Aktenzeichen W 2 S 18.1450
VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 6
Leitsatz
1 Im Straßenausbaubeitragsrecht wird einem Grundstück eine vorteilsrelevante Möglichkeit der Inanspruchnahme grundsätzlich durch die nächste von ihm aus zu erreichende selbstständige Verkehrseinrichtung vermittelt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein gefangenes Hinterliegergrundstück nimmt über das Anliegergrundstück die abzurechnende Straße in Anspruch, wenn ansonsten nur eine Zufahrt über Flurbereinigungswege besteht, die nicht öffentlich gewidmet sind. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.553,58 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1. Der Antragsteller begeht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des „Widerspruches“ vom 20. Juli 2017 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. Juni 2017 für das Grundstück FlNr. 4…/0 im Bereich des Antragsgegners, mit dem der Antragsteller zu einem Straßenausbaubeitrag in Höhe von 22.214,33 Euro herangezogen wurde.
Nach übereinstimmender Erledigungserklärung wurde ein früherer entsprechender Antrag mit Beschluss des Gerichts vom 13. September 2018 eingestellt (W 2 S 18.531).
Mit Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Sch. vom 8. August 2018, zugestellt am 13. August 2018, wurde der Widerspruch des Antragstellers gegen den vorgenannten Bescheid zurückgewiesen. Auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides wird Bezug genommen.
2. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten 13. November 2018, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ der Antragsteller erneut beantragen, die aufschiebende Wirkung seines „Widerspruchs“ wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt:
Es lägen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vor. Beim Grundstück FlNr. 4…/0 Gemarkung E. handele es sich ungeachtet der Eigentümeridentität nicht um ein sog. gefangenes Hinterliegergrundstück, weil die Zu- bzw. Abfahrt sowohl über das nördlich gelegene Grundstück FlNr. 1 …, als auch über die Grundstücke FlNr. 4…/4 und dann FlNr. 9… in südlicher Richtung möglich sei. Bei den Wegegrundstücken Fl. Nrn. 4…/4, 9… und 1 … der Gemarkung E. handele es sich ungeachtet der nicht erteilten Einverständniserklärung der Flurbereinigungsgenossenschaft E. und der deshalb nicht erfolgten straßenrechtlichen Widmung durch den Antragsgegner um „tatsächlich öffentliche Wege“. Die durch den Antragsteller erfolgte Löschung des Geh- und Fahrtrechtes für das Grundstück FlNr. … 5 zu Lasten des Grundstücks FlNr. … 4 stelle keinen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten dar.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines „Widerspruchs“ gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. Juni 2017 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner lässt beantragen,
den Antrag abzulehnen.
Er verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und der Verfahren W 2 S 18.531 und W 2 K 18.1200 sowie der beigezogenen Behördenakten wird verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zulässig. Der erforderliche Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO blieb erfolglos (Schreiben des Antragsgegners vom 2.8.2017), so dass die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO gegeben ist. Das Gericht legt den Antrag dahingehend aus, dass die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt werden soll, nach dem das Widerspruchsverfahren (negativ) abgeschlossen ist.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO entfällt bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Das Gericht kann jedoch nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 VwGO die aufschiebende Wirkung des gegen den Abgabenbescheid gerichteten Rechtsbehelfs anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen und wenn dessen Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
1. Gründe dafür, dass die Vollziehung des Abgabenbescheides für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
2. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes. Solche bestehen dann, wenn nach der im Eilverfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Überprüfung ein Erfolg im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Im vorliegenden Fall ergibt die summarische Prüfung, dass die vom Antragsteller erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird und deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides (und Widerspruchsbescheides) bestehen.
2.1 Anwendung findet vorliegend nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 7 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) in der Fassung vom 26. Juni 2018 (GVBl S. 449) das Kommunalabgabengesetz in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (der Bek. v. 4.4.1993, GVBl S. 264, zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.5.2018, GVBl S. 230).
Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung oder Verbesserung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen sollen – nach der hier geltenden alten Gesetzeslage – gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG solche Beiträge erhoben werden (Straßenausbaubeiträge), soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Bundesrecht zu erheben sind.
2.2 Mängel an der der Beitragserhebung zugrundeliegenden gemeindlichen Satzung werden im Eilverfahren nicht geltend gemacht.
2.3 Die erhobenen Einwendungen greifen bei summarischer Prüfung nicht durch. Dazu gilt Folgendes:
2.3.1 Im Straßenausbaubeitragsrecht wird einem Grundstück eine vorteilsrelevante, die Beitragserhebung rechtfertigende Möglichkeit der Inanspruchnahme grundsätzlich durch die nächste von ihm aus zu erreichende selbständige Verkehrseinrichtung vermittelt, wobei es – anders als im Erschließungsbeitragsrecht – nicht darauf ankommt, ob diese Straße dem Grundstück eine wegemäßige Erschließung vermittelt; die qualifizierte Möglichkeit der Inanspruchnahme als solche genügt (vgl. zu allem BayVGH, U.v. 14.4.2011 – 6 BV 08.3182 – juris – und U.v. 25.9.2018 – 6 B 18.342 juris).
Grundsätzlich reicht die Eigentümeridentität sowie die einheitliche Nutzung eines Grundstücks nicht allein als Anhaltspunkt aus, die abzurechnende Straße werde über das Anliegergrundstück vom (nicht gefangenen) Hinterliegergrundstück aus ungeachtet dessen direkter Anbindung an seine „eigene“ Straße in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris). Vorliegend ist aber eine einheitliche Nutzung beider Grundstücke FlNrn. … 4 und … 5 als landwirtschaftliches Anwesen gegeben, die für eine Inanspruchnahme in nennenswertem Umfang auch durch das streitgegenständliche Grundstück ein starkes Indiz darstellt.
Beim streitgegenständlichen Grundstück FlNr. 4 …/0 handelt es sich zudem – bei summarischer Prüfung – entgegen der Auffassung der Antragstellerseite um ein sog. gefangenes Hinterliegergrundstück. Das Grundstück des Antragstellers FlNr. … 4 ist unstreitig von der abgerechneten Maßnahme erschlossen. Das Grundstück FlNr. … 5, das im Streit steht, hat aber keine anderweitige gesicherte Erschließung. Es grenzt an das Grundstück FlNr. 4…/4, dieses grenzt an das Grundstück FlNr. 9… und dieses an das Grundstück FlNr. 1 … Diese drei letztgenannten Grundstücke stehen im Eigentum der Flurbereinigungsgenossenschaft Ettleben, die einer Widmung dieser Grundstücke als „öffentlicher Weg“ nicht zustimmt. Ungeachtet dessen sind diese Flurbereinigungswege auch schon von der Lage her – bei summarischer Prüfung – ausbaubeitragsrechtlich selbständige zu qualifizierende Verkehrseinrichtungen, die das Grundstück des Antragstellers von den nördlich, südlich und westlich gelegenen öffentlich gewidmeten Erschließungsstraßen abkoppeln. Die Zufahrt über diese Flurbereinigungswege kann deshalb allenfalls für landwirtschaftliche Fahrzeuge zulässig sein, nicht aber für alle sonstigen Fahrzeuge.
Deshalb ist eine Nutzung der abgerechneten Straße vom streitgegenständlichen Grundstück FlNr. … 5 aus über das Grundstück FlNr. … 4 im nennenswerten Umfang als überwiegend wahrscheinlich anzunehmen.
Es kommt im Ausbaubeitragsrecht deshalb auf die von der Antragstellerseite selbst vorgenommene Einstufung der vorgenannten Flurbereinigungswege als „tatsächlich öffentliche Wege“ nicht an. Die Löschung des Geh- und Fahrtrechts durch den Antragsteller auf seinem Grundstück FlNr. … 4 hat im Hinblick auf die Eigentümeridentität keine entscheidungserhebliche Bedeutung; die Frage des Rechtsmissbrauchs – die die Antragstellerseite selbst aufwirft – insoweit ebenfalls nicht.
Nach alledem war der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Der Streitwert folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 3, § 63 Abs. 2 GKG. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO von einem Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwertes auszugehen (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).