Baurecht

Streit um Erhebung von Vorausleistungen für eine Erschließungsanlage

Aktenzeichen  RN 4 K 15.422

Datum:
9.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 125, § 133 Abs. 3 S. 1
VwGO VwGO § 155 Abs. 1 S. 1, § 162 Abs. 3 S. 2
ZPO ZPO § 709

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 28.11.2008 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes 2 … vom 19.10.2011 werden aufgehoben, soweit die festgesetzte Vorausleistung einen Betrag in Höhe von 33.582,22 € übersteigt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Verfahrenskosten tragen die Beklagte zu 81% und die Klägerin zu 19%.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war für die Klägerin notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet, soweit die Beklagte mit Bescheid vom 28.11.2009 eine höhere Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag als 33.582,22 € festgesetzt hat. Insoweit ist der Bescheid aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die der Abrechnung zugrundeliegende Annahme einer einheitlichen Erschließungsanlage bestehend aus den im Bescheid genannten Verkehrseinrichtungen bzw. Straßenzügen hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Gemäß § 3 Abs. 2 der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 12.5.1992 wird der beitragsfähige Erschließungsaufwand für die einzelne Erschließungsanlage ermittelt. Abweichend hiervon kann die Beklagte den beitragsfähigen Erschließungsaufwand für mehrere Anlagen, die für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit bilden, er-mitteln.
Für die Bestimmung einer Erschließungsanlage ist die natürliche Betrachtungsweise ausschlaggebend, wobei der Blickwinkel eines Betrachters am Boden heranzuziehen ist, ggf. ist der Straßenverlauf von mehreren Standorten aus in verschiedener Richtung zu beurteilen. Der ausschlaggebende Gesamteindruck hat sich an der Straßenführung, der Straßenlage, der Straßenbreite und der Straßenausstattung auszurichten. Umschrieben wird das in der Rechtsprechung mit der Frage, auf welcher Trasse der Verkehrsteilnehmer den Eindruck hat, auf derselben Straße zu bleiben, und auf welcher er den Eindruck gewinnt, abzubiegen. Die im Einzelfall gebotene Berücksichtigung des Bauprogramms soll verhindern, die Erschließungsanlage nach Art einer Momentaufnahme zu bestimmen. Denn Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB ist dasjenige, was sich nicht nur aus einem vorübergehenden Zustand, sondern bei endgültiger Realisierung der erkennbaren gemeindlichen Planung als zusammengehöriger Bestandteil des Straßennetzes der Gemeinde darstellt. Zugrunde zu legen ist somit der Zustand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht, also nach Durchführung der Herstellungsmaßnahme, wobei bei Erhebung einer Vorausleistung prognostisch nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung zu beurteilen ist, wie die Anbau Straße sich nach vollständiger Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms insbesondere im Verhältnis zu den sich anschließenden Straßen darstellen wird (vgl. zum Ganzen Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Rn. 701 mit Hinweis auf die Rechtsprechung insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs).
Für die maßgebliche Sicht eines unbefangenen Beobachters ist es demnach nicht entscheidungserheblich, dass in einem einheitlich genutzten Gebiet, wie hier dem Thermalkurgebiet, eine unterirdische Erschließung, einheitliche Regelung des oberirdischen Verkehrs mit E-Gas, einheitliche Zeiten für Lieferverkehr und An- und Abreiseverkehr und ein barrierefreies Erscheinungsbild vorliegen. Es kommt auch nicht darauf an, dass verschiedenartige gestalterische Elemente den Nutzern gleichermaßen zur Verfügung stehen, bei einer getrennten Abrechnung der Einzelanlagen aber die Anlieger z.B. am entsprechend hochwertig ausgebauten 6 …-Platz unverhältnismäßig höher belastet werden. Diese Kriterien sind nicht geeignet, eine Zusammengehörigkeit der von der Beklagten eingezogenen Verkehrsflächen zu begründen. Auch die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 30.1.2013 – 9 C 1.12 -) zur Erschließungseinheit trägt eine Zusammenfassung in der erfolgten Form nicht. Mit dem Fall mehrerer funktional von einer Hauptstraße abhängigen Neben Straße ist das hier zusammengefasste Gebiet verschiedenartiger Anlagen nicht vergleichbar. Maßgeblich ist aus Sicht des Gerichts lediglich die 5 …promenade mit der Fl.Nr. 602/39 beginnend im Norden bei der Einmündung in den …-Platz (Fl.Nr. 810) bis zu Beginn des Wendehammers im Süden.
2. Zu dieser Erschließungsanlage gehört zumindest die südlich des klägerischen Grundstücks nach Westen verlaufende „Stich Straße“. Es handelt sich um eine 58 m lange befestigte Fläche. Nach dem Bauprogramm der Beklagten dient sie als Gehweg dem gleichen Zweck wie die 5 …promenade. Die 5 …promenade ist laut Eintragungsverfügung der Beklagten vom 16.11.1999 gewidmet als „beschränkt öffentlicher Weg – Fußgängerbereich“, mit der Widmungsbeschränkung „Nur für den Fußgängerverkehr, mit Ausnahme des Sonderverkehrs (z.B. Elektrofahrzeuge), sowie des Lieferverkehrs zu bestimmten Tageszeiten“. Diese „Stich Straße“ war ausweislich des Plans vom 14.10.1997, der dem Verwendungsnachweis an die Regierung von Niederbayern gleichen Datums beiliegt, als Gehweg geplant. In dieser Form ist sie auch hergestellt worden.
Nachweise dafür, dass die Beklagte ihr Bauprogramm insoweit geändert hätte und stattdessen diese Stich Straße als Durchgangs Straße zu dem parallel zur 5 …promenade verlaufenden Wanderweg geplant hätte, liegen nicht vor. Im Deckblatt Nr. 39 zum Bebauungsplan Thermalbad 1 … vom 3.3.2008 ist zwar diese südliche „Stich Straße“ durchgehend bis zu dem Wanderweg dargestellt. Dies belegt indes nicht, dass die Beklagte tatsächlich ihr Bauprogramm dahingehend geändert hätte, diese „Stich Straße“ weiterzuführen. Auch im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bei Erlass des Widerspruchsbescheids am 19.10.2011 gab es keine Anzeichen dafür, dass das Vorhandensein dieser „Stich Straße“ lediglich vorübergehend sein sollte, (z.B. im Zusammenhang mit einem Baustopp) und in absehbarer Zeit weitergebaut werden sollte. Maßgeblich ist dasjenige, was sich nicht nur nach einem vorübergehenden Zustand, sondern bei endgültiger Realisierung der erkennbaren gemeindlichen Planung als zusammengehöriger Bestandteil des Straßennetzes darstellt (vgl. Matloch/Wiens a.a.O., Rn 701 m.w.N.). Hätte die Beklagte zunächst den Weiterbau geplant, hätte sie – da derartige Planungen nicht (mehr) bestehen – eine weitere Änderung ihres Bauprogramms hinsichtlich des Beibehalts des jetzigen Zustands durchführen müssen. Hierfür gibt es keine Anhaltspunkte.
3. Eine Vorausleistung ist nur solange zulässig, als die (endgültige) sachliche Beitragspflicht noch nicht entstanden ist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB).
Es fehlt vorliegend nicht am Grunderwerb für die beanspruchten Grundstücke für die 5 …promenade. Wie aus dem vorgelegten Plan „Eigentumsverhältnisse/Dienst-barkeiten“ (Bl. 177 der Gerichtsakte) ersichtlich ist, befindet sich ein Teil der Grund-stücke im Eigentum der Beklagten, im Übrigen bestehen Dienstbarkeiten zu Gunsten der Beklagten. Nach § 8 Abs. 4 der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten ist als Merkmal der endgültigen Herstellung eine Dienstbarkeit an den für die Erschließungsanlage erforderlichen Grundstücke ausreichend.
Es fehlt jedoch unstreitig am Grunderwerb für die südliche „Stich Straße“ und an deren Widmung. Die zwischen den Beteiligten strittige Frage, ob die Widmungsverfügung vom 16.11.1999 bereits die gesamte Fläche der 7 …straße und damit auch das Teilstück auf Fl.Nr. 818 erfasst, kann damit dahingestellt bleiben.
4. Die Frage einer planabweichenden Ausführung dieser südlichen „Stich Straße“ im Hinblick auf die Darstellung im Deckblatt 39 zum Bebauungsplan stellt sich bei der Vorausleistungserhebung nicht. Die Voraussetzungen des § 125 BauGB (Rechtmäßigkeit der Herstellung) müssen bei der Vorausleistung nicht erfüllt sein (vgl. Matloch/Wiens a.a.O., Rn 1410 m.w.N.).
5. Dass die Kosten für die südliche „Stich Straße“ nicht in der Vergleichsberechnung vom 15.2.2013 enthalten sind, verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zudem ist eine Deckungsgleichheit mit dem noch zu fordernden endgültigen Erschließungsbeitrag nicht erforderlich (vgl. Matloch/Wiens a.a.O., Rn 1428 m.w.N.).
6. Seitens der Beteiligten wurden keine Einwendungen gegen die Richtigkeit der Vergleichsberechnung vom 15.2.2013 erhoben. Anhaltspunkte, die die Richtigkeit der Berechnung in Frage stellen, sind nicht ersichtlich. Damit war der Klage in dem im Entscheidungssatz enthaltenen Umfang stattzugeben.
Kosten: § 155 Abs. 1 Satz 1 Vw1GO.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig (§ 162 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO, § 709 ZPO.
Gründe i.S.d. § 124 Abs. 2 VwGO, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor.


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