Aktenzeichen M 1 K 16.4724
Leitsatz
1 § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB will Vorhaben der dort näher bezeichneten Art privilegieren, die singulären Charakter haben, jedenfalls nicht in einer größeren Zahl zu erwarten sind und für die deshalb nicht planerisch vorausschauend geeignete Standorte ausgewählt werden müssen, sondern eine Beurteilung des Einzelfalls am Maßstab öffentlicher Belange den Erfordernissen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung genügt. (Rn. 13) (red. LS Andreas Decker)
2 Die von § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB geforderte Vergleichbarkeit des früheren Gebäudes mit dem geplanten Bauvorhaben ist nicht gegeben, wenn das neue Gebäude vom zerstörten Gebäude in seiner Funktion wesentlich abweicht (hier bejaht bei einer früheren Nutzung des Erdgeschosses eines dreigeschossigen Hauses als Werkstatt und Stall und einer nunmehr beantragten Nutzung auch dieses Gebäudeteils zu Wohnzwecken). (Rn. 18) (red. LS Andreas Decker)
3 Ein Ereignis ist iSv § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB dann „außergewöhnlich“, wenn es nicht vorhersehbar ist und deshalb zu einem für den Eigentümer überraschenden Substanzverlust am früheren Gebäude führt. (Rn. 19) (red. LS Andreas Decker)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat auf die beantragte Baugenehmigung keinen Anspruch, weshalb der von ihm angegriffene Ablehnungsbescheid des Landratsamts vom 10. Oktober 2016 ihn nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Das unstreitig im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gelegene Bauvorhaben des Klägers ist nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert, da es nicht wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Bauvorhaben mit einer Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB sind solche, die in bestimmter Weise zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Zwecks auf einen Standort im Außenbereich angewiesen sind (BVerwG, U.v. 7.5.1976 – IV C 62.74 – DVBl 1977, 23 – juris Rn. 27; U.v. 16.6.1994 – 4 C 20.93 – BVerwGE 96, 95 – juris Rn. 19; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 1.8.2016, § 35 Rn. 55). Das Tatbestandsmerkmal des „Sollens“ in dieser Bestimmung setzt eine Wertung voraus, ob das Vorhaben in einer Weise billigenswert ist, die es rechtfertigt, es bevorzugt im Außenbereich zuzulassen. Diese Einschränkung ergibt sich aus der im Vergleich zu den übrigen Fallgruppen des § 35 Abs. 1 BauGB tatbestandlichen Weite der Vorschrift, die durch erhöhte Anforderungen an die im Gesetz umschriebenen Privilegierungsvoraussetzungen auszugleichen ist. Denn nur so lässt sich das gesetzgeberische Ziel erreichen, den Außenbereich, der der Land- und Forstwirtschaft sowie der Erholung für die Allgemeinheit dient, vor einer unangemessenen Inanspruchnahme zu schützen. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB will Vorhaben der dort näher bezeichneten Art privilegieren, die singulären Charakter haben, jedenfalls nicht in einer größeren Zahl zu erwarten sind und für die deshalb nicht planerisch vorausschauend geeignete Standorte ausgewählt werden müssen, sondern eine Beurteilung des Einzelfalls am Maßstab öffentlicher Belange den Erfordernissen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung genügt (BayVGH, B.v. 24.1.2017 – 1 ZB 14.1205 – juris Rn. 9; BVerwG, B.v. 2.3.2005 – 7 B 16.05 – juris Rn. 7; U.v. 16.6.1994 a.a.O.).
Die Errichtung des vom Kläger beantragten dreigeschossigen Wohngebäudes mit drei Wohneinheiten ohne eine solche besondere Zweckbestimmung ist zur Erreichung dieses Nutzungsziels nicht auf einen Standort im Außenbereich angewiesen. Eine Zweckbindung des Bauvorhabens insofern, als Mitarbeitern einer in der Nähe geplanten …-Schule Wohnraum verschafft werden solle, ist den Antragsunterlagen des Klägers nicht zu entnehmen und deshalb nicht Teil seines Bauantrags, so dass dahin stehen kann, ob sich hieraus gegebenfalls eine entsprechende Privilegierung für das Bauvorhaben ergeben könnte. Auch der vom Kläger vorgetragene singuläre Charakter seines Bauvorhabens ergibt sich aus dem Bauantrag nicht. Dass sich auf seinem Grundstück in früherer Zeit eine Mühle befunden hat, führt nicht zum „singulären Charakter“ eines dreigeschossigen Wohngebäudes mit drei Wohneinheiten. Auch ist dies kein Privilegierungsmerkmal i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB.
2. Das Bauvorhaben ist auch nicht gemäß § 35 Abs. 4 BauGB teilprivilegiert, weshalb die in § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB genannten, beim Bestehen einer Teilprivilegierung „auszublendenden“ öffentlichen Belange der Darstellung im Flächennutzungsplan, der natürlichen Eigenart der Landschaft und die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung dem Bauvorhaben des Klägers entgegengehalten werden können.
2.1 Eine Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB für ein Bauvorhaben zur Neuerrichtung eines Wohngebäudes als Ersatz für ein vorhandenes Gebäude mit Missständen und Mängeln kommt schon deshalb nicht in Betracht, da sie eine bisherige Eigennutzung des mängelbehafteten Vorgängerbaus durch den Eigentümer voraussetzt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, das frühere Gebäude nie selbst bewohnt zu haben.
2.2 Das Bauvorhaben ist auch nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB teilprivilegiert. Die Zulässigkeit eines Bauvorhabens nach dieser Regelung setzt voraus, dass das frühere Gebäude zulässigerweise errichtet wurde (was im vorliegenden Fall unterstellt werden kann) und dass es „durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse“ zerstört wurde. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann ein „gleichartiges Gebäude“ an gleicher Stelle alsbald neu errichtet werden.
Das beantragte Bauvorhaben ist zum einen nicht „gleichartig“ im Sinne dieser Regelung, da es auch im Erdgeschoss Wohnnutzung vorsieht, während sich im früheren Gebäude, wie der Kläger im Vorbescheidsantrag vom 8. Mai 2015 selbst angegeben und auch in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, im Erdgeschoss ein Wirtschaftsteil befunden hatte, bestehend aus einer Werkstatt und dem Bereich zur Tierhaltung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 8.6.1979 – IV C 23.77 – BVerwGE 58, 124 – juris Rn. 23 zum früheren textgleichen § 35 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BBauG; U.v. 13.6.1980 – IV C 63.77 – DÖV 1980, 765 – juris Rn. 19; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Stand 1.8.2016, § 35 Rn. 154) ist die von § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB geforderte Vergleichbarkeit des früheren Gebäudes mit dem geplanten Bauvorhaben nicht gegeben, wenn das neue Gebäude vom zerstörten Gebäude in seiner Funktion wesentlich abweicht. Bei einer früheren Nutzung des Erdgeschosses eines dreigeschossigen Hauses als Werkstatt und Stall und einer vorliegend vom Kläger beantragten Nutzung auch dieses Gebäudeteils zu Wohnzwecken liegt eine solche wesentliche Abweichung vor.
Zum anderen beruht die Zerstörung des Hauses nicht auf einem „außergewöhnlichen Ereignis“ im Sinne von § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Ein Ereignis ist dann „außergewöhnlich“, wenn es nicht vorhersehbar ist und deshalb, wie z.B. im Fall eines Naturereignisses oder eines (nicht vom Eigentümer selbst verursachten) Brandes, zu einem für den Eigentümer überraschenden Substanzverlust am früheren Gebäude führt. Ebenso wenig, wie der langsame Verfall eines alten Hauses als ein solches „außergewöhnliches Ereignis“ anzusehen ist (hierzu: BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 2.78 – BVerwGE 62, 32 – juris Rn. 10; U.v. 12.3.1982 – 4 C 59.78 – DÖV 1982, 1031 – juris Rn. 19), ist es auch nicht außergewöhnlich, dass ein baufälliges, von nicht unerheblichen Rissen durchzogenes Haus bei einem Sanierungsversuch in sich zusammenstürzt. Dies gilt unabhängig davon, ob die vom Kläger beauftragte Baufirma fehlerhaft gearbeitet hat oder nicht.
Die vom Kläger als Anlage K 4 vorgelegten Fotoaufnahmen des früheren Gebäudes zeigen dessen Zustand im Februar unmittelbar vor Beginn des Sanierungsversuchs. In der westlichen Giebelwand sind mehrere, parallel schräg nach oben verlaufende Risse im Mauerwerk deutlich zu erkennen. Wie die weiteren Fotoaufnahmen zeigen, reichen diese Risse bis in das Hausinnere und weisen zum Teil eine Breite von mehreren Zentimetern auf. Noch am Wenigsten von solchen Rissen durchzogen war zu diesem Zeitpunkt offenbar die südliche, vom Putz befreite Hauswand, von der – wohl auch aus diesem Grund – nach Ende des missglückten Sanierungsversuchs noch ein Teil stehen geblieben war. Ein Bauherr muss bei einem Gebäude in diesem Zustand damit rechnen, dass es bei einem Sanierungsversuch zu erheblichen Gebäudeschäden kommen kann, die im schlimmsten Fall zur völligen Zerstörung des Gebäudes führen können. Auch eine vor dem Beginn des Sanierungsversuchs eingeholte Bestätigung einer Sanierungsfähigkeit des Hauses durch eine fachkundige Person beseitigt die Gefahr eines Substanzverlustes durch einen Einsturz bei einem Sanierungsversuch nicht. Dass der Kläger zuvor einen Sanierungskreditvertrag abgeschlossen hat, belegt, dass auch das Kreditinstitut eine solche Sanierung für möglich hielt, nicht aber, dass ein Scheitern des Sanierungsversuchs außerhalb jeder vernünftigen Erwartung lag.
Ein Versuch, Geschossdecken eines alten Hauses zu entfernen und sie aus diesem Grund von den Wänden zu trennen, der dann – nach der Beschreibung des Klägers aufgrund unerkannt starker Verankerung von Stahlträgern der Geschossdecken mit den Wänden – zum Wandeinsturz des zu sanierenden Gebäudes führt, trägt als Sanierungsversuch die Gefahr des Substanzverlustes am Gebäude in sich. Deshalb kommt für das Bauvorhaben des Klägers keine Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB wegen eines außergewöhnlichen Ereignisses in Betracht. Dass das Landratsamt dem Kläger nach fast vollständiger Zerstörung des Hauses zugebilligt hat, auch die noch stehen gebliebene Teile der südlichen Hauswand zu beseitigen, ändert hieran schon deshalb nichts, weil zu diesem Zeitpunkt die Zerstörung des Hauses bereits eingetreten war. Anlagen mit einer Höhe bis zu 10 Metern, die keine Gebäude sind, können nach Art. 57 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 BayBO verfahrensfrei beseitigt werden. Da das frühere Gebäude durch den Sanierungsversuch im Februar 2016 bereits zerstört wurde, konnten die stehengebliebenen Mauerreste nach dieser Bestimmung vom Kläger entfernt werden, ohne dass es hierzu einer bauaufsichtlichen Genehmigung bedurft hätte. Ein darüber hinausgehender Erklärungsgehalt kann der vom Kläger eingewandten E-mail des Landratsamts vom 19. Mai 2016 nicht entnommen werden. Deshalb kann der Kläger auch hieraus keinen Anspruch auf Genehmigung seines Bauvorhabens ableiten.
3. Als „sonstiges Bauvorhaben“ im Sinne von § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt das Bauvorhaben des Klägers die vom Landratsamt im Bescheid genannten öffentlichen Belange der Darstellung „Gemeinbedarfsfläche Schule“ im Flächennutzungsplan (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) und der Gefahr der Verfestigung einer Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Da das Grundstück des Klägers in einem Landschaftsschutzgebiet liegt, werden auch Belange des Naturschutzes beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB).
4. Die Klage ist aus diesen Gründen mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.