Baurecht

Vergabeverfahren: “Warenkorb” ist kein zulässiges Zuschlagskriterium

Aktenzeichen  Verg 12/20

Datum:
24.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
VergabeR – 2021, 596
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 97 Abs. 6, § 127 Abs. 1, Abs. 3, § 160 Abs. 3
VgV § 6, § 58

 

Leitsatz

1. Ein Zuschlagskriterium steht dann i.S.d. § 127 III GWB mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung, wenn es sich in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem Lebenszyklus-Stadium auf die gemäß dem Auftrag zu erbringenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen bezieht. (Rn. 85) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein vom Auftraggeber mit der Ausschreibung vorgegebener und vom Bieter mit Einkaufspreisen zu versehender “Warenkorb”, der ausschließlich der Prognose dient, von welchem Bieter der höchste ökonomische Vorteil bei der Warenbeschaffung zu erwarten ist und keine zuverlässige Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes ermöglicht, stellt kein zulässiges Zuschlagskriterium, sondern ein Eignungskriterium dar. (Rn. 96 – 99) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch anwaltliche Berater der Vergabestelle können „Beschaffungsdienstleiter“ i.S.d. § 6 VgV sein, bei denen Interessenkonflikte durch eine aktuelle Beratung oder laufende Geschäftsbeziehung mit Bewerbern bestehen kann. (Rn. 102) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Vergaberechtsverstoß ist erkennbar, wenn die dem Verstoß zugrundeliegenden Tatsachen deutlich zutage treten und wenn die Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen wurde, zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise gehören. Die rechtliche Problematik, ob die Vergabestelle einen ausgewählten Warenkorb als Zuschlagskriterium heranziehen darf, gehört nicht zu diesem Wissen. (Rn. 76 – 80) (redaktioneller Leitsatz)
5. Um den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge gemäß § 160 III GWB zu entsprechen, ist es nicht erforderlich, dass das Schreiben ausdrücklich als Rüge bezeichnet wird, es genügt vielmehr, dass inhaltlich hervorgeht, dass Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen geltend gemacht werden und dass Abhilfe begehrt wird, dabei ist es auch unschädlich wenn das Rügeschreiben in sehr höflichem Ton verfasst ist.  (Rn. 71 – 72) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RMF-SG21-3194-5-38 2020-09-22 Bes VKNORDBAYERN Vergabekammer Ansbach

Tenor

I. Der Beschluss der Vergabekammer Nordbayern, Az: RMF-SG 21-3194-5-38, vom 22.09.2020 wird in den Ziffern 1., 2. und 3. aufgehoben.
II. Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht wird die Antragsgegnerin verpflichtet, das Vergabeverfahren mindestens in die Phase vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen und die Zuschlagskriterien unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats neu zu bestimmen.
III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 S. 3 GWB und der notwendigen Auslagen der Antragstellerin. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für das Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 121.500 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die Antragsgegnerin schrieb am 03.06.2020 europaweit die Erbringung von „Einkaufsdienstleistungen“ als Dienstleistungsauftrag im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb aus. Sie ließ sich bei der Durchführung des Vergabeverfahrens von den hiesigen Verfahrensbevollmächtigten – einer großen, bundesweit tätigen Rechtsanwaltskanzlei – beraten. Wie im laufenden Nachprüfungsverfahren bekannt wurde, haben die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin im März 2020 in einem anderen Nachprüfungsverfahren ein Unternehmen vertreten, das auch an der streitgegenständlichen Ausschreibung teilgenommen hat und das mittlerweile als Zuschlagsprätendentin vorgesehen ist und deshalb im Beschwerdeverfahren beigeladen wurde.
Der Dienstleistungsauftrag soll für die Dauer von 48 Monate geschlossen werden. Es besteht eine Option, den Vertrag zweimal um 12 Monate zu verlängern.
Folgende Zuschlagskriterien wurden den interessierten Wirtschaftsteilnehmern in den Vergabeunterlagen mitgeteilt:
1. Gesamtkosten gem. Nr. 7 a – b der Leistungsbeschreibung, Gewichtung 50%
2. Bewertung der Dienstleistungskonzepte und der Bieterpräsentation gern. Nr. 11 und Nr. 12 der Leistungsbeschreibung, Gewichtung 50% (…)
Unter Nr. 7 (Grundlagen der Preisermittlung) der Leistungsbeschreibung (Anlage 1) teilte die Vergabestelle mit, dass sich der maßgebliche Angebotspreis aus nachfolgenden Komponenten zusammensetzt:
a. Die Kosten für die Mitgliedschaft und die Dienstleistungen der Einkaufsgemeinschaft b. Der Gesamt-Netto-Einkaufspreis der im Warenkorb (Anlage 2) gelisteten Gebrauchs- und Verbrauchsartikel der Klinikum … Bei der Bewertung des Warenkorbs müssen zur Plausibilisierung der übermittelten Daten, die Einzelpreise (in € netto) der gelisteten Artikel (auf Basis der angegebenen Verpackungseinheiten) und die Summe der Kosten auf Basis der Verbrauchsmenge und dem Einzelpreis der Verpackungseinheiten je Artikel (gem. Anlage 2) eingetragen werden. Alternativartikel sind aus Gründen der Vergleichbarkeit nicht zu benennen, wenn die der Klinikum … verwendeten Artikel beim Bewerber gelistet sind. Sollten einzelne Artikel des AG (gem. Warenkorb) beim AN nicht gelistet sein, sind in der Auflistung der Gebrauchs -und Verbrauchsartikel der AG vergleichbare alternative Artikel, anstelle der gelisteten Einzelartikel der Klinikum …, zu benennen und der Liefer-Netto-Preis (auf Basis der für diesen Artikel gelisteten Verbrauchsmengen des AG) einzutragen… Der konkrete Warenkorb war den Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Bekanntmachung nicht beigefügt. Er wurde von der Vergabestelle erst nach Auswahl der Teilnehmer bekannt gegeben.
Nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs wurden mit Schreiben (Verfahrensbrief) vom 06.07.2020 die Antragstellerin, die Beigeladene und eine weitere Teilnehmerin zur Abgabe eines indikativen Angebotes bis zum 07.08.2020 aufgefordert.
In der Anlage 1 „Leistungsbeschreibung“ zum Verfahrensbrief ist die Zielsetzung und der Gegenstand der Ausschreibung wie folgt beschrieben:
Ziel ist ein effizientes und wirtschaftlich optimiertes Beschaffungswesen und eine Verbrauchsreduktion mit minimiertem Artikelumfang (ganzheitlich minimiertes Artikel-Portfolio der AG). Außerdem sollen die Beantwortung aller Fragen zur Beschaffung und zur Optimierung des Artikel-Portfolios an Gebrauchs- und Verbrauchsmaterialien des AG durch eine qualifizierte Beratungsleistung des AN sichergestellt werden.
Hierzu soll nunmehr der Beitritt zu einer Einkaufsgemeinschaft mit dem Ziel der Erbringung von Einkaufsdienstleistungen ausgeschrieben und ein entsprechender Vertrag abgeschlossen werden. Die Klinikum … wird während der Laufzeit ausschließlich mit dem AN und keiner weiteren „Einkaufsgemeinschaft“ zusammenarbeiten.
Einschränkungen:
a) Der AG behält sich jedoch vor, aus preislichen oder medizinischen Gründen eigene Verträge mit Lieferanten abzuschließen, insbesondere mit Lieferanten, die nicht beim AN gelistet sind (…).
Der Leistungsumfang ist in Ziffer 4 der Leistungsbeschreibung wie folgt umrissen:
Die Rahmenvereinbarung für Einkaufsdienstleistungen mit dem AN soll nachfolgende Beschaffungsunterstützung und Dienstleistungen durch den AN umfassen:
a) Abschluss von Rahmenverträgen mit leistungsfähigen Lieferanten mittels Bündelung, Standardisierung und rechtskonformer Ausschreibung der Artikelbedarfe (medizinische und pflegerische Gebrauchs- und Verbrauchsmaterialien, Wirtschafts- und Verwaltungsbedarfe, Desinfektions- und Hygieneartikel, Lebensmittel, medizinische Gase, und Labor-Verbrauchsmaterialien sowie medizintechnische Verbrauchsmaterialien etc., optional auch Pharmaartikel/Arzneimittel). Der AG entscheidet sich nach Vorlage der Erstangebote und Durchführung der Verhandlungen, ob auch der Pharmabereich (Pharmaartikel/Arzneimittel) vom Auftragsumfang umfasst ist (…).
In den folgenden Passagen der Leistungsbeschreibung werden vielfältige weitere Unterstützungs- und Beratungsleistungen genannt, die vom Auftragnehmer zu erbringen sind.
Als Anlage 2 zum Verfahrensbrief war der Warenkorb, der ca. 600 Artikel umfasste, beigefügt, wobei nicht alle Gebrauchs- und Verbrauchsartikel der Antragsgegnerin gelistet waren. Abweichend von der ursprünglichen Vorgabe, wonach der Bewerber beim Ausfüllen des Warenkorbes vergleichbare alternative Artikel anstelle der bei ihm nicht gelisteten Artikel benennen dürfte, teilte die Vergabestelle den Teilnehmern im Verfahrensbrief und nochmals am 22.07.2020 mit, dass für diese Waren am Markt entsprechende Angebote einzuholen und die Liefer-Nettopreise anzugeben seien.
Auf Anfrage der Antragstellerin, ob vor dem Hintergrund, dass es sich bei den Einzelpreisen um Geschäftsgeheimnisse handele, auf die Benennung von Einzelpreisen verzichtet werden könne, antwortete die Antragsgegnerin, dass sie an der Bezifferung der Einzelpreise festhalte.
Daraufhin beanstandete die mittlerweile anwaltlich vertretene Antragstellerin mit Schreiben vom 30.07.2020 (vorgelegt als Anlage ASt. 6), die Verpflichtung zur Angabe von Einzelpreisen zum Warenkorb als vergaberechtswidrig. Unter anderem heißt es in dem Schreiben:
Im Übrigen merken wir an, dass neben der Abfrage der Einzelpreise auch die Bewertung des Warenkorb-Preises nicht verhältnismäßig ist. Neben den Kosten für die Mitgliedschaft und die Dienstleistungen der Einkaufsgemeinschaft bildet der Gesamt-Netto-Einkaufspreis den für die Vergabe maßgeblichen Angebotspreis. Der Angebotspreis wird mit 50% bei der Angebotsbewertung berücksichtigt. Bei der Preisermittlung des Warenkorbgesamtpreises sind nach Ihren Vorgaben alle preisrelevanten Abschläge zu berücksichtigen. Es kann also eine Bandbreite von Rabatten und Bonifikationen (z.B. Gruppen- und Mengenboni, Technologiebonus etc.) berücksichtigt werden.
Damit bildet der Warenkorb-Preis nicht die tatsächlichen Kosten für den Bedarf der Gebrauchsund Verbrauchsartikel der Klinikum … ab. Rabatte, Boni etc. mit den Lieferanten bzw. Herstellern können nicht auf jedes Mitgliedshaus eins zu eins übertragen werden, sondern sind vielmehr für jedes Mitgliedshaus individuell zu vereinbaren und hängen von den Besonderheiten des jeweiligen Hauses ab. Unabhängig von der Bonusfrage handelt es sich um Preise, die in der Vergangenheit verhandelt wurden. Inwieweit diese auch für die nächsten Jahre Geltung beanspruchen, ist nicht gesichert. Auch wenn die eingetragenen Preise also tatsächlich vereinbart wurden, bedeutet dies nicht zwingend, dass ein neues Mitgliedshaus dieselben Preise für sich wird vergabekonform vereinbaren können. Ein klarer Auftragsbezug des Zuschlagskriteriums „Warenkorb“ ist damit nicht gegeben.
Vor diesem Hintergrund regen wir an, die Abfrage der Einzelpreise noch einmal zu überdenken (…).
Mit Schreiben vom 03.08.2020 (vorgelegt als Anlage ASt.7) wiesen die anwaltlichen Vertreter der Antragsgegnerin die Rügen zurück.
Mit Schreiben vom 05.08.2020 forderte die Antragstellerin eine Verlängerung der Angebotsfrist gemäß § 20 Abs. 3 Nr. 1 VgV. Am selben Tag teilte die Vergabestelle allen Teilnehmern über die Vergabeplattform die Verlängerung der Angebotsfrist bis 11.08.2020 mit.
Die Antragstellerin gab im Gegensatz zu den beiden anderen Mitbewerbern bis 11.08.2020 kein Angebot ab, sondern reichte einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein.
Mit den beiden verbleibenden Teilnehmern setzte die Antragsgegnerin den Wettbewerb in der Folgezeit fort. Nach Durchführung der Präsentation und Abgabe finaler Angebote beabsichtigt die Antragsgegnerin aktuell eine Zuschlagserteilung an die Beigeladene. Die weitere Mitbewerberin hatte deshalb ebenfalls einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer gestellt und auch im hiesigen Beschwerdeverfahren geltend gemacht, dass sie beizuladen sei. Der Nachprüfungsantrag dieses Unternehmens ist von der Vergabekammer mit Beschluss vom 10.12.2020 (Az. RMF-SG21-3194-5-44) abgelehnt worden. Der Beschluss ist mittlerweile infolge Versäumung der Beschwerdefrist bestandskräftig. Eine Beiladung der weiteren Mitbewerberin zum Beschwerdeverfahren hat der Senat mit Beschluss vom 05.02.2021 abgelehnt.
Die Antragstellerin stellte zu ihrem Nachprüfungsantrag vom 10.08.2020 bei der Vergabekammer folgende Anträge:
1. der Antragsgegnerin zu untersagen, den oben genannten Auftrag auf der Grundlage der übermittelten Vergabeunterlagen zu vergeben,
2. die Antragsgegnerin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht zu verpflichten, das Vergabeverfahren ab Versand der Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen,
3. Sonstige geeignete Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen
(…)
Vor der Vergabekammer machte die Antragstellerin geltend:
Eine Rügepräklusion liege nicht vor. Die Antragstellerin habe die Vergabeverstöße rechtzeitig mit anwaltlichem Schreiben vom 30.07.2020 gerügt. Sie sei nicht gehalten gewesen, die strittigen Vergabeverstöße bereits bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist zu rügen, da durchgängig Aspekte betroffen seien, die nur für die Verhandlungs- und Angebotsphase relevant seien.
Es seien folgende Vergabeverstöße festzustellen:
Die Vergabeunterlagen und die Gestaltung des Verfahrens würden gegen die Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz sowie der Gleichbehandlung verstoßen.
Die Antragsgegnerin habe zum Angebotspreis, der mit 50% in die Gesamtwertung einfließe, fehlerhafte Vorgaben gemacht. Sie lege der Wertung den Netto-Warenkorb-Gesamtpreis zugrunde, obwohl sowohl die Warenkorbabfrage selbst als auch die Abfrage der Einzelpreise für die aufgelisteten Gebrauchs- und Verbrauchsartikel ohne sachlichen und legitimen Grund erfolgt seien.
Der Warenkorb und die abgefragten Preise seien ohne jeden Erkenntniswert, zumal es an jeglicher Verbindlichkeit fehle, Preise aus der Vergangenheit anzugeben seien und diese nicht vergabekonform für die Antragsgegnerin ermittelt worden seien. Der Warenkorb habe keine Aussagekraft in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit des Angebots, denn er besage nichts darüber, zu welchem Preis die Antragsgegnerin über die Laufzeit des Vertrages Waren beziehen könne. Auch die Wertungsmatrix verstoße gegen das Gebot des Wettbewerbs (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) und der Wirtschaftlichkeit (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB). Der Warenkorb, den die Vergabestelle zusammengestellt habe, sei zudem nicht repräsentativ.
Aufgrund bestehender Geheimhaltungsverpflichtungen dürfe die Antragstellerin die Einzelpreise nicht offenlegen. Es sei fraglich, ob die Hersteller bzw. Lieferanten überhaupt eine Zustimmung zur Offenbarung der Preise erteilen, jedenfalls sei die Angebotsfrist zu kurz, um eine Freigabe zu erhalten. Auch sei es grundsätzlich bedenklich, Preise nennen zu müssen, die von der Antragsgegnerin für eigene Zwecke genutzt werden könnten. Der Warenkorb enthalte konkrete Produktvorgaben, Alternativartikel dürften nicht benannt werden, was einen weiteren Vergabeverstoß darstelle.
Die Antragsgegnerin hat vor der Vergabekammer beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Sie hat den Standpunkt vertreten, der Nachprüfungsantrag sei schon unzulässig. Das Schreiben vom 30.07.2020 beinhalte schon keine Rüge im Sinn von § 160 Abs. 3 GWB. Außerdem hätte die Warenkorbabfrage und -bewertung bereits im Teilnahmeverfahren gerügt werden müssen, da schon damals offen gelegt worden sei, dass die Abfrage und Wertung eine Warenkorbes beabsichtigt sei. Auch mit ihren weiteren Rügen sei die Antragstellerin präkludiert.
Darüber hinaus sei der Nachprüfungsantrag unbegründet. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch darauf, dass die Vergabestelle das Vergabeverfahren so gestalte, dass auf die Offenlegung der Einzelpreise des Warenkorbes verzichtet werde. Nur anhand der abgefragten Einzelpreise könne die Auftraggeberin die Wirtschaftlichkeit der Angebote beurteilen und ihre künftige Ausgabenentwicklung einschätzen. Die Einzelpreise und ihre Offenlegung vor Zuschlagserteilung sei zur Plausibilisierung der Angaben erforderlich. Die Angaben würden absolut vertraulich behandelt und keinesfalls zweckwidrig genutzt. Unschädlich sei, dass die aufzulistenden Einzelpreise in der Vergangenheit verhandelt worden seien. Ebenso wie bei der Bewertung von Konzepten sei dies bei der Preis- bzw. Kostenwertung nicht zu beanstanden, denn die bisherigen Preise würden darauf schließen lassen, dass auch in Zukunft mit Hilfe der fraglichen Einkaufsgemeinschaft besonders wirtschaftlich Waren eingekauft werden könnten. Dementsprechend habe die Antragsgegnerin vorgegeben, dass im Warenkorb nur solche Rabatte, Boni u.a. einzutragen seien, die sie nach derzeitigem Stand auch in Anspruch nehmen könne. Im Übrigen hätten die bereits durchgeführten Verhandlungen mit den beiden Bewerbern ergeben, dass die im Warenkorb angebotenen Preise durchaus genutzt werden könnten, wenn die Antragsgegnerin Mitglied der Einkaufsgemeinschaft wäre.
Der zusammengestellte Warenkorb bildete einen realistischen Querschnitt der von der Auftragnehmerin künftig zu beschaffenden Artikel ab. Die Angebotsfrist sei nicht unangemessen kurz. Abgesehen davon sei nach der Verlängerung der Angebotsfrist keine weitere Beanstandung erfolgt.
Die Vergabekammer wies mit Beschluss vom 22.09.2020 den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurück und begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen mit folgenden Erwägungen:
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig, aber unbegründet. Das Schreiben der Antragstellerin vom 30.07.2020 beinhalte eine Rüge im Sinne von § 160 Abs. 3 GWB. Mit diesem Schreiben habe die Antragstellerin die Verpflichtung zur Angabe von Einzelpreisen gerügt, und so sei sie von der Antragsgegnerin auch verstanden worden. Die Antragstellerin sei nicht verpflichtet gewesen, die Warenkorbabfrage schon bei Abgabe des Teilnahmeantrags zu rügen, denn die Vergabestelle habe den Warenkorb erst mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe bekannt gegeben. Präkludiert sei die Antragstellerin allerdings in Bezug auf ihren Vortrag, dass der Warenkorb produktspezifisch zusammengestellt worden sei. Der Rüge, dass die Angebotsfrist verlängert werden müsse, sei abgeholfen worden. Die Antragstellerin hätte nochmals eine Rüge erheben müssen, wenn sie die Angebotsfrist weiter für zu kurz halte.
Der Nachprüfungsantrag sei im Übrigen unbegründet, da die Vorgabe in den Vergabeunterlagen, den vorgegebenen Warenkorbkorb zu bepreisen und den Gesamt-Netto-Einkaufspreis als Wertungskriterium zu berücksichtigen, die Antragstellerin nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletze. Der Einkaufspreis des Warenkorbes stelle zwar kein echtes Preiskriterium dar, sondern ein Wertungskriterium, das betriebswirtschaftliche Elemente enthalte und eher als qualitatives Wertungskriterium einzustufen sei. Er sei ein Indiz für die Leistungsfähigkeit der Einkaufsgemeinschaft, das bei der Wertung herangezogen werden dürfe. Die Bepreisung und Bewertung eines repräsentativen Warenkorbes lasse den Rückschluss zu, dass der Auftragnehmer für die Vergabestelle Waren zu vergleichbaren Konditionen beschaffen könne. Der Ansatzpunkt der Vergabestelle, dass ein Bewerber, der in der Vergangenheit bei vergleichbaren Rahmenbedingungen gute Preise habe erzielen können, auch gute Ergebnisse für den Auftraggeber aushandeln könne werde, sei kohärent und deshalb ein sachgerechtes Zuschlagskriterium, das mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehe (§ 127 Abs. 3 S. 1 GWB).
Es liege auch kein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor, da eine Überprüfung der in Vergangenheit erzielten Preise möglich sei. Die Bedenken der Antragstellerin, dass die Vergabestelle die Information, die sie durch die Offenlegung der Einzelpreise halte, für die eigene Beschaffung verwenden könne, seien durchaus verständlich. Dennoch sei die Abfrage vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Die Vergabestelle habe hierzu eine Vertraulichkeitserklärung abgegeben und versichert, die Information nicht für andere Zwecke zu nutzen und auch den Zugang zu den Unterlagen auf drei Mitarbeiter zu begrenzen. Die Vergabestelle habe nachvollziehbar vorgetragen, weshalb der Warenkorb auf rund 600 Produkte begrenzt worden sei.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer, auf die ergänzend Bezug genommen wird, wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 08.10.2020.
Soweit die Vergabekammer Rügen als unzulässig qualifiziert hat, verfolgt die Antragstellerin nur die Rüge einer zu kurzen Angebotsfrist weiter, nicht dagegen den Vorwurf der unzulässigen produktspezifischen Ausschreibung.
Die Vergabekammer habe den Nachprüfungsantrag zu Unrecht als unbegründet zurückgewiesen. Insoweit wiederholt und vertieft die Antragstellerin ihre bereits vorgebrachten Argumente. Insbesondere vertritt sie weiter den Standpunkt, dass die Warenkorbabfrage nicht der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots diene, vielmehr hierfür gänzlich ungeeignet sei. Es fehle jeglicher Auftragsbezug im Sinne von § 127 Abs. 3 GWB. Der Warenkorb könne bestenfalls mit einem Qualitätskonzept verglichen werden, mit der Besonderheit, dass das Konzept ohne jede Verbindlichkeit für den Auftraggeber sei. Eine solche Abfrage und Wertung unverbindlicher Konzepte sei vergaberechtlich unzulässig. Denn unverbindliche Aussagen, die nicht zum Vertragsbestandteil werden würden, könnten sich nicht auf die Wirtschaftlichkeit auswirken. Der Warenkorb tauge allenfalls als Eignungskriterium.
Weiter würde der Warenkorb einheitlich mit den Vergütungselementen des Auftrages bewertet, obwohl es sich hierbei nicht um ein Preiselement handele. Dadurch entstehe ein sogenannter Flippingeffekt, der gegen die Anforderungen an die Zusammenstellung der Zuschlagskriterien nach § 127 Abs. 4 GWB verstoße.
Der Warenkorb vermittle zudem nur auf den ersten Blick den Eindruck von vermeintlicher Transparenz. In Wirklichkeit habe der Bewerber aber eine große Bandbreite plausibler Angebotspreise, die er in jedem Feld eintragen könne. Dies liege in der Natur der Preismodelle mit den die Antragstellerin ebenso wie die übrigen Mitbewerber in diesem Marktumfeld arbeite. Es bedürfe sämtlicher, bislang nicht mitgeteilter Verbrauchsdaten der Antragsgegnerin, um ansatzweise realistische Preise angeben zu können.
Die Antragstellerin hält auch daran fest, dass die Anforderung, die Einzelpreise im Warenkorb offenzulegen für sie und für jeden seriös agierenden Bewerber unzumutbar sei. Diese Anforderung stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB dar. Die Vertraulichkeitserklärung biete keinen ausreichenden Schutz gegen Missbrauch, ebenso wenig wie die Zugriffsbeschränkungen. Da sich die Antragsgegnerin vorbehalte, selbst Waren zu beschaffen, sei außerdem an eine Abfrage zur Markterkundung zu denken.
Die Verlängerung der Angebotsfrist sei erkennbar unzureichend gewesen, um die von den Herstellern erforderliche Einwilligung zur Offenlegung der Preise einzuholen.
Ergänzend hat sich die Antragstellerin das schriftsätzliche Vorbringen der Mitbewerberin zu eigen gemacht, die (erfolglos) eine Beiladung zum Beschwerdeverfahren angestrebt hat. Die Mitbewerberin hatte die Mitwirkung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin am Vergabeverfahren beanstandet. Deren Tätigkeit verstoße gegen § 6 VgV, da die Kanzlei, speziell auch die im Verfahren auftretenden Berater, einen Mitbewerber anwaltlich beraten und vertreten hätten. Es sei von einer fortdauernden geschäftlichen Nähebeziehung auszugehen. Es läge damit sowohl ein persönlicher als auch ein unternehmensbezogener Interessenkonflikt vor.
Der Antragsteller beantragt,
1. den Beschluss der VK Nordbayern vom 22.09.2020, Az. RMF-SG 21-3194-5- 38, aufzuheben,
2. dem Antragsgegner zu untersagen, im vorliegenden Verfahren den Zuschlag zu erteilen,
3. den Antragsgegner zu verpflichten, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht erneut in die Angebotsphase einzutreten und diese unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Vergabesenates zu wiederholen,
4. die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer für notwendig zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, die sofortige Beschwerde der Antragstellerin sei sowohl unzulässig als auch unbegründet.
Die Antragstellerin hätte die Verpflichtung zur Bepreisung des Warenkorbs bis zum Ablauf des Teilnahmewettbewerbs rügen müssen. Mangels rechtzeitiger Rüge sei sie nunmehr mit ihrem gesamten Vortrag präkludiert, ihr Nachprüfungsantrag daher gem. § 160 Abs. 3 GWB unzulässig.
Auch mit ihrem Vortrag hinsichtlich des vermeintlichen Vorliegens einer Interessenkollision gem. § 6 VgV sei die Antragstellerin präkludiert. Ein Antragsteller, der erst während des Beschwerdeverfahrens einen vermeintlichen Vergaberechtsverstoß erkenne, möge zwar keiner Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S.1 Nr. 1 GWB unterliegen, sei aber gehalten, die Rüge unverzüglich – also innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB – geltend zu machen, was nicht erfolgt sei.
Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet.
Die von der Antragsgegnerin verlangte Angabe von Einzelpreisen in den Warenkörben sei zulässig. Zuschlagskriterien müssen gemäß § 127 Abs. 3 GWB mit dem Auftragsgegenstand nur in Verbindung stehen, was vorliegend der Fall sei. Es könne nicht Abrede gestellt werden, dass die derzeitigen Preise, die die Antragstellerin im Falle der Mitgliedschaft in der Einkaufgemeinschaft des Bewerbers zahlen müsste, mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stünden. Die zusammengestellten Warenkörbe bildeten einen realistischen Querschnitt der über die künftige Auftragnehmerin künftig zu beschaffenden Artikel ab. Durch die Bepreisung des Warenkorbs unter den für alle Bewerber gleichen Bedingungen sei es möglich, für diesen Stichtag transparent und nachprüfbar zu ermitteln, welcher Bewerber zu diesem Stichtag die günstigsten Preise bieten könne.
Die Antragsgegnerin könne nur anhand der im Warenkorb einzutragenden Einzelpreise zutreffend die Wirtschaftlichkeit der jeweiligen Angebote beurteilen. Den von den Bewerbern eingetragenen Preisen kämen dabei auch Verbindlichkeit für den Bepreisungszeitpunkt zu. Würde ein Bewerber falsche Preisangaben im Warenkorb eintragen, um sich so einen Vorteil bei der Wertung seines Angebots zu verschaffen, hätte er zumindest eine vorvertragliche Pflicht verletzt und jedenfalls gegen den vergaberechtlichen Grundsatz des fairen Wettbewerbs verstoßen. Es stehe nicht fest, ob die Preise für die im Warenkorb aufgelisteten Artikel von den Einkaufsdienstleister künftig für die Auftraggeberin im Wege der europaweiten Ausschreibungen ermittelt werden müssten, häufig sei gar keine europaweite Ausschreibung für die Beschaffung der Waren nötig.
Die Bepreisung des Warenkorbs sei als Kostenkriterium einzustufen. Würde man sie nicht als Preis- oder Kostenkriterium ansehen, bei dem ausschließlich Erfolge des Unternehmens in der Vergangenheit bewertet werden würden, wäre es ein Qualitätskriterium, bei dem derartige Handelsbedingungen an Hand von vorgegebenen Warenkörben mit einer Bewertungsformel gewertet werden würden.
Die Verfahrensbedingungen seien nicht unzumutbar. Die Angabe der Einzelpreise sei erforderlich, damit die Angaben auch objektiv überprüfbar sein. Es sei durchaus üblich, dass Bewerber in einem europaweiten Vergabeverfahren vertrauliche Informationen und Geschäftsgeheimnisse offenbaren müssten. Des weiteren seien die Angaben vertraulich zu behandeln und die Antragstellerin habe durch eine Verpflichtung der Zugriffsbeschränkung einen zusätzlichen Schutz gewährt. Es werde auch ausdrücklich klargestellt, dass die bepreisten Warenkörbe der Bewerber nicht als Verhandlungshilfe gegenüber Herstellern herangezogen werden würden.
Ein Verstoß gegen die Vorgaben des § 6 VgV durch die Beteiligung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin liege nicht. Die Verfahrensbevollmächtigten seien nicht zeitgleich für das weitere Unternehmen und die Antragsgegnerin tätig gewesen, vielmehr sei das Mandat beendet gewesen, als sie beauftragt worden seien. Ergänzend wird insoweit auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 23.11.2020 und die bestandskräftige Entscheidung der VK Nordbayern vom 10.12.2021 verwiesen, deren Inhalt sich die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin zu eigen machen.
Der Senat hat auf Antrag der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde verlängert und hieran bis zuletzt festgehalten (vgl. Verfügung vom 27.01.2021). Mit Beschluss vom 05.02.2021 hat der Senat das Unternehmen, dem der Zuschlag erteilt werden soll, beigeladen. Die Beigeladene erklärte mit Schriftsatz vom 16.02.2021 den Beitritt auf Seiten der Antragsgegnerin, nahm an der mündlichen Verhandlung teil, stellte jedoch keinen Antrag.
B.
Die zulässige Beschwerde erwies sich im Ergebnis als begründet.
Die Erteilung eines Zuschlags auf der Grundlage des bisherigen Verfahrens würde die Antragstellerin wegen der nachfolgend festgestellten vergaberechtlichen Fehler in ihren Rechten verletzen. Der Antragsgegnerin ist deshalb antragsgemäß die beabsichtigte Zuschlagserteilung zu untersagen. Wenn die Antragsgegnerin an ihrer Beschaffungsabsicht festhält, ist es erforderlich, den ausgewählten Teilnehmern (einschließlich des Unternehmens, dessen Nachprüfungsantrag zwischenzeitlich bestandskräftig abgelehnt wurde), auf der Grundlage überarbeiteter Zuschlagskriterien die Möglichkeit zu eröffnen, ein neues Erstangebot abzugeben. Je nach Inhalt und Umfang der Änderungen, über die die Antragsgegnerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden hat, kommt auch die Aufhebung des ganzen Verfahrens und Durchführung einer neuen Ausschreibung (einschließlich neuer Bekanntmachung) in Betracht (vgl. zur teilweisen Zurückversetzung des Vergabeverfahrens OLG Düsseldorf vom 28.01.2015, VII-Verg 31/14, Rn. 21).
I. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
1. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich unstreitig um einen öffentlichen Auftraggeber (§ 99 Nr. 2 GWB).
2. Auftragsgegenstand sind die in den Vergabeunterlagen aufgelisteten Dienstleistungen, die sich die Antragsgegnerin beschaffen will. Ziel ist eine Kostenoptimierung im Bereich der laufend im Klinikbetrieb benötigten Materialien. Der Auftragnehmer soll Beratungs- und Unterstützungsleistungen zur Verbesserung des Beschaffungswesens erbringen. Zentrales „Herzstück“ der Beschaffung ist, wie die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, die Möglichkeit, den laufenden Bedarf an medizinischen und pflegerischen Gebrauchs- und Verbrauchsmaterialien (optional auch Pharmaartikel/Arzneimittel) möglichst preiswert und vergabekonform mit Hilfe der Auftragnehmerin zu decken. Die Produkte werden dabei nicht von der Auftragnehmerin gekauft und an die Antragsgegnerin geliefert, vielmehr beschafft sich die Antragsgegnerin diese direkt bei den Herstellern bzw. Lieferanten, indem sie die Produkte entsprechend ihrem Bedarf zu den in den Rahmenverträgen festgelegten Konditionen ordert. Die Dienstleistung der Auftragnehmerin, die mit der streitgegenständlichen Ausschreibung beschafft werden soll, ist mithin, möglichst günstiger Rahmenverträge mit Herstellern und Lieferanten der benötigten Produkte abzuschließen bzw. der Antragsgegnerin den Zugang zu bestehenden Rahmenverträgen zu eröffnen, damit sie diese Vereinbarungen (einschließlich etwaiger Rabatt- und Bonuszusagen) zur Deckung ihres Bedarfs nutzen kann. Die Gegenleistung für diese – einer Maklerleistung ähnlichen – Tätigkeit der Auftragnehmerin ist der Mitgliedsbeitrag, der jedoch unstreitig eine untergeordnete Rolle spielt, sowie die Provisionen aus dem Umsatz der Antragsgegnerin, die üblicherweise von den Herstellern bzw. Lieferanten bezahlt werden.
3. Der streitgegenständliche Auftrag überschreitet den Schwellenwert. Die Antragsgegnerin geht selbst von einem jährlichen Einkaufsbedarf an Material und Produkten in Höhe von 21 Mio € (brutto) bzw. 26 Mio € (brutto) pro Jahr aus. Rechnet man einen Provisionsanteil von 1,5% aus diesen Beträgen, den die Auftragnehmerin für sich vereinnahmt, wird der aktuelle Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungsverträge weit überschritten. Dass die Provision üblicherweise von den Herstellern bzw. Lieferanten bezahlt wird, hält der Senat für unschädlich. Es liegt auf der Hand, dass die Provision in die Einkaufskonditionen bzw. den Warenpreis für die Mitglieder der Einkaufsgemeinschaft eingepreist wird und somit wirtschaftlich von der Antragsgegnerin getragen wird. Dies entspricht auch den Erwägungen der Antragsgegnerin in der Vergabedokumentation.
4. Die Antragstellerin hat Vergabeverstöße ordnungsgemäße und rechtzeitig gerügt.
a) Das Schreiben vom 30.07.2020 genügt den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Rüge I. S.v. § 160 Abs. 3 GWB.
Die Rechtsprechung legt an die Rüge einen eher großzügigen Maßstab an (OLG München, Beschluss vom 07.08.2007 – Verg 8/07, zitiert nach juris, Tz. 11 f.; OLG Dresden, Beschluss vom 06.02.2002 – WVerg 4/02, zitiert nach juris, Tz. 19). Der Bieter hat – soweit es ihm möglich ist – tatsächliche Anhaltspunkte oder Indizien vortragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen (siehe OLG München, Beschluss vom I1. 06.2007 – Verg 6/07, zitiert nach juris, Tz. 31). Die Rüge hat die Funktion, den öffentlichen Auftraggeber in die Lage zu versetzen, einen etwaigen Vergaberechtsverstoß zeitnah zu korrigieren (Beschleunigung des Vergabeverfahrens, Selbstkontrolle des öffentlichen Auftraggebers). Es ist nicht erforderlich, dass das Schreiben ausdrücklich als Rüge bezeichnet wird, es genügt vielmehr, dass inhaltlich hervorgeht, dass Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen geltend gemacht und dass Abhilfe begehrt wird. Es ist ausreichend, dass ein Bieter mit der Rüge die auf den Vergaberechtsverstoß hindeutenden Tatsachen substantiell und konkret benennt und deutlich macht, worin er den Verstoß sieht. Er muss nicht die damit verbundenen Rechtsfragen vollständig und in Gänze durchdringen (vgl. OLG Düsseldorf vom 03.04.2019, VII Verg 49/18; OLG Schleswig, Beschluss vom 22.01.2019 – 54 Verg 3/18 = BeckRS 2019, 590, Tz. 48).
Gemessen an diesen Grundsätzen genügt das Schreiben vom 30.07.2020 den Anforderungen an eine Rüge. Die Antragstellerin hat zum einen beanstandet, dass die Einzelpreise für den Warenkorb anzugeben seien und sie hat geltend gemacht, dass ihr diese Angaben unzumutbar seien. Es wurde darum gebeten, die Abfrage der Einzelpreise zu überdenken, es ist aber auch der Hinweis enthalten, dass es am Auftragsbezug des Zuschlagskriteriums „Warenkorb“ fehle. Auch wenn sich der Inhalt des Schreibens vorrangig gegen die Pflicht zur Offenlegung von Einzelpreisen richtet, ist ersichtlich, dass sich die Antragstellerin auch grundsätzlich dagegen wendet, die Zuschlagsentscheidung anhand des „Warenkorbes“ vorzunehmen. Trotz des höflichen Tones des Schreibens ist ersichtlich, dass die Antragstellerin eine Korrektur der von ihr aufgezeigten Vergabeverstöße erwartet, mithin Abhilfe begehrt. Nicht anders ist das Schreiben auch von der Antragsgegnerin verstanden worden.
b) Die Rüge, dass der Antragstellerin die Offenlegung der geforderten Einzelpreisangaben nicht möglich bzw. zumutbar ist, erfolgte nach § 160 Abs. 3 GWB rechtzeitig.
Allgemein ist festzustellen, dass der Gesetzgeber bewusst und gewollt im Rahmen des VergRModG 2016 die Rügeobliegenheiten in § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB modifiziert hat, um zu gewährleisten, dass auch im Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb Bewerber in den Vergabeunterlagen erkennbare Vergabeverstöße möglichst frühzeitig rügen. Allerdings bezieht die Rechtsprechung auch bei dieser Fallkonstellation unter dem Gesichtspunkt „Erkennbarkeit“ des Verstoßes mit ein, inwieweit der Inhalt der Vergabeunterlagen für die grundsätzliche Entscheidung, sich an dem Teilnahmewettbewerb zu beteiligen, bedeutsam ist. So hat u.a. das Oberlandesgericht Düsseldorf in einem Fall, bei dem erst im Zuge der Angebotsabgabe Unstimmigkeiten in den Vergabeunterlagen zutage getreten sind, einen Verstoß gegen die Rügeobliegenheiten verneint (OLG Düsseldorf vom 28.03.2018, VII-Verg 54/17).
Vorliegend war zwar generell die Vorgabe der Einzelpreisangabe aus den veröffentlichten Unterlagen ohne weiteres erkennbar, aber weder der Inhalt noch der Umfang des Warenkorbs war zu diesem Zeitpunkt bekannt gegeben. Für die Antragstellerin war nicht absehbar, wie die Einzelpreise aufzuschlüsseln waren, in welcher Anzahl ggfs. Genehmigungen der betroffenen Lieferanten erforderlich sind. Der Senat teilt insoweit die Auffassung der Vergabekammer, dass eine Rügepflicht vor der genauen Kenntnis des Inhalts des Warenkorbs nicht bestanden hat. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin den möglichen Verstoß gegen Vergabevorschriften aus der Bekanntmachung bzw. den zeitgleich zugänglich gemachten Vergabeunterlagen erkannt hat oder hätte erkennen hätte müssen (§ 160 Abs. 3 Nr.1, 2 oder 3 GWB), liegen nicht vor.
c) Die Antragstellerin ist auch mit ihrer Rüge, dass der Gesamt-Netto-Einkaufpreis der im Warenkorb gelisteten Artikel kein zulässiges Zuschlagskriterium darstellt, nicht präkludiert, da sie auch diesen möglichen Verstoß gegen Vergabevorschriften weder erkannt hat (§ 160 Abs. 3 Nr.1 GWB) noch ein solcher für sie erkennbar war (§ 160 Abs. 3 Nr.2 GWB). Für eine positive Kenntnis vor der anwaltlichen Beratung und Übersendung des Rügeschreibens vom 30.07.2020 fehlt es an konkreten Anhaltspunkten, so dass es auch hier darauf ankommt, inwieweit der fragliche Verstoß „erkennbar“ war.
Wie u.a. das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in seiner Entscheidung vom 12.11.2020, Az. 54 Verg 2/20 ausgeführt hat, ist ein Vergaberechtsverstoß dann erkennbar, wenn er von einem durchschnittlichen Bieter bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen erkannt werden kann. Es müssen die dem Verstoß zugrundeliegenden Tatsachen erkennbar sein, es ist aber auch nötig, dass diese bei zumindest laienhafter rechtlicher Bewertung als Vergaberechtsverstöße erkannt werden können (Gabriel/Mertens in: BeckOK Vergaberecht, 14. Ed., § 160 GWB, Rn. 159). Erkennbar in rechtlicher Hinsicht sind Vergaberechtsverstöße, wenn die Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen wurde, zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise gehören (OLG München NZBau 2016, 98-100, juris Rn. 43). Eine Rügepräklusion nimmt die Rechtsprechung deshalb regelmäßig nur bei Rechtsverstößen an, die in der Vergabepraxis gängig sind und daher auch den Bietern üblicherweise als Problem bekannt sind.
Zudem muss der Verstoß so deutlich zutage treten, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots bzw. seiner Bewerbung auffallen muss (OLG Düsseldorf, NZBau 2014, 371, 372). Das Oberlandesgericht Düsseldorf stellt darauf ab, dass ein Vergaberechtsverstoß dann erkennbar ist, wenn er sich durch bloßes Lesen der einschlägigen Normen und einen Vergleich mit dem Text der Vergabeunterlagen ohne weiteres feststellen lässt, wobei allerdings eine umfassende Kenntnis der dem Verfahren zugrundeliegenden Vorschriften nicht zu erwarten ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.06.2016, Verg 6/16, Rn. 36 bei juris).
Vorliegend kann zwar nicht angenommen werden, dass sich ein Teilnehmer bei der Frage, ob er einen Antrag in einem Wettbewerb abgibt, nicht dafür interessiert, welche Zuschlagskriterien die Vergabestelle festlegt. Allerdings ist die rechtliche Problematik, ob die Vergabestelle nach § 127 GWB einen ausgewählten Warenkorb und die vom Bewerber bisher mit Dritten vereinbarten Preise als Zuschlagskriterium heranziehen darf, keine Frage, mit der sich die Rechtsprechung oder der Fachliteratur bislang vertieft befasst hat. Ohnehin dürfte in der Vergangenheit tendenziell der Beitritt eines öffentlichen Auftraggebers zu einer Einkaufsgemeinschaft im Gesundheitswesen ohne die gebotene europaweite Ausschreibung erfolgt sein (vgl. VK Bund vom 11.05.2016, VK 1-22/16 und VK Westfalen vom 12.03.2020, VK 1-1/20). Auch wurde in der mündlichen Verhandlung von den Verfahrensbeteiligten erläutert, dass das Kriterium „Warenkorb“ auch bei den aktuell laufenden Ausschreibungen Verwendung findet.
Es kann deshalb offenbleiben, ob insoweit ein objektiver, auf den durchschnittlichen, verständigen Bewerber abstellender oder ein subjektiver, auf die individuellen Verhältnisse des Antragstellers abstellender Maßstab anzuwenden ist (vgl. OLG Düsseldorf Beschluss vom 22.10.2008 – VII-Verg 48/08), da auch für einen erfahrenen mit vergaberechtlichen Vorschriften vertrauten Bieter der mögliche Rechtsverstoß, den die Antragsgegnerin ohnehin umfänglich in Abrede stellt, nur unter Aufwendung juristischen Sachverstands erkennbar war. Es kann nicht erwartet werden, dass ein Bewerber mit dieser Problematik vertraut ist, mögen auch die interessierten Einkaufsgemeinschaften vorliegend selbst mit öffentlichen Ausschreibungen für ihre Mitglieder befasst sein. Es besteht auch anerkanntermaßen keine Verpflichtung für einen Bieter oder Bewerber, frühzeitig Rechtsrat einzuholen, um etwaige Vergabeverstöße zu ermitteln und rügen zu können.
d) Gegen die Präklusion der Rüge „produktspezifische Ausschreibung“ wendet sich die Antragstellerin in der Beschwerde nicht. Zur Frage der Verlängerung der Angebotsfrist schließt sich der Senat den Ausführungen der Vergabekammer an. Die Angebotsfrist wurde verlängert, insoweit gab es eine Abhilfeentscheidung. Die Antragstellerin hätte erneut rügen müssen, um sich in einem Nachprüfungsverfahren darauf berufen zu können, dass die Frist zu kurz war.
e) Die mit Schriftsatz vom 23.11.2020 geltend gemachte Rüge der Antragstellerin, dass die Beteiligung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin gegen § 6 VgV verstoßen würde, hat die Antragstellerin ebenfalls rechtzeitig geltend gemacht. Zwar war der Antragstellerin bereits im Teilnahmeverfahren bekannt, dass die anwaltlichen Berater geschäftliche Kontakte zu potentiellen Bewerbern unterhalten, was sie bis zum Ablauf der Teilnahmefrist nicht gerügt hat. Unstreitig ist allerdings erst im Beschwerdeverfahren bekannt geworden, dass die Verfahrensbevollmächtigten eine andere Teilnehmerin in einem Nachprüfungsverfahren anwaltlich beraten und vertreten haben, was deutlich über das hinausgeht, was zunächst bekannt war bzw. bekannt sein musste. § 160 Abs. 3 S. 1 GWB kommt für einen erst im Nachprüfungsverfahren erkannten möglichen Verstöße nicht zur Anwendung. Soweit die Antragsgegnerin meint, die Antragstellerin habe nicht hinreichend schnell auf die weiteren Informationen reagiert und damit dem aus § 167 Abs. 2 S. 1 GWB resultierenden Beschleunigungsgebot nicht ausreichend Rechnung getragen, kann der Argumentation schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Senat der Antragstellerin Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt hat. Diese hat sich innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist den Rügen der Konkurrentin angeschlossen. Schneller musste sich die Antragstellerin jedenfalls nicht äußern. Auch die von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidungen enthalten keine rechtlichen Ausführungen, die vorliegend eine Zurückweisung der Rüge als verspätet rechtfertigen würden.
II.
Der Nachprüfungsantrag erwies sich als begründet, da die Antragstellerin durch das Zuschlagskriterium „Warenkorb“ in ihren Rechten verletzt wird.
Der Gesamt-Netto-Preis des Warenkorbs stellt aus nachfolgenden Gründen in seiner konkreten Ausgestaltung kein zulässiges Zuschlagskriterium dar. Nach § 127 Abs. 1 GWB ist der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen, wobei sich das wirtschaftlichste Angebot nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bestimmt, zu dessen Ermittlung neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden können.
In § 127 Abs. 3 GWB ist weiter geregelt, dass die Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen müssen, wobei diese Verbindung auch dann anzunehmen ist, wenn sich ein Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung beziehen. Nach Art. 67 Abs. 3 RL 2014/24/EU stehen Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand des öffentlichen Auftrags in Verbindung, wenn sie sich in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem Lebenszyklus-Stadium auf die gemäß dem Auftrag zu erbringenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen beziehen.
Unter Anwendung dieser Grundsätze kann das Kriterium vorliegend nicht als ein zulässiges Zuschlagskriterien nach § 127 GWB und § 58 VgV eingestuft werden.
1. Ausgangspunkt ist der Inhalt des Angebotes bzw. der Auftragsgegenstand, d.h. die Leistung, zu der sich Bieter verpflichtet.
Hierbei stellt sich folgende Problematik:
Neben den zu erbringenden Dienst- und Beratungsleistungen besteht der wirtschaftlich maßgebliche Teil des ausgeschriebenen Auftrags darin, der Auftraggeberin zu ermöglichen, medizinische und pharmazeutische Artikeln zu den von der Einkaufsgemeinschaft mit Herstellern bzw. Lieferanten vereinbarten Konditionen zu beschaffen. Auf welche Konditionen und Vergünstigungen für welche Produkte die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Mitgliedschaft mit Hilfe der Einkaufsgemeinschaft zurückgreifen kann, steht zu dem Zeitpunkt der Angebotsabgabe nicht fest und kann letztendlich erst in der Rückschau berechnet werden. Die Höhe der Einkaufsvorteile ist abhängig von den jeweiligen Verträgen der Einkaufsgemeinschaft mit den Lieferanten bzw. Herstellern der pharmazeutischen und medizinischen Produkte. Es kommt auf den Inhalt und die Laufzeit der ausgehandelten Rahmenverträge an, wem unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Rabatte gewährt werden. Weiter steht nicht fest, ob die Antragsgegnerin überhaupt auf die Konditionen der Einkaufgemeinschaft zurückgreifen kann, da denkbar und nicht völlig fernliegend ist, dass der Bedarf die maßgeblichen europarechtlichen Schwellenwerte überschreitet und ausgeschrieben werden muss.
Es steht mithin außer Zweifel, dass es sich bei den Preisen, die die Bewerber für die ausgewählten Produkte nennen sollen, nicht um den Preis ihrer Leistung handelt. Die Antragsgegnerin fragt damit aber auch nicht konkrete Zusatzkosten ab, die ihr bei der Inanspruchnahme der ausgeschriebenen Leistung entstehen werden. Der Senat verkennt nicht, dass es schwierig ist, Kriterien zu finden, das wirtschaftlichste Angebot mit dem besten Verhältnis zwischen Preis und Leistung zu ermitteln. Angesichts der Ungewissheiten, welche Waren die Auftraggeberin künftig in welcher Menge ordern wird und auf welche Preise und Konditionen sie dann zurückgreifen kann, kann aber letztlich nicht festgestellt werden, dass die abgefragten Preise des Warenkorbes eine effektive Ermittlung des „wirtschaftlichsten“ Angebots ermöglichen.
Der Senat hat dabei einbezogen, dass die mit der Mitgliedschaft in einer Einkaufsgemeinschaft verbundenen ökonomischen Vorteile bei der Beschaffung medizinischer und pharmazeutischer Artikel a priori nicht festgestellt werden, sondern lediglich prognostiziert werden können und dass die Antragsgegnerin anhand des „Warenkorbes“ eine Art Prognose vornehmen will.
Wie in der mündlichen Verhandlung von Antragsgegnerseite erläutert, liegt der Abfrage der mitgeteilten Preise die allgemeine Überlegung zugrunde, dass demjenigen, der in der Vergangenheit besonders gute Konditionen mit Herstellern und Lieferanten ausgehandelt hat, auch in der Zukunft wahrscheinlich gelingt, vorteilhafte Rahmenverträge zu schließen.
Eine echte Prognose, dass die Antragsgegnerin ihren (nicht konkretisierten) Bedarf an Waren und Materialien zu bestimmten Preisen einkaufen kann, hat sie nicht vorgenommen und kann sie wohl auch auf diese Weise nicht vornehmen. Denn die im Warenkorb angegebenen Preise und Konditionen sind für die beabsichtigte vertragliche Zusammenarbeit unverbindlich. Es handelt sich lediglich um eine fiktive Bestellung und die angegebenen Preise werden und können nicht einmal in einem groben Rahmen vom Bewerber garantiert werden. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich die Bewerberin bei der künftigen Zusammenarbeit und Abwicklung des Auftrags an den Preisangaben für die aufgeführten Artikel in dem Warenkorb messen lassen müsste.
Der Antragsgegnerin ist zuzugestehen, dass die in dem Warenkorb angegebenen Preise wie sämtliche Angaben des Angebots zutreffend sein müssen und bei fehlerhaften Angaben gegebenenfalls (sekundäre) Schadensersatzansprüche bestehen. Die im Warenkorb angegebenen Preise werden aber durch diese selbstverständliche Anforderung weder Vertragsbestandteil noch lässt sich damit abschätzen, welche Bedingungen künftige Rahmenverträgen der Einkaufsgemeinschaft haben werden.
2. Rechtlich stellt sich die Sachlage damit wie folgt dar:
a) Da der Warenkorb eine Bestellung nur simuliert und die dort aufgeführten Preise keine Verbindlichkeit besitzen, kann der Gesamt-Netto-Betrag des Korbes weder den Gesamtpreis noch einen Teilpreis der zu erbringenden Leistungen abbilden, zumal die Einkaufsgemeinschaft die Waren nicht selbst verkauft, sondern nur die Möglichkeit zum Einkauf verschafft.
b) Zwar kann sich ein Zuschlagskriterium durchaus auf die Kosten beziehen, die aus der Annahme eines Angebots resultieren, auch wenn diese erst zu einem Zeitpunkt nach der Auftragsvergabe genau bekannt sein werden und sie zum Vergabezeitpunkt nur prognostiziert werden können (Beck VergabeR/Opitz, 3. Aufl. 2017, GWB § 127 Rn. 47). Vorliegend dient der Warenkorb jedoch – wie auch die Angaben der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben – nicht einer Prognose der mit dem Auftrag verbundenen Folgekosten, sondern ausschließlich der Prognose, von welchem Bieter der höchste ökonomische Vorteil bei der Warenbeschaffung zu erwarten ist. Dies bedeutet aber nichts anderes, als dass damit der Bewerber herausgefiltert werden soll, der am besten geeignet erscheint, in der Zukunft günstige Konditionen auszuhandeln. Damit handelt es sich jedoch um ein Eignungs- und nicht um ein Zuschlagskriterium.
c) Die Warenkorbabfrage stellt damit auch kein Kriterium dar, das qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte des zu vergebenden Auftrags berücksichtigt (§ 58 Abs. 2 VgV). Weder geht es um besonders qualifiziertes Personal, dessen Einsatz abgefragt wird noch um sonstige Faktoren, die Anforderungen des Auftraggebers an die zu erbringende Leistung regeln.
d) Das Kriterium „Warenkorb“ steht damit nicht, wie von § 127 Abs. 3 GWB vorgeschrieben, mit dem Auftragsgegenstand, d.h. der zu erbringenden Leistung, in Verbindung, da – wie oben ausgeführt – es lediglich der Prognose der Leistungsfähigkeit des Bieters dient und ihm keinerlei Bedeutung bei Erfüllung des ausgeschriebenen Auftrags zukommt. Die Abfrage ist am ehesten mit einer (Selbst-) Referenz zu vergleichen, d.h. der Bieter stellt dar, zu welchen Konditionen er aufgrund seiner Rahmenvereinbarungen den Warenbedarf zu dem angegebenen Stichtag hätte decken können. Eine Verbindung mit dem Auftragsgegenstand fehlt aber dann, wenn bei der Zuschlagserteilung Kriterien herangezogen werden, die die in § 122 Abs. 1 u. 2 GWB genannten Aspekte der Eignung betreffen (vgl. Beck VergabeR/Opitz, 3. Aufl. 2017, GWB § 127 Rn. 94).
3. Die Antragstellerin ist durch die Verwendung unzulässiger Zuschlagskriterien in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt, da den Anforderungen an die Bestimmung der Zuschlagskriterien bieterschützender Charakter zukommt. Hält die Antragsgegnerin an ihrer Beschaffungsabsicht fest, muss sie den Fehler durch geeignete Maßnahmen beheben.
4. Die Problematik, ob die Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 6 VgV im Vergabeverfahren nicht hätten beratend tätig werden dürfen, bedarf vor diesem Hintergrund keiner vertieften Auseinandersetzung.
Ganz allgemein ist festzustellen, dass auch anwaltliche Berater der Vergabestelle „Beschaffungsdienstleiter“ im Sinne des § 6 VgV sein können, bei denen Interessenkonflikte durch eine aktuelle Beratung oder laufende Geschäftsbeziehung mit Bewerbern (oder deren Muttergesellschaft) auftreten können (vgl. hierzu ausführlich OLG Karlsruhe vom 30.10.2018, 15 Verg 6/18). Maßgeblich ist hierfür, inwieweit Personen, die an der Durchführung des Vergabeverfahrens beteiligt sind oder Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens nehmen können, ein direktes oder indirektes finanzielles, wirtschaftliches oder persönliches Interesse haben, dass ihre Unparteilichkeit und Unabhängigkeit im Rahmen des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte.
Im konkreten Fall war der Antragstellerin allerdings seit längerem bekannt, dass es geschäftliche Kontakte der Anwälte zu potentiell am Verfahren interessierten Einkaufsgemeinschaften gab, ohne dass sie dies gerügt hatte. Aufgegriffen hat sie die Problematik wegen der bekannt gewordenen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten für eine Mitbewerberin in einem anderen Nachprüfungsverfahren. Zu diesem Aspekt ist festzustellen, dass das fragliche Nachprüfungsverfahren im März 2020 bestandskräftig abgeschlossen wurde und damit die Mandatsbeziehung beendet war. Die Beauftragung zur Beratung im Vergabeverfahren erfolgte ca. 2 Monate später. Dies ergibt sich aus den Akten und den Darlegungen der Antragsgegnerseite. Auch ansonsten haben die Verfahrensbevollmächtigten in Abrede gestellt, Geschäftsbeziehungen zu unterhalten, die einer beratenden Tätigkeit im Vergabeverfahren entgegenstehen, jedenfalls im Hinblick auf den streitgegenständlichen Verfahrensabschnitt. Die Antragstellerin hat ihrerseits keine Bedenken in Bezug auf die Auswahl der Teilnehmer geltend gemacht. Im übrigen muss ohnehin eine Korrektur und teilweise Wiederholung des Verfahrens stattfinden, wenn die Antragsgegnerin an ihrem Beschaffungsbedarf festhält.
Ob die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin bei der Fortsetzung des Vergabeverfahrens, der Überarbeitung der Zuschlagskriterien und der Auswahl der Bewerber weiterhin beratend tätig werden (können), insbesondere ob und in welchem Umfang die aktuellen geschäftlichen Kontakte zu Teilnehmern oder deren Muttergesellschaften einer weiteren Tätigkeit entgegen stehen, ist anhand der nunmehrigen Verhältnissen von der Antragsgegnerin zu beurteilen und hier nicht zu entscheiden.
5. Die Verpflichtung zur Angabe von Einzelpreisen würde der Senat nicht von vorneherein für unzulässig oder objektiv unzumutbar halten, wenn die Abfrage in einem vergaberechtlich zulässigen Kontext erfolgen würde. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Vergabestelle in der Lage sein muss, zumindest die Plausibilität der angegebenen Preise zu überprüfen und die betroffenen Lieferanten und Firmenhersteller gegenüber der Antragsgegnerin im Falle einer Beauftragung im Rahmen der Rechnungsstellung die Preise ohnehin offenlegen müssten. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Angabe von Einzelpreisen nur der Markterkundung dienen sollten. Inwieweit die Antragstellerin von ihren Vertragspartnern eine Freigabe zur Offenlegung der Preise erhält, liegt in ihrer Verantwortung.
C.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 175 Abs. 2 GWB i. m. § 71 Satz 1 GWB. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer beruht auf § 182 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 GWB. Angesichts der tatsächlich und rechtlich schwierigen Fragen war auf Antrag der Antragstellerin festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten in dem Verfahren vor der Vergabekammer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war (§ 182 Abs. 4 GWB). Auch die Kosten für das Verfahren nach § 173 Abs. 1 S. 2 GWB hat die Antragsgegnerin Verg 12/20 – Seite 21 – zu übernehmen. Die Beigeladene, die sich am Verfahren nicht aktiv beteiligt hat, hat ihre Aufwendungen selbst zu tragen.
D.
In Bezug auf den Streitwert legt der Senat folgende Parameter zugrunde:
Die Antragsgegnerin geht von einem jährlichen Bedarf an Produkten in Höhe von 21 Mio € brutto (Ge- und Verbrauchsmaterial) bzw. 26 Mio € brutto (Pharmaartikel) aus. Diesen Bedarf will sie mit Unterstützung der Einkaufsgemeinschaft decken, die hierfür einen – unbedeutenden – jährlichen Mitgliedsbeitrag sowie Umsatzprovisionen erhält. Gerechnet über die Laufzeit von 4 Jahren und unter Berücksichtigung der Verlängerungsoption von 2 Jahren (diese werden nach der BGH-Rechtsprechung nur mit 50% gewertet) ergibt dies einen Warenbedarf von geschätzt 105 Mio € bzw. 130 Mio €. Da bei den Pharmaartikeln zunächst nicht klar war, ob diese auch beschafft werden und es auch in Betracht kommt, dass nicht alle Waren über Rahmenverträge der Einkaufsgemeinschaft erworben werden (können), erfolgt ein Abschlag von 20% (= 84 Mio €) bzw. ca. 40% (78 Mio €). Als Warenumsatz legt der Senat über die Laufzeit einen geschätzten Wert von 162 Mio € für die Streitwertberechnung zugrunde. Maßgeblich ist allerdings nicht dieser Umsatz, sondern die Einnahmen, die die Einkaufsgemeinschaft damit voraussichtlich erzielt.
Selbst wenn Umsatzprovisionen von den Händlern bzw. Lieferanten zu zahlen sind, werden diese Beträge in die Rahmenvereinbarungen „eingepreist“, die die Antragsgegnerin nutzen will, so dass diese als Teil des Auftragswertes anzusehen sind. Auch wenn die Antragstellerin die Einnahmen nur zur Kostendeckung verwenden und den Überschuss wieder an ihre Mitglieder auskehren sollte, betrachtet der Senat die gesamten zu erwartenden Einnahmen aus der Kooperation für die Bestimmung des Streitwertes, da dies das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin am Auftrag widerspiegelt. Üblicherweise wird nach Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf dem Markt ein Provisionssatz von 1,5% berechnet. Bei einem Umsatzvolumen von 162 Mio € ergeben sich damit für die Antragstellerin Einnahmen von 2,43 Mio € brutto über die Laufzeit des Vertrages.
5% dieser Summe ergeben einen Streitwert von 121.500 € (§ 50 Abs. 2 GKG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben