Baurecht

Verpflichtungsklage, Befreiung von abfallrechtlichem Anschluss- und Überlassungszwang

Aktenzeichen  W 4 K 19.1621

Datum:
7.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 50996
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5
Abfallwirtschaftssatzung § 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die – entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung vom 7. September 2021 klargestellten Klagebegehren – auf eine Befreiung vom abfallrechtlichen Anschluss- und Überlassungszwang gerichtete Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig.
Statthafte Klageart ist insoweit die Verpflichtungsklage. Die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage setzt grundsätzlich einen vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts voraus (vgl. Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Werkstand: 40. EL, Februar 2021, § 113 Rn. 205). Eine solche Antragstellung kann – unter entsprechender Auslegung – sowohl in der Vorsprache des Klägers bei der Beklagten vom 30. Januar 2019, als auch in seinem Schreiben vom 6. Februar 2019 gesehen werden. Dort hat der Kläger jeweils gegenüber der Beklagten zum Ausdruck gebracht, dass er mangels Abfall keine Verwendung für eine Mülltonne habe. Entsprechend hat auch die Beklagte das Vorbringen des Klägers als Begehren, vom Anschluss- und Überlassungszwang befreit zu werden, gewertet, indem sie dem Kläger unter Bezugnahme hierauf mit Schreiben vom 19. Februar 2019 mitteilte, dass eine Befreiungsmöglichkeit nicht bestehe.
Auch ist die Klage nicht verfristet. Nach § 74 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO muss eine Verpflichtungsklage, sofern der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist, grundsätzlich binnen Monatsfrist erhoben werden. Selbst wenn man jedoch in den Schreiben der Beklagten vom 19. Februar 2019 bzw. vom 2. April 2019 eine (förmliche) Ablehnung des Befreiungsantrags erblicken würde, fehlt es jedenfalls an einer für den Lauf der Klagefrist erforderlichen Rechtsbehelfsbelehrung, § 58 Abs. 1 VwGO. Die sodann für die Klageerhebung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO geltende Jahresfrist ist durch Klageerhebung mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2019 gewahrt.
Auch der mit Schreiben des Klägers vom 13. März 2019 eingelegte Widerspruch steht der Zulässigkeit der vorliegend erhobenen Klage nicht entgegen. Dieser richtete sich ausdrücklich nur gegen den Gebührenbescheid der Beklagten vom 20. Februar 2019. Der Gebührenbescheid betrifft jedoch nicht den Streitgegenstand der hiesigen Klage, welche ausweislich der dahingehenden Klarstellung des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung auf die Erteilung einer Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang gerichtet ist.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Befreiung von dem in § 6 der Satzung über die Vermeidung, Verwertung und sonstige Entsorgung von Abfällen in der Gemeinde Stettfeld vom 16. Dezember 2011 (Abfallwirtschaftssatzung) normierten Anschluss- und Überlassungszwang mit Blick auf die öffentliche Abfallentsorgungseinrichtung der Gemeinde zu. Die Ablehnung bzw. das Unterlassen der begehrten Befreiungserteilung ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
2.1. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 der Abfallwirtschaftssatzung sind die Grundstückseigentümer im Gemeindegebiet verpflichtet, ihre Grundstücke an die öffentliche Abfallentsorgungseinrichtung der Gemeinde anzuschließen (Anschlusszwang). Die nach Abs. 1 anschlusspflichtigen Personen haben sodann gemäß § 6 Abs. 2 der Abfallwirtschaftssatzung den auf ihren Grundstücken anfallenden Abfall der öffentlichen Abfallentsorgungseinrichtung der Gemeinde zu überlassen (Überlassungszwang). Der Kläger ist Eigentümer des im Gemeindegebiet der Beklagten gelegenen Grundstücks S. …, 9. … S. … Er ist somit grundsätzlich von dem in der Satzung angeordneten Anschluss- und Überlassungszwang erfasst.
2.2. Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände nach § 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Abfallwirtschaftssatzung. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 sind vom Anschlusszwang ausgenommen die nicht zu Wohn-, gewerblichen und freiberuflichen Zwecken nutzbaren bzw. für eine solche Nutzung nicht vorgesehenen Grundstücke, auf denen Abfälle, für die nach Abs. 2 ein Überlassungszwang besteht, nicht oder nur ausnahmsweise anfallen. Weiter ausgenommen sind ausschließlich gewerblich genutzte Grundstücke, soweit der Grundstückseigentümer den Nachweis erbringen kann, dass die auf dem Grundstück regelmäßig anfallenden Abfälle zur Beseitigung über die Abfallentsorgungseinrichtung Abfallwirtschaftsgesellschaft des Landkreises Haßberge mbH ordnungsgemäß entsorgt werden, § 6 Abs. 1 Satz 3. Diese Ausnahmetatbestände greifen vorliegend bereits deshalb nicht ein, da der Kläger das streitgegenständliche Grundstück nach eigenen Angaben zu Wohnzwecken nutzt.
2.3. Eine über den Wortlaut der Satzung hinausgehende Befreiungsmöglichkeit bzw. ein entsprechender Anspruch des Klägers ist schließlich auch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht geboten. Im Hinblick auf die Funktion des Rechtsinstituts des Anschluss- und Überlassungszwangs bzgl. der kommunalen Abfallentsorgung – in solidarischer Gemeinschaft aller örtlichen Grundstückseigentümer, das heißt ohne eine Vielzahl von Befreiungen, die gemeinsame Aufgabe der Abfalleinsammlung auf Gemeindeebene wirksam zu bewältigen – ist eine Befreiung vom Anschluss- und Überlassungszwang an die öffentliche Abfallentsorgungseinrichtung der Gemeinde ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn außergewöhnliche und schwerwiegende Umstände die Situation des Pflichtigen kennzeichnen und sich folglich die Durchsetzung des Anschluss- und Überlassungszwangs als offensichtlich unzumutbar erweisen würde (vgl. HessVGH, U.v. 20.6.1990 – 5 UE 2741/86 – juris Rn. 31). Derart schwerwiegende Umstände, die im vorliegenden Einzelfall die Einbeziehung des Klägers in den Anschluss- und Überlassungszwang in offensichtlicher Weise als unzumutbar erscheinen ließen, sind vorliegend zur Überzeugung des Gerichts nicht gegeben.
Soweit der Kläger sich diesbezüglich darauf beruft, bei ihm falle insbesondere kein Restmüll an, kann er mit seinem dahingehenden Vorbringen nicht durchdringen. Zum einen steht die Aussage, beim Kläger falle kein Müll an, bereits im Widerspruch zu dessen schriftlichen Ausführungen im Rahmen der Klagebegründung vom 6. Dezember 2019, wonach der Kläger unvermeidbare Abfallreste durch direkte Verbringung zu Verwertungsstellen entsorgt (vgl. Blatt 3, Absatz 1 der Klagebegründung). Zum anderen besteht nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ohnehin eine auf der Lebenserfahrung beruhende, unwiderlegbare Vermutung dahingehend, dass auf bewohnten Grundstücken – wie dem vorliegenden Grundstück des Klägers – Abfall anfällt (vgl. BayVGH, U.v. 8.3.1995 – 4 B 93.3830 – juris Rn. 18; B.v. 16.4.1998 – 4 B 95.3663 – juris Rn. 20; vgl. auch VG München, U.v. 14.9.2006 – M 10 K 05.3278 – juris Rn. 29). Auch die weitere obergerichtliche Rechtsprechung geht davon aus, dass selbst bei einem Einpersonenhaushalt, der seinen Abfall so sorgfältig wie möglich trennt, der alle Angebote zur Abfallverwertung wahrnimmt und der etwa schon bei den Einkäufen auf Abfallvermeidung in Gestalt von der Kreislaufwirtschaft problemlos zuführbaren Verpackungen und Materialien achtet, der Anfall von Restmüll nicht gänzlich vermieden werden kann (vgl. OVG Saarl, B.v. 7.4.2017 – 2 A 126/16 – juris Rn. 12). Dementsprechend ist auch im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass auf dem Grundstück des Klägers – wenn auch nur in geringem Umfang – Abfall anfällt. Dem abfallreduzierenden Lebensstil des Klägers wird indes bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihm der kleinstmögliche Abfallbehälter (60 Liter) mit der geringsten Leerungsfrequenz zugestanden wird. Ein Anspruch auf vollumfängliche Befreiung vom Anschlusszwang an die öffentliche Abfallentsorgungseinrichtung der Gemeinde kann hieraus dagegen nicht abgeleitet werden.
Auch die Tatsache, dass der Kläger zur Abfallentsorgung nicht auf eine Abholung durch die gemeindliche Müllabfuhr angewiesen ist, sondern nach eigenen Angaben unvermeidbare Reste durch direkte Verbringung zu Verwertungsstellen selbst entsorgen kann, begründet keine für eine Befreiung erforderliche offensichtliche Unzumutbarkeit des Anschluss- und Überlassungszwangs (vgl. OVG RhPf, U.v. 7.12.1982 – 7 A 61/82 – juris; HessVGH, U.v. 20.6.1990 – 5 UE 2741/86 – juris Rn. 32). Der Sinn und Zweck des Anschluss- und Überlassungszwangs ist nicht darin zu sehen, nur diejenigen in die Pflicht zu nehmen, die nicht zur Selbstentsorgung des Abfalls in der Lage sind, sondern alle mit dieser Pflicht zu belegen und Ausnahmen nur dann zuzulassen, wenn die öffentliche Entsorgung aus besonderen Gründen nicht Platz greifen kann. Das heißt, es widerspricht dem Rechtsinstitut des Anschluss- und Überlassungszwangs, den geltend gemachten Befreiungsanspruch und damit die behauptete Ausnahmesituation aus einer vermeintlichen Kompetenz, die Aufgabe selbst wahrnehmen zu können, abzuleiten (vgl. HessVGH, U.v. 20.6.1990 – 5 UE 2741/86 – juris Rn. 32). Würde man sämtlichen Grundstückeigentümern, die zu einer Selbstentsorgung ihrer Abfälle in der Lage wären, allein aus diesem Grund einen Befreiungsanspruch zugestehen, würde dies dem im Rechtsinstitut des Anschluss- und Überlassungszwangs verankerten und diesem zugrundeliegenden Solidaritätsgedanken in eklatanter Weise zuwiderlaufen.
Schließlich führt auch die klägerseitig vorgetragene Mittellosigkeit zu keinem anderen Ergebnis. Denn eine etwaige Mittellosigkeit kann allenfalls im Rahmen der Prüfung eines Gebührenerlasses Berücksichtigung finden, führt aber nicht zu einem Anspruch auf Befreiung vom Anschluss- und Überlassungszwang dem Grunde nach (vgl. Dietlein/Knierim, BeckOK Kommunalrecht Bayern, 11. Edition Stand: 01.08.2021, Art. 24 GO Rn. 26.1).
2.4. Nach alledem steht dem Kläger vorliegend kein Anspruch auf Befreiung vom Anschluss- und Überlassungszwang an die öffentliche Abfallentsorgungseinrichtung der Beklagten zu. Die Klage war daher als unbegründet abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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