Baurecht

Notwegrecht: Möglichkeit der Errichtung einer Zufahrt über ein anderes Grundstück des Eigentümers des verbindungslosen Grundstücks; Zumutbarkeit der gerichtlichen Durchsetzung eines Anspruchs auf Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans; Umfang der Duldungspflicht bei durch eine Grunddienstbarkeit gesichertem Wegerecht

Aktenzeichen  V ZR 85/20

Datum:
16.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:160421UVZR85.20.0
Normen:
§ 917 Abs 1 S 1 BGB
§ 1019 BGB
Spruchkörper:
5. Zivilsenat

Leitsatz

1. Ein Notwegrecht nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt nicht in Betracht, wenn der Eigentümer des verbindungslosen Grundstücks eine Zufahrt zu diesem in zumutbarer Weise über ein anderes, in seinem Eigentum stehendes Grundstück errichten kann; in diesem Fall kann das Notwegrecht allenfalls befristet und längstens bis zur Herstellung der anderweitigen Verbindung mit dem öffentlichen Weg zugesprochen werden.
2. Erfordert die Errichtung einer Zufahrt zu dem verbindungslosen Grundstück eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans und kommt in Betracht, dass der Eigentümer einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf deren Erteilung hat, ist es ihm grundsätzlich zuzumuten, diesen gerichtlich durchzusetzen; ob eine solche Klage vor den Verwaltungsgerichten hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, muss das Zivilgericht bei der Entscheidung über das Bestehen des Notwegrechts in eigener Zuständigkeit prüfen.
3. Ein durch eine Grunddienstbarkeit gesichertes Wegerecht gewährt dem Eigentümer des herrschenden Grundstücks einen Vorteil i.S.v. § 1019 BGB nur für dieses, nicht aber für weitere, in seinem Eigentum stehende oder von ihm genutzte Grundstücke; eine Benutzung des dienenden Grundstücks auch für Zwecke anderer Grundstücke als des herrschenden ist grundsätzlich widerrechtlich (Bestätigung von Senat, Urteil vom 5. Oktober 1965 – V ZR 73/63, BGHZ 44, 171 und Urteil vom 6. Juni 2003 – V ZR 318/02, WM 2004, 190).

Verfahrensgang

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 2. April 2020, Az: 13 U 9/14vorgehend LG Kiel, 29. Januar 2014, Az: 8 O 103/12

Tenor

Auf die Revision der Beklagten zu 1 wird – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen – das Urteil des 13. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 2. April 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als eine Notwegrente nicht zugesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der klagende Verein kaufte im Jahre 1998 mit von seinem Streithelfer beurkundetem Vertrag von der früheren Beklagten zu 2 eine noch nicht vermessene Teilfläche eines Grundstücks. Diese Fläche hat keine eigene Anbindung an eine öffentliche Straße (Hinterliegergrundstück). In dem Kaufvertrag bewilligte die Verkäuferin die Eintragung einer Grunddienstbarkeit auf dem in ihrem Eigentum verbleibenden, an einer öffentlichen Straße gelegenen Restgrundstück. Diese berechtigt den jeweiligen Eigentümer des neu zu bildenden Grundstücks, einen auf dem Restgrundstück befindlichen Weg in einer Breite von drei Metern für den Zu- und Abfahrtsverkehr zu seinem Grundstück zu nutzen. Das Recht wurde bei dem Vollzug des Kaufvertrages nicht in das Grundbuch eingetragen, was die Vertragsparteien zunächst nicht bemerkten. Das zunächst im Eigentum der Beklagten zu 2 verbliebene Restgrundstück veräußerte diese im Jahre 2011 an die Beklagte zu 1.
2
Der inzwischen als Eigentümer eingetragene Kläger errichtete auf dem Hinterliegergrundstück zwei Gebäude, in denen er eine Einrichtung mit 25 vollstationären Wohnplätzen für Suchtkranke betreibt (nachfolgend Suchthilfezentrum). Er nutzt seither den auf dem Grundstück der Beklagten zu 1 auf der Südseite der dortigen – als Fitnesscenter genutzten – Gewerbeimmobilie über einen Parkplatz verlaufenden Weg als Zufahrt zum Suchthilfezentrum. Im Jahre 2008 erwarb er ein nicht bebautes, nördlich an sein Grundstück anschließendes Grundstück hinzu. Dieses hat ebenfalls keine eigene Anbindung an eine öffentliche Straße. Zu Gunsten des Klägers als Eigentümer des hinzuerworbenen Grundstücks besteht eine Grunddienstbarkeit an einem angrenzenden Grundstück, die dazu berechtigt, den Parkplatz eines Discounters zu begehen und zu befahren. Auf dem hinzuerworbenen Grundstück befinden sich fünf Bäume und ein sog. „Knick“ (mit Gehölz bewachsener Wall), die nach den Festsetzungen des geltenden Bebauungsplans anzulegen bzw. zu erhalten sind. Der Kläger beabsichtigt, auf dem Grundstück eine Jugendhilfeeinrichtung zu errichten unter gleichzeitiger Erstellung einer Zufahrt zu dem Suchthilfezentrum. Hierzu müssten drei der fünf Bäume gefällt und der Knick auf einer Länge von 3,90 Metern durchbrochen werden. Den Antrag des Klägers auf Erteilung der hierfür erforderlichen Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans lehnte die Stadt hinsichtlich des Knickdurchbruchs im November 2019 mit der Begründung ab, Gründe des Allgemeinwohls seien für die Befreiung nicht ersichtlich. Die Befreiung sei auch städtebaulich nicht vertretbar, da der Knick unter Naturschutz stehe und durch den Bebauungsplan gesichert worden sei. Das gelte auch für das Fällen von Bäumen. Der Kläger nahm den Antrag daraufhin zurück und legte gegen den zurückweisenden Bescheid hinsichtlich des Knicks Widerspruch ein, der bislang nicht begründet wurde.
3
Die Beklagte zu 1 untersagte dem Kläger im Jahre 2012 die Nutzung ihres Grundstücks als Zufahrt zu dem Suchthilfezentrum. Die Parteien einigten sich darauf, gerichtlich klären zu lassen, ob dem Kläger ein Notwegrecht zusteht. Bis zu dieser Klärung duldet die Beklagte zu 1 die Nutzung gegen Zahlung einer Entschädigung von monatlich 250 €.
4
Das Landgericht hat – soweit noch von Interesse – die Beklagte zu 1 verurteilt, die Nutzung des südlichen Weges für den Zu- und Abfahrtsverkehr zu dem Grundstück des Klägers zu dulden. Weiter hat es festgestellt, dass der Beklagten zu 1 für diese Nutzung eine Entschädigung nicht zusteht. Deren Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger und sein Streithelfer beantragen, verfolgt die Beklagte zu 1 ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.


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