Baurecht

Erschließungsbeitragsrecht, keine Berücksichtigung einer fiktiven Kostenersparnis mangels vertraglicher Vereinbarung mit dem Versorgungsunternehmen, unwirksame satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung

Aktenzeichen  M 28 K 18.3248

Datum:
29.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49618
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage, über die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO) ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid des Beklagten und der Widerspruchsbescheid sind zwar teilweise rechtswidrig, verletzen den Kläger aber auch insoweit nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Der streitgegenständliche Erschließungsbeitragsbescheid beruht auf Art. 5a Abs. 1 KAG i.V.m. §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Stadt … vom 5. August 1988 (EBS 1988). Zwar hat die Beklagte nach dem Erlass des streitbefangenen Beitragsbescheides eine neue Erschließungsbeitragssatzung erlassen. Da der Beitrag zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits entstanden war, ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung die in diesem Zeitpunkt gültige Erschließungsbeitragssatzung vom 5. August 1988 anzuwenden (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 19 Rn. 22 m.w.N.).
Nach diesen Vorschriften erhebt die Beklagte zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB bzw. Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG). Der Erschließungsaufwand umfasst dabei u.a. die Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage einschließlich der Einrichtungen für ihre Entwässerung und Beleuchtung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Beiträge können gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand ist nach Abzug eines Gemeindeanteils (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 1 EBS) auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Die Beitragspflicht entsteht unbeschadet weiterer Voraussetzungen mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage (§ 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB).
1. Zu Recht hat die Beklagte bei der Ermittlung des Erschließungsaufwands keinen (fiktiven) Kostenanteil des Amperverbands … für die zeitgleich vorgenommene Erneuerung der Wasserleitungen berücksichtigt. Zwar ist zutreffend, dass im Falle einer gleichzeitig mit der Straßenbaumaßnahme durchgeführten Kabel- oder Leitungsbaumaßnahme eine bei der Gemeinde eingetretene Kostenersparnis beiden Maßnahmen zugute zu rechnen ist (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 33‚ Rn. 26 f.). Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass dort, wo Baumaßnahmen von Kostenträgern aus verschiedenen Aufgabenbereich derart miteinander verbunden werden, dass dadurch Kosten eingespart werden, diese Ersparnis nicht nur bei einer Baumaßnahme berücksichtigt werden darf, sondern auf alle Baumaßnahmen verteilt werden muss. Weil die Kostenersparnis in der gemeinsamen Durchführung der Maßnahmen begründet ist, wäre es willkürlich, die Ersparnis nur bei einer der Maßnahmen zu berücksichtigen und dadurch lediglich einen der Kostenträger zu entlasten. Vielmehr muss der wirtschaftliche Erfolg der gemeinsamen Durchführung jeden Kostenträger zugutekommen. Dies setzt allerdings voraus, dass eine solche Ersparnis tatsächlich eingetreten ist, sei es dadurch, dass die Beklagte selbst die parallele Baumaßnahme durchgeführt (etwa bei einem Kanalbau) und dadurch insgesamt weniger Aufwand gehabt hätte als bei einer getrennten Durchführung der Baumaßnahmen, sei es dadurch, dass die Gemeinde gegen Versorgungsunternehmen einen Kostenerstattungsanspruch für die von ihr durchgeführten Baumaßnahmen hätte. Dafür ist nichts vorgetragen oder ersichtlich. Die Erneuerung der Wasserleitungen erfolgte nicht durch ein Wasserwerk der Beklagten selbst, sondern durch den Amperverband. Eine vertragliche Vereinbarung über die Zahlung eines Kostenanteils besteht zwischen der Beklagten und dem Amperverband ebenfalls nicht.
Es besteht auch keine Veranlassung, der Frage nachzugehen, wann die Gemeinde zur Vermeidung einer Kürzung des umlagefähigen Aufwandes nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit gehalten ist, solche Kostenerstattungsansprüche gegen Versorgungsunternehmen vorzusehen (vgl. OVG NRW, B.v. 12.2.1999 – 15 A 352/99 – BeckRS 19999, 158238). Im vorliegenden Fall war es nämlich ohne weiteres sachlich vertretbar, keine solche Ansprüche zu begründen: Der Amperverband hat auf Anfrage des Landratsamtes mitgeteilt, dass die Kosten des Straßenaufbruchs sowie dessen Beseitigung bzw. Entsorgung im zur Verlegung der Wasserleitungen und Hauanschlüsse notwendigen Umfang durch den Amperverband selbst getragen worden sind. Damit steht der Kostenersparnis des Versorgungsunternehmens (das sich auf die Ersparnis der Wiederherstellung des Oberbaus beschränkt) die Kostenersparnis der Gemeinde gegenübersteht, die Straße in den vom Versorgungsunternehmen bereits ausgeschachteten Teilen nicht für die beabsichtigte Erneuerung ausbaggern zu müssen. Überdies hat der Amperverband auch mitgeteilt, eine vertragliche Vereinbarung zur Übernahme eines Kostenanteils grundsätzlich nur dann in Betracht zu ziehen, wenn – wie hier nicht – eine Erneuerung der Leitungen in der Erschließungsanlage innerhalb der nächsten fünf Jahre beabsichtigt sei. Eine Begründung von Kostenerstattungsansprüchen wäre der Beklagten daher gar nicht möglich gewesen, da der Amperverband im Zweifel die Erneuerung der Leitungen bis zum Ablauf deren Lebensdauer hätte zurückstellen können.
Die Ermittlung des Aufwands ist daher nicht zu beanstanden.
2. Allerdings ist die Verteilung des Aufwands fehlerhaft erfolgt. Die Beklagte hat bei der Heranziehung des Grundstücks mit der Fl.Nrn. 1517 die in § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS 1988 enthaltene Tiefenbegrenzungsregelung (die in der derzeit geltenden EBS nicht mehr in dieser Form vorhanden ist) zugrunde gelegt. Diese Regelung über eine Tiefenbegrenzung in der (früheren) EBS der Beklagten ist unwirksam und daher bei der Aufwandsverteilung nicht zu beachten: Eine satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung muss zur Einhaltung des Vorteilsprinzips und zur Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes an Kriterien für eine möglichst realitätsnahe Abgrenzung der bevorteilten von den nicht mehr bevorteilten Flächen ausgerichtet werden und auf einer sorgfältigen Ermittlung der örtlichen Bebauungsverhältnisse durch den Satzungsgeber beruhen. Dieser muss prüfen, ob er eine für alle Grundstücke im Gemeindegebiet gleichermaßen geltende Tiefenbegrenzung festlegen kann. Die gewählte Tiefenbegrenzung muss die typischen örtlichen Verhältnisse tatsächlich widerspiegeln und sich an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren (BayVGH, U.v. 23.4.2015 – 6 BV 14.1621 – juris Rn. 31 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS 1988 nicht. Dass die Beklagte die erforderlichen Feststellungen zu den typischen örtlichen Bebauungsverhältnissen im Gemeindegebiet getroffen hat, die die Festlegung einer für alle Grundstücke im Gebiet der Beklagten gleichermaßen geltenden Tiefenbegrenzung von 50 m rechtfertigen könnten, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die satzungsmäßige Tiefenbegrenzung ist daher nichtig, ohne dass dies jedoch die Unwirksamkeit der Satzung im Übrigen zur Folge hat (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Allerdings befinden sich die Grundstücke mit den Fl.Nrn. 1518, 1517 und 1515/2 nur mit einem Teil ihrer Grundstücksfläche im unbeplanten Innenbereich. Der nordöstliche Teil der Grundstücke befindet sich im Außenbereich. Grundstücke, die teilweise im Außenbereich liegen, sind aber mit ihren im Außenbereich liegenden Flächen nicht erschlossen im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB und damit bei der Verteilung des Aufwands insoweit nicht zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.2014 – 9 C 7/13 – BVerwGE 150, 316). Hierdurch reduziert sich die beitragspflichtige Gesamtfläche, sodass sich, wie aus der von der Beklagten vorgelegten Vergleichsberechnung ersichtlich, ein höherer Beitragssatz vom 12,44 €/qm ergibt. Damit wirkt sich der Fehler im angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheid letztlich deutlich zu Gunsten des Klägers aus, sodass insoweit eine Rechtsverletzung ausscheidet.
Der angefochtene Erschließungsbeitragsbescheid und der Widerspruchsbescheid erweisen sich nach alldem zwar als rechtswidrig. Da sich die Rechtsfehler jedoch zu Gunsten des Klägers auswirken und im angefochtenen Bescheid daher ein fehlerhaft zu niedriger Erschließungsbeitrag festgesetzt worden ist, ist der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.


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