Aktenzeichen Verg 10/21
Leitsatz
In Ausnahmefällen kann der Streitwert nach § 50 Abs. 2 GKG herabgesetzt werden.
Verfahrensgang
3194. Z3_01-21-25 — VKSUEDBAYERN Vergabekammer München
Tenor
I. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Antragsgegners trägt die Antragstellerin. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.
II. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 3.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens war eine Defacto-Vergabe.
Der Antragsgegner hat im Wege einer öffentlichen Ausschreibung nach der Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UVgO) zur Angebotsabgabe aufgefordert. Bis zum Schlusstermin haben u .a. die Antragstellerin und die Beigeladene Angebote eingereicht. Nachdem der Antragstellerin mitgeteilt worden war, dass auf ihr Angebot der Zuschlag nicht erteilt werden könne, hat sie den Ausschluss ihres Angebots gerügt und insbesondere ausgeführt, der Auftrag – sollte der Zuschlag bereits anderweitig erteilt worden sein – sei nach § 135 GWB von Anfang an unwirksam. Das Vergabeverfahren müsse daher wiederholt werden und europaweit ausgeschrieben werden.
Nachdem der Antragsgegner auf die Rüge nicht reagiert hatte, hat die Antragstellerin mit anwaltlichem Schreiben vom 24. April 2021 einen Nachprüfungsantrag gestellt. Ausweislich des Submissionsprotokolls seien bis auf das Angebot der Antragstellerin alle eingegangenen Angebote dem Oberschwellenbereich zuzuordnen. Der Antragsgegner habe zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung keine sachgerechte Auftragswertschätzung durchgeführt, wenn sogar der Hersteller des Referenzmaterials laut Leistungsverzeichnis über der Wertgrenze liege. Der Antragsgegner habe gegen die Informations- und Wartepflichten aus § 134 GWB verstoßen und auch die Vergabe ohne Veröffentlichung im EU-Amtsblatt durchgeführt. Dies habe zur Folge, dass auch im nationalen Vergabeverfahren § 134 GWB zu beachten sei und ein möglicher Zuschlag an ein bisher unbekanntes Unternehmen nach § 135 Abs. 1 GWB von Anfang an unwirksam sei. Im Schriftsatz vom 18. Mai 2021 hat sie ergänzend ausgeführt, sie habe ein Rechtsschutzinteresse im Umfang ihrer gestellten Anträge. Für den Antrag zu 1. verstehe sich das schon deshalb, weil sie an ihr Angebot nicht mehr gebunden sei wie die anderen Bieter auch. Sie müsse neu anbieten können und dürfen, wenn weiter Beschaffungsabsicht bestehe, und zwar nach Maßgabe der Normen, die für den Oberschwellenbereich bestünden. Es sei nicht auszuschließen, dass dann Angebote anders gewertet werden müssten und anders gewertet würden.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1.Der Antragsgegnerin wird bei fortbestehender Beschaffungsabsicht aufgegeben, ein erneutes Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen.
2.Ein zwischen der Antragsgegnerin und einem anderen Lieferanten geschlossener Liefervertrag, der aus dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren resultiert, wird für unwirksam erklärt.
3.…
4.…
Der Antragsgegner hat beantragt,
gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB festzustellen, dass der öffentliche Auftrag von Anfang an unwirksam sei.
Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses zurückzuweisen. Maßgeblich sei der EU-Schwellenwert von 214.000 Euro (netto). Bei der streitgegenständlichen Lieferung von Granitwerkstücken handele es sich nach dem Wortlaut und der systematischen Auslegung des § 3 Abs. 6 VgV nicht um einen Bauauftrag. Der Auftragswert sei anhand des bepreisten Leistungsverzeichnisses auf 249.656 Euro (netto) geschätzt worden. Unabhängig von der Ordnungsmäßigkeit der Kostenschätzung sprächen die eingegangenen Angebote der Bieter dafür, dass der Auftragswert bei ordnungsgemäßer Schätzung über dem EU-Schwellenwert hätte liegen müssen. Auf das preislich günstigste Angebot, das unter dem Schwellenwert gelegen habe, hätte nicht abgestellt werden dürfen. Da neben dem Preis mit 40% auch die Optik der Granitwerkstücke mit 60% in die Wertung einfließe, sei auch dieses nichtpreisliche Zuschlagskriterium angemessen im Preis zu kalkulieren. Somit sei bei der Kostenschätzung bei nichtpreislichen Zuschlagskriterien nicht auf das prognostizierte preislich günstigste Angebot, sondern auf den geschätzten zahlbaren Gesamtbetrag abzustellen.
Der Tenor des Beschlusses der Vergabekammer vom 19. Juli 2021 lautet:
1. Es wird festgestellt, dass der mit Zuschlagserteilung vom 26. März 2021 zustande gekommene Vertrag über die Lieferung von Granitpflastersteinen und Granitplatten für das Bauvorhaben „Neugestaltung der … straße“ zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen von Anfang an unwirksam ist.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Der Antragsgegner ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
3. …
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
Die Antragstellerin hat mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 6. August 2021 eine Ergänzung des Beschlusses der Vergabekammer dahingehend begehrt, dass der Antragsgegnerin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht aufgegeben werde, ein erneutes Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts durchzuführen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 15. September 2021 darauf hingewiesen, dass er die sofortige Beschwerde der Antragstellerin mangels Rechtsschutzbedürfnisses derzeit für unzulässig halte. Habe der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet sei, sei dieser Verstoß nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB festzustellen. Die entsprechende Feststellung in Ziffer 1. des Beschlusstenors der Vergabekammer sei nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Zwar werde in solchen Fällen von den Nachprüfungsinstanzen in entsprechender Anwendung des § 168 Abs. 1 GWB auch die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers ausgesprochen, im Falle fortbestehender Beschaffungsabsicht die streitgegenständlichen Leistungen in einem europarechtskonformen Vergabeverfahren EUweit auszuschreiben. Dies sei im vorliegenden Fall aber nicht geboten. Der Antragsgegner habe bereits in seiner Antragserwiderung anerkannt, dass der Vertrag mit der Beigeladenen von Anfang an unwirksam gewesen sei und Veranlassung für eine europaweite Ausschreibung bestanden habe. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner davon Abstand nehmen könnte. Ein Rechtsschutzbedürfnis nach der begehrten ergänzenden Tenorierung habe die Antragstellerin weder aufgezeigt noch sei dies sonst ersichtlich. Im Fall einer europaweiten Ausschreibung könne die Antragstellerin ein neues Angebot abgeben.
Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2021 hat die Antragstellerin die Beschwerde zurückgenommen.
Sie beantragt,
der Antragsgegnerin die Kosten
a) des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer aufzuerlegen bzw. deren Beschluss insoweit aufrechtzuerhalten,
b) des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
II.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 GWB. Es entspricht – unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands – der Billigkeit (vgl. zu § 78 GWB a. F.: BGH, Beschluss vom 10. April 2018, KVZ 37/17, juris Rn. 13), der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Aus den im Beschluss vom 15. September 2021 dargelegten Gründen wäre die Beschwerdeführerin ohne Rücknahme der sofortigen Beschwerde wahrscheinlich unterlegen. Selbst bei offenem Verfahrensausgang wären ihr die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen gewesen, da sie sich durch die Rücknahme der sofortigen Beschwerde in die Rolle der Unterlegenen begeben hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2021, KVR 96/20, juris Rn. 2).
Es entspricht dagegen nicht der Billigkeit, den Betroffenen auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, denn sie hat sich am Beschwerdeverfahren nicht aktiv beteiligt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Februar 2020, Verg 21/19, juris Rn. 9).
Bei der Kostenentscheidung der Vergabekammer, deren Richtigkeit die Antragstellerin nicht in Zweifel zieht, hat es sein Bewenden.
Der Streitwert wurde abweichend von § 50 Abs. 2 GKG auf einen Bruchteil von 5% der Bruttoauftragssumme festgesetzt; der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die vor der Vergabekammer erfolgreiche Antragstellerin lediglich eine Verg 10/21 – Seite 6 – Ergänzung des Beschlusses beantragt hat.
Zwar ordnet § 50 Abs. 2 GKG bei den von ihm erfassten Verfahren als pauschalen Streitwert ohne Kürzungsmöglichkeit 5% der Bruttoauftragssumme an (vgl. Elzer in Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, GKG § 50 Rn. 14). Anderes kann aber ausnahmsweise dann gelten, wenn es ausschließlich um Verfahrensfragen geht (Toussaint in BeckOK Kostenrecht, 35. Ed. Stand: 1. Oktober 2021, GKG § 50 Rn. 26) oder wenn es sich um ein atypisches Nachprüfungsverfahren handelt (vgl. OLG München, Beschluss vom 22. November 2012, Verg 24/12, juris Rn. 95).
Hier ist § 50 Abs. 2 GKG zwar anwendbar, da Gegenstand der sofortigen Beschwerde nicht nur eine selbständig anfechtbare Nebenentscheidung war (vgl. OLG Düsseldorf Beschluss vom 13. September 2018, Verg 35/17, juris Rn. 29; Fölsch in Schneider/Volpert, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, GKG § 50 Rn. 30 jeweils m. w. N.). Ziel der Beschwerdeführerin war jedoch nur eine Ergänzung des Beschlusses. Bei der Streitwertfestsetzung war zu berücksichtigten, dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur noch ein untergeordneter Teilaspekt war, dessen wirtschaftlicher Wert weit unter dem wirtschaftlichen Interesse des Bieters oder Bewerbers am Erhalt des ausgeschriebenen Auftrags liegt.