die Stellungnahme vom 10. September 2021 (VGH-Akt S. 296) bringt hier keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn, weil deutlich höhere Erschütterungen lediglich vermutet werden. In erster Linie ist es im Verantwortungsbereich des Antragstellers, dass sein Gebäude eine übliche, die Grenzwerte einhaltende Belastungssituation aus der Umgebung im Rahmen der Verkehrsüblichkeit aushält.
Der Antragsteller wird durch die Ablehnung eines behördlichen Einschreitens auch nicht schutzlos gestellt. Die Antragsgegnerin ist als Bauaufsichtsbehörde für die Überwachung der Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften auch bei der Beseitigung baulicher Anlagen zuständig (Art. 54 Abs. 2 BayBO). Die Antragsgegnerin überwacht im Rahmen der Bauaufsicht die Baumaßnahme. Im Übrigen muss bei nicht freistehenden Gebäuden durch einen qualifizierten Tragwerksplaner im Sinn des Art. 62 Abs. 1 BayBO beurteilt und im erforderlichen Umfang nachgewiesen werden, dass das Gebäude oder die Gebäude, an die das zu beseitigende Gebäude angebaut ist, während und nach der Beseitigung standsicher sind. Die Beseitigung ist, soweit notwendig, durch den qualifizierten Tragwerksplaner zu überwachen (Art. 57 Abs. 5 Satz 3 BayBO). Eine weitergehende Beauflagung durch die Antragsgegnerin zugunsten des Antragstellers ist im vorliegenden Fall nicht geboten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ebenfalls dem Antragsteller aufzuerlegen, da diese einen Antrag gestellt hat (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.


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