Aktenzeichen M 9 K 16.758
Leitsatz
Bei der Regelung des Maßes der baulichen Nutzung im Bebauungsplan ist zwingend die Grundflächenzahl oder die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen festzusetzen. Fehlt eine ausdrückliche Festsetzung der Grundfläche, sind die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung ungültig. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid vom 21. Januar 2016 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Tekturantrag vom 29. April 2015 neu zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte, die Beigeladene und die Klägerin haben die Kosten des Verfahrens je zu einem Drittel zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2016 war aufzuheben, da der Bebauungsplan Nr. 26 „Im K. winkel“ in der hier maßgeblichen Fassung der zweiten Änderung vom 30. August 2004 für das verfahrensgegenständliche Baugrundstück unwirksam ist und die ursprüngliche Fassung dieses Bebauungsplans, bekannt gemacht am 4. Mai 1992, hinsichtlich der dort vorgesehenen Festsetzungen durch die jetzt auf dem Vorhabensgrundstück vorhandene Bebauung gegenstandslos geworden ist (1). Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung für ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten und vier weiteren Stellplätzen, da sowohl hinsichtlich des Tatbestands als auch der Rechtsfolgenseite des hier maßgeblichen § 34 BauGB Alternativen möglich sind; dies gilt insbesondere für die Stellplatzsituierung (2.). Der Beklagte war daher wie hilfsweise beantragt zur Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten und die Klage im Übrigen abzuweisen (3.).
1. Der Bebauungsplan in der hier maßgeblichen Fassung ist für das Baugrundstück Fl.Nr. 1/8 und 1/9 unwirksam, da er gegen § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO verstößt. Nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ist bei der Regelung des Maßes der baulichen Nutzung im Bebauungsplan zwingend die Grundflächenzahl oder die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen festzusetzen (BayVGH B.v. 31.1.2017 – 1 NE 16.2191). Im vorliegenden Fall fehlt eine ausdrückliche Festsetzung der Grundfläche. Festgesetzt wurden zum Maß der baulichen Nutzung lediglich die Geschossfläche und die Baugrenzen für das bereits genehmigte südliche Mehrfamilienhaus und das hier verfahrensgegenständliche Vorhaben im nördlichen Teil des Grundstücks, sowie die maximal zulässige Wandhöhe gemäß Art. 6 Abs. 3 BayBO sowie die Flächen insbesondere für Garagen, Tiefgaragen und für Stellplätze. Die Größe der Grundfläche der baulichen Anlage fehlt. Die Festsetzung von Baugrenzen in Kombination mit der Geschossflächenzahl genügt nicht, um die bereits nach ihrem Wortlaut zwingende Regelung einer Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung durch Grundflächenzahl oder Größe der Grundfläche der baulichen Anlage nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zu erfüllen (BVerwG B.v. 18.12.1995; BayVGH B.v. 31.1.2017 1 NE 16.2191 und U.v. 7.11.2012 1 N 10.2417). Da hier die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung ungültig sind, ist der Bebauungsplan in dem hier verfahrensgegenständlichen Bereich nach der bei der Überprüfung von Baugenehmigungen durch das Verwaltungsgericht allein zulässigen Inzidentkontrolle unwirksam. Ohne eine Festsetzung der Grundflächenzahl beziehungsweise der Größe der Grundfläche lassen die alleinige Festsetzungen der Geschossfläche und zur zulässigen Wandhöhe keine Rückschlüsse auf eine sinnvolle städtebauliche Regelung zu. Unter dem Gesichtspunkt, eine übermäßige Nutzung zu Gunsten des Bodenschutzes durch eine Regelung nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zu vermeiden, verbleibt keine sinnvolle Festsetzung mehr, die ohne den unwirksamen Teil weiter gehen könnte. Die verbleibenden Festsetzungen sind für sich alleine betrachtet keine sinnvolle städtebauliche Regelung.
Da der Bebauungsplan Nr. 26 „Im K. winkel“ in der ursprünglichen Fassung von 1991 für das Vorhabensgrundstück völlig andere bauliche Festsetzungen enthält und hier bereits zwei genehmigte Mehrfamilienhäuser stehen, kann auf diese Festsetzungen nicht mehr zurückgegriffen werden. Der Bebauungsplan ist für das Vorhabensgrundstück, die damalige FlNr. 1 funktionslos geworden und hat keine Geltung mehr.
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nach § 34 BauGB. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dabei gilt nach § 34 Abs. 2 BauGB, dass sich die Art der baulichen Nutzung in einem Baugebiet, dass den Baugebieten der BauNVO entspricht, danach bemisst, ob in einem solchen Baugebiet das Vorhaben allgemein oder ausnahmsweise zulässig wäre. Die Unwirksamkeit des Bebauungsplans führt dazu, dass dieser nicht als Maßstab für das hier beantragte Bauvorhaben eines Mehrfamilienhauses mit fünf Wohneinheiten sowie vier weiteren Stellplätzen, situiert an der Grundstücksgrenze als Quer- und Längsparker entlang der Straße Im K. winkel, herangezogen werden kann. Eine Prüfung, ob sich das beantragte Bauvorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, wurde bisher im Hinblick auf die Festsetzungen des Bebauungsplans durch die dafür zuständige Baugenehmigungsbehörde nicht vorgenommen. Auch eine erneute Einholung des gemeindlichen Einvernehmens, das sich bisher an der Notwendigkeit einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans für Stellplätze orientierte, ist geboten. Dabei ist auf der Grundlage der für ein Mehrfamilienhaus mit zwei Wohneinheiten, erteilten Baugenehmigung vom 24. September 2015, auch zu prüfen, ob eine Erweiterung auf fünf Wohneinheiten im hinteren Grundstücksbereich und damit in zweiter Reihe der umgebenden Bestandsbebauung entspricht. Ferner ist auch zu berücksichtigen, dass das Vorhabensgrundstück zum Einen im Osten an ein Gebiet mit Wohnbebauung und im Westen an die überwiegend gewerbliche Bebauung des Dorfplatzes angrenzt und auch südlich der Straße … Im K. winkel die Pfarrei als kirchliche beziehungsweise soziale Einrichtung dem Baugrundstück gegenüber liegt. Im Hinblick auf die Stellplätze ist dabei zu berücksichtigen, dass die Parkplätze vor der Pfarrei ebenso wie die Parkplätze auf dem Dorf Platz rund um den Maibaum keine Stellplätze sind, die im Sinne des § 12 BauNVO im Baugebiet zulässig sind und die im Zusammenhang mit der Schaffung von Wohnraum nach § 47 BayBO hergestellt werden müssen. Im Hinblick darauf, dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 BauGB noch zu prüfen sind, kann auf der Rechtsfolgenseite keine Verpflichtigung zur Erteilung der Baugenehmigung vorliegen.
3. Der Beklagte war zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Bauantrag zu entscheiden. Dabei ist im Hinblick auf die Situierung der Stellplätze auch zu beachten, dass wegen der hier angenommenen Unwirksamkeit des Bebauungsplans u.U. die Möglichkeit besteht, die Stellplätze an anderer Stelle auf dem Grundstück, z.B. entlang der Grenze zum Nachbargrundstück, anzuordnen. Soweit dies nach dem Ergebnis des Augenscheins erkennbar war, gibt es im Bereich des Vorhabensgrundstücks und entlang der Straße … Im K. winkel Richtung Osten zwar Parkplätze entlang der Straße, als auch Längsparker, jedoch keine Stellplätze im Vorgartenbereich als Längsparker parallel zur Straße. Eine Heranziehung der Parkplätze vor öffentlichen Gebäuden als Bezugsfall für die Stellplatzanordnung eines Wohngrundstücks ist wegen des unterschiedlichen Nutzungszwecks und der fehlenden Vergleichbarkeit rechtlich nicht geboten.
Da die Klage im Hilfsantrag Erfolg hatte, war sie hinsichtlich des Hauptantrags im Übrigen abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.