Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung zum Ausbau eines Dachgeschosses

Aktenzeichen  AN 17 S 18.01680

Datum:
10.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 39128
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BauGB § 34
BayBO Art. 6, Art. 59 S. 1 Nr. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauNVO § 16

 

Leitsatz

1 Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, zu dem vor allem die Länge und Breite der Grundfläche der baulichen Anlage, die Geschosszahl und die Höhe der Gebäude (vgl. § 16 BauNVO) zählen, kann sich der Nachbar nur auf einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot berufen. Denn die Einhaltung der entsprechenden Parameter dient in aller Regel nicht dem Schutz des Nachbarn, sondern städtebaulichen Gründen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bezogen auf das Maß der baulichen Nutzung ist es für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes maßgeblich, ob nach einer Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls dem Vorhaben eine „erdrückende“ oder „abriegelnde“ Wirkung zukommt (hier verneint für Bauvorhaben betreffend Ausbau eines Dachgeschosses einschließlich des Aufbaus einer Dachgaube sowie den Anbau eines Balkons mit zugehöriger Außentreppe). (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Ausbau eines Dachgeschosses einschließlich des Aufbaus einer Dachgaube sowie den Anbau eines Balkons mit zugehöriger Außentreppe.
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung …, das mit einem Wohnhaus bebaut ist. Südwestlich des Grundstücks der Antragsteller befindet sich das Grundstück Fl.Nr. …der Gemarkung …, deren Eigentümer die Beigeladenen sind.
Mit Bescheid vom 8. März 2018 wurde den Beigeladenen ein positiver Vorbescheid hinsichtlich der grundsätzlichen bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens erteilt. Eine Nachbarbeteiligung hat in dem Vorbescheidsverfahren nicht stattgefunden, weshalb auch eine Zustellung des Vorbescheids an die Antragsteller nicht vorgenommen wurde.
Bereits im behördlichen Genehmigungsverfahren wurden seitens des Bevollmächtigten der Antragsteller mit Schreiben vom 30. Juli 2018 Bedenken hinsichtlich des Bauvorhabens gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht. Zu berücksichtigen sei zunächst, dass das Vorhaben im Geltungsbereich des Bebauungsplans E … der Antragsgegnerin liege. Nach den Festsetzungen des Bebauungsplans sei grundsätzlich nur eine einstöckige Bebauung erlaubt, der Ausbau eines Dachgeschosses zum Vollgeschoss damit nicht zulässig. Das Gebot der Rücksichtnahme verbiete es hiervon eine Ausnahme zu machen, da mit dem Bauvorhaben eine Aussichtsplattform und Aussichtsgauben geschaffen würden, die eine Einsicht in das Grundstück der Antragsteller ermöglichen würden. Zusätzlich wurde dargelegt, dass bei Umgestaltung der Dachflächen die Abstandsflächen nicht mehr eingehalten seien.
Mit Bescheid vom 10. August 2018 wurde den Beigeladenen schließlich die bauaufsichtliche Genehmigung für ihr geplantes Vorhaben erteilt.
In der Begründung wurde zu den vorgebrachten nachbarlichen Einwänden ausgeführt, dass das Planungsrecht – vorbehaltlich der Einhaltung der nachbarschützenden Vorschriften – keinen Schutz gegen Einblicke von benachbarten bebauten Grundstücken biete. Das Vorhaben liege nicht im Gebiet des Bebauungsplans E* …und sei daher nach § 34 BauGB zu beurteilen. Es füge sich insgesamt in die Eigenart der näheren Umgebung ein, weshalb der Genehmigung keine Hindernisse entgegenstünden. Es wurde darauf hingewiesen, dass durch die geplanten Baumaßnahmen kein Vollgeschoss im Sinne des öffentlichen Baurechts hergestellt werde. Zudem wurde festgestellt, dass das Vorhaben die Vorschriften des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO einhalten würde.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 24. August 2018, eingegangen beim Verwaltungsgericht Ansbach am gleichen Tag, haben die Antragsteller gegen den Bescheid vom 10. August 2018 Klage erhoben und zugleich beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung rechtswidrig sei und daher das Aussetzungsinteresse der Antragsteller überwiege. In inhaltlicher Hinsicht entspricht das Vorbringen im Wesentlichen dem Vortrag des vorausgegangenen behördlichen Verfahrens. Es wurde darauf hingewiesen, dass sich das Vorhaben nicht in die Umgebungsbebauung einfüge, da sich in der Umgebung hauptsächlich einstöckige Wohnhäuser ohne ausgebaute Dachgeschosse befinden würden. Bereits vorhandene Dachgauben seien stets zur Straße hin ausgerichtet. Mit Blick auf das Rücksichtnahmegebot wurde nochmals ausgeführt, dass durch die geplanten Fenster in den Dachgauben ein ausgezeichneter ungestörter Blick von schräg oben auf das Grundstück der Antragsteller möglich sei. Der offene Aufgang und der sich daran anschließende Balkon seien als „Aussichtsplattform“ zur Beobachtung der Antragsteller prädestiniert. Die bevorzugten Wohnräume der Antragsteller (Wohnzimmer, Terrasse, Schlafzimmer, Wohnküche) lägen auf der dem Nachbargrundstück zugewandten Seite.
Es sei ohne weiteres möglich gewesen die Dachgaube auf der anderen, von den Antragstellern abgewandten, Dachseite anzubauen. Diese interessengerechtere Bauausführung sei von der Antragsgegnerin unberücksichtigt geblieben.
Mit Schriftsatz vom 4. September 2018 wurde durch den Beigeladenen zu 1) Stellung genommen, ein Antrag wurde nicht gestellt. Er wies darauf hin, dass die Abstandsflächen eingehalten seien und der Bebauungsplan E …auf dem streitgegenständlichen Grundstück keine Anwendung finde. Die direkte Blickrichtung von der geplanten Dachgaube aus, würde eher das westlich der Antragsteller gelegene Grundstück (Fl.Nr. …, Gemarkung …*), nicht aber das Grundstück der Antragsteller betreffen. Auch sei in der direkten Nachbarschaft bereits mehrfach derart gebaut worden, sodass von einem Einfügen auszugehen sei.
Mit Schriftsatz vom 14. September 2018 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 10. August 2018 verwiesen und ergänzend dargelegt, dass sich an der Geschossigkeit durch den Umbau des Wohnhauses nichts ändere und insbesondere auch das Wohnhaus der Antragsteller über 2 Vollgeschosse verfüge.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 10. August 2018 sind zwar zulässig, in der Sache aber unbegründet und deshalb abzulehnen.
1. Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen sind statthaft. Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfes entfällt diese auf Antrag eines Drittbetroffenen – wie den baurechtlichen Nachbarn – anordnen. Vorliegend entfällt die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB, der ausdrücklich bestimmt, dass die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung hat.
2. Die Anträge sind jedoch unbegründet, weil eine Interessenabwägung des Gerichts ein Überwiegen des Vollzugsinteresses gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller ergibt. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens eine maßgebliche Rolle. Erweist sich dieses mit hoher Wahrscheinlichkeit als erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Umgekehrt kommt regelmäßig dem Vollzugsinteresse der Vorrang zu, wenn die Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird. Erscheinen die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei summarischer Prüfung im Eilverfahren als offen, ist eine von der Vorausbeurteilung der Hauptsache unabhängige Folgenabwägung vorzunehmen (BayVGH, B.v. 27.2.2017, CS 16.2253 – juris).
Die im Rahmen des Eilverfahrens durchgeführte summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass die Hauptsacheverfahren der antragstellenden Nachbarn aller Voraussicht nach erfolglos bleiben werden.
Eine zulässige Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg, wenn der angefochtene Verwaltungsakt – hier die Baugenehmigung – rechtswidrig ist und die Kläger zugleich in ihren Rechten verletzt. Die objektive Verletzung einer Rechtsnorm allein genügt für den Erfolg der Nachbarklage somit nicht. Vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit zum einen gerade aus einer solchen Norm ergeben, die dem Schutz der Nachbarn dient (Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Zum anderen ist nur eine Rechtsverletzung maßgeblich, die zum Prüfungsumfang im bauaufsichtsrechtlichen Verfahren gehört, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt, die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (vgl. BayVGH a.a.O.). Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist die Sach- und Rechtslage, die im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes, d. h. der Erteilung der Baugenehmigung, gegeben war. Abzustellen ist damit auf die Bayerische Bauordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2007, zuletzt geändert durch § 2 des Gesetzes vom 12. Juli 2017 (GVBl. S. 375).
Ein Verstoß gegen eine drittschützende, im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Norm ist hier aller Voraussicht nach nicht gegeben.
a) Auf einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO können sich die Antragsteller – unabhängig davon, ob ein solcher überhaupt gegeben ist – vorliegend nicht berufen. Die Vorschriften über die Abstandsflächenvorschriften waren nicht vom Prüfungsumfang des Art. 59 BayBO 2007 umfasst.
Die zwischenzeitliche Änderung der Rechtslage dahingehend, dass nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1b) BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2007, zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 10. Juli 2018 (GVBl. S. 523), nunmehr auch die Abstandsflächenvorschriften zum Prüfprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens zählen, kommt den Antragstellern im vorliegenden Verfahren nicht zugute. Wie bereits eingangs erwähnt, ist maßgeblicher Zeitpunkt die Sach- und Rechtslage, die im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes, d. h. der Erteilung der Baugenehmigung gegeben war.
Auch der Umstand, dass ausweislich der Behördenakte die Abstandsflächenvorschriften geprüft wurden, führt zu keiner anderen Bewertung. Die Bauaufsichtsbehörde kann den beschränkten Prüfungsumfang außer im Fall der Versagung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO nicht selbst erweitern. Insbesondere darf sie nicht in einer Baugenehmigung Feststellungen dazu treffen, dass das genehmigte Vorhaben mit nicht zum Prüfprogramm gehörenden nachbarschützenden Vorschriften, wie solchen des Abstandsflächenrechts, vereinbar sei. Im bayerischen Bauordnungsrecht fehlt hierzu eine Ermächtigungsgrundlage, so dass Ausführungen in den Entscheidungsgründen eines Baugenehmigungsbescheids keine Regelungswirkung zukommen kann. Der bayerische Landesgesetzgeber hat sich bewusst für eine erweiterte Ablehnungsmöglichkeit nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO entschieden, eine Erweiterung des Prüfungsumfangs bei der Erteilung der Baugenehmigung jedoch nicht vorgesehen. Eine solche würde letztlich auch zu einer Entwertung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens führen (BayVGH B.v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 3).
b) Die angefochtene Baugenehmigung verstößt nach Einschätzung des Gerichts nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts, die im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO geprüft werden.
Maßgeblich für die Beurteilung ist insoweit § 34 BauGB, da sich das streitgegenständliche Grundstück nicht innerhalb eines Bebauungsplans i. S. d. § 30 Abs. 1 BauGB befindet, jedoch unzweifelhaft über eine Innenbereichslage verfügt. Entgegen der Ansicht der Antragsteller befindet sich das Grundstück nicht innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans E …, den das Gericht dem Verfahren ebenfalls beigezogen hat. Der Grenzverlauf des räumlichen Geltungsbereichs umfasst das Grundstück der Beigeladenen nicht. Dies lässt sich den zeichnerischen Festsetzungen ohne weiteres entnehmen. Weitere Ausführungen bedarf es insoweit nicht. Auch auf die Frage, inwieweit durch den Dachgeschossausbau ein weiteres Vollgeschoss entsteht und dies damit gegen Festsetzungen verstoßen könnte, braucht daher nicht näher eingegangen zu werden.
Das Vorhaben ist nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.
Unmittelbaren Drittschutz kann in diesem Zusammenhang § 34 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung vermitteln, sofern die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht. Ein Nachbar kann diesbezüglich einen Anspruch auf Wahrung des Gebietscharakters geltend machen. Nachdem in der unmittelbaren Nachbarschaft zu dem Bauvorhaben jedoch ganz überwiegend Wohnbebauung vorzufinden ist, und auch das geplante Vorhaben der Wohnnutzung zugeführt werden soll, kommt eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs ersichtlich nicht in Frage. Eines näheren Eingehens auf die Einstufung der Gebietsart bedarf es an dieser Stelle daher nicht.
Darüberhinausgehend gewährt § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB grundsätzlich keinen unmittelbaren Nachbarschutz, sondern allenfalls mittelbar über das Gebot der Rücksichtnahme. Das Gebot der Rücksichtnahme ist im nicht überplanten Innenbereich dem Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu entnehmen.
Das sogenannte „Gebot der Rücksichtnahme“ soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Es vermittelt insofern Drittschutz, als die Baugenehmigungsbehörde hierdurch gezwungen wird, in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgrenzbaren Kreises Dritter zu achten (grundlegend BVerwG 25.2.1977 -IV C 22/75 – NJW 1978, 62, 63). Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. Bei der in diesem Zusammenhang anzustellenden Interessenbewertung ist ausschlaggebend, was den Rücksichtnahmebegünstigten und den zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist. Im Rahmen einer Gesamtschau der von den Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigung sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten in billiger Weise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG U.v. 5.8.1983 – 4 C 96.79 – BVerwGE 67, 334: B.v. 10.1.2013 – 4 B 48/12 – juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit seinem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. BVerwG B.v. 10.1.2013, a.a.O.; BayVGH B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 40). Bloße Lästigkeiten genügen für die Annahme eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot nicht aus (vgl. BayVGH U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 39).
Auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, zu dem vor allem die Länge und Breite der Grundfläche der baulichen Anlage, die Geschosszahl und die Höhe der Gebäude (vgl. § 16 BauNVO) zählen, kann sich der Nachbar nur auf einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot berufen. Denn die Einhaltung der entsprechenden Parameter dient in aller Regel nicht dem Schutz des Nachbarn, sondern städtebaulichen Gründen. Bezogen auf das Maß der baulichen Nutzung ist es für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes maßgeblich, ob nach einer Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls dem Vorhaben eine „erdrückende“ oder „abriegelnde“ Wirkung zukommt (BayVGH B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12). Eine solche Wirkung ist nach der Rechtsprechung etwa anzunehmen bei übergroßen Baukörpern in nur geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden (vgl. BVerwG. U.v. 13.3.1981, 4 C 1/78, DVBl. 1981, 928: 12-geschossiges Gebäude in einer Entfernung von 15 m zum Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986, 4 C 34/85, DVBl. 1986, 1271: drei 11,50 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen), wird aber regelmäßig verneint bei Wohnvorhaben, die in Volumen und Höhe der Umgebungsbebauung entsprechen oder nur geringfügig größer sind als Nachbargebäude (vgl. BayVGH B.v. 13.3.2014, 15 ZB 13.1017 – juris, BayVGH B.v. 23.4. 2014, a.a.O. – juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes aufgrund der Größe des Bauvorhabens der Beigeladenen ersichtlich nicht in Betracht. Denn das Wohngebäude entspricht unter Zugrundelegung der vorgelegten Lichtbilder eindeutig der dort vorzufindenden Umgebungsbebauung. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes besteht grundsätzlich schon dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes (vgl. BayVGH B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 30). So liegt es auch im vorliegenden Fall, denn aus dem aus der Wohnküche der Antragsteller angefertigten Lichtbild (Bl. 22 der Gerichtsakte) geht deutlich hervor, dass das Wohnhaus der Beigeladenen das der Antragsteller keinesfalls deutlich überragt. Es macht vielmehr den Anschein, dass dieses insgesamt tiefer liegt. Der Einbau der geplanten Dachgauben wird an diesem Zustand ebenfalls nichts ändern. Im Übrigen scheidet eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes aufgrund einer „erdrückenden“ Wirkung regelmäßig aus, wenn die landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften eingehalten sind. Auch wenn diese nicht Prüfungsgegenstand sind, kommt ihnen in diesem Zusammenhang Indizwirkung zu. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber die diesbezüglichen nachbarlichen Belange und damit das diesbezügliche Konfliktpotenzial in einen vernünftigen und verträglichen Ausgleich gebracht hat (BVerwG B.v. 22.11.1984 – 4 B 244.84 – NVwZ 1985, 653; BayVGH 5.9.2016 – 15 CS 16.1539 – juris Rn. 29; demgegenüber ist der Umkehrschluss, wonach eine Missachtung der Abstandsflächenvorschriften regelmäßig auch zu einer Verletzung des Rücksichtnahmegebotes führe, nicht gerechtfertigt, vgl. BayVGH B.v 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 -juris Rn. 11). Von der Einhaltung ist vorliegend auszugehen, sodass folglich auch eine entsprechende Indizwirkung gegeben ist. Zur Abstandsflächenberechnung im Detail kann auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin im Bescheid vom 10. August 2018 Bezug genommen werden, denen sich das Gericht anschließt. Unabhängig davon zeigen auch die seitens der Antragsteller vorgelegten Lichtbilder einen deutlichen Abstand zwischen den beiden Wohnhäusern. Insgesamt ergibt sich aus dem vorgelegten Lageplan ein Abstand von ca. 16 m. In einer Gesamtschau dieser Umstände rechtfertig sich die Annahme, dass die bauliche Anlage der Beigeladenen dem benachbarten Wohnhaus der Antragsteller „die Luft nimmt“, in keinerlei Weise.
Letztlich führen auch die geltend gemachten Einsichtnahmemöglichkeiten auf das Grundstück der Antragsteller nicht zu einer Verletzung des Rücksichtnahmegebotes. Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Insbesondere besteht kein Rechtsanspruch darauf, dass Räume, Fenster, Balkone oder Dachgauben des Bauvorhabens so angeordnet werden, dass das nachbarliche Grundstück nicht oder nur eingeschränkt eingesehen werden kann. Die Möglichkeit, in Baugebieten aus Fenstern Einblicke in die Nachbargrundstücke zu erhalten, liegt in der Natur der Sache und ist regelmäßig hinzunehmen (vgl. BayVGH B.v. 13.7.2005 – 14 CS 05.1102 – juris Rn. 9). Das gilt grundsätzlich sowohl im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes aus auch im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Das bauplanungsrechtliche Gebot des Einfügens bezieht sich nur auf die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmale der Nutzungsart, des Nutzungsmaßes, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche. Die Möglichkeit der Einsichtnahme ist – als nicht städtebaulich relevant – davon nicht angesprochen (vgl. BVerwG B.v. 24.4.1989 -4 B 72/89 – NVwZ 1989, 1060, 1061; BayVGH B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 13; BayVGH B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 20). Einsichtnahmemöglichkeiten, die durch ein neues Bauvorhaben geschaffen werden, können damit nur unter besonders gravierenden Umständen als Verletzung des Rücksichtnahmegebotes angesehen werden. Erforderlich ist hierfür jedenfalls, dass durch das Bauvorhaben erstmals in schützenswerte Wohnbereiche Einsicht genommen werden kann und diese Einsichtnahmemöglichkeiten eine über das übliche Maß hinausgehende Belastung darstellen (vgl. BayVGH B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 -juris Rn. 21).
Aus einer Zusammenschau der vorgelegten Lichtbilder und der geprüften Baupläne ist deutlich zu entnehmen, dass die geschaffenen Einsichtnahmemöglichkeiten jedenfalls keine über das übliche Maß hinausgehende Belastung darstellen. Von einer übermäßigen und damit nicht mehr hinzunehmenden Belastung wäre etwa auszugehen, wenn durch das Vorhaben unmittelbare Einsichtnahmemöglichkeiten aus kurzer Entfernung geschaffen werden (vgl. OVG Bremen B.v. 14.5.2012 – 1 B 65/12 – juris Rn. 16; OVG NW U.v. 22.8.2005 – 10 A 3611/03 – juris: Schaffung einer „Aussichtsplattform“ in ein 1m entferntes Schlafzimmer). Dies ist jedoch offenkundig nicht der Fall, da sich die Fenster der Dachgauben sowie der Balkon in einem sehr großen Abstand zum Wohngebäude der Antragsteller befinden. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Dachgaube nicht direkt gegenüber dem Grundstück der Antragsteller liegt, sondern schräg versetzt ist. Hinsichtlich des Balkons sei ergänzend angemerkt, dass sich der geplante Balkonaufgang zum Grundstück der Antragsteller hin befindet und zudem überdacht ist. Dieser Aspekt spricht ebenfalls gegen die Annahme einer „Aussichtsplattform“, da schon durch den überdachten Aufgang der Blick zu den Nachbarn eingeschränkt sein dürfte. Von einer Störung der privaten Wohnsphäre kann bei derartig großen Abständen (dies gilt sowohl für die Dachgauben, als auch den geplanten Balkon) nicht ausgegangen werden. Die Einsichtnahmemöglichkeiten sind vielmehr als in einem Nachbarschaftsverhältnis üblich einzustufen. Darüber hinaus ist es den Nachbarn zuzumuten, unerwünschte Einblicke erforderlichenfalls durch Sichtschutzvorkehrungen (etwa durch Vorhänge oder Gardinen im Hausbereich und Bepflanzungen im Gartenbereich) abzuwehren.
Weitergehende Belastungen, die in die Privatsphäre der Antragsteller eingreifen und folglich zu einer Verletzung des Rücksichtnahmegebotes führen können, wurden nicht vorgetragen und sind für das Gericht auch nicht ersichtlich.
c) Anhaltspunkte dafür, dass die Baugenehmigung gegen sonstige nachbarschützende Vorschriften, die im vereinfachten Genehmigungsverfahrens geprüft werden (vgl. Art. 59 Nrn. 2 und 3 BayBO), verstößt, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
3. Die Anträge waren damit mit der Kostenfolge des §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Da die Beigeladenen keine Anträge gestellt und sich damit nicht am Prozess- und Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) beteiligt haben, entspricht es der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO den unterlegenen Antragstellern nicht die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen.


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