Baurecht

Nachbareilantrag auf bauaufsichtliches Einschreiten, Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, Ermessensreduzierung auf Null (verneint)

Aktenzeichen  M 8 E 21.3565

Datum:
12.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 19920
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BayBO Art. 75
BayBO Art. 10 S. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750.- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks …straße 4, FlNr. …, Gem. … (im Folgenden: Nachbargrundstück). Das fünfgeschossige Gebäude auf dem Anwesen des Nachbargrundstücks ist als Baudenkmal in die Denkmalliste eingetragen (…). Der Antragsteller begehrt den Erlass einer Baueinstellungsverfügung für die Abrissarbeiten am Anwesen …straße 3 / …straße 22 und 24, FlNr. … und FlNr. … (im Folgenden: Vorhabengrundstück). Das zum Abriss vorgesehene Gebäude besteht aus zwei Kellergeschossen und vier oberirdischen Geschossen und liegt in ca. 18 Meter Entfernung zum Nachbargrundstück.
Die Beigeladene zeigte am 10. Dezember 2020 bei der Antragsgegnerin die Beseitigung des Gebäudes in der …straße 3, …straße 22 und 24 an.
Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2021 forderte der Antragssteller die Antragsgegnerin auf, bis zum 30. Juni 2021 zu bestätigen, dass sie unverzüglich einen Einstellungsbescheid erlassen und die sofortige Vollziehung anordnen werden. Die Antragsgegnerin lehnte ein bauaufsichtliches Einschreiten ab.
Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2021, am selben Tag bei Gericht eingegangen, beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers,
der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, die angezeigten und bereits begonnenen Abrissarbeiten in der …straße 3/ …straße 22-24 (FlNr. … und …, Gemarkung …*) durch eine sofort für vollziehbar erklärte bauaufsichtliche Verfügung vorläufig einzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag sei zulässig und auch begründet, da ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund für die begehrte bauaufsichtliche Einstellung der Abrissarbeiten bestehen würde. Das Gebäude auf dem Nachbargrundstück sei auf einer ehemaligen Kiesgrube errichtet worden, die aufgefüllt worden sei. Der Baugrund bestehe aus locker gelagerten inhomogenen Auffüllungen. Dies habe in der Vergangenheit bereits zu Setzungsschäden geführt. Im Jahr 2012 sei am Baudenkmal des Antragstellers eine Fundamentsanierung mit Dimmerpfählen durchgeführt worden. Nachdem der Antragsteller im März 2021 von dem vorgesehen Abbruch Kenntnis erlangt habe, habe er die Beigeladene und die Antragsgegnerin auf die zwingende Notwendigkeit eines schonenden Abbruchs hingewiesen. Die Hinweise und Aufforderungen hätten aber nicht zu dem für das Baudenkmal notwendigen Schutz geführt. Nach Auskunft des Herrn … [von der beauftragten Abbruchfirma] im Rahmen einer Telefonkonferenz vom 16. Juni 2021 sei ein konventioneller Abbruch geplant. Ein von dem Antragsteller beauftragter Sachverständiger Dipl. Ing. (FH) … führe im Rahmen einer Stellungnahme aus, dass bei den geplanten Baumaßnahmen, insbesondere dem Großabbruch die Gefahr bestehe, dass durch die auftretenden Schwinggeschwindigkeiten Schäden entstehen und das Gesamtsystem aus den Pfählen auf dem Grundstück des Antragstellers versagen könne. In einer weiteren Stellungnahme des Dipl. Ing. (FH) … vom 23. Juni 2021 werde ausgeführt, dass die Großgeräte und Erschütterungen durch beim Abbruch herabfallende Bauteile selbst die Schwinggeschwindigkeiten für normale Wohnhäuser überschreiten würden. Die beim Baudenkmal eintretenden Setzungen würden dann zur vollständigen Gebrauchsuntauglichkeit des Baudenkmals führen. Im ergänzenden Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Ing … … vom 22. Juni 2021 stelle der Gutachter fest, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch den Rückbau der …straße 3 zu Schäden an der …straße 4 komme. Der Bevollmächtigte des Antragstellers führte weiter aus, für den Abbruch sei eine denkmalschutzrechtliche Genehmigung erforderlich, da außer Frage stehe, dass sich der Abriss auf das Baudenkmal auswirken könne. Im Rahmen des nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG notwendigen Verfahrens sei von der Beigeladenen nachzuweisen, dass sich die vorgesehenen Abrissmethoden nicht auf den Bestand des Baudenkmals auswirkten. Der Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sei zumindest wegen der Gefährdung des Bestands eines Baudenkmals auf Null reduziert. Der Abbruch verstoße zudem gegen Art. 10 Satz 3 BayBO. Durch den Abriss bestehe konkret die Gefahr, dass durch die Abrissarbeiten die Tragfähigkeit des Baugrundes des Baudenkmals nicht mehr gewährleistet sei und in der Folge die Statik des Baudenkmals versage. Es bestehe die Gefahr, dass durch den vorgesehenen konventionellen Abriss ein besonders schutzwürdiges Baudenkmal unwiderruflich beschädigt werde. Durch den Abriss würden vollendete Tatsachen geschaffen, die den Abwehranspruch des Antragstellers vereiteln würden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag kostenpflichtig abzulehnen.
Sie führt aus, es sei weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund gegeben. Eine Erlaubnispflicht der Beseitigung der Anlagen nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG bestehe nicht. Selbst wenn man eine denkmalrechtliche Erlaubnispflicht bejahen würde, käme man zu keiner Ermessensreduzierung auf Null. Die Antragsgegnerin überwache im Rahmen der Bauaufsicht die Baumaßnahme und die Beigeladene ergreife alle erforderlichen Maßnahmen, um jegliche mögliche Auswirkung durch die Beseitigung des Bestands auszuschließen. Eine konkrete Gefährdung des Baugrunds oder gar des Gebäudes des Antragsstellers liege nicht vor, Art. 10 Satz 3 BayBO. Die sicherheitsrechtlichen Anforderungen würden nicht so weit gehen, auch nicht bei einem benachbarten Baudenkmal, dass die öffentliche Hand jedwede theoretische Auswirkung absichern müsse. Die hohe Schwelle zur Einstellung von vorgesehenen Beseitigungsanordnungen bei laufender Bauüberwachung sei in dieser Konstellation gerade auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten in keinem Fall gegeben.
Mit Schriftsatz vom 8. Juli 2021 beantragte die Beigeladene,
den Antrag kostenpflichtig abzuweisen.
Der Bevollmächtigte der Beigeladenen führt aus, es gäbe keinen Anspruch des Nachbarn auf entsprechendes Einschreiten. Das Ermessen sei nicht auf Null reduziert und der Antragsteller sei auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG entfalte hier keinen Drittschutz. Ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund seien nicht glaubhaft gemacht. Die Abbrucharbeiten ständen in vollem Einklang mit dem öffentlichen Recht. Die Behauptung, dass durch große, herabfallende Bauteile bestimmte Erschütterungswerte überschritten werden, sei ebenfalls nicht belegt. Der Einsatz der Abbruchschere gewährleiste gerade eine „Zerbröselung“ von Beton und ein kontrolliertes Abtragen. Die Behauptung des Antragstellers, dass Hinweise und Aufforderungen des Antragstellers leider nicht zu dem für das Baudenkmal notwendigen Schutz geführt hätten, sei grundlegend falsch. Bereits am 7. Mai 2021 sei das Prozedere in groben Zügen festgelegt worden. Zudem sei eine Nachbarschaftsvereinbarung geschlossen worden, in der die Durchführung und die Umstände einer Beweissicherung am Gebäude des Antragstellers, unter Beteiligung einer öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Schäden an Gebäuden, die Einrichtung von Erschütterungsmessungen und dergleichen vereinbart worden sei. Jenseits der Vereinbarung habe die Beigeladene zudem beim Beweissicherungsbüro … und … in … hochsensible Einrichtungen für Neigungsmessungen am Gebäude des Antragstellers in Auftrag gegeben. Dies sei dem Antragsteller mitgeteilt worden. Beim Abbruch komme eine sog. „Longfront“ mit Schere zum Einsatz, die einen für die Umgebung besonders schonenden Abbruch gewährleiste. Einrichtungen zur Überwachung von auffälligen Rissen am Gebäude des Antragstellers seien bereits angebracht. Es sei davon auszugehen, dass das Gebäude des Antragstellers nach den Stabilisierungsmaßnahmen im Jahr 2011/2012 nicht mehr setzungsempfindlich sei. Ein Standsicherungsnachweis sei, trotz Aufforderung, nicht vorgelegt worden. Die Behauptung, ein konventioneller Abbruch sei beauftragt worden, sei unzutreffend, wie sich aus den Auftragsunterlagen ergebe. Es sei völlig offen, wie nah die behauptete „Gefahr“ in den Ausführungen des Ingenieurbüros (Herr …*) sei, auf welcher Basis eine solche Beurteilung erfolgte und ob hierbei überhaupt die oberirdischen Abbruchmaßnahmen gemeint seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Der Antrag ist unbegründet, weil der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat.
Das Gericht kann nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zwar auch schon vor Klageerhebung einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung dringend notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder um drohende Gewalt zu verhindern (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 23). Dabei muss der Antragsteller jedoch eine Gefährdung eines eigenen Individualinteresses (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines Rechtes oder rechtlich geschützten Interesses (Anordnungsanspruch) geltend und die zur Begründung notwendigen Tatsachen glaubhaft machen (§ 123 Abs. 2 VwGO, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Dabei sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend.
1. Ein Anordnungsanspruch wurde nicht glaubhaft gemacht. Ein Anspruch auf vorläufige Einstellung der Abbruchmaßnahmen auf dem Grundstück der Beigeladenen kann sich zwar grundsätzlich aus Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) ergeben. Ein Anordnungsanspruch eines Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten setzt jedoch voraus, dass das Vorhaben gegen nachbarschützende Vorschriften verstößt (1.1 und 1.2) und das behördliche Ermessen ausnahmsweise auf Null reduziert ist (1.3). Beides ist vorliegend weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich.
1.1 Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften ergibt sich nicht aus der fehlenden Durchführung eines denkmalschutzrechtlichen Erlaubnisverfahrens. Es kann offenbleiben, ob die Beseitigung des Gebäudes auf dem Vorhabengrundstück wegen seiner Nähe zu dem Baudenkmal des Antragstellers einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Bayerisches Denkmalschutzgesetz (BayDSchG) bedarf. Verfahrensvorschriften sind grundsätzlich – mit Ausnahme der absoluten Verfahrensrechte – nicht drittschützend. Sie sind nur dann den Interessen eines Nachbarn zu dienen bestimmt, wenn sie eine nach materiellem Recht geschützte Rechtsstellung des Nachbarn direkt berühren. Der Nachbar hat nur einen Anspruch auf Schutz seiner materiellen Rechte und damit grundsätzlich keinen Anspruch auf Durchführung des richtigen oder des Verfahrens überhaupt. Die Vorschriften über die Genehmigungspflicht, die Genehmigungsfreiheit und das Genehmigungsverfahren dienen in der Regel nicht dem Schutz des Nachbarn, sondern „nur“ dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Verwaltungsverfahren (BayVGH, U.v. 24.1.2013 – 2 BV 11.1631 – juris Rn. 27 m.w.N).
1.2. Eine nachbarrechtlich relevante Verletzung des Art. 10 Satz 3 BayBO ist nicht glaubhaft gemacht.
Der Abbruch von baulichen Anlagen ist anzeigepflichtig (Art. 57 Abs. 5 BayBO). Dem Nachbarn stehen grundsätzlich keine Abwehrrechte aus diesem Anzeigeverfahren zu. Anders ist dies jedoch, wenn eine bauliche Anlage abgebrochen oder beseitigt wird, die an ein Gebäude auf dem Nachbargrundstück angebaut ist oder auf sonstige Weise für die Standsicherheit des Nachbargebäudes oder die Tragfähigkeit des Baugrundes auf dem Nachbargrundstück von Belang ist (Taft in: Busse/Kraus, BayBO Stand März 2021, Art. 57 Rn. 435). Art. 10 Satz 3 BayBO dient auch dem Nachbarschutz und bestimmt insoweit, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrunds des Nachbargrundstücks nicht gefährdet werden dürfen (vgl. Taft in: Busse/Kraus, BayBO, Stand März 2021, Art. 57 Rn. 435; BayVGH, B.v. 27.11.1995 – 2 CS 95.2685 – BeckRS 1995, 13882). Bei einer unzumutbaren Beeinträchtigung durch die Bauausführung kann der betroffene Nachbar daher grundsätzlich ein Verpflichtungsbegehren auf bauaufsichtliches Einschreiten und im Eilrechtsschutz eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO beantragen (vgl. BayVGH, B. v. 8.7.2013 – 2 CS 13.873 – juris Rn. 15 f.; OVG RhPf, B.v. 8.12.2009 – 8 B 11243/09 – BauR 2010, 747).
Der Antragsteller hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die geplanten Abrissarbeiten zu einer konkreten Gefährdung der Standsicherheit seines Baudenkmals und der Tragfähigkeit des Baugrundes führen. In der mit dem Antragsschriftsatz vorgelegten Stellungnahme zu den Auswirkungen des geplanten Rückbaus und Neubaus des Dipl.-Ing. … vom 23. Juni 2021 wird ausgeführt, dass es bei dem Abriss des Gebäudes auf dem Vorhabengrundstück aus baugrundgutachterlicher Sicht unabdingbar sei, zur Vermeidung von Erschütterungen entsprechende Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Unter Berücksichtigung des projektierten herkömmlichen Abbruchs seien eine Abstimmung mit dem Abbruchunternehmer und ggf. Sicherungsmaßnahmen erforderlich. Anderenfalls könne der Ausfall von Einzelpfählen zu einer Gebrauchsuntauglichkeit des Gebäudes des Antragsstellers führen (Bl. 25/26 der Gerichtsakte/ S. 4 der Stellungnahme vom 23. Juni 2021). Der Antragsteller trägt vor, dass die Abbruchfirma erklärt habe, die bisherige Planung sehe einen „herkömmlichen Abbruch ohne Berücksichtigung besonderer Randbedingungen der Nachbarbebauung“ vor. Hiervon gehen auch die dem Gericht zugeleiteten Stellungnahmen des Gutachters Prof. Dr. Ing … … (Bl. 21 der Gerichtsakte; Schriftliche Ergänzung zur gutachterlichen Stellungnahme vom 22. Juni 2021) und Dipl.-Ing. … (Bl. 23 der Gerichtsakte; Stellungnahme vom 23. Juni 2021) aus.
Die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, d.h. die Darlegung, dass der geplante Abriss zu einer Beeinträchtigung der Standfestigkeit des Gebäudes des Antragstellers führt, folgt hieraus nicht. Zum einen ist festzustellen, dass sich aus den vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen keineswegs folgern lässt, jegliche Abrissmaßnahme würde solche konkreten Gefahren für das Nachbargebäude hervorrufen. Dargetan ist lediglich, dass ein Abriss unter gewissen Umständen, d.h. ohne das Ergreifen erforderlicher Sicherungsmaßnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer konkreten Gefährdung führen würde. Aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen ergibt sich jedoch nicht, dass die Abbruchfirma bzw. die Beigeladene solche Sicherungsmaßnahmen nicht ergreifen wird. In der Beschreibung der Abbruchkonzeption (Bl. 42 der Gerichtsakte) wird vielmehr dargelegt, der Stahl werde nicht abgerissen, sondern zerschnitten, sodann mit einem Autokran heruntergehoben und im Nachgang am Boden verkleinert. So werde möglichst verhindert, dass große Betonbrocken nach unten stürzen. Es ist mithin – schon durch die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen – davon auszugehen, dass die Beigeladene die Gefahren, die von Erschütterungen im Rahmen des Abbruchs auf das Gebäude des Antragstellers ausgehen, in ihrer Vorgehensweise berücksichtigt. Dies bestätigen die von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen. Die Beigeladene verpflichtete sich im Rahmen einer nachbarschaftlichen Vereinbarung vom 22. Juni 2021 eine öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige zur bautechnischen Beweissicherung am Gebäude des Antragstellers beizuziehen. Über Maßnahmen wie die Anbringung von Mess- und Überwachungseinrichtungen soll die beauftragte Firma nach eigenem fachlichen Ermessen unter Berücksichtigung einschlägiger technischer Vorschriften entscheiden. Aus der E-Mail vom 2. Juli 2021 ergibt sich, dass die Beigeladene zusätzlich sog. Neigungssensoren zur Kontrolle der Erschütterungen einsetzen wird.
In der Ergänzung der gutachterlichen Stellungnahme vom 22. Juni 2021 wird ausgeführt, der Abbruchunternehmer selbst habe auf die Wichtigkeit einer solchen Abstimmung hingewiesen, eine Abstimmung sei „noch nicht“ erfolgt (Bl. 22 der Gerichtsakte; Gutachterliche Stellungnahme vom 22. Juni 2021). Diese Aussage ist entweder im Hinblick auf die am selben Tag geschlossene Vereinbarung überholt oder wird durch die nachbarschaftliche Vereinbarung widerlegt. Zudem ergibt sich hieraus auch nicht, dass die Beigeladene die notwendigen Maßnahmen nicht erbringen will oder nicht vornehmen wird. Die Vornahme aller erforderlichen Schutzmaßnahmen liegt vielmehr nicht nur im Interesse des Antragstellers, sondern auch der Beigeladenen, die sonst ggf. zivilrechtliche Haftungsansprüche befürchten muss. Es ist daher anzunehmen, dass die Beigeladene im eigenen Interesse die nötigen Vorkehrungen trifft, um Schäden an den Nachbargebäuden zu vermeiden. Dies gilt umso mehr, als sie durch den Antragsteller detailliert auf die Problematik hingewiesen wurde. Die Behauptung des Antragstellers, dass der Abriss in einer Weise erfolgen werde, der konkrete Gefahren für die Standfestigkeit des Gebäudes hervorrufen werde beruht demgegenüber ausschließlich auf der angeblichen Aussage des beauftragten Abbruchunternehmers. Dies allein ist angesichts der geschilderten Interessenlage nicht geeignet, das Bestehen einer konkreten Gefahr glaubhaft zu machen.
1.3 Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für ein bauaufsichtliches Einschreiten gegeben wären, fehlt es einer Reduzierung des der Antragsgegnerin zustehenden Ermessens hinsichtlich des Ergreifens bauaufsichtlicher Maßnahmen auf Null.
Grundsätzlich würde ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften, als Rechtsfolge des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO der Bauaufsichtsbehörde ein Ermessen eröffnen, ob und wie sie einschreitet. Entsprechend hat der betroffene Nachbar bei Vorliegen eines Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften gegenüber der Bauaufsichtsbehörde zunächst nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten (Schwarzer/König, 4. Aufl. 2012, BayBO, Art. 54 Rn. 20). Einen Anspruch auf Einschreiten hat der Nachbar grundsätzlich nur, wenn jede andere Entscheidung angesichts der Schwere der Rechtsverletzung auch unter Berücksichtigung der Belange des Bauherrn ermessensfehlerhaft wäre, wenn also das Ermessen zu Gunsten des Nachbarn „auf Null“ reduziert ist (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2002 – 2 ZB 00.780 – juris Rn. 2; BayVerfGH, E.v. 3.12.1993 – Vf. 108-VI-92, BayVBl 1994, 110 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 4.6.1996 – 4 C 15/95, NVwZ-RR 1997, 271 – juris Rn. 17 f.). Ein Rechtsanspruch auf Einschreiten ergibt sich insbesondere, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2019 – 9 ZB 17.227 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 29.1.2021 – 1 ZB 20.1887 – juris Rn. 4).
Gemessen an diesen Vorgaben ist die von dem Antragsteller geäußerte Befürchtung, die Abrissarbeiten würden zu erheblichen Schäden an seinem Gebäude führen, nicht geeignet, einen Anspruch auf Einschreiten zu begründen. Die Antragsgegnerin, die als Bauaufsichtsbehörde die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften auch bei der Beseitigung baulicher Anlagen zu überwachen hat (Art. 54 Abs. 2 BayBO), ist aufgrund der vorstehend dargestellten Tatsachenlage nicht verpflichtet, bauaufsichtlich einzuschreiten. Soweit der Antragsteller ausführt, die Beschreibung des Abbruchkonzepts ergebe keine detaillierten Erkenntnisse zu dem geplanten Vorgehen (Bl. 23 der Gerichtsakte, Stellungnahme vom 23. Juni 2021), verkennt er, dass das Fehlen der präventiven behördlichen Kontrolle im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens die Eigenverantwortung des Bauherrn in besonderem Maße betont. Die Antragsgegnerin ist dementsprechend nicht gehalten, in den Verantwortungsbereich des Bauherrn einzugreifen. Sie kann angesichts der haftungsrechtlichen Interessenlage ohne weiteres auf die Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften vertrauen. Zudem kann die Möglichkeit, seine Rechte unmittelbar gegenüber dem „Störer“ zivilrechtlich geltend zu machen, nach den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls ein beachtlicher Ermessensgesichtspunkt sein, der ein Absehen von bauaufsichtlichem Einschreiten rechtfertigt (BayVGH, B.v. 29.1.2021 – 1 ZB 20.1887 – juris Rn. 6).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene hat einen Antrag gestellt und sich daher auch einem Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt, so dass es der Billigkeit i.S.d. § 162 Abs. 3 VwGO entspricht, dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen.
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 9.7.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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