Baurecht

Verwirkung eines Klagerechts nach Treu und Glauben

Aktenzeichen  14 ZB 20.1300

Datum:
6.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17526
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 59, 60
BayNatSchG Art. 34 Abs. 3
BayNatSchG Art. 30 Abs. 1 S. 1 (idF bis zum 28.2.2011)

 

Leitsatz

1. Ob eine nachträgliche naturschutzrechtliche Beseitigungsanordnung gemäß Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG einer Baugenehmigung widerspricht, hängt vom Umfang der Feststellungswirkung der konkret im Raum stehenden Baugenehmigung ab, wofür wiederum der Umfang des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahren maßgeblich ist. (Rn. 12)
2. Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG in der bis zum 28. Februar 2011 geltenden Fassung enthielt die in Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG n.F. vorgesehene Wendung „…unter Beachtung der Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 1…“ nicht, weswegen jedenfalls nach dieser Gesetzesfassung das Prüfungsprogramm der Baugenehmigung (Art. 59, 60, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO) nicht entsprechend naturschutzrechtlich erweitert wurde. (Rn. 14 – 18)

Verfahrensgang

Au 9 K 17.589 2020-03-09 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Beigeladenen auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Soweit Zulassungsgründe i.S.v. § 124 Abs. 2 VwGO ausdrücklich oder sinngemäß geltend gemacht werden, liegen sie nicht vor.
1. Die Berufung ist nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteils zuzulassen.
1.1. Wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B.v. 8.12.2009 – 2 BvR 758/07 – BVerfGE 125, 139 f.) und sich das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis offensichtlich richtig erweist (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542/543; vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 30 m.w.N.). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die „gesicherte Möglichkeit“ ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 Rn. 19).
1.2. Die Antragsbegründung (dort S. 3 bis 5 unter 1.) meint, das Verwaltungsgericht habe rechtsfehlerhaft eine Verwirkung des Klagerechts nach Treu und Glauben verneint (UA Rn. 29 bis 37), obwohl der Kläger erst sechs Jahre nach der Erteilung der Baugenehmigungen vom 20. Juni 2008 für die Errichtung der streitgegenständlichen Zaunanlage Klage erhoben habe und bereits bei Genehmigungserteilung als Mitglied eines Naturschutzvereins über die Situation informiert gewesen sei. Soweit das Verwaltungsgericht darauf abgestellt habe, dass der Kläger sich als zweiter Vorsitzender des Naturschutzvereins von Anfang an gegen den genehmigten Zaun ausgesprochen habe, dass eine Klage gegen die Baugenehmigungen mangels klarer Erfolgsaussichten nicht geboten gewesen sei und dass der genehmigte Zaun von Anfang an bis zum Scheitern von Gesprächen mit dem Naturschutzverein im Jahr 2015 umstritten gewesen sei, habe es verkannt, dass es für die Beurteilung der Verwirkung allein darauf ankomme, ob gerade der Kläger ein Verhalten gezeigt habe, aufgrund dessen der Beigeladene – als Bauherr – davon ausgehen durfte, dass gerade der Kläger keine individuelle Klage auf Erlass einer Beseitigungsanordnung erheben werde. Dies sei hier der Fall, weil der Kläger stets als „Funktionsträger“ des Naturschutzvereins, nie aber als Privatperson, die sich auf das naturschutzrechtliche Betretungsrecht berufe, aufgetreten sei. Auch sei Gegenstand der besagten Gespräche nicht das naturschutzrechtliche Betretungsrecht, sondern vielmehr die naturschutzrechtliche und wildfachliche Eignung und Verträglichkeit des genehmigten Zauns gewesen. Dass der genehmigte Zaun „in der Gegend“ umstritten gewesen sei, sei ebenso unerheblich wie der Umstand, dass die Genehmigung von dritter Seite angefochten worden sei. Auch wäre es dem Kläger möglich gewesen, bereits im Jahr 2008 – zur Vermeidung von Prozessrisiken einer Klage gegen die Baugenehmigung selbst – eine Klage auf Anordnung der Beseitigung des genehmigten Zauns nach Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG zu erheben.
Mit dieser Kritik werden keine Umstände aufgezeigt, aus denen sich die „gesicherte Möglichkeit“ ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist.
Das Verwaltungsgericht (UA Rn. 31 m.w.N.) hat zu Recht die Frage der Verwirkung nicht nur vom sog. Zeitmoment, sondern auch vom sog. Umstandsmoment abhängig gemacht, also davon, ob der Berechtigte unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er etwas zur Wahrung des Rechts unternimmt.
Dass es insoweit eine Gesamtwürdigung der Umstände (UA Rn. 32 ff.) vorgenommen und dabei auch das prozessuale Verhalten aller Gegner des Zauns in den Blick genommen hat, ist nicht zu beanstanden. Die Bedeutung des Verhaltens Dritter für das sog. Umstandsmoment lässt sich nicht abstrakt festlegen, sondern ist auf den jeweiligen Sachverhalt zu beziehen. Vorliegend geht es um eine in freier Natur belegene Anlage, die aus der Natur der Sache heraus die Rechte einer Vielzahl von Personen, insbesondere der nach Art. 141 Abs. 3 BV Berechtigten, berührt und deshalb auch einer Vielzahl von rechtlichen Abwehrmaßnahmen ausgesetzt sein kann. Dass einer dieser Berechtigten das Verhalten anderer Gegner des Projekts in sein prozessuales Verhalten einbezieht und eigene, unter Umständen kostenträchtige Verfahren – wie hier den im Verwaltungsverfahren nicht fristgebundenen Antrag bei der Naturschutzbehörde, die genehmigte Anlage zu beseitigen, an dessen Ablehnung sich erst die vorliegende Versagungsgegenklage anschloss – erst nach Abschluss der Verfahren anderer Berechtigter initiiert, ist eine nachvollziehbare Verhaltensweise. Dabei ist zu sehen, dass – anders als etwa Drittanfechtungen gegen Genehmigungen – ein Antrag auf naturschutzbehördliches Vorgehen gemäß Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG gerade keiner gesetzlichen Frist unterliegt und insoweit auch kein dem Art. 48 Abs. 4 oder Art. 49 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG vergleichbares Fristenregime vorgesehen ist; vielmehr besteht die naturschutzbehördliche Befugnis des Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG – ganz anders als diejenige des Art. 34 Abs. 2 BayNatSchG – gerade zeitlich unbegrenzt, wobei der Umstand, dass es sich dabei stets um eine Befugnis der Exekutive, nicht aber um einen direkten Anspruch des jeweils Erholungssuchenden gegen den Bauherrn oder dinglich Berechtigten handelt, bei der Bewertung des sog. Umstandsmoments nicht unberücksichtigt bleiben darf.
Vor diesem Hintergrund begründet die Kritik des Beigeladenen insbesondere keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Verwaltungsgericht zum einen mit der letztlich erfolglosen Anfechtungsklage der Stadt gegen die Baugenehmigungen (UA Rn. 3 und Rn. 35 a.E.) und zum anderen mit dem Umstand argumentiert hat (UA Rn. 36), dass sich zunächst der Vorsitzende eines Kreisverbands des besagten Naturschutzvereins im Jahr 2010 an die zuständige Behörde des Nachbarlandkreises gewandt und unter Berufung auf sein verfassungsrechtlich geschütztes Betretungsrecht die Beseitigung des dort vom Beigeladenen errichteten provisorischen Elektro-Litzenzauns verlangt habe, was zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung geführt habe, die erst mit Beschluss des Senats Anfang 2014 (Az. 14 ZB 12.1895) beendet worden sei. Ob der Kläger allein schon aufgrund seiner ablehnenden Äußerungen gegen den Zaun in seiner Eigenschaft als Funktionsträger des Naturschutzvereins eine Verwirkung hätte verhindern können, kann dahinstehen. Jedenfalls hat er angesichts der besagten Gesamtsituation und der förmlichen gerichtlichen Schritte Dritter gegen den Zaun kein Verhalten an den Tag gelegt, aus dem der Beigeladene nach Treu und Glauben hätte den Schluss ziehen dürfen, dass mit gerichtlichen Schritten des Klägers aus eigenem Recht (Art. 141 Abs. 3 BV) nicht mehr gerechnet werden brauche, zumal wie gezeigt die naturschutzbehördliche Befugnis des Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG – im Gegensatz zu Art. 34 Abs. 2 BayNatSchG – gerade zeitlich unbegrenzt besteht.
1.3. Nicht zur Berufungszulassung führt die weitere Kritik (Antragsbegründung S. 5 bis S. 10 unter 2.), das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Anwendungsbereich des Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG auf formell-rechtswidrige bzw. im Anzeigeverfahren errichtete Sperren beschränkt sei.
1.3.1. Zu kurz greift dabei die These (Antragsbegründung S. 6 unter 2.1.), wegen seines Wortlauts („…unbeschadet…“) sei Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG dahin auszulegen, dass eine nachträgliche Beseitigungsanordnung nur „im Einklang mit“ oder „ohne Schaden für“ die in Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG in Bezug genommenen anderen Regelungen ergehen dürfe, zu denen insbesondere die Vorschriften über Widerruf und Rücknahme gehörten.
Denn ob eine nachträgliche Beseitigungsanordnung „im Einklang“ mit einer Baugenehmigung steht oder ihr widerspricht, hängt davon ab, welche „Regelung“ i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG diese Genehmigung trifft. Dabei hat das Verwaltungsgericht (UA Rn. 47) im Ansatz zutreffend unter Hinweis auf Art. 59, 60 BayBO herausgearbeitet, dass nur die Vorschriften des eingeschränkten Prüfprogramms an der Feststellungswirkung der Baugenehmigung teilnehmen (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO).
Der bloß formale Umstand der Baugenehmigungserteilung spricht deshalb für sich gesehen nicht gegen die Zulässigkeit einer nachträglichen Beseitigungsanordnung (vgl. auch Art. 55 Abs. 2 BayBO). Vielmehr kommt es darauf an, ob und inwieweit die Feststellungswirkung der konkret im Raum stehenden Baugenehmigung sich (auch) auf solche Vorschriften erstreckt, an deren Verletzung gerade auch die Beseitigungsanordnung anknüpft (siehe dazu 1.3.2.).
1.3.2. Auch mit den vom Beigeladenen geltend gemachten systematischen Argumenten (Antragsbegründung S. 6 bis S. 9 unter 2.2.) werden keine Umstände aufgezeigt, aus denen sich die „gesicherte Möglichkeit“ ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist.
1.3.2.1. Jedenfalls für die vorliegend im Raum stehenden Baugenehmigungen, bei deren Erteilung (20.6.2008) nicht Art. 34 BayNatSchG in seiner heute gültigen Fassung, sondern vielmehr die bis zum 28. Februar 2011 gültige Vorläufervorschrift des Art. 30 BayNatSchG a.F. in Kraft war, trifft die These der Antragsbegründung (dort S. 7 zweiter Absatz), die Baugenehmigungsbehörde entscheide gemäß Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG verbindlich, ob eine baugenehmigungspflichtige Anlage auch unter dem Gesichtspunkt der Errichtung einer Sperre nach materiellem Naturschutzrecht zulässig sei, ersichtlich nicht zu. Zur Einschlägigkeit dieser Vorgängerfassung wurde den Bevollmächtigten des Beigeladenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542).
Die Antragsbegründung (dort S. 7 zweiter Absatz Zeilen 17 bis 26) meint, nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG („…hat zu entscheiden…“) gehöre die Frage der materiell-rechtlichen Zulässigkeit einer Sperre entgegen dem Verwaltungsgericht zu den tragenden Rechtsgründen der Gestattung und nehme damit an der Bindungs- und Feststellungswirkung der erteilten Baugenehmigungen teil, wobei sie unter Hinweis auf den Wortlaut der aktuellen Fassung des Art. 34 BayNatSchG („…unter Beachtung…“) rügt, das Verwaltungsgericht übersehe, dass Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG eine eigenständige Verfahrens- und Entscheidungskonzentration mit Pflicht zur Prüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Gestattung einer Sperre anordne, ohne dass es hierfür eines Rückgriffs auf Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO bedürfe.
Zwar erscheint dieser Ansatz – der der Sache nach darauf hinausläuft, Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG erweitere das Prüfprogramm der Art. 59, 60 BayBO um die Pflicht, die Baugenehmigung nur „unter Beachtung“ der Voraussetzungen des Art. 34 Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG (also der naturschutzrechtlichen Untersagungsgründe bei Sperren) zu erteilen – für die seit 1. März 2011 geltende Fassung des Art. 34 BayNatSchG nachvollziehbar.
Gleichwohl geht vorliegend die besagte Kritik ins Leere, weil im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigungen (20.6.2008) noch die Vorläuferfassung des Art. 30 BayNatSchG a.F. galt und Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG (in der vom 1.8.2008 bis zum 28.2.2011 geltenden Fassung) wie folgt lautete: „Bedarf die Errichtung einer Sperre im Sinn des Art. 22 Abs. 3 Satz 2 einer behördlichen Gestattung nach anderen Vorschriften, so ergeht diese im Benehmen mit der unteren Naturschutzbehörde, sofern Bundesrecht nicht entgegensteht.“ In dieser für die vorliegenden Baugenehmigungen entscheidenden Gesetzesfassung fand sich also die von der Antragsbegründung betonte Wendung „…unter Beachtung der Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 1…“ gerade nicht; vielmehr beschränkte sich Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. lediglich auf das Benehmenserfordernis.
Weil aber das Gesetz zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigungen den vom Beigeladenen betonten Wortlaut („…unter Beachtung der Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 1…“) gerade nicht aufwies, kann im Ergebnis nicht die Rede davon sein, das Verwaltungsgericht habe eine etwaige, aus der Neufassung folgende Pflicht der Baugenehmigungsbehörde zur Prüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Gestattung einer Sperre – und eine damit korrespondierende, entsprechend erweiterte Feststellungswirkung der Baugenehmigungen – verkannt.
1.3.2.2. Auch die diesbezügliche Stellungnahme der Bevollmächtigten des Beigeladenen vom 30. Juni 2021 zum gerichtlichen Anhörungsschreiben vom 14. Mai 2021 führt zu keinem anderen Ergebnis.
In der Stellungnahme vom 30. Juni 2021 wird darauf hingewiesen, bereits Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. habe das Verfahren bei Errichtung einer Sperre geregelt, dabei ein eigenes naturschutzrechtliches Genehmigungsverfahren vermeiden wollen und für andere Gestattungsverfahren das Benehmen der Naturschutzbehörde verlangt; diese verfahrensrechtliche Konzentration lasse die Bindung an das materielle (Naturschutz-)Recht unberührt mit der Folge, dass es anzuwenden gewesen sei, was bislang auch unbestritten gewesen sei – andernfalls wäre auch das Benehmenserfordernis ins Leere gelaufen, wobei dem Gesetzgeber kein widersprüchlicher Regelungswille unterstellt werden könne und auch den Gesetzgebungsmaterialien nicht zu entnehmen sei, dass durch Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG n.F. die Regelung des Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. inhaltlich hätte geändert werden sollen.
Dieser Argumentation des Beigeladenen folgt der Senat nicht. Sie lässt außer Acht, dass nicht alle materiell-rechtlichen Anforderungen, denen eine Anlage genügen muss, deshalb auch Teil des (baurechtlichen) Prüfprogramms sind. Vielmehr bestimmt allein der Gesetzgeber, welches Prüfprogramm im Rahmen eines behördlichen Gestattungsverfahrens abzuarbeiten ist und welche materiell-rechtlichen Vorschriften außerhalb dieses Prüfprogramms vom Bauherrn eigenverantwortlich zu wahren sind. Diese Prämisse liegt insbesondere im bayerischen Bauordnungsrecht den Art. 55 Abs. 2, Art. 59 und 60 BayBO zugrunde (siehe 1.3.1.). Zwar wäre der Gesetzgeber frei, auch außerhalb der Bayerischen Bauordnung – über Art. 59 Satz 1 Nr. 3, Art. 60 Satz 1 Nr. 3 BayBO hinaus – das Prüfprogramm im Baugenehmigungsverfahren fachgesetzlich – also außerhalb Art. 59, 60 BayBO, beispielsweise im Bayerischen Naturschutzgesetz – zu ergänzen; jedoch lässt sich jedenfalls Art. 30 BayNatSchG a.F., der im Zeitpunkt der Erteilung der vorliegenden Baugenehmigungen galt, eine derartige naturschutzgesetzliche Erweiterung des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahren nicht entnehmen, weil Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. (im Gegensatz zu Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG n.F.) gerade nicht – über das Benehmenserfordernis hinaus – anordnete, dass bei der Gestattung nach anderen Vorschriften „unter Beachtung der Voraussetzungen des Art. 34 Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG“ – also der naturschutzrechtlichen Untersagungsgründe – zu entscheiden gewesen wäre.
Eine derartige Erweiterung des baurechtlichen Prüfprogramms über Art. 59, 60 BayBO hinaus lässt sich auch dem damaligen bloßen Benehmenserfordernis nicht entnehmen. Zum einen wird eine Abweichung vom eingeschränkten Prüfprogramm der Art. 59, 60 BayBO schon vom Wortlaut dieser Vorschrift her nicht zum Ausdruck gebracht. Zum anderen ist das Benehmenserfordernis inhaltlich, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat (UA Rn. 46), eine bloße – und im Vergleich zu einem Einvernehmenserfordernis schwächere – Verfahrensbestimmung, die der Naturschutzbehörde lediglich Gelegenheit einräumt, ihre Vorstellungen zum Vorhaben einzubringen, die Genehmigungsbehörde aber gerade nicht bindet und schon deshalb mit einem verbindlichen Prüfprogramm nicht vergleichbar ist.
Vor diesem Hintergrund ist auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Beigeladenen vom 30. Juni 2021 das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis nicht zweifelhaft im Hinblick auf den Umstand, dass in Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. – im Gegensatz zu Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG – der Passus „unter Beachtung der Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 1“ gerade nicht enthalten war, was dazu führt, dass sich das Prüfprogramm und damit auch die Feststellungs- und Legalisierungswirkung der vorliegend im Jahr 2008 erteilten Baugenehmigungen nicht auch auf die materiell-rechtlichen Anforderungen des Art. 30 Abs. 2 BayNatSchG erstreckte.
Dass das Verwaltungsgericht den letztlich entscheidenden Unterschied des Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. einerseits und des Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG n.F. andererseits nicht abgehandelt hat, ändert aus den besagten Gründen nichts daran, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil insoweit im Ergebnis unzweifelhaft richtig ist. Angesichts dieser Ergebnisrichtigkeit ist die Berufung nicht zuzulassen.
Inwieweit der besagte Argumentationsansatz des Beigeladenen für ab dem Inkraftreten des Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG zum 1. März 2011 bekannt gegebene Baugenehmigungen zutreffen könnte, lässt der Senat offen, weil es darauf für den vorliegenden Fall, in dem wie gezeigt Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. in Kraft und Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG n.F. noch nicht erlassen war, nicht ankommt, zumal auch der amtlichen Begründung des der Neufassung zugrundeliegenden Regierungsentwurfs (LT-Drs. 16/5872 S. 13 und S. 27) insoweit nichts Näheres zu entnehmen ist.
1.3.2.3. Da somit das besagte, in der Antragsbegründung dargelegte Wortlautargument („…unter Beachtung…“) angesichts des einschlägigen Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. ersichtlich ins Leere geht und von einer entsprechend erweiterten Feststellungswirkung der Baugenehmigungen hinsichtlich der Zulässigkeit von Sperren schon nach dem Gesetzeswortlaut gerade nicht auszugehen ist, ist auch der vom Beigeladenen angenommene „diametrale Widerspruch“ der nachträglichen Beseitigungsanordnung zur Baugenehmigung (Perplexität) nicht anzunehmen, und zwar auch nicht im Hinblick auf die vom Beigeladenen betonte Verweisung des Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG auf Art. 34 Abs. 2 BayNatSchG (Antragsbegründung S. 8).
1.3.2.4. Nichts Anderes gilt, soweit die Antragsbegründung (dort S. 8 f. unter 2.2.2.) die verwaltungsgerichtliche Argumentation mit Art. 36 Abs. 2 und 3 BayNatSchG kritisiert. Auch die insoweit angenommene „Perplexität mit der Baugenehmigung“ (Antragsbegründung S. 9 oben) ist – angesichts des Umstands, dass für den Zeitpunkt der Baugenehmigungen Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. gerade gegen eine entsprechend erweiterte Feststellungswirkung der Baugenehmigungen hinsichtlich der Zulässigkeit von Sperren spricht (siehe oben) – jedenfalls für die im Zeitpunkt der Erteilung der vorliegenden Baugenehmigungen (20.6.2008) geltende Rechtslage nicht anzunehmen, sodass die verwaltungsgerichtliche Argumentation im Ergebnis nicht infrage gestellt wird.
1.3.3. Auch soweit die Antragsbegründung (dort S. 9 f. unter 2.3.) rügt, eine nachträgliche Beseitigungsanordnung bei bestandskräftiger Baugenehmigung würde verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das Verbot widersprüchlichen und willkürlichen Handelns (Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG) sowie auf das Eigentum des Beigeladenen an der betroffenen baulichen Anlage (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) begegnen, zeigt sie keine Umstände auf, aus denen sich die „gesicherte Möglichkeit“ ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist.
Denn auch mit dieser Kritik knüpft sie letztlich an ihre These an, zum Prüfprogramm der Baugenehmigungen habe gemäß Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG auch die naturschutzrechtliche Zulässigkeit der Sperre gehört, wobei diese These aber jedenfalls vorliegend schon im Hinblick auf den Wortlaut des bei Baugenehmigungserteilung einschlägigen Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. nicht überzeugt (siehe 1.3.2.).
Weil vorliegend gerade keine Feststellungswirkung der Baugenehmigungen vom 20. Juni 2008 hinsichtlich der naturschutzrechtlichen Zulässigkeit der Sperre (siehe 1.3.2.) anzunehmen ist, hat insoweit nämlich gerade keine entsprechende Inhaltsbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) durch die Baugenehmigungen stattgefunden, weswegen die Beseitigungsanordnung jedenfalls nicht in eine durch eine Feststellungswirkung vermittelte Position eingreifen kann. Aus dem gleichen Grund liegt jedenfalls im vorliegenden Fall im Hinblick auf Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. auch keine grundrechts- oder rechtsstaatswidrige willkürliche Widersprüchlichkeit vor.
Auch insoweit lässt der Senat offen, wie die grundrechtlichen Fragen zu beurteilen wären für Fälle von Baugenehmigungen aus der Zeit nach Inkrafttreten des Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG (siehe 1.3.2. a.E.).
1.3.4. Weil die Rügen des Beigeladenen wie gezeigt das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft erscheinen lassen (siehe oben), ist entgegen der Antragsbegründung (dort S. 10 unter 2.4.) auch nicht von entscheidungserheblichen Auslegungsfehlern in dem Sinn auszugehen, dass das Verwaltungsgericht die Klage richtigerweise als unbegründet hätte abweisen müssen.
2. Auch eine Berufungszulassung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten kommt nicht in Betracht.
Zwar meint die Antragsbegründung (dort S. 10 f. unter B.), die Frage, ob Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG auf eine nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG i.V.m. Art. 55 Abs. 1 BayBO aufgrund einer bestandskräftigen Baugenehmigung errichteten Sperre i.S.v. Art. 27 Abs. 3 Satz 2 BayNatSchG Anwendung finde, weise besondere rechtliche Schwierigkeiten auf. Jedoch stellt sich diese Frage so – wie gezeigt (siehe 1.3.2.) – nicht, weil bei der Erteilung der Baugenehmigungen nicht Art. 34 BayNatSchG in heutiger Fassung, sondern Art. 30 BayNatSchG a.F. galt. Die zu Prüfprogramm und Feststellungswirkung der Baugenehmigungen (siehe 1.3.2. bis 1.3.4.) aufgeworfenen Fragen lassen sich schon mit dem Wortlaut des Art. 30 BayNatSchG a.F. ohne Weiteres beantworten. Aus den genannten Gründen (siehe 1.3.2. bis 1.3.4.) weist die Rechtssache somit auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
3. Schließlich ist die Berufung auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
3.1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage im konkreten Rechtsstreit klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich ist, dass diese Frage sich als klärungsbedürftig, insbesondere nicht schon höchst- oder obergerichtlich geklärt und nicht direkt aus dem Gesetz zu beantworten erweist und dass ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 28.7.2010 – 14 ZB 09.422 – juris Rn. 8 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren sowie deren (2.) Klärungsfähigkeit, (3.) Klärungsbedürftigkeit und (4.) allgemeine Bedeutung darlegen (BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).
3.2. In der Antragsbegründung wird folgende Frage aufgeworfen: „Findet Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG auf eine auf Grund einer bestandskräftigen Baugenehmigung nach Art. 55 Abs. 1 BayBO i.V.m. Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG errichtete Sperre Anwendung?“
Diese Frage sei klärungsbedürftig, weil sie sich weder ohne Weiteres mittels Auslegung beantworten lasse noch in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entschieden sei. Auch gehe es nicht lediglich um eine Einzelfallanwendung des Landesrechts, sondern um dessen Auslegung, die sich in einer Vielzahl von Fällen stellen könne. Die Frage sei entscheidungserheblich und klärungsfähig – bei einer Verneinung der Frage hätte das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen.
3.3. Die Frage ist in der gestellten Form so nicht klärungsfähig (entscheidungserheblich), weil vorliegend gerade keine „…auf Grund einer bestandskräftigen Baugenehmigung nach Art. 55 Abs. 1 BayBO i.V.m. Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG errichtete Sperre…“ im Sinne der Fragestellung vorliegt, sondern vielmehr eine nach Art. 55 Abs. 1 BayBO „i.V.m. Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F.“ errichtete Sperre (siehe 1.3.2.). Schon aus diesem Grund scheidet eine Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung aus.
Vor diesem Hintergrund lässt der Senat offen, ob eine Entscheidungserheblichkeit der Frage hinreichend „dargelegt“ worden ist.
4. Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Beigeladene, der dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Der Streitwert des Berufungszulassungsverfahrens bestimmt sich nach §§ 47, 52 Abs. 1 GKG in Anlehnung an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs (mangels anderer Anhaltspunkte wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO und hinsichtlich des Streitwertbeschlusses nach § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.


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