Aktenzeichen Au 4 K 16.445
Leitsatz
1 Für den Planbereich enthält § 23 BauNVO Regelungen zur überbaubaren Grundstücksfläche. So darf nach § 23 Abs. 3 BauNVO eine festgesetzte Baugrenze durch bauliche Anlagen nicht überschritten werden. (Rn. 25) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Wenn mit der Zulassung einer Werbeanlage an der beantragten Stelle eine bauliche Anlage in unmittelbarer Nähe zur Straße verwirklicht wird, die in der maßgeblichen näheren Umgebung bislang ohne Vorbild ist, so dass die bisher bisher vorhandenen baulichen Anlagen und die geplante Werbeanlage beziehungslos nebeneinander stehen, stellt eine solche Überbauung einen Fremdkörper in der Umgebung dar. (Rn. 27) (red. LS Alexander Tauchert)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung. Dem Bauvorhaben stehen Vorschriften des Bauplanungsrechts entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO). Ob dem Bauvorhaben gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO ein Anbauverbot nach § 9 Abs. 6 FStrG entgegensteht, war daher nicht mehr entscheidungserheblich. Jedenfalls im Ergebnis ist der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 23. Februar 2016 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
1. Die beantragte Werbeanlage fügt sich insoweit nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung ein.
a) Es kann daher für den Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Baugenehmigung dahinstehen, ob sie bereits nach der Art der baulichen Nutzung gemäß § 34 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 BauGB zulässig ist oder nicht. In Betracht käme hier die Einordnung der näheren Umgebung als Mischgebiet nach § 6 BauNVO bzw. als Gemengelage, was – trotz Bedenken in Bezug auf die Frage der gewerblichen Nutzungen im ersten Stockwerk in der näheren Umgebung wegen der Höhe der geplanten Werbeanlage -eine Zulässigkeit der Werbeanlage nach der Art der Nutzung zumindest nicht ausschließt.
b) Dies muss letztlich jedoch nicht entschieden werden. Die beantragte Werbeanlage fügt sich nämlich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche erkennbar nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, da sie eine faktische Baugrenze überschreitet, § 34 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 23 BauNVO.
Für den Planbereich enthält § 23 BauNVO Regelungen zur überbaubaren Grundstücksfläche. So darf nach § 23 Abs. 3 BauNVO eine festgesetzte Baugrenze durch bauliche Anlagen nicht überschritten werden. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass zur Konkretisierung der Einfügensanforderungen des § 34 BauGB bezüglich der überbaubaren Grundstücksfläche auf § 23 BauNVO zurückgegriffen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2005 – 1 CS 04.3461 – juris; U.v. 11.11.2014 -15 B 12.2765 – juris, Rn. 12). Nach der Rechtsprechung dürfen nicht nur Gebäude und Gebäudeteile, sondern auch alle anderen baulichen Anlagen, mithin Werbeanlagen, eine Baugrenze nach § 23 Abs. 3 BauNVO nicht überschreiten (vgl. BVerwG, U.v. 7.6.2001 – 4 C 1.01 – ZfBR 2001, 558).
Die nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgebende nähere Umgebung reicht soweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und soweit die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch mitbeeinflusst (vgl. BayVGH, B.v. 20.9.2012 – 15 ZB 11.460 – juris, Rn. 6). Der demnach maßgebliche Bereich ist bei dem Einfügensmerkmal der überbaubaren Grundstücksfläche in der Regel enger zu begrenzen als etwa bei dem Merkmal der baulichen Nutzung (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2005, a.a.O.).
Wie der Augenscheinstermin ergeben hat, ist als solchermaßen engere relevante Umgebung der Bereich des Vorhabengrundstücks FlNr. … sowie die Grundstücke mit der Fl.Nr. … und … der Gemarkung S… entlang der Ö…straße heranzuziehen. Die in diesem Bereich vorgefundene städtebauliche Situation ist geprägt durch das Vorhandensein eines deutlichen Abstands der an der B 308 (auch auf der gegenüberliegenden Straßenseite) befindlichen Gebäude von der Straße. In wertender Betrachtung der maßstabsbildenden Straßenfront bleibt die Bebauung selbst am der Straße nächstgelegenen Gebäude auf Fl.Nr. … 5 m von der Straße zurück (Abmessung des Gerichts aus vorgelegtem Katasterauszug im Maßstab 1:1000). Die vorgefundene Anordnung der Gebäude ist bisher in nordwestlicher Ausrichtung der Front, also längs der Straße. Daraus lässt sich eine vordere Baugrenze nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ablesen. Dabei kann die Einordnung des „Wintergartens“ bzw. der Überdachung an der Apotheke auf Fl.Nr. … (vgl. Lichtbild 6 des Augenscheins sowie Fotomontage der Antragsunterlagen) dahinstehen. Die Glasüberdachung selbst ist nämlich ebenfalls längs der Straße ausgerichtet. Selbst wenn sie maßstabsbildende Kraft für die Festlegung einer faktischen Baugrenze hätte, was mit Blick auf § 23 Abs. 3 BauNVO bei Vordächern zweifelhaft erscheint, da sie eher ein unwesentlicher Teil des Gebäudes sein dürften (vgl. Hendrik Schilder in Bönker/Bischopink, BauNVO, 1. Auflage 2014, § 23 Rn. 24 f.), würde die Werbeanlage in der konkreten Planung aus diesem Rahmen heraustreten. Denn sie soll – anders als alle vorgefundenen Anordnungen der Gebäude – quer zur Straße, also in einem 90 Grad Winkel hierzu, und direkt am Gehweg zu Fl.Nr. … stehen (vgl. Bauantragsunterlagen). Mit der Zulassung der Werbeanlage an dieser Stelle würde eine bauliche Anlage in unmittelbarer Nähe zur Straße verwirklicht, die in der maßgeblichen näheren Umgebung bislang ohne Vorbild ist. Die bisher vorhandenen baulichen Anlagen und die geplante Werbeanlage würden beziehungslos nebeneinander stehen, eine solche Überbauung würde damit einen Fremdkörper in der Umgebung darstellen. Die deutliche Überschreitung der durch die Hauptgebäude gezogenen faktischen Baugrenze würde die Zulassung eines in der näheren Umgebung vorbildlosen Vorhabens bedeuten und damit einen Ansatz für nachfolgende vergleichbare Bauwünsche, etwa auf den benachbarten Grundstücken bieten (vgl. BayVGH, U.v. 11.11.2014 – 15 B 12.2765 – juris Rn. 14).
Zwar mag daraus noch nicht zwingend folgen, dass jegliche die Voraussetzungen des § 23 Abs. 5 BauNVO nicht erfüllende Anlage jenseits einer durch Hauptgebäude gebildeten faktischen Baugrenze als unzulässig anzusehen wäre. Vielmehr muss die Zulassung des Vorhabens, damit das Einfügensgebot verletzt ist, städtebauliche Spannungen auslösen (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2005 – 1 CS 04.3461 – juris Rn. 24). Dies ist hier der Fall. Das streitgegenständliche Vorhaben überschreitet nicht nur den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen, sondern tritt auch in keine harmonische Beziehung zur vorhandenen Bebauung. Es ist jedenfalls anzunehmen, dass die gegebene Situation durch den Fremdkörper nachhaltig in Bewegung gebracht würde und dass bewältigungsbedürftige Spannungen ausgelöst würden (vgl. etwa BayVGH, 10.6.2008 – 2 BV 07.762 – BayVBl 2008, 669 – juris Rn. 27). Aufgrund der zu befürchtenden negativen Vorbildwirkung gehen damit auch städtebauliche Spannungen einher. Sie steht isoliert und beziehungslos neben den Gebäuden auf Fl.Nr. …, … und … der Gemarkung S…
2. Es kann daher offen bleiben, ob die Werbeanlage im Einklang mit Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO i.V.m. § 9 Abs. 6 FStrG steht.
3. Nachdem das Vorhaben bereits bauplanungsrechtlich unzulässig ist, war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO, der Klägerin auch deren außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.