Baurecht

Unbestimmter Grundlagenbeschluss mangels tatsächlicher Umsetzbarkeit

Aktenzeichen  36 S 8087/17 WEG

Datum:
2.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2019, 25062
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 139
WEG § 21 Abs. 4, Abs. 5 Nr. 2

 

Leitsatz

Auch ein Grundlagenbeschluss ist nichtig, wenn er keinen durchführbaren Regelungsgehalt hat. Dies ist der Fall, wenn er auf einen Plan Bezug nimmt, der – hier bezüglich der Grundstücksgrenzen – nicht mit der Realität übereinstimmt, so dass die Baumaßnahme – hier Stellplätze – nicht auf dem Grundstück der Gemeinschaft durchzuführen wäre. (Rn. 13 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 C 1000/16 WEG 2017-04-28 Urt AGSTARNBERG AG Starnberg

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten zu 2) gegen das Urteil des Amtsgerichts Starnberg vom 28.04.2017, Az. 3 C 1000/16 WEG, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte zu 2) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Starnberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO ist eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit der Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen entbehrlich, da gegen das vorliegende Urteil unzweifelhaft kein Rechtsmittel zulässig ist (Thomas/Putzo, 36. Aufl. 2015, ZPO, § 540 Rn. 5 m.w.N.). Die Revision wurde nicht zugelassen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO ausgeschlossen, da der Beschwerdewert vorliegend zwanzigtausend Euro eindeutig nicht übersteigt.
II.
Die Berufung des Beklagten zu 2) ist zulässig, aber unbegründet.
Die Berufung wurde frist- und formgerecht gemäß §§ 517, 519 ZPO und unter Beachtung der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen eingelegt.
Das Rechtsmittel des Beklagten zu 2) hat aber in der Sache keinen Erfolg, da das Amtsgericht im Ergebnis zutreffend die Beschlüsse zu TOP 4.4.1 und TOP 4.4.2 der Eigentümerversammlung vom 25.07.2016 für ungültig erklärt hat.
Im Einzelnen ist hierzu folgende Begründung seitens des Berufungsgerichts gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO veranlasst:
1. TOP 4.4.1
Der Beschluss zu TOP 4.4.1 ist nichtig, da er keine durchführbare Regelung enthält.
Ein Beschluss, der keine durchführbare Regelung zum Gegenstand hat, ist nichtig.
Er muss einen durchführungsfähigen Inhalt haben, damit er in die Praxis umgesetzt werden kann (Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 11. Aufl., § 23 Rn. 81 m.w.N.; Bartholome, in: BeckOK-WEG, § 23, Rn. 63).
An einem solchen durchführbaren Regelungsgehalt des Beschlusses fehlt es hier.
Die Kammer verkennt zunächst nicht, dass es sich insoweit um einen reinen Grundbeschluss handelt, welcher lediglich besagt, dass die Stellplätze ST 1 bis ST 4 gemäß Teilungserklärung hergestellt werden, während das „Wie“ der Herstellung einer gesonderten Beschlussfassung vorbehalten bleiben soll. Um überhaupt einen umsetzbaren Regelungsgehalt zu haben, muss der zweifellos intendierte Beschluss über das „Ob“ der Maßnahme jedoch zumindest die von der geplanten baulichen Maßnahme betroffenen Flächen erkennen lassen.
a) Der Beschluss ist zwar entgegen der Ansicht der Klagepartei nicht schon deshalb zu beanstanden, weil im Beschlusswortlaut nicht auf den Nachtrag zur Teilungserklärung vom 27. November 2006 verwiesen wurde. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf den maßgeblichen Plan ist bei einem Grundbeschluss zur Herstellung eines ordnungsgemäßen Zustands des gemeinschaftlichen Eigentums im Bereich eines Sondernutzungsrechts grundsätzlich nicht erforderlich, da die Begründung eines Sondernutzungsrechts sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsätzen genügen muss.
aa) Nach § 21 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 WEG kann jeder Wohnungseigentümer von den übrigen Mitgliedern der Eigentümergemeinschaft verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum plangerecht hergestellt wird, da unter Instandsetzung auch die erstmalige Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu verstehen ist (BGH, ZWE 2016, 329 ff.; BGH, NJW 2016, 473 ff.; BGH, NJW 2015, 2027 ff.). Dabei ist für die Bestimmung des ordnungsgemäßen Anfangszustands in erster Linie auf die Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung nebst dem Aufteilungsplan abzustellen (BGH, a.a.O.).
Jeder Wohnungseigentümer hat grundsätzlich einen entsprechenden Anspruch auf ordnungsgemäße Erstherstellung der im durch die Gemeinschaftsordnung in Bezug genommenen Sondernutzungsflächenplan dargestellten Stellplätze mit den Maßen und der Lage, wie sie sich aus diesem ergeben (vgl. zu einem solchen Anspruch BayObLG, ZWE 2000, 312, 313 betreffend die Errichtung einer im Aufteilungsplan enthaltenen Treppe; BayObLG, ZMR 1995, 87 betreffend die Verlegung von Abwasserrohren; BayObLG, ZMR 2000, 38 betreffend die Errichtung einer im Aufteilungsplan vorgesehenen Sichtbetonmauer).
Darüber hinaus enthält der Nachtrag zur Teilungserklärung vom 27.11.2006 keine Regelung im Hinblick auf die beschlussgegenständlichen Stellplätze ST 1 bis ST 4. Neben anderen Regelungen werden lediglich die Sondernutzungsrechte betreffen der Stellplätze ST 5 und ST 8 neu eingeräumt bzw. zugewiesen. Die Grundsätze der Grundbuchauslegung lassen es nicht zu, dem bloßen Umstand, dass der dem Nachtrag in Bezug genommene Plan eine gegenüber dem der Teilungserklärung beigefügten Sondernutzungsflächenplan abweichende Darstellung auch der Stellplätze ST 1 bis ST 4 enthält, ohne einen den Grundsätzen der Grundbuchklarheit entsprechenden Anhaltspunkt in der Eintragungsbewilligung oder dem Wortlaut der Nachtragsurkunde einen Regelungsgehalt dahingehend beizumessen, dass die Lage der Stellplätze ST 1 bis ST 4 geändert werden soll.
bb) Die fehlende Durchführbarkeit der getroffenen Regelung ergibt sich im vorliegenden Einzelfall vielmehr daraus, dass die Stellplätze ST 1 bis ST 4 realiter nicht gemäß Planlage hergestellt werden können. Der der Teilungserklärung beigefügte Sondernutzungsflächenplan berücksichtigt nicht den rechtlichen, sich aus dem amtlichen Lageplan ergebenden Verlauf der Grundstücksgrenze. Diese verläuft entgegen der Darstellung im Sondernutzungsflächenplan nicht in einem Abstand von etwa 4 Metern parallel zum Wohnhaus, sondern weist – wie auch der gerichtliche Sachverständige R. zutreffend in seinem Gutachten vom 27.02.2017 dargestellt hat -, straßenseitig im Bereich der geplanten Stellplätze ST 1 bis ST 4 einen Versprung von etwa 80 cm auf. Dies führt dazu, dass ein nicht unerheblicher Teil des ST 1 gemäß Sondernutzungsflächenplan nicht auf dem Grundstück der Wohnungseigentümergemeinschaft liegt, sondern auf öffentlichem Grund. Dieser Umstand wurde offenbar im Rahmen des dem Nachtrag zur Teilungserklärung vom 27.11.2006 beigefügten Plans berücksichtigt, jedoch die Vereinbarung bezüglich der Lage der Stellplätze ST 1 bis ST 4 nicht entsprechend abgeändert.
Dies führt vorliegend dazu, dass ausnahmsweise eine Bezugnahme auf den der Teilungserklärung beigefügten Sondernutzungsflächenplan nicht genügt, um eine durchführbare Grundentscheidung im Hinblick auf die Errichtung der Stellplätze ST 1 bis ST 4 zu treffen.
Damit enthält der Beschluss zu TOP 4.4.1 keine vollziehbare Regelung, da völlig unklar ist, wie der ST 1 hergestellt werden soll, wenn der tatsächliche Verlauf der Grundstücksgrenze nicht mit den im Plan dargestellten Gegebenheiten übereinstimmt. Der Beschluss ist insoweit letztlich perplex, da er einerseits nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass auf einer Fläche, welche nicht zum gemeinschaftlichen Grundstück gehört, ein Stellplatz errichtet werden soll. Es kann jedoch auch nicht im Wege der Auslegung bestimmt werden, an welcher Stelle die Errichtigung der Stellplätze stattdessen erfolgen soll. Der Beschluss leidet mithin an denselben Mängeln wie der in Bezug genommene Sondernutzungsflächenplan. Eine Auslegung des Beschlusses dahingehend, dass die Errichtung nach einem insoweit rechtlich nicht maßgeblichen Plan – etwa dem der Nachtragsurkunde vom 27.11.2006 beigefügten Plan- erfolgen soll, lässt sich mit dem Beschlusswortlaut nicht vereinbaren.
c) Dies führt vorliegend auch nicht lediglich zu einer Teilnichtigkeit des Beschlusses, sondern hat nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB die Gesamtnichtigkeit desselben zur Folge.
Bei Teilnichtigkeit eines einheitlichen Rechtsgeschäfts sieht § 139 BGB im Zweifel die Nichtigkeit des gesamten Geschäfts vor. Die Aufrechterhaltung des von der Nichtigkeit nicht betroffenen Teils kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn angenommen werden kann, dass das Geschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Die Aufspaltung in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil setzt also voraus, dass konkrete, über allgemeine Billigkeitserwägungen hinausgehende Anhaltspunkte den Schluss rechtfertigen, dass die Aufspaltung dem entspricht, was die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit ihrer Vereinbarung geregelt hätten (BGH NJW 2009, 1135, 1137 NJW 2001, 815, 817).
Der hypothetische Wille ist hierbei, nachdem das zu betrachtende Rechtsgeschäft eine wohnungseigentumsrechtlicher Beschluss ist, durch objektiv-normative Beschlussauslegung zu ermitteln.
Da die Planlage realiter nicht hergestellt werden kann, haben sämtliche Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Anpassung der Teilungserklärung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten. Wie eine solche Anpassung im Ergebnis aussehen wird, erscheint derzeit völlig offen. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass der hypothetische Wille der Wohnungseigentümer dahin geht, die Stellplätze 2-4 bereits realiter zu schaffen, obwohl völlig offen ist, wie hier ein Interessenausgleich geschaffen werden kann.
2. TOP 4.4.2
Der Beschluss zu TOP 4.4.2 dient rein der Umsetzung des Beschlusses zu TOP 4.4.1 und steht und fällt daher mit diesem (§ 139 BGB).
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
2. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit unterbleibt auch dann nicht, wenn die Revision nicht zugelassen ist (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl., § 708 Rn. 11). Gem. § 713 ZPO hat die Kammer davon abgesehen, eine Abwendungsbefugnis i.S.v. § 711 ZPO auszusprechen, da die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen. Die Revision wurde nicht zugelassen; eine Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO ausgeschlossen, da der Beschwerdewert vorliegend zwanzigtausend Euro eindeutig nicht übersteigt. Entscheidend ist insoweit die Einschätzung des Berufungsgerichts (vgl. Thomas/Putzo, a.a.O., § 713 Rn. 2 für die Rechtsmittelsumme).
4. Die Streitwertfestsetzung erfolgte bereits in der mündlichen Verhandlung vom 07.06.2018.


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