Baurecht

Vergabeverfahren: Keine Bindung an die Eigenerklärung des Bieters bei besserer Erkenntnis der Vergabestelle

Aktenzeichen  RMF-SG21-3194-02-17

Datum:
9.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2018, 7881
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 97 Abs. 5, § 103 Abs. 1
RL 2014/24/EU § 22 Abs. 3 S. 2
VgV § 22 Abs. 3 S. 2, § 48 Abs. 2 S. 1, § 54, § 55

 

Leitsatz

1. Es ist vergaberechtlich unerheblich, wenn die Vergabestelle die Angebote schon vor dem in der Bekanntmachung genannten Termin geöffnet hat, wenn die Vergabestelle die Angebote zumindest nicht vor dem Schlusstermin zur Abgabe der Angebote geöffnet hat. Dann liegt kein Verstoß gegen §§ 54, 55 VgV i.Vm. § 22 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2014/24/EU vor. (Rn. 48)
2. Die Vergabestelle ist nicht an die Eigenerklärung eines Bieters gebunden, wenn sie auf Grund besonderer Umstände und eigener Erkenntnisse den Erklärungsinhalt der Eigenerklärung für unzutreffend erachtet. Soweit die Vergabestelle Auftraggeber der vorgelegten Referenz ist und den Inhalt der Eigenerklärung bzgl. der eingereichten Referenz für unzutreffend erachtet, ist die Vergabestelle berechtigt, ihre Erkenntnisse zu berücksichtigen. Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens prüft die Vergabekammer, ob die Erwägungen der Vergabestelle diskriminierend oder inhaltlich unzutreffend sind.   (Rn. 50)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Vergabestelle.
3. Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst.
4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt …,– €.
Auslagen sind nicht angefallen.

Gründe

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
c) Bei dem ausgeschriebenen Dienstleistungsauftrag (Ingenieurleistungen) handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 1 GWB.
d) Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert, § 106 Abs. 1 GWB.
e) Die ASt ist antragsbefugt. Sie hat i.S.d. § 160 Abs. 2 GWB vorgetragen, dass sie ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht. Sie hat geltend gemacht, dass ihr durch den Ausschluss ihres Angebots ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Im Rahmen der Zulässigkeit sind an die Antragsbefugnis keine allzu hohen Anforderungen geknüpft. Die Frage, ob die Vergabestelle das Angebot die Antragstellerin zu Recht nicht gewertet hat, weil das von der Antragstellerin zu benennende Bearbeitungsteam nicht die geforderte Mindestpunktzahl erzielt hat, ist im Rahmen der Begründetheit zu prüfen.
f) Der Verfahrensbevollmächtigte der ASt hat mit Telefax vom 12.10.2017 rechtzeitig nach Erhalt des Vorabinformationsschreibens vom 02.10.2017 den Ausschluss ihres Angebots gerügt.
g) Zum Zeitpunkt der Stellung des Nachprüfungsantrags am 17.11.2017 war auch die 15-Tages-Frist gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB nicht abgelaufen, die der ASt nach der Rügezurückweisung vom 02.11.2017 zur Verfügung steht.
h) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
Der Ausschluss des Angebots der ASt verletzt die ASt nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB. Die Vergabestelle hat rechtmäßig – entsprechend den Vergabeunterlagen – das Angebot der Antragstellerin nicht gewertet, weil die Antragstellerin die unter VI.3) der Bekanntmachung geforderte Mindestpunktzahl von 160 Punkten beim „Bearbeitungsteam“ nicht erreicht hat.
a) Vergaberechtlich unerheblich ist der Umstand, dass die Vergabestelle die Angebote schon vor dem in der Bekanntmachung genannten Termin geöffnet hat, weil die Vergabestelle die Angebote zumindest nicht vor dem Schlusstermin zur Abgabe der Angebote geöffnet hat. Somit liegt kein Verstoß gegen §§ 54, 55 VgV i.V.m. § 22 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2014/24/EU vor. Es wurde weder von der ASt vorgetragen noch ist erkennbar, weshalb hier die ASt in ihren Rechten verletzt sein soll.
b) Die VSt hat zu Recht das Angebot der ASt nicht gewertet, weil die Antragstellerin entsprechend VI.3) der Bekanntmachung beim „Bearbeitungsteam“ nicht die Mindestpunktzahl von 160 erreicht hat. Bei der Kernreferenz und der Referenz R3 hat die VSt ohne Verstoß gegen Vergabevorschriften die von der ASt im Rahmen der Eigenerklärung behauptete Sachbearbeitung des Geschäftsführers X nicht anerkannt. Deshalb hat die ASt beim Bearbeitungsteam nur 140 Punkte erzielt und erreichte nicht die geforderte Mindestpunktzahl von 160.
aa) Entgegen der Auffassung der ASt ist die VSt nicht an die Eigenerklärung der ASt gebunden, wenn die VSt auf Grund besonderer Umstände und eigener Erkenntnisse den Erklärungsinhalt der Eigenerklärung für unzutreffend erachtet. Soweit die VSt – wie in diesem Fall – Auftraggeber der vorgelegten Referenz ist und den Inhalt der Eigenerklärung bzgl. der eingereichten Referenz für unzutreffend erachtet, ist die VSt berechtigt, ihre Erkenntnisse zu berücksichtigen. § 48 Abs. 2 Satz 1 VgV schließt nicht aus, dass sich der Auftraggeber vorbehält, im weiteren Verlauf des Verfahrens, etwa zum Zwecke der Auswahl nach § 51 VgV oder von dem voraussichtlichen Ausschreibungsgewinner, eine Verifizierung der Eigenerklärungen durch bestimmte Beweismittel wie z.B. ein polizeiliches Führungszeugnis zu verlangen (Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 48 VgV, Rn. 22). Nachdem in diesem Fall die VSt sich nicht in der Lage sieht, inhaltlich die Eigenerklärung der ASt als zutreffend anzuerkennen, ist die Eigenerklärung der ASt grundsätzlich unbeachtlich. Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens prüft die Vergabekammer, ob die Erwägungen der VSt diskriminierend oder inhaltlich unzutreffend sind. Der von der ASt angeführte Grundsatz der Gleichbehandlung gebietet es nicht, dass die Vergabestelle verpflichtet wäre, jede Eigenerklärung der anderen Bieter auch infrage zu stellen. Im Rahmen der Gleichbehandlung wäre die VSt lediglich verpflichtet, inhaltlich unzutreffende Eigenerklärungen anderer Bieter ebenfalls unberücksichtigt zu lassen. Ein solcher Sachverhalt ist weder ersichtlich noch wurde er vorgetragen.
bb) Unzutreffend ist die Auffassung der ASt, dass Herr X deshalb als Sachbearbeiter bei der Kernreferenz anerkannt werden müsse, weil er nach seinen Angaben bei der Auftragsabwicklung der Kernreferenz die Datenübertragung über die M 150 Schnittstelle vorgenommen habe. Aus der Bekanntmachung (unter III.1.3 „Technische und berufliche Leistungsfähigkeit“) und dem Formblatt A2 ergibt sich eindeutig, welche Anforderungen die VSt an die Kernkompetenz gestellt hat. Insbesondere hat die VSt bereits in der Bekanntmachung festgelegt, dass die Kernreferenz die Inspektionsvorbereitung, die Bauleitung und die Abrechnung der Ing.- und Inspektionsleistung umfasst. Der Argumentation der ASt, die Kernreferenz würde nur auf die M 150 Schnittstelle abstellen, kann sich die Vergabekammer nicht anschließen. Entsprechend der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont eines verständigen Bieters/Bewerbers können die Vergabeunterlagen nur so aufgefasst werden, dass die VSt die Benennung einer Kernreferenz mit M 150 Schnittstelle forderte, bei der auch folgende Attribute erfüllt sein müssen:
•Auftragsvolumen von ca. 20 km mit einer Jahresleistung von ca. 10 km,
•Arbeitsumfang: Inspektionsvorbereitung, Bauleitung, Abrechnung der Ing.- und Inspektionsleistung.
Die M 150 Schnittstelle ist nur die technische Grundvoraussetzung, damit die Auftragsabwicklung überhaupt möglich ist. Maßgeblich für die Anerkennung als Kernreferenz sind – wie oben bereits ausgeführt – Auftragsvolumen und Arbeitsumfang.
Auch der Einwand der ASt, dass in Formblatt A3 nicht auf die Kernreferenz, sondern die Kernkompetenz abgestellt wurde, überzeugt nach Ansicht der Vergabekammer nicht. Aus den Vergabeunterlagen in ihrer Gesamtheit kann aus Sicht der Vergabekammer nur der Schluss gezogen werden, dass die VSt die Begrifflichkeit Kernkompetenz und Kernreferenz in diesem Fall synonym verwendet hat. Die Vergabeunterlagen sind durch diese synonyme Wortwahl weder unklar, irreführend noch missverständlich.
cc) Nicht glaubhaft und als Schutzbehauptung wertet die Vergabekammer den Sachvortrag der ASt, dass Herr X intern als Sachbearbeiter bei den Referenzaufträgen mitgewirkt habe und Herr Y entsprechend der internen Arbeitsaufteilung diese Ergebnisse dem Auftraggeber übermittelt habe. Es widerspricht jeder Lebenserfahrung, dass der Geschäftsführer intern die Sachbearbeitung übernimmt, aber der Mitarbeiter dann diese Arbeitsergebnisse dem Auftraggeber präsentiert. Regelmäßig wird der Sachbearbeiter, der Projektleiter (wenn es einen solchen gibt) oder gar der Geschäftsführer (auch wenn er nicht Sachbearbeiter ist) bei der Auftragsabwicklung dem Auftraggeber als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Zudem haben die beiden Mitarbeiter der Fachabteilungen der VSt glaubhaft und nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung die Auftragsabwicklung der Referenzprojekte KR und R3 beschrieben und dargelegt, wer nach ihrer Ansicht inhaltlich den Auftrag für die ASt erfüllte. Herr X sei lediglich als Geschäftsführer bei grundsätzlichen Fragen, insbesondere vertraglichen Angelegenheiten, gegenüber dem Auftraggeber in Erscheinung getreten. Dagegen habe Herr Y inhaltlich die Referenzprojekte bearbeitet und war aus ihrer Sicht der Sachbearbeiter. Der von der ASt nun vorgetragene Sachverhalt, dass der Geschäftsführer als Sachbearbeiter und fleißiger Arbeiter still im Hintergrund gewirkt hat, ist nicht glaubhaft, zumal Herr X bei Vertragsangelegenheiten auch nach außen in Erscheinung trat.
Zudem hat die VSt in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen, dass die Firma, welche die Kamerabefahrung durchführte, nur Herrn Y als Sachbearbeiter wahrgenommen habe.
Der Geschäftsführer der ASt hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass Herr Y deshalb nicht als Sachbearbeiter beim zukünftigen Projektteam benannt werden konnte, weil Herr Y in diesem Auftrag zeitlich nicht zur Verfügung stehen würde. Dieser Umstand bestärkt die Vergabekammer in ihrer Ansicht, dass die Behauptung der ASt, Herr X habe intern die Sachbearbeitung übernommen, nur eine Schutzbehauptung ist. Es liegt nahe, dass die ASt keine anderweitigen geeigneten Referenzen vorweisen konnte, aber die geforderten Referenzen (möglichst mit der vollen Punktzahl von 200) auch beibringen musste.
dd) Ausweislich der Vergabebekanntmachung werden nur Referenzen nach dem Stichtag 01.08.2012 berücksichtigt. Es ist deshalb unerheblich, ob Herr X im Rahmen früherer Aufträge vor August 2012 eine „Masterleistungsbeschreibung“ entwickelt hat. Es kommt lediglich darauf an, wer Sachbearbeiter (ab August 2012) der Referenzen KR und R3 war.
ee) Soweit die ASt mehrfach vorträgt, dass die VSt die Referenzen KR und R3 gemäß Formblatt A2 anerkannt habe, ist dieser Vortrag zwar inhaltlich zutreffend, aber die ASt verkennt, dass nicht die vorgelegten Referenzen (als solche) für die Nichtberücksichtigung der ASt ursächlich sind, sondern der Umstand, dass Herr X nicht der Sachbearbeiter für die Kernreferenz und Referenz R3 war. Die ASt hat die Mindestpunktzahl von 160 beim Bearbeitungsteam verfehlt, dagegen hat die VSt die Referenzen der ASt mit der vollen Punktzahl von 200 gewertet.
Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände kann die Vergabekammer nicht erkennen, dass die VSt aus diskriminierenden und sachfremden Erwägungen Herrn X nicht als Sachbearbeiter bei der Kernreferenz und der Referenz R3 anerkannt hat.
Die VSt hat zutreffend auf Grundlage der Vergabeunterlagen die Eignung der ASt verneint. Es wurde nicht die persönliche Befähigung von Herrn X angezweifelt. Vielmehr der Umstand, dass Herr X nicht Sachbearbeiter der Referenzen KR und R3 war, zwangen die VSt, die ASt unberücksichtigt zu lassen.
c) Der Konstellation, dass die ASt Herrn X gleichzeitig als Projektverantwortlichen und Sachbearbeiter benannt hat und entgegen der Vorgabe der VSt gemäß Antwort zur Bieterfrage 10 keine weitergehenden Ausführungen der ASt gemacht wurden, ist nicht entscheidungserheblich, da die ASt die Mindestpunktzahl von 160 beim Bewerbungsteam nicht erreicht hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die ASt trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB).
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der VSt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst. Sie hat keine Sachanträge gestellt und damit kein Kostenrisiko auf sich genommen. Eine Kostenerstattung durch andere Beteiligte kommt daher im Umkehrschluss ebenfalls nicht in Betracht.
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und 3 GWB festzusetzen.
Im Hinblick auf die von der VSt ermittelte Gesamtauftragssumme und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von …,– €.
Der geleistete Kostenvorschuss von 2.500,– € wird mit der zu zahlenden Gebühr verrechnet. Eine Kostenrechnung an die ASt in Höhe des Differenzbetrages von …,– € wird nachgereicht.


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