Baurecht

Leistungsverzeichnis, Nachprüfungsverfahren, Vergabeverfahren, Vergabeunterlagen, Öffentlicher Auftraggeber, Preisangaben, Entscheidungen der Vergabekammer, Verfahren vor der Vergabekammer, Nachprüfungsantrag, Beteiligte Bieter, Anderer Bieter, Nachforderung, Verfahrensbevollmächtigter, Zulagen, Unternehmensbezogenheit, Unangemessen niedriger Preis, Sofortige Beschwerde, Angebotsausschluss, Zweckentsprechende Rechtsverfolgung, Verdingungsunterlagen

Aktenzeichen  RMF-SG21-3194-5-11

Datum:
23.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZfBR – 2020, 913
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Die Angabe von „0,00“ € ist eine Preisangabe. Die Prüfung des Angebots auf Vollständigkeit beschränkt sich auf die Feststellung, ob die vom Auftraggeber geforderten Unterlagen physisch beigebracht wurden. Eine darüber hinaus gehende inhaltliche Kontrolle, ob die Preisangaben des Bieters inhaltlich richtig sind, findet bei der formalen Prüfung nicht statt.
2. Sind für einen Auftraggeber Einzelpreiseintragungen nicht nachvollziehbar, darf er das Angebot nicht ohne weiteres ausschließen. Vielmehr ist dem Bieter Gelegenheit zu geben, die Widersprüchlichkeit auszuräumen. Ein Angebot mit einem unangemessen niedrigen Preis darf grundsätzlich nur dann ausgeschlossen werden, wenn zuvor vom Bieter in Textform Aufklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen verlangt worden ist und der Bieter nicht den Nachweis einer ordnungsgemäßen Kalkulation erbracht und damit die begründeten Zweifel, dass dieser Bieter den Auftrag vertragsgerecht erfüllen wird, nicht ausgeräumt hat.
3. Nach § 16 a EU Abs. 2 VOB/A sind Angebote nicht auszuschließen, bei denen lediglich in unwesentlichen Positionen die Angabe des Preises fehlt und sowohl durch die Außerachtlassung dieser Positionen der Wettbewerb und die Wertungsreihenfolge nicht beeinträchtigt werden als auch bei der Wertung dieser Positionen mit dem jeweils höchsten Wettbewerbspreis. Der öffentliche Auftraggeber fordert den Bieter auf, die fehlenden Preispositionen zu ergänzen.
4. Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Verdingungsunterlagen dann vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht. Ob eine unzulässige Änderung durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB festzustellen. Hinsichtlich des Angebots des Bieters ist Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage der Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Entscheidung der VSt, die ASt vom Vergabeverfahren auszuschließen, rechtswidrig ist.
2. Bei Fortbestehen der Vergabeabsicht hat die VSt das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen.
3. Die VSt und die BGI tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt je zur Hälfte.
4. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die ASt war notwendig.
5. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt …,- €.
Auslagen sind nicht angefallen.
6. Die VSt ist von der Zahlung der Gebühr befreit.

Gründe

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Bei dem ausgeschriebenen Vertrag handelt es sich um einen öffentlichen Bauauftrag im Sinne von § 103 Abs. 3 GWB.
c) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
d) Die Gesamtkosten des Vorhabens übersteigen den Schwellenwert nach Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB)
Die hier streitgegenständlichen Edelstahlbecken mit einem Auftragswert von > 1 Mio. € sind ein Teillos dieser Maßnahme. Dementsprechend hat die VSt die Ausschreibung als Offenes Verfahren im Amtsblatt der EU bekannt gemacht.
Damit ist der rechtliche Rahmen für eine Nachprüfung nach §§ 115 ff GWB festgelegt.
e) Der Zuschlag an die BGI wurde noch nicht erteilt (§ 168 Abs. 2 GWB).
f) Die ASt ist antragsbefugt. Sie hat als beteiligte Bieterin ein Interesse am Auftrag und schlüssig dargetan, dass ihr durch die behauptete Rechtsverletzung ein Schaden entsteht bzw. zu entstehen droht (§ 160 Abs. 2 GWB).
g) Die ASt hat am 28.04.2020 den Ausschluss ihres Angebotes rechtzeitig gerügt, nachdem ihr das Absageschreiben vom 21.04.2020 zugegangen war.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet
Die VSt hat das Angebot der ASt zu Unrecht ausgeschlossen. Der Vorwurf der VSt, im Angebot der ASt hätten Preise gefehlt und das Angebot habe das Leistungsverzeichnis technisch geändert, ist unzutreffend. Es ist der VSt deshalb aufzuerlegen, die Angebotswertung unter Berücksichtigung des Angebots der ASt durchzuführen.
a) Nach § 16 a EU Abs. 2 VOB/A sind Angebote auszuschließen, die nicht die geforderten Preise enthalten. Das Angebot der ASt enthält alle geforderten Preisangaben
aa) Ausweislich der Vergabeunterlagen, hat die ASt ein Kurz LV ihrem Angebot beigefügt. Dort sind in den Positionen 5.04.01.002, 5.04.01.006, 5.04.05.002, 5.04.05.004, 5.04.05.006 und 5.04.05.009 jeweils die Preise mit „0.00“ angegeben.
bb) Die VSt kann diese Eintragungen nicht mit dem Argument unberücksichtigt lassen, in der von ihr kontrollierten GAEB-Datei hätten die Preise gefehlt. Das Kurz-LV hat dem Angebot der ASt als pdf-Datei beigelegen. Diese Datei darf die VSt bei der Prüfung der Vollständigkeit der Angebote nicht unberücksichtigt lassen.
Bieter können für die Angebotsabgabe eine Kurzfassung des Leistungsverzeichnisses benutzen, wenn sie den vom Auftraggeber verfassten Wortlaut des Leistungsverzeichnisses im Angebot als allein verbindlich anerkennen (§ 13 EU Abs. 1 Nr. 6 VOB/A). In Ziffer 3.3 der Teilnahmebedingungen für die Vergabe von Bauleistungen hat die VSt Kurzfassungen des Leistungsverzeichnisses zugelassen.
cc) Die Angabe von „0,00“ Euro ist eine Preisangabe. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung genügt die Preisangabe „0.00“ der Forderung eines Preises. Die Prüfung des Angebots auf Vollständigkeit beschränkt sich auf die Feststellung, ob die vom Auftraggeber geforderten Unterlagen physisch beigebracht wurden. Eine darüber hinaus gehende inhaltliche Kontrolle, ob die Preisangaben des Bieters inhaltlich richtig sind, findet bei der formalen Prüfung nicht statt.
dd) Sind für einen Auftraggeber Einzelpreiseintragungen nicht nachvollziehbar, darf der Auftraggeber nicht ohne weiteres das Angebot ausschließen. Vielmehr ist dem Bieter Gelegenheit zu geben, die Widersprüchlichkeit auszuräumen. Ein Angebot mit einem unangemessen niedrigen Preis darf grundsätzlich nur dann ausgeschlossen werden, wenn zuvor vom Bieter in Textform Aufklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen verlangt worden ist und der Bieter nicht den Nachweis einer ordnungsgemäßen Kalkulation erbracht und damit die begründeten Zweifel, dass dieser Bieter den Auftrag vertragsgerecht erfüllen wird, nicht ausgeräumt hat (VHB Bund, Ausgabe 2017 Stand 2019 Richtlinie zu 321 Ziffer 5.3). Das Ergebnis der Aufklärung ist im Vergabevermerk festzuhalten.
Zwischen den Streitparteien hat eine Preisaufklärung unstreitig nicht stattgefunden. Der im Nachprüfungsverfahren erstmals von der VSt erhobene Vorwurf einer Mischkalkulation geht deshalb ins Leere.
ee) Da die Preisangaben im Angebot der ASt nicht fehlten, kann dahinstehen, ob die Preisangaben nachgefordert hätten werden müssen.
Nach § 16 a EU Abs. 2 VOB/A sind Angebote nicht auszuschließen, bei denen lediglich in unwesentlichen Positionen die Angabe des Preises fehlt und sowohl durch die Außerachtlassung dieser Positionen der Wettbewerb und die Wertungsreihenfolge nicht beeinträchtigt werden als auch bei Wertung dieser Positionen mit dem jeweils höchsten Wettbewerbspreis. Der öffentliche Auftraggeber fordert den Bieter auf, die fehlenden Preispositionen zu ergänzen.
Vor dem Hintergrund des durch die VOB/A 2009 angestoßenen Regelungsprogramms zur Dezimierung der Angebotsausschlüsse ist es angezeigt, Fälle mit fehlenden Preisangaben genauso zu behandeln wie geringfügige Mängel in Gestalt fehlender Erklärungen oder Nachweise. Deren Fehlen gilt seither als wettbewerblich zu marginal für einen Ausschluss wegen vermeintlich nicht mehr gewährleisteter Vergleichbarkeit mit anderen Angeboten, weshalb ein Nachreichen gestattet wird. Das Fehlen einzelner Preise ist so lange reparabel, wie der Rang des Angebots bei Einsetzung des höchsten Vergleichspreises unverändert bleibt (Jochem Gröning: Grenzen des Angebotsausschlusses wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen, NZ Bau 5/2020 Seiten 275 ff).
b) Die ASt ist nicht von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abgewichen. Nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A ist das Angebot auf der Grundlage der Vergabeunterlagen zu erstellen. Änderungen an den Vergabeunterlagen sind unzulässig.
Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Verdingungsunterlagen dann vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht (OLG München v. 20.01.2020 – Verg 17//19 unter Verweis auf OLG Düsseldorf v. 22.03.2017 – Verg 54/16). Ob eine unzulässige Änderung durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB festzustellen. Hinsichtlich des Angebots des Bieters ist Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage der VSt das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte (OLG München v. 20.01.2020 – Verg 17/19). Es müssen sämtliche eingereichten Pläne, die von der ASt als „Nachweise zur Beckenkonstruktion“ beigefügt wurden, als Teil des Angebotes der ASt angesehen werden. Somit muss auch die Detailzeichnung zum Boden-Wand-Anschluss dem Angebot zugerechnet werden. Sollte die Auslegung ergeben – wovon die Vergabekammer nicht ausgeht -, dass die Pläne, die als „Nachweise zur Beckenkonstruktion“ beigefügt wurden, als informell angesehen werden, dann wären diese insgesamt irrelevant und könnten ebenfalls nicht zum Ausschluss der ASt herangezogen werden. Ein „Rosinenpicken“, d.h. es werden nur bestimmte Pläne (die zur Begründung des Ausschlusses maßgeblich wären) herangezogen, ist nicht zulässig.
Die ASt ist nicht von den Festlegungen des Leistungsverzeichnisses abgewichen.
Die ASt hat mit ihrem Angebot ein Dokument „Nachweise zur Beckenkonstruktion“ abgegeben. Darin sind auf den Seiten 3-5 Konstruktionszeichnungen Wandschnitte, Maßstab 1:10, dargestellt. Eine detaillierte Darstellung der Konstruktion des Boden-Wand-Anschlusses, Maßstab 1:2, findet sich auf Seite 12 des Dokuments.
Die VSt kann das Detail Boden-Wand-Anschluss nicht mit der Begründung ablehnen, der 135° Winkel des Wandbleches sei nicht gewünscht und es fehle an der Bezeichnung „Standard“.
In den technischen Vorbemerkungen zur Konstruktion des Edelstahlbeckens heißt es: „Die Bodenbleche sind mit mindestens 20 mm Überlappung zu verlegen und zu verschweißen. Der Beckenboden ist in optisch schöner, gleichmäßiger Form vor zu verlegen. Das Bodenblech darf nicht auf dem umgekanteten Wandblech aufgelagert werden. Es sind dafür eigene Auflagewinkel unterhalb der Seitenwandumkantung vorzusehen“. In der strittigen Position 5.04.01.006 findet sich folgender Hinweistext: „Bodeneinsteckprofil unten zum Einstecken und verschweißen der Bodenbleche mit der Wand. Das Auflegen der Bodenbleche auf die Wandumrandung ist nicht akzeptabel und wird nicht zur Ausführung freigegeben“. Der dargestellte Boden-Wand-Anschluss ist keine Änderung zum Leistungsverzeichnis, denn er erfüllt alle im Leistungsverzeichnis aufgestellten verbindlichen Vorgaben.
Auch wegen der fehlenden Bezeichnung „Standard“ darf das Angebot der ASt nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr wäre die VSt bei einer Unklarheit verpflichtet gewesen aufzuklären, was die ASt unter der Bezeichnung „Bsp. … – Freibad“ meinte. Eine Aufklärung ist dann geboten, wenn das Angebot keinen von den Vergabeunterlagen abweichenden Inhalt hat, sondern lediglich nicht eindeutig oder widersprüchlich ist (OLG München a.a.O.)
c) Die VSt hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die ASt nicht wegen mangelnder Eignung ausgeschlossen worden sei.
Deshalb braucht in diesem Nachprüfungsverfahren auf die schriftsätzlichen Einlassungen hierzu nicht weiter eingegangen werden.
d) Soweit die VSt eine Wertung des Angebotes der ASt von ordnungsgemäß bekanntgemachten Unterlagen abhängig gemacht hat, sind diese nach § 26 a EU Abs. 1 VOB/A nachzufordern.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die VSt und die BGI tragen die Verfahrenskosten je zur Hälfte, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen sind, § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB.
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die ASt notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, sodass es der ASt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der ASt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von … €.
Die VSt ist gemäß § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG in der am 14.08.2013 geltenden Fassung von der Zahlung der Gebühr befreit.
Die Kostenrechnung in Höhe von … € für die BGI wird nachgereicht.
e) Der geleistete Kostenvorschuss von 2.500,- € wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die ASt zurücküberwiesen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben