Baurecht

Rückschnitt von Pflanzenbewuchs, Objektive Möglichkeit zur Durchführung des Rückschnitts, Zwangsgeld

Aktenzeichen  Au 8 K 22.130

Datum:
15.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5604
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG Art. 29 Abs. 2 S. 1
BNatSchG § 39 Abs. 5
BayNatSchG Art. 16 Abs. 1
VwZVG Art. 31

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 19. März 2021 ist zulässig, allerdings unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die sicherheitsrechtliche Anordnung in Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheids zum Rückschnitt des (Pflanzen-)Bewuchses, der entlang der Nordgrenze des Grundstücks der Klägerin in den öffentlichen Verkehrsraum ragt, ist rechtmäßig.
a) Unabhängig davon, ob eine Anordnung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG oder unmittelbar auf Art. 29 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 BayStrWG gestützt wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2022 – 8 CS 21.1595 – juris Rn. 9; B.v. 10.8.2017 – 8 ZB 15.1428 – juris Rn. 14; B.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 21; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand März 2020, Art. 29 Rn. 28), erweist sich der streitgegenständliche Bescheid als zutreffend, wenn und weil der Beklagte die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Beseitigungsanordnung zutreffend am gesetzlichen Maßstab des Art. 29 Abs. 2 BayStrWG gemessen hat. Daran ändert die zusätzliche Heranziehung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG nichts (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2022 – 8 CS 21.1595 – juris Rn. 9; B.v. 10.8.2017 – 8 ZB 15.1428 – juris Rn. 14; VG Augsburg, U.v. 30.7.2019 – Au 8 K 19.673 – juris Rn. 23; VG München, B.v. 6.12.2018 – M 2 S 18.2234 – juris Rn. 22).
b) Der Verbotstatbestand des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG ist erfüllt. Danach dürfen u.a. Anpflanzungen aller Art nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können.
Die Regelung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG enthält eine Beschränkung der Nutzung des privaten Grundstückseigentums. Bei derartigen bodenrechtlichen Sachverhalten steht der Gesetzgeber angesichts des Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu regeln (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV), vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits gewährleisten Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV das Privateigentum, wie es sich in seinem rechtlichen Gehalt vor allem in der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis und in der Privatnützigkeit verwirklicht. Andererseits muss der Gesetzgeber in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung tragen (vgl. Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV). Dazu muss er die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung in einen gerechten Ausgleich bringen. Hierbei hat er seine Bindung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen. Um vor den Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 103, 158 BV Bestand zu haben, müssen (Nutzungs-)Beschränkungen des Eigentums deshalb vom geregelten Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums und die Beachtung des Gleichheitsgebots der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 23; VG Augsburg, U.v. 30.7.2019 – Au 8 K 19.673 – juris Rn. 25; VG München, B.v. 6.12.2018 – M 2 S 18.2234 – juris Rn. 28).
Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund verlangt es, die Anwendbarkeit der Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr gepaarte Beseitigungsmöglichkeit nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu binden. Damit ist in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. Nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Grundstückseigentümers wäre es deshalb, eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Tatbestandsvoraussetzung ausreichen zu lassen; denn dann würde auf der Grundlage einer nur generell-abstrakten Betrachtung denkbarer Verhaltensweisen oder Zustände ein Schadenseintritt als wahrscheinlich angesehen werden können. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BayStrWG wird vielmehr nur dann gerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 24; VG Augsburg, U.v. 30.7.2019 – Au 8 K 19.673 – juris Rn. 26; VG München, B.v. 6.12.2018 – M 2 S 18.2234 – juris Rn. 29).
Dies ist vorliegend der Fall, da im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens eine Verletzung der Schutzgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs von Gewicht zu erwarten ist und durch die Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids abgewehrt werden soll. Auch wenn das streitgegenständliche Grundstück der Klägerin im vorliegenden Fall in einer Sackgasse liegt, in der hauptsächlich Anliegerverkehr stattfindet, so ist anhand der vom Beklagten aktuell vorgelegten Lichtbilder vom 25. Februar 2022 festzustellen, dass der Pflanzenbewuchs entlang der Nordgrenze des streitgegenständlichen Grundstücks der Klägerin in einer Höhe von jedenfalls weniger als 4,50 Meter in den öffentlichen Verkehrsraum erkennbar hineinragt und einen nicht unerheblichen Teil der Straßenbreite einnimmt (vgl. Bl. 180 ff. d.A.). Die überhängenden Äste stellen – wie auf den Lichtbildern ersichtlich – augenscheinlich nicht nur eine Sichtbehinderung dar – insbesondere, weil der Bewuchs in den öffentlichen Verkehrsraum auch in einer Höhe von weniger als circa 1,00 bis 1,50 Meter [bei einer Orientierung an den auf den Lichtbildern abgelichteten Einfriedung(en), vgl. a.a.O.] nicht unerheblich hineinragt -, sondern gefährden konkret die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in der Gemeindestraße. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass die Verkehrsfläche nicht in Fahrbahn und Gehweg unterteilt ist, und es somit – zusätzlich zu den Gefahren im Begegnungsverkehr zwischen PKW – auch zu einer Gefahr für die körperliche Integrität von Fußgängern kommt. Hinzukommt, dass – wie auch der Beklagte zutreffend anmerkt – die Vegetation bei einem ungehinderten, „natürlichen“ Geschehensablauf fortschreitet und sich daher o.g. konkrete Gefährdungssituation (noch) intensiviert (v.a. im Hinblick auf die „Dichte“ der Vegetation). Nicht zuletzt ein Vergleich der Lichtbildaufnahmen vom 20. April 2021 und 25. Februar 2022 belegt dies (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 12.1.2022 – 8 CS 21.1595 – juris Rn. 10, 14; VG Augsburg, B.v. 28.4.2021 – Au 8 S 21.944 – Rn. 24; U.v. 30.7.2019 – Au 8 K 19.673 – juris Rn. 27).
c) Die Anordnung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sie von der Klägerin etwas rechtlich bzw. tatsächlich Unmögliches verlangen würde.
Zwar ist es, worauf die Klägerin im Ansatz zutreffend hinweist, nach § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Hs. 1 BNatSchG im Grunde u.a. verboten, Hecken und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden oder auf den Stock zu setzen. Ausdrücklich zulässig bleiben indes gemäß § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Hs. 2 BNatSchG schonende Form- und Pflegeschnitte zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen. So verhält es sich vorliegend. Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügt solch einen (stets) zulässigen Form- und Pflegeschnitt, wenn und weil der Pflanzenbewuchs gerade keinen vollständigen Rück- bzw. Kahlschnitt erfährt, sondern vielmehr auf seine ursprüngliche Form/ seinen primären Formzweck (als Einfriedung zum Grundstück der Klägerin) im Hinblick auf Überhang zurückgeführt bzw. im Lichte der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs um in den öffentlichen Verkehrsraum hineinragende Äste korrigiert wird. Jedenfalls gilt aber das Schneideverbot des § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Hs. 1 BNatSchG nicht, wenn – wie hier – die Maßnahme behördlich angeordnet ist (vgl. § 39 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG). Das aus Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG folgende Verbot, in der freien Natur Hecken und andere Gehölze abzuschneiden, kommt vorliegend bereits deshalb nicht zur Anwendung, weil das Grundstück der Klägerin nicht in der freien Natur liegt, sondern in einem funktionalen Zusammenhang zum besiedelten Bereich steht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 12.1.2022 – 8 CS 21.1595 – juris Rn. 14; VG Augsburg, B.v. 28.4.2021 – Au 8 S 21.944 – Rn. 25; VG München, U.v. 22.11.2018 – M 19 K 17.3993 – juris Rn. 32).
Überdies ist der streitgegenständliche Pflanzenbewuchs – wie auf den Lichtbildern erkennbar (vgl. Bl. 180 ff. d.A.) – zumindest von der Außenseite des Grundstücks der Klägerin her für einen Rückschnitt ausreichend erreichbar, so dass der Einwand der Klägerin einer Unerreichbarkeit des Grundstücks bzw. eines sich hieraus ergebenden nicht durchführbaren Rückschnitts des Pflanzenbewuchses (vgl. Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG) fehlgeht (vgl. VG Augsburg, U.v. 30.7.2019 – Au 8 K 19.673 – juris Rn. 28).
d) Die Anordnung ist auch verhältnismäßig. Insbesondere ist die der Klägerin gesetzte Frist von drei Wochen nach Bekanntgabe des Bescheids zur Durchführung des Rückschnitts nicht unangemessen kurz. Auch die angeordnete Höhe von mindestens 4,50 Metern zum Rückschnitt des Pflanzenbewuchses ist insbesondere im Hinblick auf einen etwaigen Lieferverkehr bzw. die Müllabfuhr nicht unangemessen (vgl. VG Augsburg, B.v. 28.4.2021 – Au 8 S 21.944 – Rn. 26; U.v. 30.7.2019 – Au 8 K 19.673 – juris Rn. 28). Des Weiteren wird der verfügte (Teil-)Rückschnitt auf das erforderliche Maß begrenzt (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2022 – 8 CS 21.1595 – juris Rn. 14).
e) Schließlich ergibt sich aus dem klägerischen Verweis auf den Bebauungsplan (und §§ 1 Abs. 7, 125 BauGB) bzw. die Stellplatzsituation im Umgriff des Grundstücks der Klägerin nichts Gegenteiliges. Eine Rechtswidrigkeit der verfahrensgegenständlichen sicherheitsrechtlichen Anordnung ist insoweit nicht erkennbar.
2. Die Androhung eines Zwangsgelds in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist ebenfalls rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Art. 31, Art. 36 Abs. 1 und Abs. 5 VwZVG und ist als geeignetes und gleichzeitig mildestes Mittel rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere die Höhe der Zwangsgeldandrohung, für die das wirtschaftliche Interesse der Klägerin maßgeblich ist, steht mit Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG in Einklang. Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin bemisst sich vorliegend an den Kosten einer vorzunehmenden Beseitigung. Davon ausgehend ergibt sich ein wirtschaftliches Interesse der Klägerin, das in Höhe des angedrohten Zwangsgeldes liegen dürfte. Fehler bei der Ermessensausübung sind nicht ersichtlich (vgl. VG Augsburg, B.v. 28.4.2021 – Au 8 S 21.944 – Rn. 27; U.v. 30.7.2019 – Au 8 K 19.673 – juris Rn. 31).
3. Auch die Kostenfestsetzung in Ziffer 4 des verfahrensgegenständlichen Bescheids begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Als zum verfügten Rückschnitt des Pflanzenbewuchses ergangene Nebenentscheidung teilt die Kostenfestsetzung das rechtliche Schicksal der Sachentscheidung. Gesonderte Bedenken sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben