Baurecht

VOB-Bauvertrag: Funktionaler Mangelbegriff bei Errichtung einer Schallschutzmauer

Aktenzeichen  27 U 4582/15 Bau

Datum:
9.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 118561
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 631 Abs. 1, § 633 Abs. 1
VOB/B § 4 Abs. 3, § 13 Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

1 Eine Schallschutzmauer ist nach dem funktionalen Mangelbegriff mangelhaft errichtet, wenn sie aufgrund ihrer konkreten Ausführung keinen ausreichenden Schutz vor Durchfeuchtungen aufweist, auch wenn dies nicht ausdrücklich Bestandteil der Ausschreibung ist. (Rn. 4 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist der Mangel u.a. darauf zurückzuführen, dass der Auftraggeber in der Ausschreibung die Verwendung bestimmter Abdeckplatten vorgegeben hat, haftet der Auftragnehmer dennoch für das mangelhafte Werk, sofern er keine Bedenken hinsichtlich des vorgegebenen Materials angemeldet hat. (Rn. 10 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 O 680/15 2015-11-19 Endurteil LGMEMMINGEN LG Memmingen

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 19.11.2015, Az. 22 O 680/15, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund einer mündlicher Verhandlung erfordert. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist auch nicht aus anderen Gründen geboten.

Gründe

Das Urteil des Landgerichts Memmingen entspricht im Ergebnis der Sach- und Rechtslage. Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich.
Der Einwand der Berufung, das Erstgericht habe das im OH-Verfahren eingeholte Gutachten fehlerhaft interpretiert und auf nicht entscheidungsrelevante Gesichtspunkte abgestellt (u.a. Gefügedichtigkeit), greift jedenfalls im Ergebnis nicht durch.
Nach Auffassung des Senats belegen die Feststellungen des Sachverständigen Dipl. Ing. B eine Mangelhaftigkeit des durch die Beklagte errichteten Gewerkes. So ist zwischen den Parteien unstreitig und durch die Feststellungen des Sachverständigen belegt, dass es an der errichteten Schallschutzmauer zu deutlichen Wasseraustritten, Durchfeuchtungen sowie deutlich erkennbaren Kalkablaufspuren kommt. Auf Seite 10 ff. (Bild 6 ff.) des Gutachtens vom 19. Juni 2012 im OH-Verfahren 24 OH 1003/11 wird Bezug genommen.
Hierfür haftet die Beklagte als Erstellerin des Werkes. Für die Frage der Mangelhaftigkeit ist der funktionale „Herstellungsbegriff“ maßgeblich (vgl. zutreffend Ersturteil S. 4 f., Bl. 36 f. d.A.). Auch die Berufungsbegründung führt auf S. 3 (Bl. 73 d.A.) zutreffend aus:
„Zutreffend geht das Landgericht auch noch davon aus, dass sich die Herstellungspflicht eines werkvertraglichen Auftragnehmers nicht auf die Einhaltung der vereinbarten Leistung oder Ausführungsart beschränkt, wenn diese nicht zu einer zweckentsprechenden und funktionstauglichen Leistung führt. Vielmehr wird die Leistungvereinbarung der Parteien überlagert von der Herstellungspflicht, die dahin geht, ein nach den Vertragsumständen zweckentsprechendes funktionstaugliches Werk zu erbringen.“
Dieser „Herstellungspflicht“ ist die Beklagte nicht nachgekommen. Die Errichtung einer Schallschutzmauer beschränkt sich nicht nur auf die Errichtung eines schallmindernden Mauerwerkes. Auch wenn dies nicht ausdrücklich Bestandteil der Ausschreibung ist, so versteht es sich beispielsweise von selbst, dass das Werk einer gewissen Standfestigkeit bedarf, um Wind und Sturm Stand zu halten. Gleiches gilt für den Schutz vor Durchfeuchtung. Durchfeuchtungen bergen – gerade mit Blick auf winterliche Verhältnisse – eine nicht unerhebliche Gefahr von Frostschäden in sich.
Wendet man diese Vorgaben auf den Fall an, so ergibt sich auch und gerade im Lichte der Feststellungen des Sachverständigen eine Mangelhaftigkeit des Gewerkes insgesamt, die sich gerade nicht auf die Frage der Wasserdurchlässigkeit der Abdeckplatten beschränkt. Im Gegenteil. Aus den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen geht hervor, dass neben den verwendeten Abdeckplatten auch die konkrete Ausführungen der Stoßfugen für die Durchfeuchtung und die Mangelhaftigkeit des Gewerkes mitursächlich war.
So wird auf S. 56 des Gutachtens (S. 96 d.A. 24 OH 1003/11) unmissverständlich die Mangelhaftigkeit des Gewerkes insgesamt belegt:
„Die Feststellungen und Untersuchungen haben ergeben, dass die Abdeckplatten der Schallschutzmauer wasserdurchlässig sind. Der im Versuch überprüfte Durchtritt von Wasser kann jedoch nicht allein für die Ansammlung von Wasser im Sockelbereich ursächlich sein. Vielmehr ist dies in einem Zusammenhang mit der Trockenverlegung der Stoßfugen zu sehen.
Aufgrund herstellungsbedingter Maßtoleranzen konnten offene Stoßfugenbreiten von bis zu 5 mm festgestellt (werden). Die Wandoberfläche ist daher insgesamt nicht als schlagregendicht zu bezeichnen – insbesondere bei Winddruck (auch Staudruck durch vorbeifahrende Fahrzeuge) wird ablaufendes Wasser über die Fugenspalten in den Wandinnenbereich geleitet.“
Hinsichtlich der Mangelhaftigkeit führt der Sachverständige auf S. 57 seines Gutachtens (Bl. 97 d.A. 24 OH 1003/11) wie folgt aus:
„Die Wasserdurchlässigkeit der Abdeckplatten ist mit ursächlich für die vorhandenen Sockeldurchfeuchtungen – als weitere Ursache ist aber auch die offene Stoßfugenausbíldung anzusehen, wodurch keine schlagregendichte Wandkonstruktion gegeben ist. Insgesamt kann die Mangelhaftigkeit der Abdeckplatten bestätigt werden.“
Vor diesem Hintergrund steht für den Senat fest, dass die Beklagte ihre Verpflichtung zur Herstellung einer funktionsfähigen Schallschutzmauer, die auch und gerade an einer befahrenen Straße einen ausreichenden Schutz gegen von oben und seitlich eindringendes Wasser bedarf, nicht erfüllt hat.
Dabei entlastet es die Beklagte auch nicht, dass in der Ausschreibung im Angebots-LV unter Pos. 40.7.60 auf die letztlich verwendeten Abdeckplatten der Fa. E, Fabrikat B, Bezug genommen wurde. Die Berufungsbegründung meint, dass damit die „Haftungsbefreiung“ § 13 Abs. 3 VOB/B greife. Dem folgt der Senat nicht.
§ 13 Abs. 3 VOB/B stellt keine Haftungsbefreiung im klassischen Sinne dar, sondern stellt klar, dass der Auftragnehmer vom Grundsatz her auch dann für die Mangelhaftigkeit des Gewerkes haftet, wenn der Mangel auf die Leistungsbeschreibung oder auf Anordnungen des Auftraggebers zurückzuführen ist. Ob eine solche Konstellation bzw. Anordnung vorliegt, ist Tatfrage und wurde vom Erstgericht durch vertretbare Auslegung des Leistungsverzeichnisses bejaht. Die Berufungsbegründung wendet hierzu auf S. 3 f. (Bl. 73 ff. d.A.) ein, dass das Erstgericht den Begriff „Wahlposition“ unter Ziffer 40.7.70 völlig verkannt habe. Eine „Wahlposition“ eröffnet dem Auftraggeber die Möglichkeit, ein Wahlrecht auszuüben und nicht dem Auftragnehmer.
Diese Aussage trifft zwar zu, erschüttert jedoch die Vertragsauslegung des Erstgerichts, die der Senat für nahe liegend erachtet, jedoch gerade nicht. Das Erstgericht hat sich nicht zu einem abschließenden „Wahlrecht“ zwischen zwei Alternativpositionen geäußert, sondern lediglich eine Vertragsauslegung zu der vorgelagerten Frage unternommen, ob die Klägerin eine verbindliche Vorgabe i.S.d. § 13 Abs. 3 VOB/B hinsichtlich der Materialverwendung gemacht hat. Der Wortlaut im Angebots-LV (Anlage K 1 „Wahlposition“) spricht für die erstgerichtliche Auslegung.
Letztlich kommt es jedoch darauf nicht an, da die Beklagte die von § 13 Abs. 3 VOB/B zur „Haftungsbefreiung“ weiter eingeforderte Bedenkensmitteilung nicht erbracht hat. Wie oben ausgeführt, war die gewählte Gesamtkonstruktion (Abdeckung, offene Stoßfugen) nicht geeignet, ein funktionstüchtiges und ausreichend wasserresistentes Gewerk zu gewährleisten.
Die Beklagte hätte daher Bedenken anmelden müssen. Dies ist nicht erfolgt.
Im Gegensatz zur Berufungsbegründung sieht der Senat die Beklagte dabei auch nicht durch das Sachverständigengutachten entlastet. Soweit die Berufung auf S. 61 des Sachverständigengutachtens (Bl. 101 d.A. 24 OH 1003/11) hinweist, ist zu bemerken, dass der Sachverständige eine Prüfpflicht lediglich für die Wasserdurchlässigkeit der Abdeckplatten selbst ablehnt. Wie eingangs ausgeführt wäre es aber auch und gerade im Lichte des funktionalen Herstellungsbegriffs verfehlt, bzgl. Mangelhaftigkeit und Bedenkensanmeldung auf einzelne Teile Gewerks abzustellen. Es geht um die Schallschutzmauer insgesamt und den erforderlichen Schutz vor Feuchtigkeitsschäden. Entsprechend der gutachterlichen Feststellungen einschließlich der gefertigten Lichtbilder war dieser Schutz nicht gewährleistet.
Hierfür haftet die Beklagte, die über langjährige bautechnische Erfahrungen verfügt, als Auftragnehmerin.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis spätestens 4. April 2016.


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