Baurecht

Klagebefugnis für die öffentlich-rechtliche Nachbarklage im Baurecht aus Eigentum am Grundstück

Aktenzeichen  RN 6 K 13.1289

Datum:
12.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 123516
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1415, § 1421 S. 1, § 1450 Abs. 1 S. 1, § 1454 S. 2, § 1455 Nr. 10, § 1456 Abs. 1 S. 1
VwGO § 42 Abs. 2
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Bei ehelicher Gütergemeinschaft sind die Eheleute für Klagen, die sich auf ein Gemeinschaftsgut beziehen, nur gemeinsam aktiv prozessführungsbefugt.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist unzulässig (1) und bereits deshalb abzuweisen. Sie wäre aber auch unbegründet (2).
1) Die Klage nur des Klägers ist unzulässig, da sie nicht auch für bzw. durch dessen Ehefrau mit erhoben worden ist.
Der Kläger und seine Ehefrau haben durch Ehe- und Erbvertrag vom 10.3.1975 den Gütestand der Gütergemeinschaft (§ 1415 BGB) mit Verwaltung des Gesamtguts durch beide Ehegatten gemeinschaftlich (§ 1421 Satz 1 BGB) vereinbart. Folglich sind die Eheleute nach § 1450 Abs. 1 Satz 1 BGB nur gemeinschaftlich berechtigt, Rechtsstreitigkeiten zu führen, die sich hierauf beziehen (vgl. Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 1450 BGB Rdnr. 22). Die Klage wurde aber nur von dem Kläger innerhalb der Klagefrist allein erhoben. Ihm mangelt es an der aktiven Prozessführungsbefugnis, d.h. der Berechtigung, den prozessualen Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen. Wie ein Miterbe regelmäßig nicht allein zur Geltendmachung von Nachbarrechten gegen eine Baugenehmigung befugt ist, (BayVGH, B. v. 30.7.1999 – 15 ZB 99.275 m.w.N.), kann – weil die Klagebefugnis für die öffentlich-rechtliche Nachbarklage aus dem Eigentum am Grundstück folgt – für die Prozessführungsbefugnis bei ehelicher Gütergemeinschaft nichts anderes gelten (BayVGH, U. v. 24.2.1978 – 302 II 75, juris Rdnr. 37; zum Flurbereinigungsverfahren BayVGH, U. v. 23.9.2014 – 13 A 13.1958; U. v. 23.9.2014 – 13 A 13.1959).
Ein gesetzlicher Ausnahmefall für die alleinige Klageerhebung durch einen Ehegatten liegt nicht vor. Es sind weder die Voraussetzungen des § 1454 Satz 2 BGB erfüllt noch greifen § 1455 Nr. 10 BGB oder § 1456 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. BayVGH, U. v. 23.9.2014 – 13 A 13.1958; U. v. 23.9.2014 – 13 A 13.1959). Die zivilrechtlichen Vorschriften über die Prozessführungsbefugnis sind auch im Verwaltungsprozess anwendbar (vgl. BVerwG, U. v. 20.5.1998 – 11 C 7.97).
Eine Alleinprozessführung des Klägers gemäß den Grundsätzen der gewillkürten Prozessstandschaft kommt nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass einer solchen § 42 Abs. 2 VwGO entgegenstehen mag, könnte eine solche nur dann angenommen werden, wenn der Kläger klar zum Ausdruck gebracht hätte, ein den Eheleuten in Gütergemeinschaft – und nicht ihm allein – zustehendes Recht geltend machen zu wollen und er die Prozessstandschaft samt entsprechender Ermächtigung seiner Ehefrau offengelegt hätte (vgl. BayVGH, U. v. 23.9.2014 a.a.O.). Dies ist im vorliegenden Fall innerhalb der Klagefrist nicht geschehen. In der am 29.7.2013 (per Fax) beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klageschrift fehlt jeder Hinweis auf eine mögliche Vertretung der Ehefrau. Vielmehr wurde die Klage ausdrücklich nur im Namen des Klägers erhoben. Das Vorbringen in den klägerischen Schriftsätzen vom 17.12.2014 und 11.2.2015 ist verspätet und vermag den Mangel nicht zu heilen. Daher konnte die im Beweisantrag Nr. 1 in der mündlichen Verhandlung unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt werden.
Da nach ständiger Rechtsprechung die Klagebefugnis für die öffentlich-rechtliche Nachbarklage im Baurecht aus dem Eigentum am Grundstück (Art. 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 BayBO) folgt (vgl. BayVGH, B. v. 29.1.2010 – 14 CS 09.2821), vermag auch die Berufung des Klägers auf Art. 2 GG oder das Immissionsschutzrecht nicht zur Zulässigkeit der Klage zu führen. Zurückzugreifen ist auf den baurechtlichen und nicht auf den umweltschutzrechtlichen Nachbarbegriff. Zwar mag die Rechtsprechung in Einzelfällen neben den Nachbarn im herkömmlichen Sinn auch sonstigen Dritten einräumen, selbstständig Rechtsschutz gegen die Baugenehmigung in Anspruch nehmen zu können (vgl. Molodovsky/Famers/Kraus, BayBO, Art. 66 Rdnr. 26 a; Simon/Busse/Dirnberger, BayBO, Art. 66 Rdnrn. 460 bis 462). Der Kläger als Mitberechtigter in Gütergemeinschaft ist jedoch nicht als Dritter in diesem Sinne anzusehen, denn dies würde zu einer Umgehung der Regelung des § 1450 Abs. 1 Satz 1 BGB führen.
2) Die Klage wäre im Falle ihrer Zulässigkeit auch unbegründet. Im Hinblick auf den fortgeschrittenen Verfahrensstand zum Zeitpunkt des Eingangs des Hinweises auf die Gütergemeinschaft durch den Beklagten am 22.8.2014 bei Gericht, hält es die Kammer für angebracht, auch eine kurze materiell-rechtliche Würdigung der Streitsache abzugeben.
Der Bescheid des Landratsamts … vom 24.6.2013 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Wer als Nachbar eine Baugenehmigung anficht, kann damit nur Erfolg haben, wenn diese gegen die zu prüfenden nachbarschützenden Vorschriften verstößt. Zu diesen gehört auch das partiell nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Für den Anspruch eines Nachbarn ist es dagegen nicht maßgeblich, ob die Baugenehmigung im vollen Umfang und in allen Teilen rechtmäßig ist, insbesondere die Vorschriften über das Baugenehmigungsverfahren eingehalten wurden.
Da das streitgegenständliche Baugrundstück im unbeplanten Innenbereich liegt, richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO (Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile). Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO sind im Dorfgebiet (MD) Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe zulässig. Im Dorfgebiet ist auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO).
Bei Vorhaben im nicht beplanten Innenbereich ist das Gebot der Rücksichtnahme entweder Bestandteil des Tatbestandsmerkmals des Einfügens im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (vgl. BVerwG, U.v .26.5.1978 – IV C 9.77) oder es findet – wie hier – in den Fällen des § 34 Abs. 2 BauGB Anwendung über (den im Planbereich nach § 30 BauGB unmittelbar geltenden) § 15 Abs. 1 BauNVO, der eine Ausprägung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme ist und Anlagen für unzulässig erklärt, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der Rechtsprechung wesentlich von den jeweiligen Umständen ab (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, welcher das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf die Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2010 – 2 CS 10.2137).
Das Vorhaben der Beigeladenen kann dem Kläger gegenüber nicht als abwehrfähig rücksichtslos bzw. unzumutbar angesehen werden, da es keine schädlichen Umwelteinwirkungen in Form von unzumutbaren Geruchsbelästigungen hervorruft.
Da es für die Beurteilung von Geruchsimmissionen aus Tierhaltungsbetrieben, die nicht dem Bundes-Immissionsschutzgesetz unterfallen, keine verbindlichen Vorgaben gibt und Rechtsfragen nicht der Beweiserhebung zugänglich sind, war der Beweisantrag Nr. 2 abzulehnen. Die GIRL stellt keine Rechtsquelle dar (BVerwG, B. v. 5.8.2015 – 4 BN 28/15), so dass auch nicht von rechtsfehlerhafter Nichtberücksichtigung der Vorbelastung aus anderen Tierhaltungen in der Umgebung des Bauvorhabens gesprochen werden kann.
Die erkennende Kammer gelangt unter Würdigung der immissionsschutztechnischen Gutachten von G … vom 29.11.2012 und deren Stellungnahmen vom 26.2.2014 und 28.1.2015 sowie der Stellungnahmen der Regierung … vom 25.7.2014 und 7.1.2015 zu der Überzeugung, dass der Kläger durch das mit Bescheid vom 24.6.2013 genehmigte Vorhaben der Beigeladenen nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Die von der Klägerseite vorgebrachten Stellungnahmen des Sachverständigen S … vom 24.9. und 27.10.2013, 24.6. und 15.9.2014 sowie 19.5.2015 vermögen dieses Ergebnis nicht zu erschüttern.
Das immissionsschutztechnische Gutachten von G … vom 29.11.2012 prognostiziert für BUP 3 (Wohnhaus des Klägers und seiner Ehefrau) im Hinblick auf die geplante Schweinehaltung eine relative Geruchsstundenhäufigkeit von 12% der Jahresstunden. S … gelangt auf 11,8% und führt in seiner Stellungnahme vom 27.10.2013 aus: „Meine Berechnungsergebnisse entsprechen nach der Rundungsregelung der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL 2008) exakt denen im Auftrag der Genehmigungsbegünstigten. Somit ist die Vergleichbarkeit bestätigt.“
Erhebliche Differenzen zwischen Klägerseite einerseits und Beklagten- und Beigeladenenseite andererseits bestehen dagegen in der Frage der Beurteilung der Vorbelastung und der sich ergebenden Gesamtbelastung.
Die erkennende Kammer neigt, ihrer bisherigen Rechtsprechung folgend (vgl. VG Regensburg, U. v. 9.12.2014 – RN 6 K 13.775), zu der in den Stellungnahmen der Regierung … vom 25.7.2014 und 7.1.2015 vertretenen Auffassung, für die Beurteilung von Geruchsimmissionen aus Rinderhaltungen weiterhin die Orientierungshilfe des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ („Arbeitspapiere“, Stand: 09/2003 bis 03/2009) anzuwenden. Die dort enthaltene „Abstandsregelung“ ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs als sachverständige Orientierungshilfe für die Ermittlung erforderlicher Abstände zwischen Rinderhaltungsbetrieben und Wohnbebauung anerkannt und anwendbar (vgl. BayVGH, B. v. 3.2.2011 – 1 ZB 10.718; B. v. 22.11.2010 – 15 ZB 09.1759; U. v. 4.8.2010 – 1 N 07.3044). Die in der „Abstandsregelung“ u.a. zugrunde liegenden Ergebnisse der Geruchsfahnenbegehungen an Rinderställen der Bayerischen Landesanstalt für Landtechnik der Technischen Universität München–Weihenstephan vom Juni 1999 (Gelbes Heft 63) hat auch außerbayerische Rechtsprechung als taugliche Grundlage zur Beurteilung der Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen aus landwirtschaftlicher Tierhaltung angesehen (vgl. VGH Bad.-Württ., U. v. 18.1.2011 – 8 S 600/09).
G … und die Regierung … behaupten nicht, dass von den Rinderhaltungsbetrieben keinerlei Emissionen bzw. Immissionen ausgehen. Sie vertreten vielmehr die fachliche Einschätzung, dass die durch diese Betriebe ausgehenden Geruchsbelastungen ortsüblich sind und auch nicht einen relevanten Beitrag zu der Gesamtbelastung an dem Immissionsort (Wohnhaus des Klägers und seiner Ehefrau) leisten. Das Verwaltungsgericht vermag diese Argumentation nachzuvollziehen.
Nach Auffassung der erkennenden Kammer bedarf dies vorliegend jedoch keiner Vertiefung, denn das genehmigte Vorhaben führt unstreitig zu einer Minderung der Geruchsbelastung im Vergleich zur Bestandssituation. Das Verwaltungsgericht hält in Fortführung seiner Rechtsprechung (vgl. VG Regensburg, U. v. 8.5.2012 – RN 6 K 11.1187, BayVBl 2013, 155 = NUR 2014, 443) unter Heranziehung des dem § 6 Abs. 3 BImSchG zugrundeliegenden Rechtsgedankens einen Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot für nicht gegeben. Nach § 6 Abs. 3 BImSchG darf eine Änderungsgenehmigung für immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen unter bestimmten Voraussetzungen nicht versagt werden, wenn nach ihrer Durchführung nicht alle Immissionswerte eingehalten werden. Bei einer baurechtlich genehmigungspflichtigen Anlage bedeutet dies, dass das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot durch eine Sanierungsänderung dann nicht verletzt wird, wenn ein baurechtlich zumindest formell zulässiger Betrieb vorliegt, der baurechtlich, insbesondere mittels bauaufsichtlichen Einschreitens, nicht eingeschränkt werden kann. Durch technische Maßnahmen muss eine deutliche Verringerung der Immissionen erfolgen. Dass das genehmigte Vorhaben zu einer deutlichen Verringerung der Immissionsbelastung beim Klägeranwesen führen wird, haben G … in der Stellungnahme vom 28.1.2015, auf die verwiesen wird, nachvollziehbar aufgezeigt und wird auch von S … in seinem Schreiben vom 19.5.2015 nicht widerlegt. Schafft eine (Änderungs-)Genehmigung eine für die nähere Umgebung wesentlich bessere Immissionssituation, kann in der Regel kein überwiegendes Interesse des Nachbarn an der Beibehaltung des bisherigen – für ihn nachteiligen – Zustands bestehen (vgl. auch OVG Münster, B. v. 23.4.2013 – 2 B 141/13). Die entsprechende Heranziehung des Grundgedankens aus § 6 Abs. 3 BImSchG erscheint sachgerecht, da im Bundes-Immissionsschutzgesetz das Rücksichtnahmegebot auch baurechtliche konkretisiert wird (vgl. BayVGH, U. v. 17.9.2007 – 15 BV 07.142).
Nach alledem musste die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen werden. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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