Baurecht

Toskana-Haus ohne Ortsbildbeeinträchtigung

Aktenzeichen  1 BV 17.1634

Datum:
12.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2019, 632
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 9 Abs. 1, Abs. 4, § 34 Abs. 1
BayBO Art. 81 Abs. 2 S. 1
GG Art. 14 Abs. 1 S. 1
GO Art. 23

 

Leitsatz

1. Der Bundesgesetzgeber hat den Landesgesetzgeber in § 9 Abs. 4 BauGB nur ermächtigt, zusätzlich zu den städtebaulichen Festsetzungen gemäß § 9 Abs. 1 BauGB bauordnungsrechtliche Festsetzungen in den Bebauungsplan aufzunehmen. (Rn. 19)
2. Die Regelung des Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO gibt der Gemeinde nicht die Befugnis, einen Bebauungsplan allein für ortsgestalterische Festsetzungen zu erlassen. (Rn. 20)

Verfahrensgang

M 11 K 16.1754 2017-05-04 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Beigelade trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beigeladenen hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat der Verpflichtungsklage zu Recht stattgegeben, da der Kläger einen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bebauungsplan „Ortskern“ steht dem klägerischen Vorhaben nicht entgegen, da er unwirksam ist (1). Das Bauvorhaben fügt sich gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein (2).
1. Die Regelungen des Art. 81 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BayBO lassen der Gemeinde die Wahl, je nach Zweckmäßigkeit örtliche Bauvorschriften entweder durch eine eigenständige Satzung nach Art. 23 GO oder im Rahmen der Aufstellung eines Bebauungsplanes zu erlassen (vgl. BayVGH, U.v. 28.7.1998 – 20 N 97.3429 – BayVBl 1999, 340). Mit der Aufnahme lediglich baugestalterischer Festsetzungen in den Bebauungsplan fehlt der Beigeladenen die notwendige Rechtsgrundlage. Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO ermächtigt die Gemeinde nicht, einen Bebauungsplan allein mit Vorschriften über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zu erlassen.
Gemäß § 9 Abs. 4 BauGB können die Länder durch Rechtsvorschriften bestimmen, dass auf Landesrecht beruhende Regelungen in den Bebauungsplan als Festsetzungen aufgenommen werden können und inwieweit auf diese Festsetzungen die Vorschriften des BauGB Anwendung finden. Von dieser Ermächtigung hat der bayerische Gesetzgeber Gebrauch gemacht und in Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO geregelt, dass örtliche Bauvorschriften auch durch Bebauungsplan oder, soweit das Baugesetzbuch dies vorsieht, durch andere Satzungen nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen werden können. Weiter wird bestimmt, dass in diesen Fällen, soweit das Baugesetzbuch kein abweichendes Verfahren regelt, die Vorschriften des Ersten und des Dritten Abschnitts des Ersten Teils, des Ersten Abschnitts des Zweiten Teils des Ersten Kapitels, die §§ 13, 13a, 13b, 30, 31, 33, 36, 214 und 215 BauGB entsprechend anzuwenden sind.
Schon der Wortlaut des § 9 Abs. 4 BauGB („in den Bebauungsplan als Festsetzungen aufgenommen“) weist daraufhin, dass der Bundesgesetzgeber den Landesgesetzgeber nur ermächtigt hat, zusätzlich zu den städtebaulichen Festsetzungen gemäß § 9 Abs. 1 BauGB bauordnungsrechtliche Festsetzungen in den Bebauungsplan aufzunehmen. Nach der Begründung der Gesetzesvorschrift soll ermöglicht werden, dass die städtebauliche Planung und die hiermit zusammenhängenden sonstigen Regelungen des Landesrechts in einem Plan zusammengeführt werden. Dies sei nicht nur sachlich erwünscht, hierdurch werde auch die rechtliche Übersichtlichkeit erleichtert (vgl. BT-Drs. 7/2496 S. 41). Ziel des § 9 Abs. 4 BauGB ist es, landesgesetzlich als Rechtsvorschrift vorgesehene Bestimmungen in das Verfahren der Bauleitplanung zu integrieren. Er eröffnet den Ländern die Möglichkeit eines zusammengefassten Verfahrens. Der Landesgesetzgeber soll die Möglichkeit erhalten, den bundesgesetzlich abschließenden Katalog des § 9 Abs. 1 BauGB zu erweitern (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.1993 – 4 C 22.92 – NVwZ 1994, 1010; B.v. 12.3.1991 – 4 NB 6.91 – NVwZ 1991, 874). Es sollen Festsetzungen in den Bebauungsplan aufgenommen werden können, die in einem sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben des Bebauungsplans stehen. Zweck der Einbeziehungsregelung ist es, ein einheitliches Werk zu schaffen. Das Baugesetzbuch stellt den Bebauungsplan als Rechtsinstitut zur Verfügung, um aus Gründen des Sachzusammenhangs, der planerischen und gestalterischen Koordination und der besseren Übersichtlichkeit zu erreichen, dass all die Regelungen, die für die bauliche oder sonstige Nutzung der Grundstücke in einem Gebiet zu beachten sind, in einem Plan zusammengefasst werden. Auch zugunsten des Bürgers soll ein einheitliches Bebauungsplanverfahren stattfinden (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.1991 a.a.O.; NdsOVG, U.v. 14.9.1990 – 1 Ć 12/88 – BauR 1991, 174; VGH BW, U.v. 22.4.2002 – 8 S 177/02 – BauR 2003, 81; Söfker in Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, Stand Oktober 2018, § 9 Rn. 254, 260; Gaentzsch in Berliner Kommentar, BauGB, 3. Aufl., Stand Februar 2019, § 9 Rn. 77; Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 9 Rn. 216; Spannowsky in Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 3. Aufl. 2018, § 9 Rn. 162). Örtliche Baugestaltungsvorschriften gehören nicht zu den zentralen Regelungen eines Bebauungsplans, sondern ergänzen die maßgeblichen bodenrechtlichen Festsetzungen lediglich (vgl. BVerwG, B.v. 3.11.1992 – 4 NB 28.92 – NVwZ-RR 1993, 286; VGH BW, U.v. 11.3.2009 – 3 S 1953/07 – BauR 2009, 1712). Die Frage, inwieweit die Regelungen des Bebauungsplanverfahrens aufgrund des Planzusammenhangs für die landesrechtlichen Regelungen, die materiell ihren landesrechtlichen Charakter als Normen des Bauordnungsrechts behalten (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.1993 – 4 Ć 22.92 – NVwZ 1994, 1010), anwendbar sind, wenn der Landesgesetzgeber diese nicht ausdrücklich für anwendbar erklärt, ist hier nicht entscheidungserheblich, da Art. 81 Abs. 2 Satz 2 BayBO dies ausdrücklich regelt. Ob die Gemeinde örtliche Bauvorschriften in einen Bebauungsplan aufnimmt oder eine selbständige Gemeindesatzung erlässt, bestimmt sich im Wesentlichen nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit. Im Allgemeinen sind in Bebauungsplänen, die für bestimmte Planungsgebiete aufgestellt werden, zusammen und gleichzeitig mit den planungsrechtlichen Festsetzungen (§ 9 BauGB i.V.m. BauNVO) auch bauaufsichtsrechtliche Regelungen über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen aufzunehmen. Diese gehören für den praktischen Vollzug zusammen und sollten deshalb in einer Rechtsvorschrift niedergelegt werden (vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2007 – 26 N 06.2031 – juris Rn. 34). Eine selbständige Gemeindesatzung kommt hingegen in Betracht, wenn für das gesamte Gemeindegebiet oder für größere Gemeindegebiete Regelungen getroffen werden sollen (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Januar 2016, Art. 81 Rn. 252).
Mit der Aufnahme lediglich baugestalterischer Festsetzungen in den Bebauungsplan „Ortskern“, der den überwiegenden Teil des Gemeindeortes E… umfasst, fehlt der Beigeladenen die notwendige Rechtsgrundlage. Die Gemeinde kann eine Gestaltungssatzung nicht in der Form eines Bebauungsplans erlassen. Sie kann sich nicht darauf berufen, dass der Wortlaut des Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO für den Erlass von örtlichen Bauvorschriften durch Bebauungsplan keine einschränkende Voraussetzung aufstellt. Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO muss in Zusammenhang mit der Ermächtigungsnorm des § 9 Abs. 4 BauGB gelesen und verstanden werden. Der Bundesgesetzgeber hat den Ländern in § 9 Abs. 4 BauGB nur die Möglichkeit eines Verfahrens eröffnet, das städtebauliche und bauordnungsrechtliche Regelungen zusammenfasst (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.1991 – 4 NB 6.91 – NVwZ 1991, 874). Er konnte mit der Öffnung des Bebauungsplanverfahrens für bauordnungsrechtliche Regelungen auch die Voraussetzungen festlegen (vgl. Dr. Gerrit Manssen, Die Aufnahme von auf Landesrecht beruhenden Regelungen in den Bebauungsplan (§ 9 Abs. 4 BauGB), BauR 1991, 697 ff.). Entgegenstehende Anhaltspunkte ergeben sich im Übrigen auch nicht aus einer Gesetzesbegründung. Die Möglichkeit, örtliche Bauvorschriften auch durch Bebauungsplan zu erlassen, ist erst im Gesetzgebungsverfahren der Bayerischen Bauordnung 1962 aufgenommen worden (LT-Drs. 4/3068 S. 76), die Begründung des Gesetzentwurfes kann daher nicht herangezogen werden. In der Begründung der Änderung der Bayerischen Bauordnung vom 1. Januar 1977 wird auf die aktuelle Regelung im BauGB verwiesen (LT-Drs. 8/3929 S. 4), deren Gesetzesbegründung oben dargestellt wurde. Der Einwand der Beigeladenen, dass aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 4 BauGB „aufnehmen in einen Bebauungsplan“ gerade nicht folge, dass der Bebauungsplan weitere Festsetzungen nach BauGB enthalten müsse, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Soweit vorgetragen wird, dass der Gesetzgeber nicht die Formulierung „mitaufgenommen“ gewählt habe, ist diese Formulierung zur Verdeutlichung der Regelung nicht notwendig, sprachlich allerdings schwerfällig. Der Kläger hat hingegen zu Recht darauf hingewiesen, dass sich aus dem Kontext der Regelung in Art. 82 Abs. 2 Satz 1 BayBO ergebe, dass die dort genannten Satzungen bereits einen eigenständigen Regelungsbereich haben müsst en. Denn örtliche Bauvorschriften können nach Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht nur durch Bebauungsplan, sondern auch durch eine Entwicklungssatzung (§ 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauG) oder eine Ergänzungssatzung (§ 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB) erlassen werden. Die Beigeladene hat für die örtlichen Bauvorschriften auch erkennbar die Form des Bebauungsplans gewählt, um die städtebaulichen Instrumente der §§ 14, 15 BauGB, die gemäß Art. 81 Abs. 2 Satz 2 BayBO anwendbar sind, einzusetzen. So wurde mit dem Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan der Beschluss gefasst, die Zurückstellung des Bauvorhabens für 12 Monate gemäß § 15 BauGB zu beantragen. Kurz vor Ablauf der Zurückstellungsfrist wurde eine Veränderungssperre beschlossen. Diese Sicherungsinstrumente für die Planung hätten der Beigeladenen nicht zur Verfügung gestanden, wenn sie sich für eine Gemeindesatzung nach Art. 23 GO entschieden hätte.
Die unzulässig mit einem Bebauungsplan geregelten gestalterischen Belange können dem Bauvorhaben daher nicht entgegenstehen. Ob diese Regelungen auch aus weiteren Gründen unwirksam sind, ist nicht mehr entscheidungserheblich.
2. Das Bauvorhaben fügt sich gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nach Art und Maß der Bebauung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung ein; die Erschließung ist gesichert. Soweit die Beigeladene den fast quadratischen Grundriss des Baukörpers bemängelt, sind die Längen- und Breitenmaße eines Gebäudes keine Bestimmungsgrößen für das Maß der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – BVerwGE 157, 1). Das Vorhaben beeinträchtigt auch nicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB das Ortsbild.
Die Vermeidung einer Ortsbildbeeinträchtigung ist eine eigenständige städtebauliche Voraussetzung. Maßstab des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB ist der Ort; es kommt auf das Ortsbild, also auf das Erscheinungsbild eines größeren Bereichs der Gemeinde an. Dagegen ist die Gestaltung des Bauwerks selbst nicht wichtig. Weiter kommt es beim Beeinträchtigen des Ortsbildes nicht auf eine (fehlende) Übereinstimmung mit der vorhandenen Bebauung an, sondern darauf, ob ein Gesamtbild, das durch unterschiedliche Elemente geprägt sein kann, gestört wird. Dabei ist zu beachten, dass nicht jedes Ortsbild schützenswert ist, nur weil es durch eine gewissen Einheitlichkeit oder Gleichartigkeit der Bebauung oder einzelner Elemente der Bebauung geprägt ist. Das Ortsbild muss, um schützenswert zu sein und die Bau(gestaltungs) freiheit des Eigentümers einschränken zu können, eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit haben. Dies ist nicht das Ortsbild, wie es überall anzutreffen sein könnte. Weiter wird das Ortsbild nur insoweit vor Beeinträchtigungen geschützt, wie dies im Geltungsbereich eines Bebauungsplans durch planerische Festsetzungen möglich wäre (vgl. zu diesen Grundsätzen BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14.98 – NVwZ 2000, 1169).
Nach diesen Maßgaben liegt eine Ortsbildbeeinträchtigung, insbesondere auch durch die gewählte Dachform, nicht vor. Die Gemeindevertreter stören sich daran, dass mit dem Bauantrag ein „Toskana-Haus“ als neue Bauform in die Gemeinde gebracht wird. Unabhängig von der Tatsache, dass eine planerische Festsetzung einer Dachform nach § 9 Abs. 1 BauGB nicht möglich ist, konnte sich der Senat vor Ort überzeugen, dass das Vorhaben, das von der Hauptstraße zurückversetzt an einer Stichstraße errichtet werden soll, das Ortsbild nicht beeinträchtigt. In der näheren Umgebung befindet sich eine heterogene Bebauung und Dachlandschaft, das Vorhaben ist auch von der Topographie her nicht weit einsehbar. Es wird dadurch kein Gesamtbild gestört.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 BauGB. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.
4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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