Aktenzeichen M 11 K 17.3615
Leitsatz
1 Die Gemeinde kann auch im qualifizierten Planbereich rügen, dass die Erschließung nach § 30 Abs. 1 BauGB nicht gesichert ist, auch wenn die Erschließung keine Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans erfordert. In § 30 Abs. 1 BauGB, der das Erschließungserfordernis neben dem Erfordernis nennt, dass den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widersprochen werden darf, kommt zum Ausdruck, dass dem Erfordernis der gesicherten Erschließung eigenständige planungsrechtliche Bedeutung neben dem Erfordernis, dass den Festsetzungen nicht widersprochen werden darf, zukommt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zwar ist das gemeindliche Einvernehmen aufgrund des klaren Wortlauts des § 36 Abs. 1 S. 1 und S. 3 BauGB hinsichtlich der Erschließung nicht erforderlich. Allerdings erscheint es tatsächlich zu formal, dass die Gemeinde im qualifizierten Planbereich die fehlende Erschließung nicht rügen können soll. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig.
Zwar folgt die Zulässigkeit der Klage nicht schon aus der Rüge, dass zu wenig Stellplätze vorhanden seien.
Die Klägerin kann sich zur Begründung einer Klagebefugnis allein auf das gemäß Art. 28 GG verfassungsrechtlich geschützte gemeindliche Selbstverwaltungsrecht berufen. Ausfluss dieses Selbstverwaltungsrechts ist die gemeindliche Planungshoheit. Die Klägerin kann also von vorneherein nur rügen, dass die Baugenehmigung unter Verletzung bauplanungsrechtlicher Vorschriften erteilt worden ist.
Da weder im Bebauungsplan noch in der Stellplatzsatzung der Klägerin für den vorliegenden Fall die Anzahl der notwendigen Stellplätze vorgeschrieben ist, richtet sich die Zahl der notwendigen Stellplätze gemäß Art. 47 Abs. 2 Satz 1 BayBO nach der GaStellV. Hierbei handelt es sich jedoch um allein bauordnungsrechtliche Vorschriften, die keinen Bezug zur gemeindlichen Planungshoheit aufweisen. Folgerichtig ist auch § 36 BauGB auf die Frage der nach der GaStellV notwendigen Stellplätze nicht anwendbar, sodass das gemeindliche Einvernehmen, wenn es – anders als hier – erforderlich wäre, nicht mit dem Hinweis auf das Unterschreiten der Anzahl der notwendigen Stellplätze verweigert werden dürfte. Auch kann ein Einvernehmenserfordernis und daraus u.U. eine Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit nicht über Art. 63 BayBO begründet werden. Zum einen sind die Berechnungen zur Zahl der erforderlichen Stellplätze im Stellplatznachweis vom 22. Juni 2017 nicht zu beanstanden. Vielmehr werden sogar 29 Stellplätze mehr als mindestens erforderlich errichtet. Eine Rechtsverletzung scheidet daher schon aus diesen Gründen aus. Zum anderen wäre selbst bei einer Abweichung von den Mindestvorgaben der GaStellV das gemeindliche Einvernehmen gemäß Art. 63 Abs. 3 BayBO nicht erforderlich. Vielmehr entscheidet allein die Bauaufsichtsbehörde ohne Einvernehmen der Gemeinde über Abweichungen von Art. 47 BayBO. Das gemeindliche Einvernehmen ist nach der klaren Regelung des Art. 63 Abs. 3 Satz 2 BayBO nur bei Abweichungen von örtlichen Bauvorschriften erforderlich. Die Zuständigkeit der Gemeinde selbst für die Zulassung von Abweichungen ist nur im Falle verfahrensfreier Vorhaben gegeben, Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayBO. Da also selbst bei der Zulassung von Abweichungen die Bauaufsichtsbehörde nicht im Einvernehmen mit der Gemeinde entscheidet, ist bereits aus diesem Grund eine Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit selbst dann nicht denkbar, falls fälschlicherweise eine zu geringe Anzahl der nach der GaStellV nachzuweisenden Stellplätze angenommen worden wäre.
Allerdings folgt die Zulässigkeit der Klage aus der Rüge, dass die straßenmäßige Erschließung nicht gesichert sei.
Zur gesicherten straßenmäßigen Erschließung gehört auch, dass die angrenzenden öffentlichen Straßen geeignet sind, den durch das Vorhaben ausgelösten Verkehr aufzunehmen und zu bewältigen (BVerwG, B. v. 03.04.1996 – 4 B 253/95, NVwZ 1997, 389).
Die Klage ist auch nicht deshalb unzulässig, weil das gemeindliche Einvernehmen gemäß § 36 BauGB im qualifizierten Planbereich nach § 30 Abs. 1 BauGB nicht erforderlich ist. Die Klägerin kann vielmehr auch im qualifizierten Planbereich rügen, dass die Erschließung nach § 30 Abs. 1 BauGB nicht gesichert ist, auch wenn die Erschließung keine Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans erfordert. Zwar wird eine Gemeinde nach einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U. v. 29.09.1989 – Nr. 20 B 88 01 629 und 20 B 89 02 083) durch eine rechtswidrige Baugenehmigung – jedenfalls innerhalb eines Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 u. 2 BauGB – nicht in ihren Rechten verletzt, wenn die Erschließung des Baugrundstücks nicht gesichert (§ 30 Abs. 1 BauGB) ist. Das ergäbe sich aus § 36 BauGB, der den Gemeinden eine Mitwirkungsbefugnis an der Zulassung eines Bauvorhabens im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans nur einräume, soweit die Erschließung Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB erfordere. Eine nicht gesicherte Erschließung berechtige die Gemeinde, anders als in den Fällen der §§ 33, 34, 35 BauGB, nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht, das Einvernehmen zu verweigern. Diese wohl zu formale Auffassung zieht der Verwaltungsgerichtshof aber selbst wieder in Zweifel, da er die Frage stellt, ob eine solche Rechtslage dem wirklichen Willen des Gesetzgebers entspricht (vgl. zu all dem Gaßner, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 125. EL Mai 2017, Art. 64, Rn. 253). Diese ältere Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ist im Ergebnis nicht überzeugend und daher ist ihr nicht zu folgen. Vielmehr kommt im Wortlaut des § 30 Abs. 1 BauGB, der das Erschließungserfordernis neben dem Erfordernis nennt, dass den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widersprochen werden darf, zum Ausdruck, dass dem Erfordernis der gesicherten Erschließung eigenständige planungsrechtliche Bedeutung neben dem Erfordernis, dass den Festsetzungen nicht widersprochen werden darf, zukommt. Zwar ist das gemeindliche Einvernehmen aufgrund des klaren Wortlauts des § 36 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 BauGB hinsichtlich der Erschließung nicht erforderlich. Allerdings erscheint es tatsächlich zu formal, dass die Gemeinde im qualifizierten Planbereich die fehlende Erschließung nicht rügen können soll. Dies muss allein schon deshalb gelten, da bei einem Abgebotsbebauungsplan, insbesondere bei der Festsetzung von Gewerbegebieten, nicht von vorneherein abzusehen ist, welche konkrete Art von Betrieben sich im Einzelfall ansiedeln möchte, wodurch sich gesteigerte Voraussetzungen an die Erschließung ergeben.
2. Die Klage ist allerdings unbegründet.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies folgt daraus, dass die Erschließung des Vorhabens gesichert ist.
Aus der Betriebsbeschreibung und dem Betriebsmodell der Beigeladenen ergibt sich schlüssig, dass die maximal 60 Sprinter morgens über einen Zeitraum von 105 Minuten ausfahren (zwischen 06:15 Uhr und 08:00 Uhr). Bei lebensnaher Betrachtung kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass alle 60 Sprinter gleichzeitig losfahren. Die Zahl von maximal 60 Abfahrten in einem Zeitraum von 105 Minuten stellt im Mittel deutlich weniger als eine Ausfahrt pro Minute dar und nähert sich eher sogar dem Wert von einer Ausfahrt alle zwei Minuten an. Aufgrund des im Rahmen des Augenscheins gewonnenen Eindrucks der Kammer kann nicht davon ausgegangen werden, dass die angrenzende öffentliche Straße nicht geeignet ist, diesen Verkehr aufzunehmen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der 80 Sprinter der Firma …, da auch hier bei lebensnaher Betrachtung nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese alle gleichzeitig abfahren. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass Verkehrsbehinderungen in gewissem Umfang grundsätzlich hinzunehmen sind. Die Schwelle, ab der davon ausgegangen werden muss, dass die Erschließung eines konkreten Vorhabens nicht gesichert ist, dürfte daher erst gegeben sein, wenn die Zufahrts Straße derart überlastet ist, dass regelmäßig vollkommen untragbare und unzumutbare Zustände herrschen. Dafür war im Rahmen des Augenscheins nichts ersichtlich. Vielmehr hat sich die Verkehrssituation geradezu ruhig dargestellt. Auch hat die Klägerin über ihren pauschalen Vortrag, sie befürchte Verkehrsprobleme, hinaus, keine konkreten und in irgendeiner Form belegten Angaben gemacht, wann und in welcher Form es zu konkreten Verkehrsbeeinträchtigungen gekommen sein soll, obwohl der Betrieb der Beigeladenen bereits seit über einem Monat läuft.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Billigem Ermessen entspricht es, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen der Klägerin aufzuerlegen, da die Beigeladene sich durch Stellung eines Sachantrags dem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.